Ulrike Lunacek: Laudatio für Karl Pfeifer

Lau­da­tio von Ulrike Lunacek für den Antifaschis­ten Karl Pfeifer zur Ver­lei­hung des Gold­e­nen Ver­di­en­stze­ichens des Lan­des Wien am 21.3.2022.

S.g. Hr. Bürg­er­meis­ter, s.g. Ehrengäste, lieber Karl und auch liebe Dag­mar Pfeifer,

wofür wir Karl Pfeifer heute ken­nen, und wofür er geehrt wird, begann er erst im schon reifen Alter von 51 Jahren, 1979: der stre­it­bare Jour­nal­ist, der „Seis­mo­graph“ gegen Anti­semitismus, wie ihn mein NR-Kol­lege Karl Öllinger beze­ich­net hat, auch Seis­mo­graph gegen Ras­sis­mus; der Zeitzeuge, der v.a. in Schulen auf präg­nante Weise jun­gen Men­schen die Gräuel des Nazi-Regimes und die Notwendigkeit von Zivil­courage zum Erhalt und zur Weit­er­en­twick­lung unser­er Demokratie nahe­brachte und bringt, auch mit seinen mit­tler­weile beachtlichen 93(!) Jahren.

Es freut mich sehr, dass nach zwei Jahren Covid die Ver­lei­hung des Gold­e­nen Ver­di­en­stze­ichens des Lan­des Wien jet­zt endlich, wenn auch in kleinem Rah­men, stat­tfind­en kann!

Geboren wurde Karl Pfeifer am 22. August 1928 als Sohn ungarisch­er Eltern in Baden bei Wien. 1938 flo­hen sie gemein­sam nach Budapest, wo er den „Noch gemütlichen Anti­semitismus“ (Zitat aus seinem Buch „Ein­mal Palästi­na und zurück“) ken­nen lernte. 1940 kam er in Kon­takt mit der linkszion­is­tis­chen Jugend­gruppe Schomer Haz­air, 1943 gelang ihm selb­st auf aben­teuer­liche Weise die Flucht nach Palästi­na – mit Ausweis­pa­pieren unter falschem Namen schaffte er es mit ein­er Gruppe Jugendlich­er über Rumänien, Bul­gar­ien, die Türkei und Beirut nach Haifa, wo er am 19.1.1943 ankam. 36 sein­er Fam­i­lien­ange­höri­gen über­lebten die Shoa nicht. Er selb­st lebte in einem Kib­buz, schloss sich 1946 der Elitetruppe Pal­mach an und diente dann auch in der israelis­chen Armee.

1951 kehrte er nach Öster­re­ich zurück, doch willkom­men war er hier nicht: Er wollte aber seine Iden­tität wieder, das heißt, seinen Pass mit seinem ursprünglichen Namen. Die Staats­bürg­er­schaft erhielt er als geboren­er Öster­re­ich­er sofort zurück, doch eine Unter­stützung durch den Staat würde dem „ange­blichen“ Karl Pfeifer keine zuste­hen, wurde ihm beschieden, denn gemäß dem Heimkehrerge­setz seien nur jene zu befür­sor­gen, die in der Wehrma­cht oder der Waf­fenSS gedi­ent haben. Das war 1951, da lag das Ende des ver­brecherischen Nazi-Regimes schon echs Jahre zurück!

In Erman­gelung von staatlich­er Unter­stützung schlägt Karl Pfeifer sich mit diversen Arbeit­en durch, wurde als „Kom­mu­nist“ abgestem­pelt, weil er laut sagte, dass für seinen Geschmack „die Nazi viel zu viel zu sagen“ hät­ten – und wurde zum Wohnen ins Asyl der Stadt Wien in die Melde­mannstraße im 20. Bezirk geschickt. Da es dort keinen Raum für den Tage­saufen­thalt gab, „trieb ich mich den ganzen Tag in den Straßen und in den Infor­ma­tion­szen­tren der Besatzungsmächte herum“, wie er in „Immer wieder Ungarn“ beschreibt. Im sow­jetis­chen Infor­ma­tion­szen­trum las er gratis Zeitun­gen wie die Volksstimme und die „öster­re­ichis­che Zeitung“, da las er „von den Nazis, die sich wieder frech artikulierten“. Und es gab gratis sow­jetis­che Filme, weswe­gen er viele von ihnen anschaute. Jedoch hat­te „ich meine Zweifel, ob denn dort alles so blühe, wie sie es schilderten.“ (S. 18)

Er lernte auch, dass man in Öster­re­ich „irgend­wo dazuge­hören mußte“ und dachte, dass er nur so aus sein­er „Mis­ere“ her­auskom­men könne. Also fol­gte er der Ein­ladung in einem Schreiben der KPÖ in deren Parteilokal. Er würde zwar gerne beitreten wollen, aber er sei Athe­ist – das sei kein Prob­lem, meinte der Parteisekretär fre­undlich, denn „wir Kom­mu­nis­ten sind alle Athe­is­ten“. Pfeifer erzählt in „Immer wieder Ungarn“ weit­er: „Ich weiß nicht, welch­er Teufel mich ritt, es war ja die sow­jetis­che Zone und der Mann hätte mich auch ver­schwinden lassen kön­nen, doch ich stellte meine Frage: ‚über­all bei euch sehe ich das Bild von Stal­in, ist der für Euch unfehlbar, wie der Papst für die Katho­liken, oder ist er auch nur ein Men­sch, der Fehler bege­hen kann?‘. Der Sekretär schrie mich an: ‚Pro­voka­teur, marsch hin­aus‘! – und ich ging … ent­täuscht zurück in die Melde­mannstraße. So wurde ich nicht Kom­mu­nist, aber der Ruf – ein­er zu sein – ver­fol­gte mich Jahrzehnte.“

Diese Zweifel, das ständi­ge Hin­ter­fra­gen, das Erken­nen von Schwach­stellen, das ist Karl Pfeifer, wie er leibt und lebt: Sein wach­er Geist, geschult durch Unrecht und Ungerechtigkeit­en, sen­si­bel für Ungereimtheit­en hat ihn wohl sein Leben lang davon abge­hal­ten irgen­dein­er Partei beizutreten.

Und weil er mit Ver­wandten in Budapest kor­re­spondierte, und ihn eine Zim­merver­mi­eterin (er kon­nte sich mit­tler­weile von seinem Ver­di­enst in ein­er Weinkellerei ein Unter­mi­et­z­im­mer leis­ten) deshalb als „amerikanis­chen Spi­on“ anzeigte, hat­te er jedoch Glück, wurde rechtzeit­ig gewarnt (der 2. Bezirk war sow­jetis­che Zone) und ent­ging so ein­er möglichen Verhaftung.

Er brauchte einen Beruf, um in Öster­re­ich dauer­haft leben zu kön­nen, und so begann er im Herb­st 1952 in Bad Gastein seine Aus­bil­dung an der Hotelfach­schule. Diese Aus­bil­dung – und die vie­len Sprachen, die er schon sprach bzw. leicht erlernte – eröffneten ihm die Möglichkeit des Reisens und Arbeit­ens in anderen Län­dern, was er aus­giebig tat – auch um dem omnipräsen­ten Anti­semitismus in Öster­re­ich immer wieder zu entkom­men. In den 1950er Jahren brachte er es vom Hotel­pa­gen im Park­ho­tel in Lugano bis zum Emp­fangschef im Wiener Hotel Asto­ria. Dann zog es ihn – er hat­te im Asto­ria den Chef der neuseeländis­chen Ein­wan­derungs­be­hörde ken­nen­gel­ernt und im Aus­tausch für einen Gefall­en im Hotel bat er ihn um ein Arbeitsvi­sum für Neusee­land, was auch gelang: Von Ende 1957 bis 1959 arbeit­ete Karl Pfeifer im Mag­a­zine Hotel in Wellington.

Ab 1959 war er wieder zwei Jahre in Wien, dann 61–62 in Schwe­den als Verkäufer von Reg­istri­erkassen. Schließlich wech­selte er ganz das Meti­er: Er bewarb sich als stv. Direk­tor ein­er Bowl­ing­bahn im Wiener Prater – bekam den Job, und weil der Chef bald danach frist­los ent­lassen wurde, wurde er ganz rasch selb­st Direk­tor. 1969–71 kam eine Zeit bei Wag­ons Lits, danach – eine Anzeige in der Frank­furter All­ge­meinen brachte ihn auf die Idee – das Hotel Hilton in Brüs­sel! Er wurde inkl. Flugtick­et nach Brüs­sel zum Gespräch ein­ge­laden, es wurde dann zwar Lon­don draus, aber auch nicht schlecht …

Erst 1955 durfte er nach Ungarn ein­reisen, um einige wenige Ver­wandte, die die Shoah über­lebt hat­ten, zu besuchen – nach der Rev­o­lu­tion 1956 war ihm das, wie vie­len anderen, bis 1962 ver­wehrt. Doch danach, zwis­chen 1962 und 1979, fuhr er sehr oft und auch sehr gerne nach Ungarn, und freute sich über den regen Aus­tausch mit Intellek­tuellen, Kün­st­lerin­nen und Kün­stlern, die meis­ten Dis­si­den­ten, u.a. nach­dem sie 1968 öffentlich die sow­jetis­che Besatzung der CSSR im August 1968 verurteilt hatten.

1979 war dann das Jahr, das das Leben unseres Geehrten wieder entschei­dend verän­dern sollte: Er erzählte dem dama­li­gen stv. Chefredak­teur der Arbeit­erzeitung, Georg Hoff­mann-Osten­hof, einige der inter­es­san­ten Geschicht­en, die er in Ungarn gehört hat­te. Und Hoff­man-Osten­hof fragte ihn: „Hast du eine Schreib­mas­chine?“ Karl Pfeifer fragte „Warum?“ und bekam zur Antwort: „Schreib es auf!“ Karl Pfeifer fragte zurück: „Wozu?“ „Weil wir Deinen Artikel veröf­fentlichen wer­den.“ So kam es dann auch: Unter dem Pseu­do­nym Peter Koroly begann er regelmäßig für die AZ über Ungarn zu schreiben, das war der Beginn sein­er beachtlichen jour­nal­is­tis­chen Kar­riere, mit 51 Jahren, bis heute. Er schrieb über „Ewigkeitswoh­nun­gen für die Sow­jet­truppe“, über „Eisen­ringe aus Holz“ – er hielt mit Kri­tik an den widri­gen sozialen Umstän­den, aber auch an Kor­rup­tion und Nepo­tismus, sowie an der Diskri­m­inierung von Roma in Ungarn nicht hin­ter dem Berg. Und der ging fälschlicher­weise von der Annahme aus, dass der ungarische Geheim­di­enst nicht draufkom­men würde, wer hin­ter dem Pseu­do­nym steckte.

So kam es, dass er in den näch­sten Jahren unter faden­scheini­gen Vor­wür­fen vier­mal aus Ungarn aus­gewiesen wurde, auch ein Ein­rei­se­ver­bot hat­te er für einige Zeit. Ein­mal wurde ihm vorge­wor­fen, er wolle den „Anti­semitismus aus Öster­re­ich nach Ungarn importieren“. Heute fährt er kaum mehr nach Ungarn, doch kri­tisch ist er weit­er­hin geblieben. Würde uns ja wun­dern, wenn dem nicht so wäre …

Von 1982–1995 war Karl Pfeifer Redak­teur der „Gemeinde“, des offiziellen Organs der Israelitis­chen Kul­tus­ge­meinde Wien. 1995 kri­tisierte er darin einen von Anti­semitismus und Pro-Nazis­mus strotzen­den Artikel des schon damals umstrit­te­nen Poli­tik­wis­senschafters Wern­er Pfeifen­berg­er im Jahrbuch des FPÖ-Bil­dungswerks. Pfeifer beze­ich­nete diesen Beitrag u.a. als „Nazi-Mär von der jüdis­chen Weltverschwörung“.

Karl Pfeifer über Werner Pfeifenberger in "Die Gemeinde"

Karl Pfeifer über Wern­er Pfeifen­berg­er in „Die Gemeinde”

Pfeifen­berg­er klagte gegen Pfeifer, ver­lor jedoch, Pfeifer wurde sowohl am Han­dels- wie am Lan­des­gericht für Straf­sachen freige­sprochen: Seine Kri­tik sei nicht nur „zuläs­sig“, son­dern auch „wahr“ gewe­sen. 2000 will die Staat­san­waltschaft Wien dann Pfeifen­berg­er wegen Wieder­betä­ti­gung ankla­gen. Dieser stirbt in den Alpen, Recht­sex­treme sprechen von Suizid, eine unfass­bare Het­ze gegen Karl Pfeifer begin­nt, in „Zur Zeit“ wird ihm vorge­wor­fen, eine Men­schen­hatz auf Pfeifen­berg­er begonnen zu haben, die „in der Folge bis zum Tod des Gehet­zten gehen sollte“ (Zur Zeit).

"Zur Zeit" bezeichnet Karl Pfeifer und andere als "Jagdgesellschaft"

„Zur Zeit” beze­ich­net Karl Pfeifer und andere als „Jagdge­sellschaft”

Dies­mal reicht es Karl Pfeifer, und er klagt selb­st. Im Ver­fahren antwortet er auf eine als Vor­wurf getarnte Frage des Anwalts (es war übri­gens der langjährige FPÖ-Abge­ord­nete Johannes Hüb­n­er) so sou­verän, wie man es von ihm erwarten kann: „Als öster­re­ichis­ch­er Jour­nal­ist trete ich dafür ein, dass alle Geset­ze befol­gt wer­den.“ Karl Pfeifer gewin­nt in erster Instanz, ver­liert jedoch vor dem OLG – unfass­bar! – ein Urteil, das erst 2007 (!) vom EGMR aufge­hoben wird, Pfeifer wird vom Straßburg­er Gericht Schmerzens­geld und eine Aufwand­sentschädi­gung zuge­sprochen. Die öster­re­ichis­che Jus­tiz ver­weigert ihm nach­her, das Ver­fahren noch ein­mal neu aufzurollen.

Ich selb­st habe Karl Pfeifer per­sön­lich ken­nen­gel­ernt, als er kurz nach dem 11. Sep­tem­ber 2001 einen kri­tis­chen Artikel über eine von mir mod­erierte Ver­anstal­tung in ein­er Moschee im 2. Bezirk schrieb – seine Kri­tik war, dass da keine mus­lim­is­chen Frauen ein­ge­laden bzw. anwe­send gewe­sen seien, zumin­d­est keine mit Kopftuch.

An sach­lich­er Kri­tik und Gesprächen war ich immer inter­essiert, und so kam es zu einem Gespräch im Café Landt­mann. Seit damals hat sich eine schöne Fre­und­schaft entwick­elt. Im April 2014 kon­nte ich Karl Pfeifer ins Europa­parla­ment in Brüs­sel zur Präsen­ta­tion seines Buch­es „Ein­mal Palästi­na und zurück – ein jüdis­ch­er Lebensweg“ ein­laden – schon damals ging es ihm auch darum, poli­tis­che Par­al­le­len zwis­chen Ungarn 1938 und Ungarn 2014 aufzuzeigen.

2016 präsen­tierten Karl Öllinger und ich dann gemein­sam sein Buch „Immer wieder Ungarn – Nation­al­is­mus und Anti­semitismus in der ungarischen poli­tis­chen Kul­tur“ im öster­re­ichis­chen Par­la­ment. Dies war qua­si die Fort­set­zung der schon damals aktuellen Debat­te über die Aushöh­lung der Demokratie und die zunehmende Anti-EU-Hal­tung des Orban-Regimes. Hof­fen wir, dass die anste­hen­den Wahlen endlich die lang ersehnte Änderung bringen!

Das Engage­ment gegen Orbán und Fidesz in Ungarn eint uns. Schon zu Beginn der ersten ungarischen Rat­spräsi­dentschaft im Jän­ner 2011 kri­tisierte ich als Europa-Abge­ord­nete genau­so wie Karl Pfeifer den „Tri­anon-Tep­pich“ im Brüs­sel­er Rats­ge­bäude: Die Orbán-Regierung hat­te damals den Boden des Rats­ge­bäudes mit einem 202 Quadrat­meter großen „his­torischen Tep­pich“ gestal­tet. Eines der Motive war die Karte von Großun­garn, die die 1848 vom ungarischen Kön­i­gre­ich beherrscht­en Län­der zeigt, näm­lich die Slowakei, Kroa­t­ien, Teile Ser­bi­ens, Rumäniens und Öster­re­ichs. Im Rah­men des 1920 geschlosse­nen Tri­anon-Friedensver­trages ver­lor Ungarn all diese Teile. Mit diesem „his­torischen Tep­pich“ hat­te Orbán nach dem inter­na­tion­al kri­tisierten Medi­enge­setz und Son­der­s­teuern für aus­ländis­che Unternehmen einen näch­sten Kon­flik­t­punkt mit der EU her­auf­beschworen: Die Vision von Großun­garn (er machte kein Geheim­nis daraus, dass er danach strebte), der brandge­fährliche Nation­al­is­mus – jene Ide­olo­gie des Strebens nach Staatenge­bilden, die lediglich Men­schen ein­er eth­nis­chen Gruppe als zuge­hörig definieren. Dage­gen, wie auch gegen Anti­semitismus, hat Karl Pfeifer sein ganzes Leben lang angekämpft.

Nation­al­is­mus bewirkt genau das Gegen­teil dessen, wofür die Europäis­che Union seit Anbe­ginn ste­ht: Koop­er­a­tion statt Kon­fronta­tion, das ständi­ge Bemühen um ein für alle gedeih­lich­es Zusam­men­leben in und zwis­chen Staat­en, Gesellschaften und sozialen Gruppen.

Auch zu Beginn der schwarz-blauen Bun­desregierung 2000 machte Karl Pfeifer von sich reden: Bei ein­er Pressekon­ferenz von Schüs­sel und Haider fragte er Haider, ob er sich denn von jenen Leuten in sein­er Partei, die den „Holo­caust als Randthe­ma“ der Geschichte einord­nen, abn­abeln könne. Antwort erhielt er selb­stver­ständlich keine befriedigende.

Und einen gemein­samen Geg­n­er in Ungarn haben Karl Pfeifer und ich auch: Das immer noch promi­nente Fidesz-Mit­glied Zsolt Bay­er, ein Jour­nal­ist, der oft­mals mit Fäkalsprache gegen Juden und Jüdin­nen, Roma, Frauen (auch ich kann davon ein Lied sin­gen) zu Felde zieht.

2008 wur­den die „Lebenswege des Jour­nal­is­ten Karl Pfeifer“ in dem von Mary Kreutzer und Thomas Schmidinger gestal­teten Film „Zwis­chen allen Stühlen“ geehrt.

In ein­er Lau­da­tio für Karl Pfeifer darf auf keinen Fall seine Frau Dag­mar uner­wäh­nt bleiben: Sie hat­ten sich 1988 im Flugzeug von Sofia nach Budapest ken­nen gel­ernt. Die Frau Diplom-Inge­nieur aus der DDR imponierte Karl Pfeifer! Die Zunei­gung war gegen­seit­ig, wenige Tage vor dem Fall der Berlin­er Mauer erhielt sie 1989 ihre Aus­reisegenehmi­gung aus der DDR und die Zuwan­derungs­genehmi­gung nach Öster­re­ich und reiste nach Wien.

Auch ihr würde Ehren­ze­ichen gebühren, so viel Unter­stützung und gemein­sames Erleben an Seite eines Tausend­sas­sas! In jedem sein­er Büch­er dankt er ihr und hält fest, dass diese nicht ohne ihre Unter­stützung möglich gewe­sen wären.

Auch heute noch sind bei­de viel unter­wegs, z.B. an der Uni Pad­ua vor Kurzem – und das war bei­den gle­ich Anlass, das dort Gesehene/Gehörte weit­erzugeben – in dem Fall mir zu schreiben: „Heute haben wir die Uni Pado­va besichtigt, wo 1678 die erste Frau ihr Philoso­phi­es­tudi­um abschloss. Foto: Dag­mar im alten Archivsaal der Uni. In der während des Faschis­mus viele Juden aus Ungarn, Polen und Rumänien studierten. Viele ihrer Stu­den­ten waren Par­ti­sa­nen, daher erhielt diese Uni als einzige die gold­ene Tapfer­keitsmedaille der Repub­lik Italien.“

Das Bedürf­nis, Wis­sen weit­er zu geben, Erken­nt­nisse zu teilen, das gehört zu Karl – und Dag­mar – Pfeifers Wesen­szug. Karl Pfeifer hat jahrzehn­te­lang an Schulen aufgek­lärt über den Holo­caust und so Tausenden jun­gen Men­schen die Erken­nt­nis des „Nie Wieder“ mit­gegeben – auch heute immer noch und immer wieder wichtig. Faszinierend an Karl Pfeifer ist auch sein unglaublich­es Gedächt­nis, er kann Ereignisse, die er in seinem jet­zt schon so lan­gen Leben erlebt hat, mit ein­er Präzi­sion wiedergeben, die nicht nur mich immer wieder in Staunen versetzt.

Und seinen Opti­mis­mus hat er nie ver­loren, wie er selb­st sagt. Doch wie hat er das geschafft? Karl Pfeifer ist eine Kämpfer­natur, ein­er, der immer nach Auswe­gen und Lösun­gen sucht, nie in der aktuellen „Mis­ere“ steck­en bleiben will. Schließlich lebt er ja bis heute unter dem Mot­to: „Die schreck­liche Ver­gan­gen­heit kann nicht geän­dert wer­den, doch für die Gegen­wart tra­gen wir alle die Verantwortung.“

Und abschließend, da es heute ja um die Ver­lei­hung eines Ehren­ze­ichens geht, des zweit­en nach 2018, dem Gold­e­nen Ehren­ze­ichen der Repub­lik Öster­re­ich: Der Schrift­steller Györ­gy Dalos hat im Nach­wort zu „Ein­mal Palästi­na und zurück“ die berechtigte Frage gestellt: „Wieso würdigten niemals unser­er frei gewählten Herrschaften (in Ungarn, Anm. UL) die Ver­di­en­ste eines Karl Pfeifers und ander­er west­lich­er Fre­unde um die ungarische Demokratie?“ Wohl weil er immer unbe­quem war, immer nach­fragte, Zweifel und Kri­tik äußerte und immer alles genau wis­sen wollte.

1996 erschien Pfeifers erstes Buch: „Nicht immer ganz bequem …“ Alle, die Karl Pfeifer ken­nen und schätzen, wis­sen: Das stimmt. Ich möchte hinzufü­gen: Und das ist gut so!

Lieber Karl Pfeifer, her­zlichen Glück­wun­sch zur Ver­lei­hung des Gold­e­nen Ver­di­en­stze­ichens des Lan­des Wien!

Ulrike Lunacek
Langjährige Nation­al­rats- (1999–2009) und Europaab­ge­ord­nete (2009–2017) der öster­re­ichis­chen Grü­nen, Vizepräsi­dentin des Europa­parla­ments (2014–2017), Staatssekretärin für Kun­st und Kul­tur (1–5/2020)

Karl Pfeifer erhält vom Wiener Bürgermeister Michael Ludwig das Goldene Verdienstzeichen des Landes Wien (21.3.22)

Karl Pfeifer erhält vom Wiener Bürg­er­meis­ter Michael Lud­wig das Gold­ene Ver­di­en­stze­ichen des Lan­des Wien (21.3.22)