Seine politische Laufbahn hat Martin Rutter 2009 bei den Grünen in Kärnten begonnen. Dort hielt es ihn nicht lange und er wechselte 2012 ziemlich unvermittelt, aber erfolgversprechend zum Kärntner Team Stronach, zog mit diesem – schwuppdiwupp – noch 2013 als Abgeordneter in den Landtag ein, trug die Abspaltung des Team Kärnten und seinen Sitz im Landtag mit, bis er dort 2017 endlich wegen seines Auftritts beim rechtsextremen Ulrichsbergtreffen ausgeschlossen wurde.
Nächste Station für Rutter war dann das BZÖ Kärnten, das bundesweit schon in den letzten Zügen lag, in Kärnten aber mit einer Positionierung rechts von der FPÖ zu überleben versuchte. Knapp vor dem Schlusspfiff wollte die Partei mit der Verkleidung „Allianz der Patrioten“ und dem Spitzenkandidaten Martin Rutter bei der Nationalratswahl 2019 noch einmal durchstarten. Das Ergebnis waren 0 Prozent, genauer 0,02 Prozent der Stimmen. Rutters Spezialwahlkampf gegen das temporäre Kunstprojekt Wald im Wörthersee-Stadion zog ebenso wenig wie die anderen Themen: Raus aus der EU, Nein zu 5G, Ja zu Massenabschiebungen.
Viel Antisemitismus
Schon vor dem Wahlkampf, aber auch während und danach immer wieder antisemitische Spitzen, zumeist verdeckt, manchmal auch offen, fast immer gegen Soros, der von ihm als „Jude“ apostrophiert wird, als „Sprecher“ oder „Propagandagesicht“ der „Globalisten“, „Hintermann“ der Migration oder Gesicht der „Plutokraten“. Als Johann Gudenus wild gegen Soros kampagnisiert, lobt ihn Rutter und spricht ihm Mut zu:
Gratuliere…Endlich wagt es die FPÖ! Dass diese Position überhaupt möglich wurde haben VIELE gerudert [sollte wohl heißen: gewundert, Anmk. SdR], viele die NICHT eurer Partei angehör(t)en weil sie selbst denken… Dennoch ein positives Zeichen. Wann sprecht ihr die — auch nachweisliche- dahinter liegenden EU AGENDA an?
Dauert wahrscheinlich noch… Bis dass in Umfragen nachweislich halbwegs im Bereich 20–30%der Menschen wissen, auch ok. Aber dennoch, die Dämme der Mainstream Meinung brechen (25.4.18 auf der mittlerweile gelöschten FB-Seite von Johann Gudenus)
Ganz klar antisemitisch ist seine Verschwörungserzählung von den „wurzellosen globalistischen Kreaturen“ (1), die Börsencrash und Migration vermutlich in einem planen würden. Damals ahnte Rutter noch nichts von der Pandemie, die für ihn – eh klar! – eine „Plandemie“ ist, hinter der – natürlich! – Soros und Gates mit einem „Großen Plan“ stehen.
Systemkritik oder Nazi-Jargon?
Seine Facebook-Seite hat die Adresse „fb.com/Systemkritik“. Das muss noch nichts heißen, klingt einigermaßen neutral. Systemkritik ist legitim, geradezu essentiell für eine Demokratie, Wenn es aber auf der FB-Seite des Martin Rutter nur so wimmelt von „Systemmedien“, „Systempolitikern“, „Politverbrechern“, „Volksverrätern“, „Lügenpresse“ und „Systempresse“, dann handelt es sich um Nazi-Jargon. Besonders deutlich wird das bei einem Rutter-Posting vom 14. April 2020, wo er unter dem Motto „Kenne Deine Parasiten“ Zecken und Blutegel mit Banken und Politikern vergleicht. (2)
Verschwörungserzählungen und Fake-News
Was einem mit einfachen Englisch-Kenntnissen ausgestatteten Menschen auch ohne Google-Recherche ins Auge stechen würde, stellt für Rutter anscheinend eine unüberwindbare Hürde dar. Ein von WikiLeaks veröffentlichtes „Dokument“, das angeblich die Zürcher Bank Julius Bär im Jahr 2007 an Angela Merkel gerichtet hat und, so Rutter, dubiose Geldzahlungen und Bestechungen durch die Kanzlerin belegen würde, ist in so grottenschlechtem und fehlerhaftem Englisch verfasst, dass natürlich alle Alarmglocken läuten müssten. Bei Rutter klingelt nichts – er ignoriert selbst den Hinweis von WikiLeaks, dass es sich anscheinend um eine „sehr schlechte Fälschung“ handelt, die als solche auch gut recherchiert ist.
Bei Wahlen ist Rutter sowieso skeptisch; auch bereits vor seinem katastrophalen Absturz 2019. Als der wiederholte zweite Durchgang bei der Bundespräsidentenwahl 2016 einen deutlichen Vorsprung für Alexander Van der Bellen erbrachte, orakelte Rutter, dass er „überrascht“ sei und stellte ein YouTube-Video dazu, das über „erneuerten Wahlbetrug“ spekulierte.
2017 japste Rutter über „strukturierte tausendfache Wahlfälschung“ in Nordrhein-Westfalen, weil zunächst 2.004 Stimmen falsch und nicht der AfD zugeordnet wurden. Die Wahlkommission selbst korrigierte die fehlerhafte Zuordnung, die keine Auswirkung auf die Mandatszuteilung hatte. Ermittlungen wegen Wahlbetrug wurden nach einer Anzeige der AfD 2018 eingestellt. Über den Verdacht der illegalen Parteispende an einen AfD-Kandidaten bei dieser Wahl verschwieg sich Rutter, die Meldung über „Wahlmanipulation“ bei der Landtagswahl in NRW 2017 gefiel Rutter aber so, dass er sie zwei Jahre später noch einmal wiederholte.
Klar, dass Rutter bei der US-Wahl 2020 auch „seltsame Vorkommnisse“ ortet. Da gehen seine Fake-News in eine Verschwörungserzählung über:
Während in den #USA Gerade hunderttausende Wahlstimmen von #Trump verschwinden wie er selbst twitterte. Konnte ein #Terrorist innerhalb von 9 Minuten einen Weg ablaufen für den man normalerweise ca. 20 Minuten benötigt und dabei noch x Menschen ermorden (Gott sei deren Seelen gnädig). Seltsames geht in unserer Welt gerade vor…
Wenige Tage später ist Rutter noch einmal guten Mutes bei Trump: „Bei den Neuauszählungen in den USA werden viele viele Biden Stimmen verschwinden. Der Staat Georgia wir PER HAND ALLES neu zählen!“, postet er am 13.11.20.
Weil die Biden-Stimmen aber nicht weniger, sondern immer mehr wurden, entschlägt sich Rutter auf Facebook jedes weiteren Kommentars zu den US-Wahlen. In den vergangenen Jahren hat Rutter Trump immer wieder mal gelobt, natürlich auch, als der angekündigt hat, eine 9/11-Verschwörung aufzudecken.
Großer Austausch, Great Reset, NWO
Mit Verschwörungen kennt sich Rutter nämlich aus. Schon vor der Pandemie, die für ihn eine „Plandemie“, also eine geplante Verschwörung mit dem Ziel ist, „die Gesellschaft brutalst umzugestalten, die Wirtschaft in manchen Sparten komplett zu zerstören und eine ‚Neue Weltordnung‘ inklusive Impfzwang & digitaler Währung aufzubauen“ (FB Rutter, 9.12.20), hat er verstanden, worum es geht: nicht nur um den „Great Reset“, sondern auch um den „Great Replacement“, den großen Austausch! Die „Weißen“ sollen abgeschafft bzw. ausgetauscht werden, hetzt Rutter und findet schon 2019: „Es reicht“.
Rutter: Integration ist Terror
Der „große Austausch“, die dümmliche, hetzerische und gefährliche Verschwörungserzählung der Rechtsextremen begleitet Rutter schon seit Jahren. Als die Kärntner Landesregierung im Jänner 2017 ein neues Integrationsleitbild vorstellt, empfindet Rutter nur „Schock und Wut“, spricht gar von einem „Terroranschlag“, dem nur mit einem „Abwehrkampf aller aufrechten Kärntner“ begegnet werden könne. Die Politiker, die das Integrationsleitbild zu verantworten haben, will er „dorthin jagen wo man ihnen dann vielleicht noch #politisches #Asyl gewähren wird, aber sie nicht weiter bestimmen dürfen was bei uns „Recht, Ordnung und „Leitlinie” „ist!“.
In den letzten Monaten ist Rutter quer durch Österreich gereist, spielte bei unzähligen Kundgebungen und Demonstrationen den dienstbereiten Moderator und hat sich so in der Szene unverzichtbar gemacht (wovon finanziert Rutter das alles und seine Familie eigentlich?). Bei den diversen Spaltungen in der Szene war er immer richtig positioniert: auf der Seite der Stärkeren, die immer auch die Radikaleren waren. Gönnerhaft teilt er der kleineren Gruppe um Klauninger mit: „Die Spaltung geht von den Systempolitikern und den Medien aus. Der Ball liegt bei Euch, liebe SPALTER, nicht bei uns!“
Wenn er am 31.1. bei der Demo, die er schon jetzt als zweite Mega-Demo anpreist, mit FPÖ-Kickl auf der Bühne stehen und zum Sturz von Kurz aufrufen wird („Regime muss weg“) (3), wäre er seinem Ziel, sich als der große Anführer innerhalb der Corona-Protestler zu etablieren, ein ordentliches Stück näher gerückt, auch wenn sich seine Versprechungen und Prognosen, die er wie ein Sektenprediger zum Besten gibt, nicht erfüllen werden.
➡️ Teil 1: Hannes Brejcha. Vom Great Reset zum Mannesafter
➡️ Teil 2: Jennifer Klauninger. Krieger, Illuminaten und die Raute
➡️ Teil 4: Daniel Stoica. Germanische Medizin & Staatsverweigerer
➡️ Teil 5: Jaroslav Belsky. Zwischen Corona- und Holocaustleugnung
➡️ Teil 6: Geri, der (Ver)Schwörer, Zecken, Faultiere, Ratten und türkises Ungeziefer
Fußnoten
1 vgl. dazu: Antisemitismus ist keine sachliche Kritik!
2 vgl. dazu: „Systempresse” und „Volksverräter”: Wie viel Nazi-Jargon noch übrig ist
3 Die Demonstration wurde von der Polizei untersagt, Kickl hat dennoch seine Teilnahme angekündigt.