Wochenrückblick KW 50, 51, 52/22 und 1/23 (Teil 1): Prozesse

Lesezeit: 8 Minuten

Jener Tiro­ler (mitt­ler­wei­le ehe­ma­li­ge) Bus­un­ter­neh­mer, der einst einen Hau­fen von Corona-Leugner*innen u.a. nach Wien kut­schiert hat­te, zeig­te sich nun vor Gericht, wo er wegen Wie­der­be­tä­ti­gung Platz neh­men muss­te, sehr klein­laut. In eini­gen wei­te­ren Pro­zes­sen nach dem Ver­bots­ge­setz führ­te die For­mel „vom blau­en Zustand in den brau­nen” zu unter­schied­li­chen Urtei­len. Und das Lan­des­ver­wal­tungs­ge­richt Ober­ös­ter­reich fäll­te ein bemer­kens­wer­tes Urteil wegen eines Nazispruchs.

Wien: Oft blau, des­halb braun
Imst/Innsbruck: Klein­laut vor Gericht
Feldkirch/V: Lus­ti­ge Lieder
Moos­dorf-Rie­d/OÖ: Erstaun­li­cher Freispruch
Linz: Ver­mu­te­te FPÖ-Anhän­ge­rin mit „Heil Hit­ler“ bedacht
Wels-Vöck­la­bruck/OÖ: Iden­ti­tä­ren-Pro­zess geht in die nächs­te Runde
Mond­see-Lin­z/OÖ: Nazi­spruch führt zu Verurteilung
Wie­ner Neu­stadt: Wegen Berau­schung kei­ne Wiederbetätigung

Wien: Oft blau, des­halb braun

Es sei­en ästhe­ti­sche Grün­de gewe­sen, die den 37-jäh­ri­gen Ange­klag­ten Dani­el C. dazu bewo­gen hät­ten, sich „auf bei­den Schul­tern das Sym­bol der SS-Toten­kopf­ver­bän­de, ein Schä­del über gekreuz­ten Kno­chen, sowie quer über die Brust das Wort ‚Ost­front‘“ (derstandard.at, 12.12.22) täto­wie­ren zu las­sen. Dazu kamen eine Rei­he wei­te­rer Delik­te nach dem Ver­bots­ge­setz, die C., der im Zusam­men­hang mit Mit­glie­dern aus der Unwi­der­steh­lich-Trup­pe steht, von 2016 bis 2020 began­gen hat.

Er habe damals „viel Alko­hol” getrun­ken und „vie­le fal­sche Freun­de” gehabt, ent­schul­digt der Ange­klag­te sich. Wie sich her­aus­stellt, ging es kon­kret um zwei Män­ner, die er über sei­ne Schwes­ter ken­nen­ge­lernt habe. Peter S [der bereits am 15. Novem­ber zu 24 Mona­ten bedingt ver­ur­teilt wur­de; Anmk. SdR]. ist einer davon. „War das ein Nazi?”, will Apos­tol wis­sen. „Also nach außen hin nicht”, win­det C. sich. „Nazi ist man meis­tens innen”, stellt der Vor­sit­zen­de fest. Der 37-Jäh­ri­ge gibt zu, dass S. in die­se Rich­tung ten­diert habe. Daher habe er ihm und einem zwei­ten auch Nach­rich­ten geschickt, in denen der Buch­sta­be „S” durch die Sig­ru­ne ersetzt war, um „dazu­zu­ge­hö­ren”, sodass bei der Schluss­for­mel „Gruß” auf „Gru” das SS-Sym­bol folg­te. (derstandard.at)

Danach ging’s um Kennt­nis­se zum Natio­nal­so­zia­lis­mus, die laut dem Ange­klag­ten als Erklä­run­gen für sei­ne Delik­te sehr man­gel­haft gewe­sen sei­en. Dem woll­ten die Geschwo­re­nen offen­bar nicht ganz glau­ben: Schuld­spruch in sie­ben von elf Ankla­ge­punk­ten und 18 Mona­te, davon ein Monat unbe­dingt. Das Urteil ist bereits rechtskräftig.

Imst/Innsbruck: Klein­laut vor Gericht

Dafür, dass er zuvor ziem­lich gro­ße Töne gespuckt hat­te, gab sich der Ims­ter Bus­un­ter­neh­mer Andre­as T. (46 Jah­re), der wegen meh­re­rer Vor­wür­fe ins Visier der Jus­tiz gera­ten ist, vor Gericht dann ziem­lich klein­laut. Bei zwei Pro­zess­ter­mi­nen, zu denen er wegen des Ver­dachts auf Ver­stoß gegen das Ver­bots­ge­setz gela­den war, ist er nicht erschie­nen. Daher wur­de er in U‑Haft genom­men und von dort am 13.12. im Lan­des­ge­richt Inns­bruck unter Bei­sein sei­ner Fans und vie­len Polizeischüler*innen vorgeführt.

Die Ankla­ge lau­te­te: 

46-jäh­ri­gem Unter­neh­mer wird vor­ge­wor­fen, er habe seit Febru­ar 2016 bis Juni 2021 über Whats­App wie­der­holt Bild- und Video­da­tei­en mit NS-Bezug, teil­wei­se mit het­ze­ri­schem Inhalt, an ver­schie­dens­te Per­so­nen ver­sandt und das Buch „Mein Kampf“ in einem Bücher­re­gal in einem öffent­lich zugäng­li­chen Bereich sei­nes Büros auf­ge­stellt. (Ver­hand­lungs­ka­len­der LG Innsbruck)

Ins­ge­samt, so wur­de im Pro­zess erör­tert, waren es mehr als 20 Bil­der und Vide­os mit ras­sis­ti­schen, natio­nal­so­zia­lis­ti­schen und anti­se­mi­ti­schen Inhal­ten, die T. ver­schickt hat­te. Dafür bekann­te sich T., der vom Tiro­ler FPÖ-Chef Mar­kus Abwerz­ger ver­tei­digt wur­de, schul­dig. Hit­lers Werk „Mein Kampf“, sei eine kom­men­tier­te Fas­sung gewe­sen, daher gab’s dafür zum Schluss auch einen Freispruch.

T. gab sich geläu­tert, die Unter­su­chungs­haft habe ihn gebro­chen. Coro­na habe ihn aus der Bahn gewor­fen, sein Unter­neh­men sei in Kon­kurs gegan­gen – was bei­des kei­ne Erklä­rung für die bereits lan­ge Jah­re vor der Pan­de­mie ver­schick­ten Nach­rich­ten war. Und es sei ihm nicht klar gewe­sen, wel­che Außen­wir­kung die Bil­der gehabt hät­ten. In einem psych­ia­tri­sche Gut­ach­ten wur­de fest­ge­stellt, dass T. intel­lek­tu­ell durch­schnitt­lich begabt sei und kein Hin­weis auf eine neu­ro­lo­gisch-psych­ia­tri­sche Erkran­kung vorläge.

Der reu­mü­ti­ge Auf­tritt von T. inklu­si­ve Trä­nen zeig­te offen­bar Wir­kung. Es setz­te zwar für die Chats Schuld­sprü­che, aber mit 18 Mona­ten bedingt und einer Geld­stra­fe von 1.440 Euro und Über­nah­me der Gerichts­kos­ten kam T. letzt­lich glimpf­li­cher davon als sein Chat­kum­pan, der bereits am 31. Mai 22 zu zwölf Mona­ten beding­ter Haft und einer unbe­ding­te Geld­stra­fe über 6.000 Euro ver­ur­teilt wor­den war..

Mög­li­cher­wei­se war­ten nun auf T. jedoch noch Ver­fah­ren wegen ande­rer Delik­te. Ob er sei­ne Plä­ne, ein reichs­bür­ger­ähn­li­ches Zen­trum in sei­ner Hei­mat zu errich­ten, wei­ter ver­fol­gen wird, wur­de beim Pro­zess nicht erörtert.

Dan­ke an unse­re Prozessbeobachter*innen für den Bericht!

Feldkirch/V: Lus­ti­ge Lieder

Auf wun­der­sa­me Wei­se ist ein 29-jäh­ri­ger Unter­län­der mit sei­nem Smart­phone auf ein SS-Lie­der­buch gesto­ßen. „Er habe die Pro­pa­gan­da in den Lie­dern lus­tig gefun­den und die Datei in alko­ho­li­sier­tem Zustand kom­men­tar­los an eine Whats­ap­p­grup­pe geschickt.“ (vol.at, 15.12.22) Für die­sen „Spaß“ erhielt er eine nicht rechts­kräf­ti­ge Geld­stra­fe über 1.600 Euro.

Moos­dorf-Rie­d/OÖ: Erstaun­li­cher Freispruch

Ohne nähe­re Erklä­rung zu einem erstaun­li­chen Urteil kommt eine Kurz­mel­dung der „Kro­nen Zei­tung” (18.12.22, S. 28) aus:

Wie­der­be­tä­ti­gung warf die Staats­an­walt­schaft Ried einem Inn­viert­ler Ehe­paar – er 45 Jah­re alt, sie ist deut­sche Staats­bür­ge­rin und 37 Jah­re alt – vor. In der offen ein­sich­ti­gen Gara­ge soll eine ver­bo­te­ne Nazi-Fah­ne mit Reichs­ad­ler geweht haben. Im Kel­ler war eine Glas­vi­tri­ne mit Hit­ler-Devo­tio­na­li­en, dar­un­ter ein Wein mit dem Eti­kett „Ein Volk, ein Wein, ein Füh­rer“ offen aus­ge­stellt. Doch das Gericht woll­te den Aus­füh­run­gen der Staats­an­walt­schaft nicht fol­gen, sprach das Ehe­paar am Ende frei.

Linz: Ver­mu­te­te FPÖ-Anhän­ge­rin mit „Heil Hit­ler“ bedacht

Einem 37-Jäh­ri­gen wur­de vor­ge­wor­fen, am 21.11.2021 am Lin­zer Haupt­platz mehr­fach „Heil Hit­ler“ geru­fen zu haben. Die Ver­tei­di­gung führ­te an, Herr B. sei bos­ni­scher Staats­bür­ger mit einer tür­ki­schen Lebens­ge­fähr­tin und kön­ne aus die­sem Grun­de kein Natio­nal­so­zia­list sein. Der Ange­klag­te, der sich schul­dig bekann­te, gab an, zum Zeit­punkt einer sich auf­lö­sen­den Coro­na-Demons­tra­ti­on spa­zie­ren gewe­sen zu sein. Er habe mit dem Han­dy die Sze­ne­rie gefilmt und sei mit einer Frau in Strei­tig­kei­ten ver­wi­ckelt wor­den. Da der Ange­klag­te sei­ne Kon­tra­hen­tin als FPÖ-zuge­hö­rig ver­or­tet hät­te, sei sie die allei­ni­ge Adres­sa­tin sei­ne Rufe gewesen.

Die Geschwo­re­nen befan­den ihn mehr­heit­lich für schul­dig, die Geld­stra­fe über 500 Euro und 15 Mona­te beding­ter Haft ist bereits rechtskräftig.

Dan­ke an unse­re Prozessbeobachter*innen für den Bericht!

Wels-Vöck­la­bruck/OÖ: Iden­ti­tä­ren-Pro­zess geht in die nächs­te Runde

Der Pro­zess gegen jene fünf Iden­ti­tä­ren, die im August 2021 in Vöck­la­bruck auf dem Bau­ge­län­de für ein Bos­nia­kisch-Öster­rei­chi­sches Kul­tur- und Bil­dungs­zen­trum ein Ku-Klux-Klan-arti­ges Kreuz und ein Ban­ner mit Hetz­pa­ro­le hin­ter­las­sen hat­ten, wur­de nun zum zwei­ten Mal auf vor­erst unbe­stimm­te Zeit ver­tagt, wie die Medi­en­stel­le des Lan­des­ge­richts Wels „Stoppt die Rech­ten“ mit­teil­te. Es sol­le ein Sach­ver­stän­di­gen­gut­ach­ten aus dem Fach­ge­biet des poli­ti­schen Islam ein­ge­holt werden.

Mond­see-Lin­z/OÖ: Nazi­spruch führt zu Verurteilung

Kein Wun­der, dass der von Rech­ten gern gebrauch­te und fälsch­li­cher­wei­se immer wie­der Theo­dor Kör­ner zuge­ord­ne­te Spruch von den „fei­gen Gestal­ten“, die „oben“ sit­zen und „vom Vol­ke“ gerich­tet wür­den, auch ger­ne im Zuge der Coro­na-Maß­nah­men-Pro­tes­te ver­wen­det wur­de. Seit Jah­ren ist nun klar, dass die Zei­len von der Neo­na­zi-Autorin Rena­te Schüt­te stam­men (https://www.stopptdierechten.at/2021/02/03/der-rechtsextreme-spruch-des-brigadiers/), und das war auch der Grund, war­um zwei Teil­neh­mer einer Demo in Mond­see eine Ver­wal­tungs­stra­fe von 500 Euro für das Zei­gen des Schüt­te-Spruchs erhal­ten hat­ten. Nun wur­de eine beim Lan­des­ver­wal­tungs­ge­richt Ober­ös­ter­reich ein­ge­brach­te Beschwer­de abge­wie­sen, dafür aber die Stra­fe halbiert.

Das im Ver­wal­tungs­straf­recht erfass­te Ver­hal­ten der Ver­brei­tung natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Gedan­ken­guts geht wei­ter, als jenes der straf­ge­richt­li­chen Tat­be­stän­de nach dem Ver­bots­ge­setz. Dabei geht es vor allem um die Ahn­dung eines Ver­hal­tens, das — wenn­gleich fälsch­lich – den Ein­druck erweckt, es wer­de Wie­der­be­tä­ti­gung im Sin­ne des Ver­bots­ge­set­zes betrie­ben, als öffent­li­ches Ärger­nis erre­gen­der Unfug, der die öffent­li­che Ord­nung stört, emp­fun­den wird. Ziel­set­zung des Gesetz­ge­bers ist es, alle Spu­ren des Natio­nal­so­zia­lis­mus in Öster­reich zu ent­fer­nen und grund­sätz­li­che Stö­run­gen der öffent­li­chen Ord­nung zu verhindern.

Die auf dem Pla­kat befind­li­che Text­zei­le ist der Beginn der vier­ten Stro­phe des Gedich­tes „Ankla­ge“ der NS-Autorin Rena­te Schüt­te. Wenn auch der rei­ne Wort­laut die­ser Text­zei­le für sich noch kei­ne unmit­tel­ba­re Nähe zur natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Ideo­lo­gie auf­weist, kann die­se natür­lich – wie jede ande­re Text­zei­le auch – als Trans­port­mit­tel für die­se Ideo­lo­gie fun­gie­ren, also mit einer Art ideo­lo­gi­schem „Code“ auf­ge­la­den wer­den. (…) Bei­de Demons­tran­ten bewe­gen sich zudem zumin­dest im Dunst­kreis der iden­ti­tä­ren Bewe­gung. Einem der bei­den wur­de zudem die Pro­ble­ma­tik der ver­wen­de­ten Text­zei­le vor­ab von der Behör­de und der Poli­zei erläu­tert. (tips.at, 20.12.22)

Wie­ner Neu­stadt: Wegen Berau­schung kei­ne Wiederbetätigung

Anders als in Linz ende­te der Pro­zess gegen einen 27-jäh­ri­gen Nie­der­ös­ter­rei­cher, der nach reich­li­chem Alko­hol­kon­sum im Juli 2022 

zuerst eine bren­nen­de Ziga­ret­te auf eine Frau, die in einem Scha­ni­gar­ten saß, gewor­fen haben und dann, nach einer Dis­kus­si­on mit Poli­zei­be­am­ten, drei­mal mit erho­be­ner rech­ter Hand laut „Sieg Heil“ in der Kess­ler­gas­se geru­fen haben [soll]. Dar­an und an sei­ne Gesprä­che mit immer­hin fünf Poli­zis­ten kön­ne er sich „über­haupt nicht mehr erin­nern“. (NÖN, 28.12.22, S. 23)

Ver­ur­teilt wur­de er nicht wegen Wie­der­be­tä­ti­gung – dafür gab’s nicht ein­mal eine Ankla­ge –, son­dern zu sechs Mona­ten bedingt „wegen Bege­hung einer Straf­tat im Zustand voll­stän­di­ger Berau­schung“.