Wo san do die Nazis?
Ehemalige Staatenbund-Mitglieder, eine Security-Truppe aus Linz mit Fake-Polizeiuniformen und einem „Dollfußadler“ statt des Wappens, Berufsschwurbler*innen wie Monika Donner, diverse Vertreter der lokalen Burschenschaft Eysn zu Steyr, lokale FPÖ-Politiker, alle Kandidaten der Rechten und Schwurblerschaft bei der letzten Bundespräsidentschaftswahl bis hin zum Ivermectin-Experten Herbert Kickl – alle kamen sie nach Steyr und warben für irgendetwas, sei es für Wahlen, Bücher, Vorträge oder bloß um Spenden für die „gute Sache“.
Neben der Querfront-Aktivistin Andrea Drescher durfte im April 2023 auch der pensionierte Bundesheeroberst Gottfried Pausch in Steyr über die Neutralität und Geopolitik dem versierten Publikum vortragen. Man sieht überall, dass Steyr „ein Markt“ ist für Spenden, Bücher, Vorträge.
Zum 100. Spaziergang gastierten nicht nur sämtliche oberösterreichischen Trollfabrikanten wie Machl (report24), Scharfmüller (Info-Direkt), Schott (RTV) und Magnet (AUF1) in Steyr, sondern auch bodenständigere Vertreter des rechten Rands wie Fairdenken-Organisator Hannes Brejcha. Brejcha konfrontierte die Steyrer Gegendemonstrant*innen (die an drei Standorten versammelt waren, um die Spaziergänger zu blockieren) bei seiner Ankunft mit der Frage: „Na, wo san do die Nazis?“
Und da waren sie auch schon: Der mehrfach verurteilte Neonazi Gottfried Küssel reiste samt Entourage und Transparent zu Ehren des Steyrer Jubiläumsmarsches an. Nicht zuletzt dieses Ereignis lenkte mehr Aufmerksamkeit auf Steyr. Im Winter gastierte in Steyr ein Team der ARD für eine Dokumentation über Extremismus und Hass im Netz. Die Sendung stand im Zusammenhang mit dem tragischen Tod der oberösterreichischen Ärztin Lisa-Maria Kellermayr, thematisierte aber auch die spezielle Situation der Spaziergänge. Zu Wort kam auch der Steyrer SPÖ-Bürgermeister Markus Vogl, der selbst immer wieder Reibebaum für die Spaziergänger*innen war und ist. Der Steyrer Gemeinderat beschäftigte sich nach Küssels Auftritt ebenfalls intensiver mit dem Thema. Der FPÖ-Vizebürgermeister Helmut Zöttl ist nicht überraschend treuer Verteidiger und Anhänger der Verschwörungsgläubigen, wie er selbst sagt. „Ganz vernünftige, anständige Menschen“ seien es, die sich nach Steyr bewegen, meinte Zöttl im Dezember 2021 in einem Interview mit RTV.
Im Frühjahr 2023 machte dann die „Galerie des Grauens“ Halt in Steyr. Ungefähr 30 verloren wirkende Teilnehmer*innen bewunderten laminierte A4-Zettel mit Fotos von angeblichen oder vermeintlichen Impfopfern auf einer Wäscheleine, die am Steyrer Stadtplatz ausgestellt wurden. Darunter auch R.H., ehemaliger KFOR-Soldat und regelmäßiger Spaziergänger, der in einem recht brisanten YouTube-Video auftaucht, wo seine Verbindungen zur „Slovenska Pospolitost“ in der Slowakei zu sehen sind.
„Slovenska Pospolitost“ ist die neonazistische, paramilitärisch organisierte Partei von Jan Kotleba, der wie H. selbst aus Banska Bystrica stammt. H. residiert nun in einem beschaulichen Ort nahe Steyr. Von den Spaziergängen wurde er allerdings aufgrund seiner schlechten PR und der persönlichen Egoismen durch Sabine Brandner verbannt. Im Video zu sehen ist ebenfalls ein gewaltverherrlichender Steyrer mit einer Vorliebe für Nazibands wie Kategorie C, der mit Kühnengruß direkt in die Kamera eines Livestreams grinste.
Gschmackig ist es wahrlich nicht, was da in dem Video mit dem Titel „Spazierengehen mit Nazis” zu sehen ist, das dieser Tage auf YouTube aufgetaucht ist. Darin werden „drei Beispiele für den Hintergrund der Steyrer Spaziergänger”, die seit mittlerweile 56 Wochen die Stadt Sonntag für Sonntag in Geiselhaft nehmen, gezeigt. Zu sehen und/oder hören sind unter anderem die von der rechten Protestszene an die Oberfläche gespülten Robert H. alias Robert Börr und Sabine Brandner, Martin Rutter, Heimo O. und Patrick K. [Namen von SdR abgekürzt], aber auch Steyrs Vizebürgermeister Helmut Zöttl (FP). Gezeigt werden neben Szenen der Spaziergänge auch Aufmärsche rechter Gruppierungen, Schussübungen, Besprechungen, die Ankündigung von Autokorsos in den nächsten Wochen, eine Diskussion über die Todesstrafe für sogenannte (vermutlich linke) „Politverbrecher”, bei der Arbeitslager für diese gefordert werden, und einiges mehr. (nachrichten.at, 4.2.22)
Inzwischen ist der Spaziergang zum Glück für die lärmgeplagte Steyrer Bevölkerung ziemlich zusammengeschrumpft – auf unter 100 Personen, die meist aus den umliegenden Dörfern, aber auch aus Perg oder Amstetten und immer noch teils aus Wien anreisen. Die Szene ist gut vernetzt, kann jedoch zunehmend schlechter mobilisieren.
Gegenwehr: Die Antifaschischtische Allianz (AFA)
Woher wissen wir all das? In Steyr hat sich überparteilicher Gegenprotest gebildet, der die Routen der Spaziergänge beschneidet und dem die sonntäglichen analogen, aber auch die alltäglichen digitalen Aktivitäten in ihrer Stadt ein Dorn im Auge ist. Aktivist*innen haben sich zur AFA zusammengeschlossen und die Steyrer Szene seit Beginn im Blick – auch abseits der Demos. Es wurden einige geplante Vorträge frühzeitig verhindert, wie etwa jener des Schweizer Verschwörungsideologen Daniele Ganser. Diesem Beispiel folgten später auch weitere Städte, die Ganser beehren wollte. Umgekehrt wurden Vorträge über die rechtsextreme Szene organisiert, wo dann nicht nur interessierte Antifaschist*innen, sondern auch einige Identitäre, ein wütender RTV-Macher und ein paar erboste Spaziergänger*innen im Publikum saßen.
Mitglieder der AFA monitoren auch die diversen Social Media-Kanäle der Spaziergänger*nnen und schicken Screenshots von strafbaren Postings – immer wieder einmal Holocaustleugnung oder Verhetzung – an Journalist*innen und Behörden. In der kommenden Woche wird eine der Angezeigten am Landesgericht Steyr erklären müssen, warum sie auf Facebook den Holocaust geleugnet hat.
Einige wurden wegen des Verbreitens des holocaustleugnenden Lachout-Dokuments angezeigt. Zu sehen war das Posting eines Staatsverweigerers aus Steyr wochenlang auf dem Facebook-Account von Sabine Brandner, die mehrfach darauf hingewiesen wurde. Brandner konterte mit dem Vorwurf der „Nazikeule“ und ließ das Nazi-Posting stehen.
Die Steyrer Spaziergangsszene geriet insgesamt zunehmend in Bedrängnis: aufgrund der Anzeigen wegen Verhetzung oder Wiederbetätigung, der noch nicht abgestotterten Strafen wegen der zahllosen Maskenverstöße während der Pandemie und der fallweise verhängten Ersatzhaftstrafen – all das nagt am Zusammenhalt.
Die AFA nimmt gerne auch die rechten Medienmacher unter die Lupe: So wurde über die Transparenzdatenbank der KommAustria entdeckt, dass der Privatsender RTV aus Steyr mit staatlichen Geldern gefördert wird – eine Prüfung folgte und Medien berichteten darüber. Weiters hat RTV die Ausstrahlung der Gemeinderatssitzungen verloren – eine finanzielle Einbuße für den kleinen Sender.
Abtritt
Nach etwa 120 Spaziergängen und zunehmender Kritik von Innen und Außen hatte die Organisatorin Sabine Brandner genug – sie übergab an zwei Herren aus dem Organisationsteam. Dass auch die weit rechts stehen, zeigt schon ein Blick auf die gelikten Seiten der neuen Versammlungsleiter: AfD, „Russlanddeutsche für die AfD“, „Tactical Combat“-Seiten und einschlägige Propagandaseiten wie „Zeit zum Aufwachen“.
Aber es wird möglicherweise auch auf der pekuniären Front eng für manche Protagonist*innen: Da bei Spaziergängen nur schwerlich Eintritt kassiert werden kann und die Spendenwilligkeit mit der Zeit abebbte, konzentrieren sich viele Akteur*innen auf Vorträge und Events als neues vorläufiges Standbein. Wie lange das so bleibt, ist ungewiss. Sicher ist nur, dass die AFA dranbleiben und weiterhin ein Auge auf die Umtriebe in der wunderschönen Romantikstadt Steyr werfen wird.
➡️ Teil I: Mehr als 2 Jahre rechter Lärm
*Zur Kunstfigur „Horst Schlager” ➡️ Fake-Horst taucht in die rechte Welt ein