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Steyrer Spaziergang (I): Mehr als 2 Jahre rechter Lärm

Laut Poli­zei kos­tet ein Ein­satz um die 7.000 EUR – jeden der letz­ten 129 Sonn­ta­ge. Seit fast zwei­ein­halb Jah­ren fin­det der „Wider­stand“ gegen „das Sys­tem“, „die Sys­tem­me­di­en“, „die Coro­na­dik­ta­tur“, den „Gre­at Reset“ zusam­men, um vom Stadt­platz aus quer durch Steyr zu zie­hen – mit Trom­meln, Trom­pe­ten und Trans­pa­ren­ten. Und Rechts­extre­men. Ein Gast­bei­trag von Horst Schlager.* […]

28. Jun 2023
Satire-Strassenschild in Steyr: "Vorsicht! Putiodiotenwanderung"
Satire-Strassenschild in Steyr: "Vorsicht! Putiodiotenwanderung"

Demoabo

Kurio­ser­wei­se lie­fen die ers­ten 60 Spa­zier­gän­ge, also über ein Jahr, ohne eine an sich ver­pflich­ten­de Ver­samm­lungs­an­mel­dung. Poli­zei­schutz gab’s den­noch. Die Stey­rer Poli­zei sieht sich immer wie­der mit der Kri­tik kon­fron­tiert, die Spaziergänger*innen mit Samt­hand­schu­hen anzu­fas­sen, obwohl im Jän­ner 2022 ein Demons­trant gleich drei Poli­zis­ten mit Faust­schlä­gen ver­letzt hat­te. Für die­se The­se spricht auch das Stey­rer „Demo­abo“, eine Geneh­mi­gung der Auf­mär­sche bis Ende 2025, die zwei­fel­los eine Beson­der­heit darstellt.

Bei den sonn­täg­li­chen Demos sind immer wie­der QAnon-Flag­gen, Staats­ver­wei­ge­rer Sym­bo­lik mit umge­dreh­tem Bun­des­ad­ler, Reichs- und Russ­land­flag­gen und vie­le anti­se­mi­ti­sche Ver­schwö­rungs­ele­men­te auf Pla­ka­ten, Sti­ckern und Social Media-Pos­tings zu fin­den. Ob Insek­ten als Nah­rung, Trans­gen­der, Asyl, Teue­rung, Krieg, Gre­at Reset und Unter­stüt­zung für Putin – kein The­ma scheut man bei den Anspra­chen zu Beginn und am Ende des Spa­zier­gangs. Eines der „safe­ty words“ der kürz­lich zur Sei­te getre­te­nen Initia­to­rin die­ser Ver­an­stal­tun­gen, Sabi­ne Brand­ner, könn­te als sub­ti­ler Appell des Unter­be­wusst­seins ver­stan­den wer­den: „Ganz ehr­lich!“

Brandner bietet einen "Kartenlege Workshop" um 149 Euro an
Brand­ner bie­tet einen „Kar­ten­le­ge Work­shop” um 149 Euro an

Bran­der ver­dient ihre Bröt­chen näm­lich schon seit län­ge­rem mit Wahr­sa­gen, Runen- und Kar­ten­le­gen und neu­er­dings mit Vor­trä­gen über Gesund­heit und „Miss­brauch“, wobei selbst teu­re But­ter im Super­markt als sol­cher bezeich­net wird. Neben­bei managt sie den Heim­un­ter­richt ihrer Kin­der, die meis­tens bei den Spa­zier­gän­gen dabei waren und auch mit Spen­den­körb­chen gese­hen wur­den – ein Fami­li­en­be­trieb! Bei weit über hun­dert Spa­zier­gän­gen war sie die Gal­li­ons­fi­gur, die vor und nach jedem Marsch zum „auf­ge­wach­ten Volk“ sprach.

Demoteilnehmer kritisiert Brandner wegen Spenden
Demo­teil­neh­mer kri­ti­siert Brand­ner wegen Spenden

Die Anfänge

Als die Spa­zier­gän­ge began­nen, war die Pan­de­mie noch kein Jahr alt, und die Maß­nah­men waren rela­tiv neu. Wer mar­schier­te da plötz­lich durch Steyr? Eine Quer­front aus anthro­po­so­phisch Ange­hauch­ten, wald­schra­ti­gen Alt­hip­pies, aber auch Bur­schen­schaf­ter und latent empör­te FPÖ-Anhänger*innen, eini­ge Staats­ver­wei­ge­rer und ganz viel Grau­zo­ne drum­her­um. Es war ein zunächst lang­sam wach­sen­des Grüppchen.

Vie­len Men­schen vor­her unbe­kann­te rechts­extre­me Troll­fa­bri­ken wie der Wochen­blick, Info-Direkt, ab 2021 auch report24 und Auf1 beka­men mehr Reich­wei­te und konn­ten neue Fol­lower aus der Mit­te der Gesell­schaft errei­chen. Auch der regio­na­le Fern­seh­sen­der aus Steyr, RTV Pri­vat­fern­se­hen, ent­pupp­te sich plötz­lich als auf­stre­ben­der rechts­extre­mer Pro­pa­gan­da­sen­der, der im Spiel der ande­ren schwur­beln­den Medi­en­ma­cher Ober­ös­ter­reichs freu­dig emp­fan­gen wur­de und seit Coro­na fast nur noch mit kru­den Theo­rien und absur­der Berichts­er­stat­tung auf­war­tet. Die Reich­wei­te wur­de mit gegen­sei­ti­gen Inter­views erhöht. Ober­ös­ter­reich ist auch in die­ser Hin­sicht ein Indus­trie­bun­des­land. Die­se spe­zi­el­le Situa­ti­on in Ober­ös­ter­reich hat zwei­fel­los dazu bei­getra­gen, dass sich gera­de Steyr als Hot­spot und Sym­bol für die Pro­test­sze­ne eta­blie­ren konn­te, wohl aber auch die Kulis­se der Stadt, die nicht nur von den „Spaziergänger*innen“ geschätzt wird.

RTV berichtet über "Mega-Spaziergang in Steyr" (13.12.21)
RTV berich­tet über „Mega-Spa­zier­gang in Steyr” (13.12.21)

Bei den als „Spa­zier­gän­ge“ getarn­ten rech­ten Demons­tra­tio­nen nah­men nach und nach immer mehr Men­schen aus teils weit ent­fern­ten Gegen­den teil: vom ober­ös­ter­rei­chi­schen Enns­tal, dem Most­vier­tel, aus Linz-Land und selbst aus Wien rei­sen die Sonntagsspaziergänger*innen an, ein­mal mehr, ein­mal weni­ger. Zur Blü­te­zeit wur­de über meh­re­re Tau­send Teilnehmer*innen berich­tet, und tat­säch­lich dürf­ten 5000–6000 Leu­te an den bes­ten Sonn­ta­gen laut­stark durch Steyr gewan­dert sein. Die Stey­rer Bevöl­ke­rung, aber auch die Poli­tik stan­den dem zunächst rat­los gegen­über – und auch manch Wie­ner Demoor­ga­ni­sa­tor mag sich gefragt haben, war­um pha­sen­wei­se aus­ge­rech­net in Steyr weit­aus mehr Men­schen mobi­li­siert wur­den als in einer Millionenstadt.

Mit Trommeln und Trompete

Die Tromm­ler­grup­pe hat bei den Stey­rer Demos intern Kult­sta­tus erlangt. Das liegt aller­dings nicht an der rhyth­mi­schen Glanz­leis­tung, son­dern an der Tat­sa­che, dass deren Laut­stär­ke der Bevöl­ke­rung am meis­ten zusetzt – neben all den inhalt­li­chen Wahn­sin­nig­kei­ten und Absur­di­tä­ten, die sonst noch abge­las­sen wer­den und nicht zuletzt den schrä­gen Tönen eines Trom­pe­ters aus der Regi­on, der trotz der fast 130 „Spa­zier­gän­ge“ und eben­so vie­len fast zwei­stün­di­gen Trai­nings­ein­hei­ten kaum hör­ba­ren Fort­schritt am Instru­ment erzie­len konn­te. Die Freu­de dar­über, laut­stark wahr­ge­nom­men zu wer­den, ist ungebrochen.

Trommler in Steyr
Tromm­ler in Steyr

Kult­sta­tus hat auch der Live­stream des mitt­ler­wei­le sze­ne­weit bekann­ten Sach­sen Bert Wal­ter Ulb­rich erreicht, der in Steyr lebt und auf so gut wie jedem Spa­zier­gang das Kame­ra­kind mit Sel­fie­stick in der Hand gibt. Der unter dem Kür­zel BWU-TV strea­men­de Sach­se taucht aber auch von Wien bis Inns­bruck auf und fuhr mit einem ande­ren „Local Hero” zu einem Ver­net­zungs­tref­fen an die tsche­chi­sche Gren­ze. Sein Gequas­sel wur­de ihm schon mehr­mals zum Ver­häng­nis und eben­so diver­se Aus­flü­ge auf Demos in Nie­der­ös­ter­reich, wo die Poli­zei – anders als jene aus Steyr – fast jedes Mal Stra­fen wegen Mas­ken­ver­stö­ßen verhängte.

Beim BWU-Stream wird gebets­müh­len­ar­tig immer wie­der (mit unver­gleich­li­chem Zun­gen­schlag) betont, wie ver­fah­ren wer­den wür­de, wenn man end­lich am Ziel sei: „Arbeits­la­ger für Neham­mer, Van der Bel­len und die gan­ze Polit­ba­ga­ge! Stei­ne klop­fen mit einem klei­nen Häm­mer­lein, Tau­send Stück am Tag.“ Vor eini­ger Zeit bekam der „Sach­sen-Bertl” eine Ein­la­dung vom Ver­fas­sungs­schutz, weil er Poli­zis­ten und Sol­da­ten rekru­tie­ren woll­te für – ja, wofür denn eigentlich?

OÖN berichten über "Arbeitslager"-Sager von Ulbrich (31.5.22)
OÖN berich­ten über „Arbeitslager”-Sager von Ulb­rich (31.5.22)

➡️ Teil II: Nazis gesucht und gefunden!

*Zur Kunst­fi­gur „Horst Schla­ger” ➡️ Fake-Horst taucht in die rech­te Welt ein