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Fake-Horst taucht in die rechte Welt ein

Per Algo­rith­mus in die vir­tu­el­le Par­al­lel­rea­li­tät Mit „Horst Schla­ger“ schleust das Ars Elec­tro­ni­ca Cen­ter eine media­le Kunst­fi­gur in Face­books extre­mis­ti­schen Unter­grund, um poli­ti­sche Miss­stän­de zu ver­ste­hen und zu ver­mit­teln. Die gesell­schaft­li­chen Kon­tro­ver­sen, die die letz­ten Jah­re mit sich gebracht haben, sind schwer zu über­se­hen. Binä­re Welt­bil­der zum The­ma Kli­ma, Migra­ti­on oder Imp­fung. Sym­pa­thien mit dem […]

1. Mai 2023

Die gesell­schaft­li­chen Kon­tro­ver­sen, die die letz­ten Jah­re mit sich gebracht haben, sind schwer zu über­se­hen. Binä­re Welt­bil­der zum The­ma Kli­ma, Migra­ti­on oder Imp­fung. Sym­pa­thien mit dem rus­si­schen Angriffs­krieg, Het­ze gegen Migrant*innen und nicht zuletzt: gegen Frau­en. Empö­rung. Sogar im engs­ten Freun­des­kreis wird über so manch The­ma am bes­ten ein­fach nicht mehr gespro­chen. Und wer von uns kann über­zeu­gend behaup­ten, in der letz­ten Zeit nicht in die eine oder ande­re Dis­kus­si­on mit über­durch­schnitt­li­chem Kon­flikt­po­ten­ti­al gera­ten zu sein?
Dis­kus­sio­nen und Aus­ein­an­der­set­zun­gen sind eine natür­li­che und wich­ti­ge Reak­ti­on auf die sich offen­bar so unter­schied­lich ent­wi­ckeln­den Welt­an­schau­un­gen. Doch es scheint immer schwie­ri­ger zu wer­den, kon­struk­ti­ve Debat­ten zu füh­ren. – Wo liegt das Problem? (…)

Horst Schlager und seine Freunde binärer Weltbilder und Verschwörungstheorien

FB-Profil "Horst Schlager"
FB-Pro­fil „Horst Schlager”

Zwei rote Ruf­zei­chen pran­gen hin­ter „Wenn Recht zu Unrecht wird, wird Wider­stand zur Pflicht“, dem Steck­brief in „Horst Schla­gers“ Face­book-Pro­fil. Seit 20. Febru­ar gibt sich die fik­ti­ve Kunst­fi­gur dort als pen­sio­nier­ter Arbei­ter eines öster­rei­chi­schen Indus­trie­be­triebs aus. Denn um im Vor­feld des Citi­zen Intel­li­gence Work­shops „Tool­box für zivi­le Inves­ti­ga­ti­on“ im Ars Elec­tro­ni­ca Cen­ter poli­ti­sche Miss­stän­de in diver­sen ein­schlä­gi­gen Grup­pen dis­kret zu recher­chie­ren, hat ein Team des Ars Elec­tro­ni­ca Cen­ter auf Face­book die­ses Fake­pro­fil eines älte­ren Herrn (mit zufäl­lig aus­ge­wähl­tem Namen) kre­iert. Der mut­maß­li­che Fuß­ball- und Schla­ger­mu­sik­fan soll auch Lieb­ha­ber von Old­ti­mer-Trak­to­ren sein. Doch vor allem bringt er sei­ne gro­ße Por­ti­on Patrio­tis­mus und sei­nen Hang zu Ver­schwö­rungs­my­then in den Dis­kurs auf der sozia­len Platt­form mit ein.

Fake-Horst postet: Jeden Tag 10 depperte Freundschaftsanfragen - GIBTS HIER NUR NOCH FAKEPROFILE?!
Fake-Horst pos­tet: Jeden Tag 10 dep­per­te Freund­schafts­an­fra­gen — GIBTS HIER NUR NOCH FAKEPROFILE?!

Als Pro­fil­bild wur­de das erst­bes­te Resul­tat eines gra­tis im Netz ver­füg­ba­ren Bild­ge­ne­ra­tors gewählt. Selbst jenes mit­tel­mä­ßi­ge Ergeb­nis, das sich mit dem Prompt „a sym­pa­thic 70 years old man in his living room” auf Anhieb erzie­len ließ, scheint als Beleg für sei­ne Exis­tenz zu funk­tio­nie­ren. Ver­däch­ti­ge Pixel­kon­stel­la­tio­nen wur­den vor­sorg­lich durch ein wenig künst­li­che Unschär­fe und Sepia-Effekt kaschiert. Auf die­se Wei­se soll­te es auch für etwa­ige Face­book-Algo­rith­men schwie­ri­ger wer­den, „Horst Schla­ger“ als Fake zu entlarven.

Sei­ne gele­gent­li­chen Pos­tings – das geteil­te Wie­ner Schnit­zel oder die Ein­la­dung zu der einen oder ande­ren ein­schlä­gi­gen Demons­tra­ti­on – zeu­gen nicht nur von sei­ner poli­ti­schen Gesin­nung und sei­nem schlech­ten Humor. Kom­men­tiert mit trä­nen­la­chen­den oder hoch­ro­ten, flu­chen­den Emo­jis stei­gern sie die Glaub­wür­dig­keit der fik­ti­ven Gestalt. Um noch authen­ti­scher zu wir­ken, folgt Horst Schla­ger den Kanä­len ein­schlä­gi­ger Medien.

Eine Com­mu­ni­ty muss auf­ge­baut wer­den, um ihn in der Ver­schwö­rungs- und Extre­mis­mus-Sze­ne zu eta­blie­ren. Mit State­ments der Empö­rung über poli­ti­sche Inhal­te gene­riert Horst Schla­ger schnell ers­te Freun­de und Likes. Nach knapp 24 Stun­den hat er bereits 70 Kon­tak­te, die mit sei­nen Pos­tings und Kom­men­ta­ren inter­agie­ren. Schon nach den ers­ten bestä­tig­ten Freund­schafts­an­fra­gen unbe­kann­ter User*innen gelingt es, ihn mit rele­van­ten Mei­nungs­bild­nern aus der Sze­ne zu ver­net­zen. Schnell ist er so mit dem Who’s Who der rechts­extre­men Ver­schwö­rungs­sze­ne Öster­reichs in Kontakt.

Dar­auf­hin ver­hilft der Face­book-Algo­rith­mus dem Cha­rak­ter zu wei­te­rem Ruhm. Bereits eine Woche spä­ter tru­deln Freund­schafts­an­fra­gen von Sympathisant*innen der Sze­ne ein und schon bald ist die Figur mit Aktivist*innen der ‚Iden­ti­tä­ren‘ (auch „Die Öster­rei­cher“) und deren engs­ten Ver­trau­ten bekannt. Doch wäh­rend ihrer Recher­chen ent­de­cken die zivi­len Agen­ten des Ars Elec­tro­ni­ca Cen­ter immer mehr Ideo­lo­gen und Ideo­lo­gien in Horst Schla­gers Profil.

Kli­ma, Migra­ti­on, Imp­fung, Insek­ten essen, The Gre­at Reset und Russ­land – alles eine mut­maß­li­che Ver­schwö­rung; der Eli­ten, ver­steht sich von selbst. Binä­re Welt­bil­der und Ver­schwö­rungs­my­then fin­det man in Horsts Freun­des­kreis oft. Auch Pro­fi­le, die offen mit dem rus­si­schen Angriffs­krieg sym­pa­thi­sie­ren oder gegen Migrant*innen het­zen, tau­chen in sei­nem Umfeld ver­stärkt auf. Und nicht zuletzt: unter­ir­di­scher Humor gegen­über Frau­en, gegen­über Trans­gen­der­per­so­nen und Klimaaktivist*innen.

PN an "Horst Schlager": Werbung vom Alexander H. (verurteilter Staatsverweigerer, ehemal. Vizepräsident des Fantasiegerichtshofes "ICCJV") für die aus Russland beinflusste Kampfsportschule "Systema"
PN an „Horst Schla­ger”: Wer­bung vom Alex­an­der H. (ver­ur­teil­ter Staats­ver­wei­ge­rer, ehe­mal. Vize­prä­si­dent des Fan­ta­sie­ge­richts­ho­fes „ICCJV”) für die aus Russ­land bein­fluss­te Kampf­sport­schu­le „Sys­te­ma”

Unter einem fal­schen Namen hin­ter­lässt wenig spä­ter eine Dame aus Steyr mit ihrem nicht öffent­lich ein­seh­ba­ren Face­book-Pro­fil einen Kom­men­tar aus der unters­ten Schub­la­de der Wie­der­be­tä­ti­gung im Pro­fil eines Bekann­ten jenes Redak­teurs, der hin­ter Horst Schla­gers Fake-Pro­fil steckt. Sie leug­net den Holo­caust, bestrei­tet die Exis­tenz von Kon­zen­tra­ti­ons­la­gern und Gas­kam­mern. Weil Horst Schla­ger – wie der Zufall so will – mit ihr bereits eine Face­book-Freund­schaft geschlos­sen hat, die ihn zur Ein­sicht in ihr Pro­fil qua­li­fi­ziert, wird die wah­re Iden­ti­tät, die sich hin­ter die­ser Aus­sa­ge ver­birgt, schnell iden­ti­fi­ziert. Der Vor­fall konn­te so zur Anzei­ge gebracht wer­den und die Dame muss sich als­bald für ihre Äuße­rung ver­ant­wor­ten. Sie ver­däch­tigt eine ihrer Kolleg*innen, Mit­ar­bei­ter­da­ten zu die­sem Zweck miss­braucht zu haben. Tat­säch­lich aber hat Horst Schla­ger in ihrem Pro­fil ein Pos­ting ent­deckt, das ihren ech­ten Namen und ihr Geburts­da­tum verrät.

Vom Team der Ars Electronica angezeigt: Holocaustleugnung auf FB
Vom Team der Ars Elec­tro­ni­ca ange­zeigt: Holo­caust­leug­nung auf FB

Das Geschäft mit Angst und Unsicherheit

Wo die Unsi­cher­hei­ten zuneh­men, gibt es immer auch geschäfts­tüch­ti­ge Men­schen, die sich von der Angst ande­rer einen Vor­teil ver­spre­chen. Auch in Horst Schla­gers Bla­se fin­det man neben extre­mis­ti­schem Gedan­ken­gut Spen­den­auf­ru­fe, Ver­kaufs­ak­tio­nen und Vor­trä­ge zu vie­ler­lei The­men. Neben dem Gemüt einer gereiz­ten, angst­vol­len Gesell­schaft, bewe­gen Ein­tritts­ti­ckets, Retre­ats und ein­schlä­gi­ge Semi­na­re offen­sicht­lich auch Geld.

Die Kunst­fi­gur Schla­ger bekommt eine Ein­la­dung zu einem Vor­trag über CO2. Nicht unbe­dingt zu erwar­ten, ange­sichts der Bla­se, in der er inzwi­schen fest­steckt. Ein Phy­si­ker hält einen Vor­trag mit dem Titel „CO2 fore­ver“. Er ist dafür bekannt, Kli­ma­wan­del­leug­ner zu sein. Sowohl sei­ne Exper­ti­se, als auch sei­ne Moti­va­ti­on könn­ten ange­zwei­felt wer­den. Doch, dass er weder Kli­ma- noch Atmo­sphä­ren­for­scher ist, son­dern viel­mehr für ein Halb­lei­ter-Insti­tut in Mos­kau und für einen Flug­zeug­her­stel­ler gear­bei­tet hat, scheint für sei­ne Hörer­schaft nicht von gro­ßer Bedeu­tung zu sein.

Unsi­cher­hei­ten und Angst die­nen als ver­bin­den­des Ele­ment zwi­schen Akteu­ren wie die­sem und ihrer Anhän­ger­schar. In den digi­ta­len Bubbles sozia­ler Medi­en haben sich vie­le von ihnen auf­grund ihrer poli­ti­schen Gesin­nung gefun­den. Der Alt­bau­er aus Maria Neu­stift ver­netzt sich hier flux mit dem Pagan-Metal-Fan aus Ber­lin – Viel­leicht wäre es im rea­len Leben eine schwie­ri­ge Freund­schaft gewor­den; in der vir­tu­el­len Schein­welt ihrer Bla­se aber füh­len sich die bei­den gemein­sam sehr wohl.

Der Bei­trag erschien zuerst am Blog der Ars Elec­tro­ni­ca. Über­nah­me mit freund­li­cher Geneh­mi­gung des Autors, der uns auch Screen­shots aus dem Face­book-Leben des Horst Schla­ger zur Ver­fü­gung gestellt hat.

Ein Nachwort: Ertappt!

Für Auf­re­gung hat die Schil­de­rung der Erfah­run­gen des Fake-Ober­ös­ter­rei­chers „Horst Schla­ger” bei der rechts­extre­men Platt­form AUF1 gesorgt – wenig ver­wun­der­lich, da der Bei­trag ins Herz der AUF1-Kli­en­tel, aber auch derer, die dort tätig sind, trifft. Da wer­den bei AUF1 Par­al­le­len zum deut­schen Ver­fas­sungs­schutz gezo­gen, der „das Volk aktiv zu Straf­ta­ten (…) ver­lei­ten” wür­de, da wird die küh­ne The­se lan­ciert, Horsts Akti­vi­tä­ten sei­en eine „künst­li­che Auf­wie­ge­lung und Unter­wan­de­rung sozia­ler Struk­tu­ren”, die „zu einem Kli­ma der Unsi­cher­heit und Wut bei­tra­gen” wür­den. AUF1 ist ertappt, indem das eige­ne Geschäfts­mo­dell, die fließ­band­mä­ßi­ge Pro­duk­ti­on von Fake-News zur Erzeu­gung von Auf­re­gern, in einer unver­gleich­lich harm­lo­se­ren und unauf­wän­di­ge­ren Form gespie­gelt wur­de. Zu Straf­ta­ten hat „Horst Schla­ger” nie­man­den ver­lei­tet, er hat bloß einen mini­ma­len Ein­blick in die Welt von rechts­extre­men Köp­fen und Verschwörungsanhänger*innen gewährt.

"Horst Schlager" sucht auf FB nach Gottfried Küssel und erhält die Nachricht: "Informiere dich über den Holocaust"
„Horst Schla­ger” sucht auf FB nach Gott­fried Küs­sel und erhält die Nach­richt: „Infor­mie­re dich über den Holocaust”