Der eine, Philip (37), agierte unter dem Pseudonym „Mr. Bond“, der andere, Benjamin (34) unter „Kikel Might“, beide hängten, so die Staatsanwältin, seit Jahrzehnten einem neonazistischen, antisemitischen Gedankengut an – der Jüngere sei bereits 2005 im Zuge einer Klassenfahrt durch einen Hitlergruß aufgefallen. Auch der Alltagssprachgebrauch der beiden Brüder sei durch die Verwendung von NS-Diktion geprägt gewesen. 2013 habe es einen ersten (belegbaren) einschlägigen Mailwechsel zwischen Philip und Benjamin gegeben – über eine Umwandlung des „Vaterunser“ in „Adolf Unser“.
Beide ähneln einander nicht nur in der Gesinnung, sondern auch im Look: schütteres Haar, Vollbart, kräftiger Körperbau und schwarzes T‑Shirt mit grauer Jean. Sie seien miteinander im permanenten Austausch gestanden, haben sich in unzähligen Mails etwa über Bonds Musikstücke und die Gestaltung der Cover ausgetauscht. Die Staatsanwaltschaft wirft Benjamin auch vor, selbst Musikstücke ins Netz geladen zu haben, was der jedoch bestreitet. Er bekennt sich in einer runtergelesenen Stellungnahme teilschuldig, sein älterer Bruder – ebenfalls von einem Blatt lesend – in allen Anklagepunkten schuldig. Philip H.s Beteuerung, er habe in der U‑Haft erkannt, dass er verblendet und sein Handeln falsch gewesen sei, und dass er sich „aufrichtig entschuldigen“ wolle, klang völlig emotionslos.
Im Zuge der Beweisaufnahme bekommen Publikum und Geschworene einzelne Stücke zu Gesicht, die bei zwei Hausdurchsuchungen sichergestellt wurden: eine Reichskriegsflagge, eine braune Fahne mit Schwarzer Sonne, NS-Bücher, Aufkleber und T‑Shirts mit einschlägigen Aufdrucken. Drei deutschsprachige Songs und ein englischsprachiger aus dem „Schaffen“ von „Mr. Bond“ werden vorgespielt, damit sich die Geschworenen einen Eindruck von den Texten verschaffen können – von der besonderen Widerwärtigkeit der Inhalte, sei angemerkt. Mit den Songs habe Philip H. gut verdient, sie seien mehrere Hundertausend Mal downgeloadet worden.
Philips Affinität zu rechtsextremen Gewalttätern wird ebenfalls erörtert: seine Bewunderung für den Christchurch-Mörder, dessen Manifest er innerhalb von vier Tagen ins Deutsche übersetzte (und worüber er sich mit Benjamin austauschte), Gestaltung des Covers und Titel seiner letzten CD, die eine Referenz an jenen Attentäter sind, der 2018 in der Tree-of-Life-Synagoge in Pittsburgh elf Menschen ermordet und weitere sechs verletzt hatte. Der Titel ist der letzte Satz des Attentäters, den der auf „Gab“ gepostet hatte, wenige Minuten, bevor er zur Mordtat ging.
Dass „Mr. Bonds“ Song „Power Level” als Soundtrack für das vom Halle-Attentäter geplante Massaker in der dortigen Synagoge diente, war erst der Grund, warum die Behörden in Wien tätig wurden. Ein Foto, das Mr. Bond verbreitet hatte und das in einer Liftkabine aufgenommen wurde, konnte örtlich dem Zillertal zugeordnet werden, sein PayPal-Account, über den er Spenden für seine Musik lukrierte, führte die Ermittler schließlich auf die Spur des Kärntners Philip H.. Die Staatsanwältin betont im Prozess nicht zuletzt aufgrund der aufgefunden Ton- und Datenträger und von handschriftlich festgehaltenen Songtexten, es gäbe keinen Zweifel: Philip H. ist „Mr. Bond“!
Auf den Bruder als Betreiber von „Judas Watch“ sei man schließlich auch über die Funde bei Philip gestoßen, zuvor sei man im Dunkeln getappt, wie der als Zeuge geladene Beamte aus dem Verfassungsschutz angibt.
Und da wären noch die Waffengeschichten: Sichergestellt wurden bei der Hausdurchsuchung eine Faustfeuerwaffe samt Munition und ein Luftdruckgewehr, die Philip H. legal besessen hatte. Nur zehn Tage nach dem Attentat von Christchurch habe eine Überprüfung für die Erlangung einer Waffenbesitzkarte stattgefunden, zehn Tage vor der Verhaftung habe Philip H. online zur Herstellung von Waffen via 3D-Drucker recherchiert. Es lägen auch Fotos vor, die Philip am Schießstand zeigen.
Die Kombination aus verbal ausgedrückter Bewunderung für Massenmörder, eigenen Gewaltphantasien und die Suche nach Selbstbauanleitungen für Waffen ist es auch, die die Behörden dazu veranlassen, dem Angeklagten besondere Gefährlichkeit zu attestieren. Auch bei Benjamin und einem dritten Bruder seien Waffen aufgefunden worden. Apropos dritter Bruder: Dem sei nichts strafrechtlich Relevantes vorzuwerfen, er sei jedoch über die Gesinnung seiner beiden älteren Geschwister im Bilde gewesen.
Ob sich der ebenfalls anwesende Wiener Rechtsanwalt Georg Zanger als Privatbeteiligter selbst dem Verfahren anschloss oder ob er nur andere vertrat, war aufgrund der schlechten Akustik im Großen Schwurgerichtssaal nicht zu verstehen. Dafür jedoch, dass sich beide von ihm befragten Angeklagten zur Website „Judas Watch“ auf der über 1.700 Personen in einer Art „Feindesliste” als „als anti-White traitors, subversives, and highlighting Jewish influence“ gelistet waren, zugeknöpft zeigten. „Kein Kommentar“ lauteten alle Antworten von Benjamin H..
Um 12h30 war vorerst Schluss mit der Verhandlung, fortgesetzt wird am 31.3., wo es zu den Urteilen kommen sollte. Derweilen gilt für die beiden Angeklagten die Unschuldsvermutung. „Mr. Bonds” Neonazi-Fans kommentieren in einer Telegram-Unterstützungsgruppe über ein Foto aus den Medien das Aussehen ihres Austrian Hero, das bislang niemand von ihnen kannte: „bad haircut tho” – „Aryan”.
Die FPÖ kann übrigens äußerst stolz sein: Sie hat zumindest in Benjamin einen veritablen Fan, wie der in einem Interview in einem rechtsextremen Podcast gesteht:
Der Betreiber von Judas Watch bewirbt die #FPÖ. pic.twitter.com/bavspJKcyP
— Dietmar Muhlbock (@deltamikeplus) December 27, 2019
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