Es ist ein außerordentlich selbstbewusster Angriff, den die FPÖ mit ihrer „Herbstoffensive gegen Linksextremismus“ seit 6. September offen ausführt: aggressiv, um keine Verdrehung und Falschbehauptung verlegen und ganz direkt gegen Journalist*innen und Wissenschaftler*innen gerichtet. Der offenkundige Hintergrund dieses Sturmlaufens: Seit Juli steht fest, dass das Dokumentationsarchiv des öst. Widerstandes (DÖW) die Vergabe zur Erstellung eines jährlichen Rechtsextremismusberichts erhalten hat. Die FPÖ schäumt ob dieser Beauftragung einer unabhängigen und kritischen Institution, die seit Jahren begrifflich transparent und wissenschaftlich fundiert an der Analyse des österreichischen Rechtsextremismus arbeitet. Die breit angelegte Diffamierungs- und Einschüchterungskampagne hat allerdings bereits vor der Verkündigung der „Herbstoffensive“ im neofaschistischen Vorfeld der Partei begonnen.
„Terror von links“ in „Freilich“
„Freilich“, das stark „neurechts“ orientierte Nachfolgemagazin der „Aula“, veröffentlichte im August eine Ausgabe mit dem Titel: „,Terror von links‘ – Wie gefährlich ist die linke Szene wirklich?“ (1). Darin wird von rechtsextremen Szene-Akteuren das Gespenst einer Bedrohung durch Antifaschismus aufgebaut.
„Freilich“-Chefredakteur und Identitären-Aktivist Stefan Juritz – seinerseits 2007 noch gemeinsam mit Gottfried Küssel beim „Sommercamp“ des neonazistischen BfJ – sieht eine „neue Terrorwelle“ von links am Horizont. Er raunt verschwörungsfantastisch, hinter dem „neuen linken Terror“ stehe „eine international gut vernetzte Szene“, die sich „der ideologischen sowie finanziellen Unterstützung bürgerlicher Milieus sicher sein“ (S. 27) könne.
Mehrere „neurechte“ Szenen-Schreiber dürfen zum Problem Stellung nehmen. Unter ihnen etwa der sächsische „Antaios“-Autor und Ex-Neonazi Benedikt Kaiser oder auch der Wiener Identitären-Ideologe und gleichfalls „Antaios“-Autor Martin Semlitsch „Lichtmesz“. Letzterer betreibt in einem kurzen Spott-Text, was inzwischen zum FPÖ-Kampagnen-Jargon geworden ist: Er diffamiert eine anerkannte Expertin, in diesem Fall die Politikwissenschaftlerin und Suhrkamp-Autorin Natascha Strobl, indem er alles, was auf ihre seriöse Position verweist, unter Anführungsstriche setzt. Es ist dann etwa von „einer ‚Politologin‘ und ‚Expertin für Rechtsextremismus‘“ (S. 107) die Rede. Dazu behauptet Semlitsch, der anders als etwa Strobl kein Studium zustande gebracht hat, dass sie in „einer hysterischen Fantasiewelt“ lebe und sie aus einem „links-linksextremen, antifa-aktivistischen Blickwinkel“ (ebd.) schreibe. Die letztere dümmliche Formulierung nimmt den Sound der Kampagne vorweg, den auch FPÖ-Generalsekretär Christian Hafenecker im „Freilich“-Interview bereits einüben darf. Dieser Sound besteht darin, jene Begriffe, die zur Feindmarkierung verwendet werden, völlig undifferenziert und affektgeladen anzuwenden („links-linksextrem“). Die Bassline ist: Alles jenseits von Blau ist irgendwie links, deklarierter Antifaschismus ist „linksextrem“ oder „linksradikal“ oder auch „kommunistisch“.
Hafenecker diffamiert hier bereits das DÖW mit gezielten Unwahrheiten, die in verschwörungsideologischem Gewand daherkommen – er geht sogar so weit, in den Raum zu stellen, dass auch die Polizei „selbst schon von diesen brandgefährlichen Typen unterwandert“ (S. 65) sein könnte. Zudem führt er eine Phrase an, die im blau-braunen Mediensumpf seit Jahren verbreitet ist und gerne zur Diffamierung angewendet wird: Demnach dürfe das DÖW „gerichtlich bestätigt als kommunistische Tarnorganisation bezeichnet werden“ (S. 64). Eine infame Formulierung, deren Mixtur aus Antikommunismus und Verschwörungswahn an NS-Jargon erinnert und zudem blanker Humbug ist, denn es geht bei dieser Bezugnahme lediglich um eine Berufungsentscheidung des Oberlandesgerichts Wien aus dem Jahr 1998, laut der einzelne Passagen eines rufschädigenden Textes von „Aula“-Autor Friedrich Romig als straffrei bleibende Werturteile qualifiziert wurden – Romig wurde allerdings wegen übler Nachrede rechtskräftig zu einer bedingten Geldstrafe verurteilt.
Hafenecker nimmt in dem Interview zudem bereits sein Vorgehen vorweg: Der erste Schritt müsse sein, die Akteur*innen „vor den Vorhang zu holen“. Das habe er sich als Schwerpunkt seiner „politischen Arbeit für die nächste Zeit vorgenommen“. Als „hervorragende Basis“ dafür betont er die Publikation „Die Rechtsextremismus-Macher“ (2022) aus dem rechtsextremen Hause „Freilich“. Zu allen feindlich markierten Antifaschist*innen will Hafenecker „parlamentarische Anfragen einbringen, um aufzuzeigen, woher das Geld kommt und wo die Kontaktpersonen in den Ministerien sitzen“. Dabei baue er „auf die Kraft der alternativen Medienszene“ (S. 65), was eine schöngefärbte Formulierung für eine Kooperation mit dem außerparlamentarischen Rechtsextremismus ist.
Kurz nach Erscheinen des „Freilich“-Heftes schaltete FPÖ-TV jenes ästhetisch und inhaltlich glasklar neofaschistisch positioniertes Video der „Freiheitlichen Jugend“, in dem ebenfalls bereits prominente Antifaschist*innen und Journalist*innen als Feinde markiert werden.
Ein Hetzpamphlet als parlamentarische Anfrage
Am 6. September verkündeten Generalsekretär Hafenecker und die FPÖ-Klubobmann-Stellvertreterin Susanne Fürst im Rahmen einer Pressekonferenz den Beginn ihrer „Herbstoffensive gegen Linksextremismus“. Einen Tag davor brachten sie die erste der angekündigten parlamentarischen Anfragen unter dem Titel „Finanzierung linksextremer Aktivitäten – Teil 1: DÖW und FIPU“ ein.
Bei der Anfrage handelt es sich um ein Pamphlet, das die Wissenschaftler*innen des DÖW und der Forschungsgruppe Ideologien und Politiken der Ungleichheit (FIPU) (2) ganz offen mit „Linksextremismus“, Gewaltbereitschaft, „demokratiezersetzende[r] Ideologie“ und einer gezielten Unterwanderung von Medien, Wissenschaft und Verfassungsschutz-Behörden assoziiert. Laut Hafenecker bei der Pressekonferenz umfasse die freiheitliche Extremismusdefinition Gewalttätigkeit und das Ziel eines Umsturzes des Staates. Somit bezeichnet die FPÖ, offiziell und von oberster Stelle verkündet, das DÖW indirekt als umstürzlerisch, gewalttätig und unterwandernd.
Das DÖW, 1963 gegründet von Verfolgten des NS-Regimes und Widerstandskämpfer*innen, kann sich diese infamen Zuschreibungen im Jahr 2023 von jener Partei anhören, die von Nazis und SS-Schergen gegründet wurde und die das ideologische Erbe des Nationalsozialismus – nämlich Antisemitismus, Rassismus, völkischen Einheits- und Führerkult – in der Nachkriegsdemokratie weitertradiert hat und bis in die Gegenwart fortschreibt, was alleine schon an den nicht mehr zählbaren „Einzelfällen“ ersichtlich ist. Die Zeithistorikerin Margit Reiter hat diese Kontinuität kürzlich in einem lesenswerten „Standard“-Kommentar beschrieben und hinsichtlich der enthemmten Kickl-FPÖ aktualisiert.
Der Anwurf, das DÖW würde für ein „Klima der Gesinnungs- und Meinungsunterdrückung“ sorgen, ist vor dem Hintergrund, dass er aus der Richtung einer sich unverhohlen als Orbán-Fan- und Putin-Adorantenclub positionierten Partei kommt, die in Österreich eine illiberale Wende anstrebt, eine an Absurdität kaum überbietbare Täter-Opfer-Umkehr.
Unter den vielen lancierten Unwahrheiten der Kampagne findet sich wiederholt die Behauptung, das DÖW würde mit der Beauftragung für den Rechtsextremismusbericht geheimdienstliche Informationen erhalten – auch das ist freilich völlig haltlos, wie die Institution selbst in einer Stellungnahme betont. Zu den rhetorischen Griffen der rechtsextremen Abwertungs- und Diffamierungsstrategie gehört außerdem, vom DÖW ständig als „privatem Verein“ zu sprechen. Bei diesem Framing wird freilich bewusst unterschlagen, dass das DÖW auch aus einer Stiftung besteht, die von der Republik Österreich, der Stadt Wien und dem Verein Dokumentationsarchiv getragen und finanziert wird.
Der Anfragetext unterscheidet sich in puncto Niveaulosigkeit um nichts von dem Hafenecker-Interview, arbeitet ausschließlich mit pejorativen Zuschreibungen und Falschbehauptungen und führt zudem auch rechtsextreme Quellen wie den identitären „Heimatkurier“ als Beleg an. Rechtsextremisten zitieren also Rechtsextremisten, um ihre kruden Behauptungen zu untermauern.
Projektionen
Während in der Anfrage anerkannte Wissenschaftler*innen stets nur in Anführungszeichen „Experten“ oder „wissenschaftliche Mitarbeiterinnen“ genannt werden, setzt Hafenecker die zentralen Propagandaslogans der identitären Bewegung als Tatsachenbehauptungen und ohne Anführungsstriche: etwa wenn von „der patriotischen Demonstration für Remigration und gegen den fortgesetzten Bevölkerungsaustausch durch illegale Massenzuwanderung“ die Rede ist.
Spätestens hier tritt zutage, in welchem Ausmaß es sich bei den Anwürfen um Projektionen handelt: Denn die „neurechten“ Neofaschisten wollen ja deklarierterweise die medialen und universitären Diskurse unterwandern (Stichwort: „Metapolitik“), ihre Ideologie impliziert tatsächlich massive Gewaltanwendung (Stichwort: „Remigration“), und sie wollen die liberale Demokratie tatsächlich in ein illiberal-völkisches Regime transformieren (Stichwort: Vorbild Orbán).
Fortgesetzte Stimmungsmache via FPÖ-TV
Seit Beginn der „Offensive“ legt die Partei via FPÖ-TV nach. So z.B. in einem etwa sechsminütigen Video (8.9.23) mit dem Titel „Linksextremismus vor den Vorhang holen: FPÖ startet Offensive!“. Es ist mit einem bedrohlich wirkenden Rot-Filter unterlegt und startet mit der lächerlichen Unwahrheit, dass der „Linksextremismus“ „in Österreich immense Dimensionen“ annehme. Der DÖW-Wissenschaftler Bernhard Weidinger, dessen 600-seitige Dissertation ein Standardwerk zum Thema Burschenschaften in Österreich ist, wird als bedrohliche schwarze Silhouette vorgeführt und als „Pseudo-Experte“ bezeichnet.
Die Behauptung des „Pseudowissenschaftlichen“ durchzieht sämtliche Anwürfe der Kampagne. Sie ist besonders grotesk, denn die FPÖ bedient sich keiner wissenschaftlichen Methoden oder auch nur wissenschaftlich fundierter Begriffe. Also auch hier eine simple Projektion: Das eigene Defizit wird im feindlich markierten anderen Lager attackiert.
Präventives Relativieren
Zu den größten Unstimmigkeiten dieser rhetorischen Strategie zählt, dass die anvisierten Akteur*innen allesamt in einem wissenschaftlichen und/oder aktivistischen Sinn tatsächlich ausschließlich als „Antifaschist*innen“ agieren, es ihnen also um eine Analyse und Kritik der extremen Rechten geht, ohne dabei ein linkes Alternativprogramm vorzuschlagen. Genau das muss die Diffamierungskampagne aber behaupten. Die Feindmarkierungsstrategie tut so, als könne „Rechtsextremismus“ kein Analysegegenstand sein, ohne dass sich dahinter eine linke Agenda verbergen würde. Somit kann jede Kritik als „kommunistisch“ denunziert und im Rahmen eines Die-gegen-uns-Schemas relativiert werden.
Bei dem verwirrend aufgeblasenen FPÖ-Geschwurbel sollte eines im Fokus behalten werden: Jene Partei, die von Nazi-Schergen gegründet wurde, attackiert mit dem DÖW eine Institution, die von deren ehemaligen Opfern gegründet wurde – und zudem bis heute der zentrale Ort für wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus in Österreich und damit tragend ist für die Umsetzung des Artikels 9 aus dem österreichischen Staatsvertrag, in dem es u.a. heißt:
Österreich wird auch die Bemühungen fortsetzen, aus dem österreichischen politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben alle Spuren des Nazimus zu entfernen, um zu gewährleisten, daß die obgenannten Organisationen nicht in irgendeiner Form wieder ins Leben gerufen werden, und um alle nazistische oder militaristische Tätigkeit und Propaganda in Österreich zu verhindern.
Fußnoten
1 Alle folgenden Zitate in dem Abschnitt stammen aus der „Freilich“-Ausgabe 23/2023.
2 „FIPU“ ist ein Zusammenschluss von Wissenschaftler*innen, der die inzwischen vierteilige empfehlenswerte Buchreihe „Rechtsextremismus“ im Mandelbaumverlag herausgibt.