Fourteen Years for Fourteen Words and much more

14 Jahre Haft haben Philip und Ben­jamin H. zusam­men (nicht recht­skräftig) aus­ge­fasst. Eine Zahl, die sich fast als Ref­erenz auf einen Neon­azi-Glaubenssatz deuten ließe, auf die „four­teen words“ des US-Neon­azis David Eden Lane, die in Kom­bi­na­tion mit der „88“ (Code für „Heil Hitler“) auch zum Reper­toire der bei­den Brüder gehörte. Die rel­a­tiv hohen Haft­strafen sind dur­chaus nachvollziehbar. 

Müh­sam war der zweite Ver­hand­lungstag im Prozess gegen Philip und Ben­jamin H. – in mehrfach­er Hin­sicht. Welch­er auch nur einiger­maßen „nor­mal“ tick­ende Men­sch hört sich schon gerne einen elend­slan­gen Vor­trag von mit Gewalt­phan­tasien durchtränk­ten Tex­ten an? Der vor­sitzende Richter Johannes Var­ga ver­las die angeklagten Teile aus Lied­tex­ten des „Mr. Bond“, was etwa eine Stunde dauerte, obwohl er im Lesen einen Tur­bo gezün­det hat­te. Das war nicht nur wegen der außergewöhn­lichen Länge des Vor­trags und der schlecht­en Akustik für die Bei­wohnen­den anstren­gend, son­dern auch, weil die Texte vor aus­ge­suchter Per­fi­die, Gehäs­sigkeit und Bru­tal­ität vor allem gegenüber Juden und Jüdin­nen strotzen.

Var­ga fragt die bei­den Angeklagten zu Beginn des zweit­en Prozesstages, ob sich im Ver­gle­ich zum ersten Tag etwas verän­dert habe, was verneint wurde. Verän­dert hat sich allerd­ings die Zahl jen­er, die sich dem Ver­fahren als Pri­vat­beteiligte angeschlossen haben. Anwalt Clemens Lah­n­er ver­tritt zehn Per­so­n­en, die sich auf der von Ben­jamin H. admin­istri­erten Pranger-Web­site „Judas Watch“ wiederge­fun­den hat­ten. Einige von ihnen sind im Gerichtssaal anwe­send. Sie kri­tisieren, erst über Berichte vom ersten Ver­hand­lungstag erfahren zu haben, dass mit Ben­jamin H. der mut­maßliche Betreiber der Het­z­seite aus­find­ig gemacht wor­den ist und als Angeklagter vor Gericht steht.

Dass Ben­jamin H. mut­maßlich Betreiber von Judas Watch ist, wurde erst durch medi­ale Berichter­stat­tung nach dem ersten Prozesstag bekan­nt. Daher habe ich mich jet­zt kurzfristig mit Unter­stützung meines Anwalts Clemens Lah­n­er dem Ver­fahren als Pri­vat­beteiligter angeschlossen. Doch dass die Behör­den die Betrof­fe­nen von Judas Watch nicht ein­mal informiert haben, dass der mut­maßliche Betreiber gefun­den wurde — das ist tat­säch­lich ein Skan­dal. (Michael Bon­va­l­ot via Twit­ter)

Lah­n­er zieht Ver­gle­iche zum Han­ni­bal-Nord­kreuz-Kom­plex, wo Mit­glieder Fein­deslis­ten mit Namen von Per­so­n­en ange­fer­tigt hat­ten, die an einem „Tag X“ ermordet wer­den soll­ten. Die Bestel­lung von Leichen­säck­en und Ätzkalk war bere­its geplant.

Staat­san­wältin und Vertei­di­ger Mar­tin Mahrer leg­en ihre Schlussplä­doy­ers recht kurz an – viel fällt Mahrer auch nicht ein, was zu vertei­di­gen gewe­sen wäre. Dafür hat er Tipps an die Geschwore­nen parat: Von der 79 Seit­en umfassenden Frage­liste über Schuld oder Unschuld in einzel­nen Punk­ten kön­nten die Geschwore­nen die meis­ten schnell mit „Ja“ beant­worten, da die Angeklagten geständig waren. „Das ist für sie ein­fach­er“, meint Mahrer. Anson­sten plädiert er für milde Urteile. Der Erstangeklagte habe seine Eltern ein Jahr nicht gese­hen, „das wirkt natür­lich“. Auch bei Ben­jamin habe die Haft seines Brud­ers gewirkt.

Während Philip H. am 29.3. den Gerichtssaal noch mit einem Heft vor dem Gesicht betreten hat­te, auf dem groß ein Smi­ley prangte und er das wenige, das er zu sagen hat­te bzw. sagen wollte, in küh­lem Duk­tus herun­ter­rez­i­tierte, gibt er sich am heuti­gen Ver­hand­lungstag doch etwas klein­lauter: Dies­mal ist kein Smi­ley zu sehen, sein abschließen­des State­ment knapp vor Beratung der Geschwore­nen klingt ein wenig emo­tionaler, auch wenn es nur eine Wieder­hol­ung dessen ist, was er schon ein­mal ver­lesen hat: Er sagt wieder, die Trag­weite sein­er Veröf­fentlichun­gen sei ihm nicht bewusst gewe­sen, auch nicht jene der Gewalt­tat­en. Welche er genau meint, seine eige­nen Phan­tasien und Aufrufe oder die Mord­tat­en, die er ver­her­rlichte, präzisiert er nicht. Er wolle sich nochmals dafür entschuldigen.

Auch sein Brud­er bleibt kur­sorisch und gibt an, erkan­nt zu haben, dass der Weg, den er eingeschla­gen hat­te, nicht der richtige sei. Er sei mit­tler­weile zur Überzeu­gung gelangt, dass, wenn man etwas bewirken will, es nicht durch Neg­a­tives, son­dern durch Pos­i­tives sein soll. „Es tut mir leid, was ich getan habe.“

Damit wer­den die Geschwore­nen in die Beratung geschickt. Nach etwa fünf Stun­den kom­men sie mit einem Schuld­spruch für die Brüder zurück: zehn Jahre unbe­d­ingter Haft für Philip und vier Jahre für Ben­jamin H.. Bei­de erbat­en Bedenkzeit, die Staat­san­wältin gab keine Erk­lärung ab, daher ist das Urteil nicht rechtskräftig.

Mit gewiss­er Span­nung ver­fol­gte auch die inter­na­tionale Nazi-Szene den Prozess, was an diversen Social Media-Aktiv­itäten erkennbar war. Wer Philip H.s Unter­stützer sind, wer ihm Geld über­wiesen hat, war im Prozess nur ein Randthe­ma. Dabei hätte man möglicher­weise gut daran getan, genau zu schauen, wer im Gerichtssaal anwe­send war. Auf­fäl­lig war etwa ein bekan­nter finnis­ch­er Recht­sex­trem­ist, der die Anklage­bank auch selb­st bere­its vom eige­nen Platznehmen ken­nt und mehrere Verurteilun­gen aus­ge­fasst hat. Er streamte sog­ar live vom Wiener Prozess. In einem Inter­view mit einem Neon­azi betonte er, dass Öster­re­ich „super nice” sei, „super clean, every­body is white most­ly, I have seen five black peo­ple dur­ing this whole trip”. Über die Geschwore­nen und das Urteil lamen­tierte er: „These peo­ple are stu­pid, our sys­tem is so wrong!” Dafür hegt er Bewun­derung für „Mr. Bond”, der so viel Tal­ent habe und „super cre­ative” sei. Immer­hin geste­ht er im Hin­blick auf die von „Mr. Bond” ver­her­rlicht­en Atten­tate zu, dass es nicht gut sei, unschuldige Men­schen in Moscheen oder Syn­a­gogen zu erschießen. „What you should do is work for deport­ing these peo­ple that you hate.”

Am ersten Ver­hand­lungstag rück­ten jene mit einem „The Mak­ing of“-Video raus, die vor einiger Zeit am Haus gegenüber der Jus­ti­zanstalt Josef­s­tadt, ein Ban­ner mit „Free Mr. Bond“ ange­bracht hat­ten. Das Video der „Soli­ak­tion für Mr. Bond“ geis­tert sei­ther durch diverse Neon­azi-Kanäle. Einiges deutet darauf hin, dass die Aktion zumin­d­est mit deutsch­er Beteili­gung durchge­führt wurde. In dem Video wird völ­lig unverblümt aus­ge­sprochen, worum es geht: „Es [die Texte von Mr. Bond; Anmk SdR] ist Rap, in dem sich pos­i­tiv auf den Nation­al­sozial­is­mus bezo­gen wird. Die Musik von Mr. Bond geht aber noch weit­er. Sie befeuert Enthem­mung zu Radikalisierung­s­ten­den­zen.“ Zum Schluss wird „Weg mit dem Ver­bots­ge­setz!“ einge­blendet. Etwas sub­til­er agiert ein ander­er Teil der Szene, der das tat­sachen­widrige Nar­ra­tiv ver­bre­it­et, H. sei „einzig für das Sin­gen (Rap­pen) von Liedern“ angeklagt.

TG-Neonazigruppe: "Angeklagt ist er einzig für das Singen (Rappen) von Liedern .."

TG-Neon­azi­gruppe: „Angeklagt ist er einzig für das Sin­gen (Rap­pen) von Liedern ..”

H.s Erstauftritt mit dem Smi­ley vor dem Gesicht wird bere­its stil­isiert als Meme herumgere­icht. Er ist der Held, der dem Prozess mit einem Aus-Lachen trotzt. Das Lachen kön­nte „Mr. Bond“ nun allerd­ings angesichts der Höhe der Strafe abhan­den gekom­men sein.

Update 4.4.22: Philip und Ben­jamin H. haben gegen das Urteil Rechtsmit­tel ein­gelegt, damit geht das Ver­fahren in die näch­ste Instanz.

➡️ Erster Prozesstag: „Mr Bond“ & „Kikel Might“: Brüder­paar mit jahrzehn­te­langer brauner Gesinnung