Vergangene Woche erreichten die Entwicklungen rund um rechtsextremen Terror in Deutschland einen vorläufigen Höhepunkt. Allein in dieser Woche gab es einen Mordversuch an einem Eritreer, bei dem ein 55-jähriger aus seinem Auto schoss und sein Opfer aus rassistischen Motiven lebensgefährlich verletzte – Sprengstoffanschlag auf eine linke Stadträtin im sächsischen Zittau, außerdem Bombendrohungen des Neonazi-Netzwerks Blood & Honour gegen deutsche Moscheen und die Parteizentrale der Linkspartei, die anschließend evakuiert werden mussten. Dazu kamen weitere Drohungen gegen zwei Leipziger Kindergärten, die kein Schweinefleisch mehr anbieten wollten und jetzt Polizeischutz brauchen.
Man sieht klar: Die aktuelle Liste der rechtsextremen Taten in Deutschland wird täglich länger. Spätestens seit dem Mord am CDU-Politiker Walter Lübcke Mitte Juni 2019 kann niemand mehr leugnen, dass Rechtsextreme selbst vor der Ermordung von Menschen in politischen Führungsämtern nicht zurückschrecken. Dass sich Neonazis vernetzen, um sich auf Gewalttaten vorzubereiten, ist allerdings nicht neu. In unterschiedlichen Netzwerken lassen sie nicht nur ihrem Hass freien Lauf, sondern tauschen sich über Untergangsszenarien aus und planen Anschläge. Einige dieser Netzwerke sind momentan auch im Fokus der deutschen Ermittler. Ihre Spuren führen bis nach Österreich.
Gruppe Nordkreuz
Im deutschen Mecklenburg-Vorpommern ist zumindest seit 2016 eine Telegram-Chatgruppe mit dem Namen „Nordkreuz“ aktiv. Die rund 30 Mitglieder sind großteils rechtsextreme Prepper, die sich auf den „Tag‑X“ vorbereiten. An diesem Tag soll die staatliche Ordnung zusammenbrechen. Dafür hat „Nordkreuz“ geheime Depots mit Treibstoff und Nahrungsmitteln angelegt. Unter ihren Mitgliedern sind auch aktive und ehemalige Beamte der deutschen Polizei-Spezialeinheit (SEK) und Reservisten der Bundeswehr.
Gegen zwei der Mitglieder führt die Generalbundesanwaltschaft ein Verfahren wegen „Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat“, also Terror. Sie sollen detaillierte Listen mit mehreren Tausend Personen erstellt haben, die sie am „Tag‑X“ liquidieren wollten. Unter den Betroffenen sind vor allem Personen, die sich in der Politik oder Zivilgesellschaft engagieren, nicht rechts sind oder sich für Geflüchtete einsetzen. Dass die Tötungsphantasien schon konkrete Gestalt angenommen hatten, untermauerte eine Materialliste, die bei einem der Mitglieder gefunden wurde. Die Liste bestätigt, dass 200 Leichensäcke und Löschkalk bestellt hätten werden sollen.

Mitte Juni wurden vier weitere Personen im „Nordkreuz“-Umfeld verhaftet. Einer von ihnen ist Marco G., ehemaliger Soldat, aktuell Mitglied des Spezialeinsatzkommandos der Polizei (SEK). Ihm wird vorgeworfen, Munition aus Polizeibeständen geklaut zu haben und illegal Waffen zu besitzen. Konkret geht es um einen Schießstand in Güstrow, auf dem auch schon österreichische Truppen trainiert haben sollen. Außerdem waren 2015 mindestens zwei Mitglieder der Chatgruppe bei einer Schießveranstaltung im niederösterreichischen Pöchlarn, bei dem auch österreichische Polizisten und Soldaten dabei gewesen sein sollen.
Der festgenommene Marco G. ist Administrator von „Nordkreuz“ und Verbindungsglied zu weiteren Chatgruppen, die in ganz Deutschland existieren und von dem ehemaligen Elitesoldaten André S. administriert werden. Weil sich André S. in den Chats „Hannibal“ nennt, spricht man auch vom „Hannibal-Netzwerk“.
Gruppe Süd
In diesem Chatnetzwerk gibt es weitere Fälle, in denen wegen Terrorverdachts ermittelt wird. Es handelt sich dabei um die Causa rund um den Oberleutnant der deutschen Bundeswehr Franco A. Er ist im April 2017 am Wiener Flughafen festgenommen worden (https://www.stopptdierechten.at/2017/05/02/oberleutnant-franco-und-die-wiener-baelle/), als er eine von ihm versteckte Pistole ausheben wollte. Die Pistole habe er während einer Beisltour im Zuge des Offiziersballs in einem Gebüsch gefunden und erst kurz vor dem Security-Check am Flughafen wieder bemerkt, behauptete Franco A.
Die Ermittler fanden heraus, dass Franco A. Mitglied der Chatgruppe „Süd“ ist, unter ihnen auch Bundeswehrsoldaten und Polizisten, der Administrator ist ebenfalls Hannibal. Ebenso wie in „Nordkreuz“ ging es in der Chatgruppe „Süd“ um die Vorbereitung auf den „Tag‑X“. Auch interne Lagebilder der Bundeswehr wurden geteilt.
Franco A.s Netzwerk in Wien ist eng mit Burschenschaften verbunden. Seine Wiener Bekannten haben Kontakte ins österreichische Verteidigungsministerium und auch zur Familie Gudenus, vor allem mit Clemens Gudenus. Er ist Bezirkspolitiker in Wien-Wieden und Bruder des einstigen FPÖ-Klubobmanns Johann Gudenus.
Die Ermittlungen haben gezeigt, dass sich Franco A. in Deutschland als syrischer Kriegsflüchtling ausgegeben hatte. Unter dieser zweiten Identität soll er Anschläge geplant haben: Neben der Pistole fanden die Ermittler bei Franco A. wieder Feindeslisten und andere Indizien, die auf Attentate hindeuteten. Bei Kollegen von Franco A. fanden die Ermittler zudem über 1000 Schuss Munition aus Bundeswehrbeständen, Zünder und Handgranaten.
Im Mai 2017 wurde im Zuge der Ermittlungen gegen Franco A. ein weiterer Offizier der Bundeswehr festgenommen: Maximilian T. Er stand ebenso wie Franco A. unter Terrorverdacht, weil er ihm bei der Registrierung als Flüchtling geholfen und ihm am Arbeitsplatz gedeckt haben soll. Zudem vermuteten die Ermittler, dass die Feindesliste aus der Feder von T. stamme. Maximilian T. arbeitet noch immer im Büro von Jan Nolte, einem Bundestagsabgeordneten der AfD. Deshalb wurde ihm kurze Zeit der Zutritt zum Bundestag verwehrt, mittlerweile sind die Ermittlungen gegen ihn aber eingestellt und er darf das Gebäude ohne Einschränkungen betreten.
Anschlag auf von der Leyen
Maximilian T. taucht in diesen Netzwerken noch einmal auf, nämlich rund um einen angeblich geplanten Anschlag auf die damalige Verteidigungsministerin und jetzige EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Sie war im Juni 2017 zu Gast an der Bundeswehruniversität in München. Dort feierten 500 Offiziersanwärter ihren Beförderungsappell. Kurz vor ihrem Besuch wurden zwei Studenten fristlos aus der Universität entlassen, angeblich aufgrund ihrer Verbindung zu den rechtsextremen Identitären.
Einer davon war T.L. Er soll den Anschlag auf von der Leyen geplant haben, eine Hausdurchsuchung blieb allerdings erfolglos. Die Ermittler gehen davon aus, dass T.L. vor der Durchsuchung gewarnt wurde. Der zweite, der von der Bundeswehruni ausgeschlossen wurde, war mit Maximilian T. zu genau jenem Zeitpunkt in Kontakt, als auf dem Truppenübungsplatz in Munster Waffen und Munition verschwanden.
Der damals von den Behörden ins Visier genommene T.L. ist führender Kopf in der Burschenschaft „Markomannia Wien zu Deggendorf“, die gute Kontakte nach Österreich pflegt. So waren die Markomannen zu Gast bei der Bruna Sudetia, jener Burschenschaft, die damals ebenfalls wegen einer Liederbuch-Affäre in den Schlagzeilen stand. Mit ihnen focht T.L. eine Mensur, Bilder davon wurden zusammen mit einem Liederbuch demonstrativ auf Facebook gepostet. T.L. ist außerdem in der Marschgruppe der Bundeswehruni München aktiv und Vorstandsmitglied der Jungen Alternative Ostbayern, der Jugendorganisation der AfD.
NSU 2.0
Seit August 2018 werden Drohbriefe verschickt, die mit NSU 2.0 unterschrieben werden. Dahinter sollen fünf Frankfurter Polizisten stecken, die sich in Chatgruppen ausgetauscht haben. In dieser Chatgruppe teilten sie rassistische Bilder und Videos. Empfängerin der Drohbriefe war die Rechtsanwältin Seda Basay-Ildiz, die im NSU-Prozess Opfer vertreten hatte. In diesen Briefen drohten die Verfasser der Anwältin ihre Tochter „abzuschlachten“.
Kurze Zeit später stellte sich heraus, dass die Adressen der bedrohten Anwältin von einem Dienstcomputer der Polizei in Frankfurt abgegriffen wurden. Bei Hausdurchsuchungen bei den Beamten aus der Chatgruppe fanden die Ermittler ein „museal eingerichtetes Zimmer mit diversen NS-Devotionalien“. Ebenso wurden weitere Kontakte zur Neonazi-Szene bekannt. Verbindungen zu dem vorher genannten „Tag-X-Netzwerk“ sind bislang jedoch nicht publik geworden.
Der Mord an Walter Lübcke
Der Mord an dem CDU-Politiker Walter Lübcke rüttelte einige Menschen wach. Waren die Anschlagspläne und Tötungsfantasien der Personen im Umkreis der Chatgruppen mehr oder minder abstrakt, zeigte sich hier das gefährliche Ausmaß an rechtsextremer Gewalt. Ein Politiker einer konservativen Partei wurde ermordet, weil er Solidarität mit Geflüchteten zeigte und eine klare Abgrenzung zu verfassungsfeindlichen Positionen verteidigte.
Noch ist nicht bekannt, inwiefern Lübckes mutmaßlicher Mörder Stephan E., für den wie für alle Genannten die Unschuldsvermutung gilt, Teil eines größeren Netzwerkes ist. Klar ist, dass er früher bei der NPD und zumindest bis 2009 in der Neonaziszene aktiv war – und zwar auch im Umfeld von „C18“, dem bewaffneten Arm des in Deutschland verbotenen Neonazi-Netzwerks Blood & Honour. Wenige Tage nach dem Mord wurden zwei weitere Verdächtige festgenommen. Einer davon taucht zweimal in Akten des NSU-Komplexes auf. Auch der NSU hatte damals Feindes- bzw. Todeslisten angefertigt, auch Walter Lübcke war dort vermerkt. Auf einer anderen rechtsextremen Website fand man Lübckes Namen zusammen mit Aktivisten, Politikern und Journalisten. Inzwischen wird auch ermittelt, ob Stephan E. in einen Messerangriff, bei dem 2016 ein irakischer Asylsuchender niedergestochen wurde, verwickelt ist.
„Neue Dynamik beim Rechtsextremismus“
Doch gibt es nicht nur personelle Überschneidungen und Todeslisten in all diesen Netzwerken. Auch das Vorgehen der Ermittlungsbehörden stellt sich in vielen Fällen als wenig zufriedenstellend heraus. Verdächtige könnten vor Durchsuchungen gewarnt worden zu sein, wie es etwa beim geplanten Anschlag auf von der Leyen oder aber auch bei Hannibal vermutet wird. Die Verstrickungen der Geheimdienste durch sogenannte V‑Leute wirft immer mehr Fragen auf. Informationen werden weder an die Öffentlichkeit noch an die parlamentarischen Kontrollgremien herausgegeben, und die Gefahr für die Betroffenen wird heruntergespielt. Es werden wieder Stimmen laut, dass der deutsche Verfassungsschutz abgeschafft gehöre.
Dessen Präsident spricht von einer „neuen Dynamik beim Rechtsextremismus“. Aus gewalttätigen Gruppen könnten sich schnell kleine Terrorgruppen bilden. Die Chats gelten als ein vermeintlich sicherer Ort für den Austausch, da verschlüsselt kommuniziert wird. In den Chats wird das rechtsextreme Weltbild der Beteiligten noch zusätzlich gestärkt. Sie suggerieren Exklusivität, etwa wenn geheime Lagebilder der Bundeswehr von Soldaten geteilt werden oder Adressen von Polizeicomputern abgegriffen werden können.
Gerade in einem gesellschaftlichen Klima, das von Angst geprägt ist, dienen die Vorbereitungen auf einen „Tag‑X“ zur ständigen Bereitschaft und Aufrechterhaltung der Motivation, wie Sascha Lobo kommentiert. Kursierende Todeslisten, die mit viel Arbeit erstellt werden, sind dafür unerlässlich. Diese Todeslisten dienen dann selbst dem sogenannten Einzeltäter als Ressource für seine Tat, einen direkten Befehl muss es gar nicht mehr geben. Die vermeintlichen Feinde sind eben zu konstruieren, bevor man gegen sie vorgeht.
➡️ Rechtsextreme Todeslisten und Morddrohungen (Teil 1)