Ulrike Lunacek: Laudatio für Karl Pfeifer

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Lau­da­tio von Ulri­ke Lunacek für den Anti­fa­schis­ten Karl Pfei­fer zur Ver­lei­hung des Gol­de­nen Ver­dienst­zei­chens des Lan­des Wien am 21.3.2022.

S.g. Hr. Bür­ger­meis­ter, s.g. Ehren­gäs­te, lie­ber Karl und auch lie­be Dag­mar Pfeifer,

wofür wir Karl Pfei­fer heu­te ken­nen, und wofür er geehrt wird, begann er erst im schon rei­fen Alter von 51 Jah­ren, 1979: der streit­ba­re Jour­na­list, der „Seis­mo­graph“ gegen Anti­se­mi­tis­mus, wie ihn mein NR-Kol­le­ge Karl Öllin­ger bezeich­net hat, auch Seis­mo­graph gegen Ras­sis­mus; der Zeit­zeu­ge, der v.a. in Schu­len auf prä­gnan­te Wei­se jun­gen Men­schen die Gräu­el des Nazi-Regimes und die Not­wen­dig­keit von Zivil­cou­ra­ge zum Erhalt und zur Wei­ter­ent­wick­lung unse­rer Demo­kra­tie nahe­brach­te und bringt, auch mit sei­nen mitt­ler­wei­le beacht­li­chen 93(!) Jahren.

Es freut mich sehr, dass nach zwei Jah­ren Covid die Ver­lei­hung des Gol­de­nen Ver­dienst­zei­chens des Lan­des Wien jetzt end­lich, wenn auch in klei­nem Rah­men, statt­fin­den kann!

Gebo­ren wur­de Karl Pfei­fer am 22. August 1928 als Sohn unga­ri­scher Eltern in Baden bei Wien. 1938 flo­hen sie gemein­sam nach Buda­pest, wo er den „Noch gemüt­li­chen Anti­se­mi­tis­mus“ (Zitat aus sei­nem Buch „Ein­mal Paläs­ti­na und zurück“) ken­nen lern­te. 1940 kam er in Kon­takt mit der link­szio­nis­ti­schen Jugend­grup­pe Scho­mer Hazair, 1943 gelang ihm selbst auf aben­teu­er­li­che Wei­se die Flucht nach Paläs­ti­na – mit Aus­weis­pa­pie­ren unter fal­schem Namen schaff­te er es mit einer Grup­pe Jugend­li­cher über Rumä­ni­en, Bul­ga­ri­en, die Tür­kei und Bei­rut nach Hai­fa, wo er am 19.1.1943 ankam. 36 sei­ner Fami­li­en­an­ge­hö­ri­gen über­leb­ten die Shoa nicht. Er selbst leb­te in einem Kib­buz, schloss sich 1946 der Eli­te­trup­pe Pal­mach an und dien­te dann auch in der israe­li­schen Armee.

1951 kehr­te er nach Öster­reich zurück, doch will­kom­men war er hier nicht: Er woll­te aber sei­ne Iden­ti­tät wie­der, das heißt, sei­nen Pass mit sei­nem ursprüng­li­chen Namen. Die Staats­bür­ger­schaft erhielt er als gebo­re­ner Öster­rei­cher sofort zurück, doch eine Unter­stüt­zung durch den Staat wür­de dem „angeb­li­chen“ Karl Pfei­fer kei­ne zuste­hen, wur­de ihm beschie­den, denn gemäß dem Heim­keh­rer­ge­setz sei­en nur jene zu befür­sor­gen, die in der Wehr­macht oder der Waf­fen­SS gedient haben. Das war 1951, da lag das Ende des ver­bre­che­ri­schen Nazi-Regimes schon echs Jah­re zurück!

In Erman­ge­lung von staat­li­cher Unter­stüt­zung schlägt Karl Pfei­fer sich mit diver­sen Arbei­ten durch, wur­de als „Kom­mu­nist“ abge­stem­pelt, weil er laut sag­te, dass für sei­nen Geschmack „die Nazi viel zu viel zu sagen“ hät­ten – und wur­de zum Woh­nen ins Asyl der Stadt Wien in die Mel­de­mann­stra­ße im 20. Bezirk geschickt. Da es dort kei­nen Raum für den Tages­auf­ent­halt gab, „trieb ich mich den gan­zen Tag in den Stra­ßen und in den Infor­ma­ti­ons­zen­tren der Besat­zungs­mäch­te her­um“, wie er in „Immer wie­der Ungarn“ beschreibt. Im sowje­ti­schen Infor­ma­ti­ons­zen­trum las er gra­tis Zei­tun­gen wie die Volks­stim­me und die „öster­rei­chi­sche Zei­tung“, da las er „von den Nazis, die sich wie­der frech arti­ku­lier­ten“. Und es gab gra­tis sowje­ti­sche Fil­me, wes­we­gen er vie­le von ihnen anschau­te. Jedoch hat­te „ich mei­ne Zwei­fel, ob denn dort alles so blü­he, wie sie es schil­der­ten.“ (S. 18)

Er lern­te auch, dass man in Öster­reich „irgend­wo dazu­ge­hö­ren muß­te“ und dach­te, dass er nur so aus sei­ner „Mise­re“ her­aus­kom­men kön­ne. Also folg­te er der Ein­la­dung in einem Schrei­ben der KPÖ in deren Par­tei­lo­kal. Er wür­de zwar ger­ne bei­tre­ten wol­len, aber er sei Athe­ist – das sei kein Pro­blem, mein­te der Par­tei­se­kre­tär freund­lich, denn „wir Kom­mu­nis­ten sind alle Athe­is­ten“. Pfei­fer erzählt in „Immer wie­der Ungarn“ wei­ter: „Ich weiß nicht, wel­cher Teu­fel mich ritt, es war ja die sowje­ti­sche Zone und der Mann hät­te mich auch ver­schwin­den las­sen kön­nen, doch ich stell­te mei­ne Fra­ge: ‚über­all bei euch sehe ich das Bild von Sta­lin, ist der für Euch unfehl­bar, wie der Papst für die Katho­li­ken, oder ist er auch nur ein Mensch, der Feh­ler bege­hen kann?‘. Der Sekre­tär schrie mich an: ‚Pro­vo­ka­teur, marsch hin­aus‘! – und ich ging … ent­täuscht zurück in die Mel­de­mann­stra­ße. So wur­de ich nicht Kom­mu­nist, aber der Ruf – einer zu sein – ver­folg­te mich Jahrzehnte.“

Die­se Zwei­fel, das stän­di­ge Hin­ter­fra­gen, das Erken­nen von Schwach­stel­len, das ist Karl Pfei­fer, wie er leibt und lebt: Sein wacher Geist, geschult durch Unrecht und Unge­rech­tig­kei­ten, sen­si­bel für Unge­reimt­hei­ten hat ihn wohl sein Leben lang davon abge­hal­ten irgend­ei­ner Par­tei beizutreten.

Und weil er mit Ver­wand­ten in Buda­pest kor­re­spon­dier­te, und ihn eine Zim­mer­ver­mie­te­rin (er konn­te sich mitt­ler­wei­le von sei­nem Ver­dienst in einer Wein­kel­le­rei ein Unter­miet­zim­mer leis­ten) des­halb als „ame­ri­ka­ni­schen Spi­on“ anzeig­te, hat­te er jedoch Glück, wur­de recht­zei­tig gewarnt (der 2. Bezirk war sowje­ti­sche Zone) und ent­ging so einer mög­li­chen Verhaftung.

Er brauch­te einen Beruf, um in Öster­reich dau­er­haft leben zu kön­nen, und so begann er im Herbst 1952 in Bad Gas­tein sei­ne Aus­bil­dung an der Hotel­fach­schu­le. Die­se Aus­bil­dung – und die vie­len Spra­chen, die er schon sprach bzw. leicht erlern­te – eröff­ne­ten ihm die Mög­lich­keit des Rei­sens und Arbei­tens in ande­ren Län­dern, was er aus­gie­big tat – auch um dem omni­prä­sen­ten Anti­se­mi­tis­mus in Öster­reich immer wie­der zu ent­kom­men. In den 1950er Jah­ren brach­te er es vom Hotel­pa­gen im Park­ho­tel in Luga­no bis zum Emp­fangs­chef im Wie­ner Hotel Asto­ria. Dann zog es ihn – er hat­te im Asto­ria den Chef der neu­see­län­di­schen Ein­wan­de­rungs­be­hör­de ken­nen­ge­lernt und im Aus­tausch für einen Gefal­len im Hotel bat er ihn um ein Arbeits­vi­sum für Neu­see­land, was auch gelang: Von Ende 1957 bis 1959 arbei­te­te Karl Pfei­fer im Maga­zi­ne Hotel in Wellington.

Ab 1959 war er wie­der zwei Jah­re in Wien, dann 61–62 in Schwe­den als Ver­käu­fer von Regis­trier­kas­sen. Schließ­lich wech­sel­te er ganz das Metier: Er bewarb sich als stv. Direk­tor einer Bow­ling­bahn im Wie­ner Pra­ter – bekam den Job, und weil der Chef bald danach frist­los ent­las­sen wur­de, wur­de er ganz rasch selbst Direk­tor. 1969–71 kam eine Zeit bei Wagons Lits, danach – eine Anzei­ge in der Frank­fur­ter All­ge­mei­nen brach­te ihn auf die Idee – das Hotel Hil­ton in Brüs­sel! Er wur­de inkl. Flug­ti­cket nach Brüs­sel zum Gespräch ein­ge­la­den, es wur­de dann zwar Lon­don draus, aber auch nicht schlecht …

Erst 1955 durf­te er nach Ungarn ein­rei­sen, um eini­ge weni­ge Ver­wand­te, die die Sho­ah über­lebt hat­ten, zu besu­chen – nach der Revo­lu­ti­on 1956 war ihm das, wie vie­len ande­ren, bis 1962 ver­wehrt. Doch danach, zwi­schen 1962 und 1979, fuhr er sehr oft und auch sehr ger­ne nach Ungarn, und freu­te sich über den regen Aus­tausch mit Intel­lek­tu­el­len, Künst­le­rin­nen und Künst­lern, die meis­ten Dis­si­den­ten, u.a. nach­dem sie 1968 öffent­lich die sowje­ti­sche Besat­zung der CSSR im August 1968 ver­ur­teilt hatten.

1979 war dann das Jahr, das das Leben unse­res Geehr­ten wie­der ent­schei­dend ver­än­dern soll­te: Er erzähl­te dem dama­li­gen stv. Chef­re­dak­teur der Arbei­ter­zei­tung, Georg Hoff­mann-Osten­hof, eini­ge der inter­es­san­ten Geschich­ten, die er in Ungarn gehört hat­te. Und Hoff­man-Osten­hof frag­te ihn: „Hast du eine Schreib­ma­schi­ne?“ Karl Pfei­fer frag­te „War­um?“ und bekam zur Ant­wort: „Schreib es auf!“ Karl Pfei­fer frag­te zurück: „Wozu?“ „Weil wir Dei­nen Arti­kel ver­öf­fent­li­chen wer­den.“ So kam es dann auch: Unter dem Pseud­onym Peter Kor­o­ly begann er regel­mä­ßig für die AZ über Ungarn zu schrei­ben, das war der Beginn sei­ner beacht­li­chen jour­na­lis­ti­schen Kar­rie­re, mit 51 Jah­ren, bis heu­te. Er schrieb über „Ewig­keits­woh­nun­gen für die Sowjet­trup­pe“, über „Eisen­rin­ge aus Holz“ – er hielt mit Kri­tik an den wid­ri­gen sozia­len Umstän­den, aber auch an Kor­rup­ti­on und Nepo­tis­mus, sowie an der Dis­kri­mi­nie­rung von Roma in Ungarn nicht hin­ter dem Berg. Und der ging fälsch­li­cher­wei­se von der Annah­me aus, dass der unga­ri­sche Geheim­dienst nicht drauf­kom­men wür­de, wer hin­ter dem Pseud­onym steckte.

So kam es, dass er in den nächs­ten Jah­ren unter faden­schei­ni­gen Vor­wür­fen vier­mal aus Ungarn aus­ge­wie­sen wur­de, auch ein Ein­rei­se­ver­bot hat­te er für eini­ge Zeit. Ein­mal wur­de ihm vor­ge­wor­fen, er wol­le den „Anti­se­mi­tis­mus aus Öster­reich nach Ungarn impor­tie­ren“. Heu­te fährt er kaum mehr nach Ungarn, doch kri­tisch ist er wei­ter­hin geblie­ben. Wür­de uns ja wun­dern, wenn dem nicht so wäre …

Von 1982–1995 war Karl Pfei­fer Redak­teur der „Gemein­de“, des offi­zi­el­len Organs der Israe­li­ti­schen Kul­tus­ge­mein­de Wien. 1995 kri­ti­sier­te er dar­in einen von Anti­se­mi­tis­mus und Pro-Nazis­mus strot­zen­den Arti­kel des schon damals umstrit­te­nen Poli­tik­wis­sen­schaf­ters Wer­ner Pfei­fen­ber­ger im Jahr­buch des FPÖ-Bil­dungs­werks. Pfei­fer bezeich­ne­te die­sen Bei­trag u.a. als „Nazi-Mär von der jüdi­schen Weltverschwörung“.

Karl Pfeifer über Werner Pfeifenberger in "Die Gemeinde"

Karl Pfei­fer über Wer­ner Pfei­fen­ber­ger in „Die Gemeinde”

Pfei­fen­ber­ger klag­te gegen Pfei­fer, ver­lor jedoch, Pfei­fer wur­de sowohl am Han­dels- wie am Lan­des­ge­richt für Straf­sa­chen frei­ge­spro­chen: Sei­ne Kri­tik sei nicht nur „zuläs­sig“, son­dern auch „wahr“ gewe­sen. 2000 will die Staats­an­walt­schaft Wien dann Pfei­fen­ber­ger wegen Wie­der­be­tä­ti­gung ankla­gen. Die­ser stirbt in den Alpen, Rechts­extre­me spre­chen von Sui­zid, eine unfass­ba­re Het­ze gegen Karl Pfei­fer beginnt, in „Zur Zeit“ wird ihm vor­ge­wor­fen, eine Men­schen­hatz auf Pfei­fen­ber­ger begon­nen zu haben, die „in der Fol­ge bis zum Tod des Gehetz­ten gehen soll­te“ (Zur Zeit).

"Zur Zeit" bezeichnet Karl Pfeifer und andere als "Jagdgesellschaft"

„Zur Zeit” bezeich­net Karl Pfei­fer und ande­re als „Jagd­ge­sell­schaft”

Dies­mal reicht es Karl Pfei­fer, und er klagt selbst. Im Ver­fah­ren ant­wor­tet er auf eine als Vor­wurf getarn­te Fra­ge des Anwalts (es war übri­gens der lang­jäh­ri­ge FPÖ-Abge­ord­ne­te Johan­nes Hüb­ner) so sou­ve­rän, wie man es von ihm erwar­ten kann: „Als öster­rei­chi­scher Jour­na­list tre­te ich dafür ein, dass alle Geset­ze befolgt wer­den.“ Karl Pfei­fer gewinnt in ers­ter Instanz, ver­liert jedoch vor dem OLG – unfass­bar! – ein Urteil, das erst 2007 (!) vom EGMR auf­ge­ho­ben wird, Pfei­fer wird vom Straß­bur­ger Gericht Schmer­zens­geld und eine Auf­wands­ent­schä­di­gung zuge­spro­chen. Die öster­rei­chi­sche Jus­tiz ver­wei­gert ihm nach­her, das Ver­fah­ren noch ein­mal neu aufzurollen.

Ich selbst habe Karl Pfei­fer per­sön­lich ken­nen­ge­lernt, als er kurz nach dem 11. Sep­tem­ber 2001 einen kri­ti­schen Arti­kel über eine von mir mode­rier­te Ver­an­stal­tung in einer Moschee im 2. Bezirk schrieb – sei­ne Kri­tik war, dass da kei­ne mus­li­mi­schen Frau­en ein­ge­la­den bzw. anwe­send gewe­sen sei­en, zumin­dest kei­ne mit Kopftuch.

An sach­li­cher Kri­tik und Gesprä­chen war ich immer inter­es­siert, und so kam es zu einem Gespräch im Café Landt­mann. Seit damals hat sich eine schö­ne Freund­schaft ent­wi­ckelt. Im April 2014 konn­te ich Karl Pfei­fer ins Euro­pa­par­la­ment in Brüs­sel zur Prä­sen­ta­ti­on sei­nes Buches „Ein­mal Paläs­ti­na und zurück – ein jüdi­scher Lebens­weg“ ein­la­den – schon damals ging es ihm auch dar­um, poli­ti­sche Par­al­le­len zwi­schen Ungarn 1938 und Ungarn 2014 aufzuzeigen.

2016 prä­sen­tier­ten Karl Öllin­ger und ich dann gemein­sam sein Buch „Immer wie­der Ungarn – Natio­na­lis­mus und Anti­se­mi­tis­mus in der unga­ri­schen poli­ti­schen Kul­tur“ im öster­rei­chi­schen Par­la­ment. Dies war qua­si die Fort­set­zung der schon damals aktu­el­len Debat­te über die Aus­höh­lung der Demo­kra­tie und die zuneh­men­de Anti-EU-Hal­tung des Orban-Regimes. Hof­fen wir, dass die anste­hen­den Wah­len end­lich die lang ersehn­te Ände­rung bringen!

Das Enga­ge­ment gegen Orbán und Fidesz in Ungarn eint uns. Schon zu Beginn der ers­ten unga­ri­schen Rats­prä­si­dent­schaft im Jän­ner 2011 kri­ti­sier­te ich als Euro­pa-Abge­ord­ne­te genau­so wie Karl Pfei­fer den „Tria­non-Tep­pich“ im Brüs­se­ler Rats­ge­bäu­de: Die Orbán-Regie­rung hat­te damals den Boden des Rats­ge­bäu­des mit einem 202 Qua­drat­me­ter gro­ßen „his­to­ri­schen Tep­pich“ gestal­tet. Eines der Moti­ve war die Kar­te von Großun­garn, die die 1848 vom unga­ri­schen König­reich beherrsch­ten Län­der zeigt, näm­lich die Slo­wa­kei, Kroa­ti­en, Tei­le Ser­bi­ens, Rumä­ni­ens und Öster­reichs. Im Rah­men des 1920 geschlos­se­nen Tria­non-Frie­dens­ver­tra­ges ver­lor Ungarn all die­se Tei­le. Mit die­sem „his­to­ri­schen Tep­pich“ hat­te Orbán nach dem inter­na­tio­nal kri­ti­sier­ten Medi­en­ge­setz und Son­der­steu­ern für aus­län­di­sche Unter­neh­men einen nächs­ten Kon­flikt­punkt mit der EU her­auf­be­schwo­ren: Die Visi­on von Großun­garn (er mach­te kein Geheim­nis dar­aus, dass er danach streb­te), der brand­ge­fähr­li­che Natio­na­lis­mus – jene Ideo­lo­gie des Stre­bens nach Staa­ten­ge­bil­den, die ledig­lich Men­schen einer eth­ni­schen Grup­pe als zuge­hö­rig defi­nie­ren. Dage­gen, wie auch gegen Anti­se­mi­tis­mus, hat Karl Pfei­fer sein gan­zes Leben lang angekämpft.

Natio­na­lis­mus bewirkt genau das Gegen­teil des­sen, wofür die Euro­päi­sche Uni­on seit Anbe­ginn steht: Koope­ra­ti­on statt Kon­fron­ta­ti­on, das stän­di­ge Bemü­hen um ein für alle gedeih­li­ches Zusam­men­le­ben in und zwi­schen Staa­ten, Gesell­schaf­ten und sozia­len Gruppen.

Auch zu Beginn der schwarz-blau­en Bun­des­re­gie­rung 2000 mach­te Karl Pfei­fer von sich reden: Bei einer Pres­se­kon­fe­renz von Schüs­sel und Hai­der frag­te er Hai­der, ob er sich denn von jenen Leu­ten in sei­ner Par­tei, die den „Holo­caust als Rand­the­ma“ der Geschich­te ein­ord­nen, abna­beln kön­ne. Ant­wort erhielt er selbst­ver­ständ­lich kei­ne befriedigende.

Und einen gemein­sa­men Geg­ner in Ungarn haben Karl Pfei­fer und ich auch: Das immer noch pro­mi­nen­te Fidesz-Mit­glied Zsolt Bay­er, ein Jour­na­list, der oft­mals mit Fäkal­spra­che gegen Juden und Jüdin­nen, Roma, Frau­en (auch ich kann davon ein Lied sin­gen) zu Fel­de zieht.

2008 wur­den die „Lebens­we­ge des Jour­na­lis­ten Karl Pfei­fer“ in dem von Mary Kreut­zer und Tho­mas Schmi­din­ger gestal­te­ten Film „Zwi­schen allen Stüh­len“ geehrt.

In einer Lau­da­tio für Karl Pfei­fer darf auf kei­nen Fall sei­ne Frau Dag­mar uner­wähnt blei­ben: Sie hat­ten sich 1988 im Flug­zeug von Sofia nach Buda­pest ken­nen gelernt. Die Frau Diplom-Inge­nieur aus der DDR impo­nier­te Karl Pfei­fer! Die Zunei­gung war gegen­sei­tig, weni­ge Tage vor dem Fall der Ber­li­ner Mau­er erhielt sie 1989 ihre Aus­rei­se­ge­neh­mi­gung aus der DDR und die Zuwan­de­rungs­ge­neh­mi­gung nach Öster­reich und reis­te nach Wien.

Auch ihr wür­de Ehren­zei­chen gebüh­ren, so viel Unter­stüt­zung und gemein­sa­mes Erle­ben an Sei­te eines Tau­send­sas­sas! In jedem sei­ner Bücher dankt er ihr und hält fest, dass die­se nicht ohne ihre Unter­stüt­zung mög­lich gewe­sen wären.

Auch heu­te noch sind bei­de viel unter­wegs, z.B. an der Uni Padua vor Kur­zem – und das war bei­den gleich Anlass, das dort Gesehene/Gehörte wei­ter­zu­ge­ben – in dem Fall mir zu schrei­ben: „Heu­te haben wir die Uni Pado­va besich­tigt, wo 1678 die ers­te Frau ihr Phi­lo­so­phie­stu­di­um abschloss. Foto: Dag­mar im alten Archiv­saal der Uni. In der wäh­rend des Faschis­mus vie­le Juden aus Ungarn, Polen und Rumä­ni­en stu­dier­ten. Vie­le ihrer Stu­den­ten waren Par­ti­sa­nen, daher erhielt die­se Uni als ein­zi­ge die gol­de­ne Tap­fer­keits­me­dail­le der Repu­blik Italien.“

Das Bedürf­nis, Wis­sen wei­ter zu geben, Erkennt­nis­se zu tei­len, das gehört zu Karl – und Dag­mar – Pfei­fers Wesens­zug. Karl Pfei­fer hat jahr­zehn­te­lang an Schu­len auf­ge­klärt über den Holo­caust und so Tau­sen­den jun­gen Men­schen die Erkennt­nis des „Nie Wie­der“ mit­ge­ge­ben – auch heu­te immer noch und immer wie­der wich­tig. Fas­zi­nie­rend an Karl Pfei­fer ist auch sein unglaub­li­ches Gedächt­nis, er kann Ereig­nis­se, die er in sei­nem jetzt schon so lan­gen Leben erlebt hat, mit einer Prä­zi­si­on wie­der­ge­ben, die nicht nur mich immer wie­der in Stau­nen versetzt.

Und sei­nen Opti­mis­mus hat er nie ver­lo­ren, wie er selbst sagt. Doch wie hat er das geschafft? Karl Pfei­fer ist eine Kämp­fer­na­tur, einer, der immer nach Aus­we­gen und Lösun­gen sucht, nie in der aktu­el­len „Mise­re“ ste­cken blei­ben will. Schließ­lich lebt er ja bis heu­te unter dem Mot­to: „Die schreck­li­che Ver­gan­gen­heit kann nicht geän­dert wer­den, doch für die Gegen­wart tra­gen wir alle die Verantwortung.“

Und abschlie­ßend, da es heu­te ja um die Ver­lei­hung eines Ehren­zei­chens geht, des zwei­ten nach 2018, dem Gol­de­nen Ehren­zei­chen der Repu­blik Öster­reich: Der Schrift­stel­ler Györ­gy Dalos hat im Nach­wort zu „Ein­mal Paläs­ti­na und zurück“ die berech­tig­te Fra­ge gestellt: „Wie­so wür­dig­ten nie­mals unse­rer frei gewähl­ten Herr­schaf­ten (in Ungarn, Anm. UL) die Ver­diens­te eines Karl Pfei­fers und ande­rer west­li­cher Freun­de um die unga­ri­sche Demo­kra­tie?“ Wohl weil er immer unbe­quem war, immer nach­frag­te, Zwei­fel und Kri­tik äußer­te und immer alles genau wis­sen wollte.

1996 erschien Pfei­fers ers­tes Buch: „Nicht immer ganz bequem …“ Alle, die Karl Pfei­fer ken­nen und schät­zen, wis­sen: Das stimmt. Ich möch­te hin­zu­fü­gen: Und das ist gut so!

Lie­ber Karl Pfei­fer, herz­li­chen Glück­wunsch zur Ver­lei­hung des Gol­de­nen Ver­dienst­zei­chens des Lan­des Wien!

Ulri­ke Lunacek
Lang­jäh­ri­ge Natio­nal­rats- (1999–2009) und Euro­pa­ab­ge­ord­ne­te (2009–2017) der öster­rei­chi­schen Grü­nen, Vize­prä­si­den­tin des Euro­pa­par­la­ments (2014–2017), Staats­se­kre­tä­rin für Kunst und Kul­tur (1–5/2020)

Karl Pfeifer erhält vom Wiener Bürgermeister Michael Ludwig das Goldene Verdienstzeichen des Landes Wien (21.3.22)

Karl Pfei­fer erhält vom Wie­ner Bür­ger­meis­ter Micha­el Lud­wig das Gol­de­ne Ver­dienst­zei­chen des Lan­des Wien (21.3.22)