Mühsam war der zweite Verhandlungstag im Prozess gegen Philip und Benjamin H. – in mehrfacher Hinsicht. Welcher auch nur einigermaßen „normal“ tickende Mensch hört sich schon gerne einen elendslangen Vortrag von mit Gewaltphantasien durchtränkten Texten an? Der vorsitzende Richter Johannes Varga verlas die angeklagten Teile aus Liedtexten des „Mr. Bond“, was etwa eine Stunde dauerte, obwohl er im Lesen einen Turbo gezündet hatte. Das war nicht nur wegen der außergewöhnlichen Länge des Vortrags und der schlechten Akustik für die Beiwohnenden anstrengend, sondern auch, weil die Texte vor ausgesuchter Perfidie, Gehässigkeit und Brutalität vor allem gegenüber Juden und Jüdinnen strotzen.
Varga fragt die beiden Angeklagten zu Beginn des zweiten Prozesstages, ob sich im Vergleich zum ersten Tag etwas verändert habe, was verneint wurde. Verändert hat sich allerdings die Zahl jener, die sich dem Verfahren als Privatbeteiligte angeschlossen haben. Anwalt Clemens Lahner vertritt zehn Personen, die sich auf der von Benjamin H. administrierten Pranger-Website „Judas Watch“ wiedergefunden hatten. Einige von ihnen sind im Gerichtssaal anwesend. Sie kritisieren, erst über Berichte vom ersten Verhandlungstag erfahren zu haben, dass mit Benjamin H. der mutmaßliche Betreiber der Hetzseite ausfindig gemacht worden ist und als Angeklagter vor Gericht steht.
Lahner zieht Vergleiche zum Hannibal-Nordkreuz-Komplex, wo Mitglieder Feindeslisten mit Namen von Personen angefertigt hatten, die an einem „Tag X“ ermordet werden sollten. Die Bestellung von Leichensäcken und Ätzkalk war bereits geplant.
Staatsanwältin und Verteidiger Martin Mahrer legen ihre Schlussplädoyers recht kurz an – viel fällt Mahrer auch nicht ein, was zu verteidigen gewesen wäre. Dafür hat er Tipps an die Geschworenen parat: Von der 79 Seiten umfassenden Frageliste über Schuld oder Unschuld in einzelnen Punkten könnten die Geschworenen die meisten schnell mit „Ja“ beantworten, da die Angeklagten geständig waren. „Das ist für sie einfacher“, meint Mahrer. Ansonsten plädiert er für milde Urteile. Der Erstangeklagte habe seine Eltern ein Jahr nicht gesehen, „das wirkt natürlich“. Auch bei Benjamin habe die Haft seines Bruders gewirkt.
Während Philip H. am 29.3. den Gerichtssaal noch mit einem Heft vor dem Gesicht betreten hatte, auf dem groß ein Smiley prangte und er das wenige, das er zu sagen hatte bzw. sagen wollte, in kühlem Duktus herunterrezitierte, gibt er sich am heutigen Verhandlungstag doch etwas kleinlauter: Diesmal ist kein Smiley zu sehen, sein abschließendes Statement knapp vor Beratung der Geschworenen klingt ein wenig emotionaler, auch wenn es nur eine Wiederholung dessen ist, was er schon einmal verlesen hat: Er sagt wieder, die Tragweite seiner Veröffentlichungen sei ihm nicht bewusst gewesen, auch nicht jene der Gewalttaten. Welche er genau meint, seine eigenen Phantasien und Aufrufe oder die Mordtaten, die er verherrlichte, präzisiert er nicht. Er wolle sich nochmals dafür entschuldigen.
Auch sein Bruder bleibt kursorisch und gibt an, erkannt zu haben, dass der Weg, den er eingeschlagen hatte, nicht der richtige sei. Er sei mittlerweile zur Überzeugung gelangt, dass, wenn man etwas bewirken will, es nicht durch Negatives, sondern durch Positives sein soll. „Es tut mir leid, was ich getan habe.“
Damit werden die Geschworenen in die Beratung geschickt. Nach etwa fünf Stunden kommen sie mit einem Schuldspruch für die Brüder zurück: zehn Jahre unbedingter Haft für Philip und vier Jahre für Benjamin H.. Beide erbaten Bedenkzeit, die Staatsanwältin gab keine Erklärung ab, daher ist das Urteil nicht rechtskräftig.
Mit gewisser Spannung verfolgte auch die internationale Nazi-Szene den Prozess, was an diversen Social Media-Aktivitäten erkennbar war. Wer Philip H.s Unterstützer sind, wer ihm Geld überwiesen hat, war im Prozess nur ein Randthema. Dabei hätte man möglicherweise gut daran getan, genau zu schauen, wer im Gerichtssaal anwesend war. Auffällig war etwa ein bekannter finnischer Rechtsextremist, der die Anklagebank auch selbst bereits vom eigenen Platznehmen kennt und mehrere Verurteilungen ausgefasst hat. Er streamte sogar live vom Wiener Prozess. In einem Interview mit einem Neonazi betonte er, dass Österreich „super nice” sei, „super clean, everybody is white mostly, I have seen five black people during this whole trip”. Über die Geschworenen und das Urteil lamentierte er: „These people are stupid, our system is so wrong!” Dafür hegt er Bewunderung für „Mr. Bond”, der so viel Talent habe und „super creative” sei. Immerhin gesteht er im Hinblick auf die von „Mr. Bond” verherrlichten Attentate zu, dass es nicht gut sei, unschuldige Menschen in Moscheen oder Synagogen zu erschießen. „What you should do is work for deporting these people that you hate.”
Am ersten Verhandlungstag rückten jene mit einem „The Making of“-Video raus, die vor einiger Zeit am Haus gegenüber der Justizanstalt Josefstadt, ein Banner mit „Free Mr. Bond“ angebracht hatten. Das Video der „Soliaktion für Mr. Bond“ geistert seither durch diverse Neonazi-Kanäle. Einiges deutet darauf hin, dass die Aktion zumindest mit deutscher Beteiligung durchgeführt wurde. In dem Video wird völlig unverblümt ausgesprochen, worum es geht: „Es [die Texte von Mr. Bond; Anmk SdR] ist Rap, in dem sich positiv auf den Nationalsozialismus bezogen wird. Die Musik von Mr. Bond geht aber noch weiter. Sie befeuert Enthemmung zu Radikalisierungstendenzen.“ Zum Schluss wird „Weg mit dem Verbotsgesetz!“ eingeblendet. Etwas subtiler agiert ein anderer Teil der Szene, der das tatsachenwidrige Narrativ verbreitet, H. sei „einzig für das Singen (Rappen) von Liedern“ angeklagt.

H.s Erstauftritt mit dem Smiley vor dem Gesicht wird bereits stilisiert als Meme herumgereicht. Er ist der Held, der dem Prozess mit einem Aus-Lachen trotzt. Das Lachen könnte „Mr. Bond“ nun allerdings angesichts der Höhe der Strafe abhanden gekommen sein.
Update 4.4.22: Philip und Benjamin H. haben gegen das Urteil Rechtsmittel eingelegt, damit geht das Verfahren in die nächste Instanz.
Update 26.1.23: Die Höhe der Haftstrafen aus dem erstinstanzlichen Urteil wurde vom Oberlandesgericht Wien für beide Brüder bestätigt.
➡️ Erster Prozesstag: „Mr Bond“ & „Kikel Might“: Brüderpaar mit jahrzehntelanger brauner Gesinnung