Zwei Hardcore-Neonazis vor Gericht
29. März 2022, Landesgericht Wien: Im Großen Schwurgerichtssaal wird der Fall des Kärntners Philip H. (39) verhandelt. Das Interesse auch abseits der Medien ist groß, die Publikumsplätze im Saal sind gut gefüllt. Während alle auf die Vorführung von Philip H. warten, nimmt unbemerkt ein Mann auf der Anklagebank Platz. Wie sich erst bei Verhandlungsbeginn rausstellen wird, handelt es sich um Benjamin H., den jüngeren Bruder von „Mr. Bond“, der im Zuge der Ermittlungen zu Philip H. als Beifang enttarnt werden konnte – ein Faktum, das erst durch den Prozess öffentlich bekannt wird.
Benjamin H. (36), der unter dem Pseudonym „Kikel Might“* agiert hatte, war der Betreiber der laut Anfragebeantwortung durch die deutsche Bundesregierung bereits 2015 eingerichteten antisemitischen Hetz-Website „Judas Watch“, mit der H. das alte Bild einer jüdischen Weltverschwörung herbeiphantasierte und vermeintlich Verantwortliche mit Namen und Beschreibung als eine Art Feindliste anführte. Eine erste Wayback-Sicherung der Website datiert aus April 2016. Es ging gegen als „anti-White traitors, subversives & highlighting Jewish influence“ punzierte Personen. Zum Schluss waren um die 1.700 Namen und Organisationen angeführt.
Vor Gericht wird angeführt, dass die beiden Brüder nicht nur jahrzehntelang der nationalsozialistischen Gesinnung anhingen, sondern auch eng miteinander in Austausch standen. Während Philip zu gecovertern Musikstücken seine an Abscheulichkeit kaum zu überbietenden, gewaltverherrlichenden Texte ab 2016 als Rap veröffentlichte, half Benjamin etwa bei der Cover-Gestaltung und beim Hochladen der Songs. Es gibt keinen Zweifel: Beide wussten nicht nur vom Treiben des jeweils anderen, sie unterstützten sich gegenseitig.
Identitären-Liste mit „Judas Watch”-Betreiber und FPÖ-Funktionären
Bereits 2020, also Monate vor Philip H.s Verhaftung, berichten Christof Mackinger und Sabina Wolf über Treffen von Gleichgesinnten, die „Mr. Bond“ und der Betreiber von „Judas Watch“ 2017 in Wien anleiern wollten. Mackinger und Wolf lagen
tausende Einträge des Urhebers [Mr. Bond] aus verschiedenen Onlineportalen [vor], in denen der Wiener seine menschenverachtenden Ansichten preisgibt und zu weiteren rechtsterroristischen Anschlägen aufruft. (…) Tatsächlich stattgefunden haben, seinen eigenen Angaben zufolge, immerhin mehrere Treffen Mr. Bonds mit den rechtsextremen Aktivisten der Identitären Bewegung.
Dass es Kontakte gegeben hat, belegt auch eine interne Liste der Identitären aus 2017, die „Stoppt die Rechten“ vorliegt. Darin scheint nicht Philip H., aber sein Bruder Benjamin mit einer Wiener Adresse im 16. Bezirk auf. H. ist einer von rund 1.500 Einträgen; darunter finden sich bekannte Namen von identitären Aktivist*innen gleichermaßen wie eine Reihe von Funktionär*innen und Mitarbeiter*innen aus der FPÖ oder etwa auch der jüngst aus Afghanistan freiverhandelte Herbert Fritz.
Philip und Benjamin H. sitzen noch für längere Zeit ein – der Ältere wurde zu zehn, der Jüngere zu vier Jahren Haft verurteilt. Identitäre, die mit den beiden von Gewaltphantasien durchtränkten Verbrechern kaum nur über Belanglosigkeiten konversiert haben werden, werden vom aktuellen FPÖ-Obmann Herbert Kickl und seinen Gefolgsleuten als unterstützenswerte „NGO von rechts“ hofiert und systematisch verharmlost.
Benjamin H. sympathisierte übrigens offen mit der FPÖ. In einem englischsprachigen Podcast aus dem Jahr 2019 plaudert er als „Kikel Might“ auch über die damals bevorstehende Nationalratswahl: „You probably heard about the FPÖ, the Freedom Party, which is basically the only party you can go to if you aren’t like a shitlib.”
Der Betreiber von Judas Watch bewirbt die #FPÖ. pic.twitter.com/bavspJKcyP
— Dietmar Muhlbock (@deltamikeplus) December 27, 2019
*„Kike“ oder „Kikel“: abwertende Bezeichnung für Juden/Jüdinnen
➡️ Wien: „Judas Watch“ von Österreicher betrieben
➡️ Hetzseite „Judas Watch“ wieder online