Wochenschau KW 22/22

Ein 23-Jähriger beze­ich­nete sich als „klein­er Bub“, um ein­er Verurteilung nach dem Ver­bots­ge­setz zu entkom­men – geholfen hat es ihm nicht. In Wien fand ein Wieder­betä­ti­gung­sprozess gegen einen Bul­gar­en statt, der im Net­zw­erk der Neon­azi-Band „Absurd“ agiert. Und in Tirol musste ein Kuf­stein­er vor Gericht, weil er zwei Neon­azi-Web­sites betrieben hat­te. Bei der Stim­mungs­mache gegen die LGB­TIQ-Com­mu­ni­ty find­et so ziem­lich alles zusam­men, was hierzu­lande am recht­en Rand ange­siedelt ist. So begann die let­zte Woche anlässlich des Pride Months mit Het­zat­tack­en aus neon­azis­tis­chen, iden­titären und FPÖ-Kreisen.

Bez. Ried/OÖ: „Klein­er Bub“ vor Gericht
Wien: Neon­azi-Patch­es und Runen auf der Hand
Kuf­stein-Inns­bruck: In der NS-Ide­olo­gie „verir­rt“
Ö: Recht­saußen gegen den Pride Month

Bez. Ried/OÖ: „Klein­er Bub“ vor Gericht

Er ist zwar erst 23 Jahre alt, aber um sich als „klein­er Bub“ zu verkaufen, der an nichts schuld habe, wie es der Angeklagte aus dem Bezirk Ried ver­suchte, war er doch ein paar Jahre zu alt, und die Beweis­mit­tel – Dateien an eine What­sApp-Gruppe mit dem viel­sagen­den Namen „Ku-Klux-Klan“ und eine Sprach­nachricht – waren zu eindeutig.

Am 14. August 2021 schick­te der Beschuldigte zwei Dateien an eine What­sApp-Gruppe mit dem Namen „Ku-Klux-Klan”. Ein Foto, auf dem der Hit­ler­gruß mit dem Text „Anstatt Hän­de­schüt­teln wird wieder nor­mal gegrüßt” zu sehen ist. Eine geschmack­lose Anspielung auf die Abstand­sregeln in Coronazeiten.
Zudem nahm der Angeklagte noch eine Sprach­nachricht („Sieg Heil, Heil, Heil, Heil”) auf. Da bei einem anderen Mit­glied der besagten What­sApp-Gruppe bei ein­er Haus­durch­suchung wegen Dro­genbe­sitzes das Handy beschlagnahmt wurde, kamen die Ermit­tler dem 23-Jähri­gen auf die Schliche. (nachrichten.at, 2.06.22)

Es sei aus Spaß gewe­sen, dass er diese Nachricht­en ver­schickt habe, er sei als Kind von ägyp­tis­chen Eltern gut erzo­gen und kein Nazi und über­haupt, ver­ste­he er nicht, warum er wegen solch­er Dinge, die andere unges­traft machen kön­nten, nun vor Gericht ste­he, meinte der Innviertler. 

Geholfen haben dürfte ihm nicht, dass er bere­its 2019 wegen ein­er Beitragstäter­schaft bei einem schw­eren Raub eine Vorstrafe kassiert hat­te. „Die Geschwore­nen sprechen den Angeklagten wegen der Sprach­nachricht schuldig, für das Versenden des Fotos wird er freige­sprochen. Das Straf­maß: 18 Monate bed­ingt, zudem wird Bewährung­shil­fe ange­ord­net. Das Urteil ist nicht recht­skräftig.“ (nachrichten.at)

Wien: Neon­azi-Patch­es und Runen auf der Hand

Bericht von prozess.report via Twit­ter

Am 24.05.2022 beobachteten wir einen Ver­bots­ge­setz-Prozess im Wiener Lan­des­gericht. Angeklagt war ein bul­gar­isch­er Mann, der zeitweise in Wien lebte. Am 23.12.2019 stellte man eine Post­sendung mit 124 Patch­es der neon­azis­tis­chen Black-Met­al-Band „Absurd” sich­er, die er bestellte. Arrang­iert habe die Versendung der Absurd-Patch­es ein Mann aus Mexiko: Die Patch­es wür­den in Mexiko gefer­tigt und anschließend an Abnehmer*innen ver­schickt. Über eine Face­book-Seite, die der Angeklagte admin­istri­ert haben soll, wur­den diese dann zum Verkauf ange­boten. Außer­dem war er angeklagt, weil er auf seinem linken Mit­telfin­ger eine Odal- und Pfeil­rune tätowiert hat­te. Die Odal­rune stellte das Sym­bol der neon­azis­tis­chen deutschen „Wik­ing Jugend” dar, welche 1994 ver­boten wor­den ist.

Bei ein­er Haus­durch­suchung am 23.05.2020 fand man mehrere ein­schlägige T‑Shirts, CD’s, Büch­er, einen Schal von Blood & Hon­our, sowie unzäh­lige entsprechende Dateien und Chatver­läufe auf seinen elek­tro­n­is­chen Daten­trägern. In einem Chatver­lauf soll der wegen gemein­schaftlich geplanten Mordes verurteilte Neon­azi, Plat­ten­pro­duzent und Grün­der von „Absurd” Hen­drik Möbus ihm sog­ar ange­boten haben, für ihn im Ver­trieb zu arbeiten.

In Kon­takt sei der Angeklagte mit neon­azis­tis­chen Inhal­ten, Musik und Akteur*innen erst­ma­lig in Bul­gar­ien gekom­men, dort habe er u. a. ein­schlägige Konz­erte der Met­al-Szene besucht. 

Des Weit­eren kon­nten zwei Fotos des Angeklagten sich­er gestellt wer­den, die ihn beim Zeigen eines Hit­ler­grußes sowie beim Tra­gen eines Blood & Hon­our-Schals abbilden.

Urteil: 22 Monat­en bed­ingte wegen teilw. ver­suchter Wieder­betä­ti­gung nach 3gVG wegen der Runen am Mit­telfin­ger & Import der Patch­es — Freis­pruch für eine 2. Bestel­lung von Patch­es & die sichergestell­ten Devo­tion­alien, da ein öffentlich­es zur Schau stellen nicht nachgewiesen wurde.

Kri­tisch zu sehen ist die Aus­sage des Richters, er habe keine Zeug*innen geladen, da er „auch nicht wüsste wen”. Wed­er wur­den möglich Abnehmer*innen, noch konkrete Kon­tak­te des Angeklagten ermit­telt. Erneut wurde so ein Einzeltäter her­bei kon­stru­iert, dessen vorhan­denes Net­zw­erk im Hin­ter­grund & Kon­tak­te zu Szene­größen nicht weit­er beleuchtet wor­den sind. Zu den Aktiv­itäten in Bul­gar­ien gab es lediglich Schutzbe­haup­tun­gen des Angeklagten, denen nichts ent­ge­genge­set­zt wurde.

Abge­se­hen von uns fan­den sich keine Medienvertreter*innen oder Beobachter*innen vor Ort ein: So blieb der Prozess medi­al unkom­men­tiert, obgle­ich der Prozess einen raren Ein­blick in das Ver­trieb­snetz ein­er der bekan­ntesten neon­azis­tis­chen Black-Met­al-Bands erlaubte.

➡️ Bell­tow­er zur Neon­azi-Band „Absurd“

Kuf­stein-Inns­bruck: In der NS-Ide­olo­gie „verir­rt“

Den Holo­caust leug­nen, den NS und Hitler ver­her­rlichen, die Juden als Ver­ant­wortliche für alles Übel der Welt – Coro­na inklu­sive – dif­famieren und kein Nazi sein wollen? Diese Argu­men­ta­tion ist sich für die Vertei­di­gerin des zwis­chen Spanien und Öster­re­ich pen­del­nden Tirol­ers Richard K. (54) offen­bar aus­ge­gan­gen, aber wohl nur bei ihr. Dass K. gle­ich zwei ein­schlägige Web­sites im Dezem­ber 2020 ins Netz stellte, erk­lärte die Vertei­di­gerin damit, K. habe in der Pan­demie Antworten gesucht und sich dabei in der nation­al­sozial­is­tis­chen Ide­olo­gie verir­rt. K. selb­st, der im Dezem­ber 2021 in Kuf­stein ver­haftet wurde, wollte zu alle­dem im Prozess nichts sagen, er ließ eine schriftliche Erk­lärung verteilen und bekan­nte sich schuldig.

Aufmerk­sam war die Polizei gewor­den, weil K. im Raum Kuf­stein bis ins bay­erische Kiefers­felden hinein Plakate anbrachte und Vis­itenkarten samt sein­er Woh­nungsadresse verteilte, um Wer­bung für seine Nazi-Web­sites zu machen. Der nach­fol­gende Haus­be­such der Exeku­tive endete mit der Verhaftung.

Nach­dem der Ver­haftete noch bei der Ermit­tlungsrich­terin am Lan­des­gericht dabei geblieben war, dass Holo­caust und Coro­na eine Erfind­ung des Juden­tums und der Freimau­r­er seien, und er zudem die Her­aus­gabe der Zugangscodes für seine Inter­net­seit­en ver­weigerte, wurde über den 54-Jähri­gen bis zum nun­mehri­gen Prozess wegen NS-Wieder­betä­ti­gung Unter­suchung­shaft ver­hängt. Erst Vertei­di­gerin Eva Kathrein kon­nte den Man­dan­ten zur Her­aus­gabe der Codes bewe­gen. (Tirol­er Tageszeitung, 4.6.22, S. 5)

K. wurde in allen Anklagepunk­ten ein­stim­mig schuldig gesprochen und zu 24 Monat­en Haft, davon sechs unbe­d­ingt unter Anrech­nung der Unter­suchung­shaft, verurteilt. Sollte das Urteil recht­skräftig wer­den, kann K. heute, 7.6.22, das Gefäng­nis verlassen.

Im Prozess wurde wie so oft nicht erörtert, ob der Angeklagte ver­net­zt war und Kon­tak­te in die Neon­azi-Szene hatte.

Ö: Recht­saußen gegen den Pride Month

Sie marschieren und mobil­isieren Hand in Hand aus Anlass des Pride Months gegen die LGBTQI-Bewe­gung: Neon­azis, Iden­titäre, katholis­che Fundis, Coro­naleugn­er und weit­ere Recht­sex­treme. Mit dabei an vorder­ster Front find­et sich die FPÖ vor allem mit ihren Jugen­dor­gan­i­sa­tio­nen, von denen sich ins­beson­dere die frei­heitliche Jugend in der Steier­mark und in Tirol mit Het­z­su­jets her­vor­ge­tan hat­ten. Mehrere Politiker*innen von Grü­nen und Neos kündigten eine Anzeige an.

Sicht­bar wurde die Recht­saußen-Allianz auch in der Het­ze gegen eine Lesung für Kinder, zu der von den Büchereien Wien die Dragqueen Can­dy Licious geladen war. Nach­dem über diverse Kanäle tage­lang Stim­mung gegen die Ver­anstal­tung gemacht wurde, fan­den sich am Tag der Lesung zuerst ein ange­blich von Neon­azis ange­bracht­es Het­zban­ner und danach eine von Iden­titären aus Ytong-Ziegeln errichtete Bar­riere am Ein­gang der Stadt­bücherei Mari­ahilf. Die Lesung von Can­dy Licious kon­nte nur unter Polizeis­chutz abge­hal­ten wer­den. 

Nach­dem drei Iden­titäre wegen ihrer Störak­tion bei der Vien­na Pride 2021 freige­sprochen wur­den, ist mit weit­eren Attack­en auch bei der Parade am 11. Juni zu rechnen.

Der Jour­nal­ist Markus Sulzbach­er berichtet in seinem Newslet­ter vom 3.3.22:

Min­destens 215 “vorurteilsmo­tivierte Ver­brechen” gegen LGBTQ-Per­so­n­en haben allein im drit­ten Quar­tal 2021 in Öster­re­ich stattge­fun­den, wie das Innen­min­is­teri­um in ein­er Beant­wor­tung ein­er par­la­men­tarischen Anfrage der SPÖ schreibt. Darunter schwere Kör­per­ver­let­zun­gen, Nöti­gung und Sachbeschädi­gun­gen. Aktuellere Zahlen liegen noch nicht vor.