Mit der Bildung von (bewaffneten) Bürgerwehren hat das Bürgertum im Vormärz, aber auch in der Revolution von 1848 seinen politischen Gestaltungsanspruch unterstrichen. Fast alles, was sich später als Bürgerwehr bezeichnete, war folkloristische Reminiszenz. In seltenen Fällen bildeten sich in der Zweiten Republik zivile Kleintrupps, die in Vierteln oder Ortschaften herumstreiften und wegen der Bedeutungslosigkeit ihrer Aufgaben bald wieder vergingen. In faktisch allen bekannteren Fällen waren politische Ziele damit verbunden. Und die waren rechts bzw. rechtsextrem.
1972 bildete sich in Salzburg kurzfristig eine „Bürgerwehr”, die aktiv von der deutschnationalen und FPÖ-nahen Tageszeitung „Salzburger Volksblatt“ unterstützt wurde und die Stadt Salzburg vor den linken Demonstranten beschützen wollte, die sich zum Besuch von Richard Nixon, dem damaligen US-Präsidenten, und gegen die Vietnam-Krieg in der Stadt versammelten. Die „Bürgerwehr“ war ein rechtsextremer Schlägertrupp, der in den Tagen vor der großen Demonstration zu Pfingsten 1972 Jagd auf verdächtige „linke“ Gestalten machte.
Bürgerwehr!
Der jüngst verstorbene Rechtsextremismus-Experte und Journalist Wolfgang Purtscheller berichtete 1992 im „Standard“, dass der Grand Dragon des Ku Klux Klan in einem Interview mit dem Steyrer Nazi-Skin-Blatt „Stahlfront“ angekündigt hat, in Österreich und Deutschland den Aufbau von Bürgerwehren forcieren zu wollen.
2002 wurde in Graz von dem Bundesheer-Offizier, FPÖ-Gemeinderat und Mitglied der Kameradschaft IV (Vereinigung der ehemaligen Angehörigen der Waffen-SS), Helge Endres, gemeinsam mit Alexander Lozinsek, ebenfalls FPÖ-Gemeinderat, die „Grazer Bürgerwehr“ gegründet, die vom blauen Justizminister Böhmdorfer als „vorbildlich“ geadelt wurde. Die Patrouillen, die sich vordergründig gegen (ausländische) Drogendealer richteten, scheiterten nach wenigen Tagen am Widerstand von Eltern und Schulleitern – und an einem Alkoholdelikt von Endres. Wenige Jahre später, 2007, installierte der extrem konservative Grazer Bürgermeister Nagl die Grazer „Ordnungswache“ quasi als institutionalisiertes Nachfolgeprojekt der unrühmlich eingegangenen Bürgerwehr.
2006 traten in Innsbruck junge Männer „mit schwarzer Kleidung, glatt rasierten Schädeln, offenbar aus der rechtsradikalen Szene stammend“ (Kurier, 4.8.2006), immer wieder in der Gegend um den Sillpark auf, beschimpften einen Rollstuhlfahrer, attackierten Besucher eines Straßenfestes, ein andermal Migranten und lieferten sich Ende Juli dann eine offene Straßenschlacht mit einer Gruppe Marokkaner. Ihr uniformähnliches Auftreten in Patrouillen und ihre Bewaffnung mit Baseballschlägern und Prügeln machten sie zu einer besonders aggressiven Variante von „Bürgerwehr“.
Am anderen Ende der Aggressionsskala angesiedelt sind jene Formen von „Bürgerwehr“, die weitgehend geräuschlos in kleinen Ortschaften mit Taschenlampe und Fotoapparat bzw. Handy auf Patrouille gehen und so bestenfalls bewirken, dass die in ihren Ortschaften ohnehin eher seltenen Vorfälle noch seltener werden, in den Nachbarorten (ohne Bürgerwehren) dafür angeblich ansteigen. Der ORF berichtete in seiner Sendeleiste „Am Schauplatz“ 2013 über einige dieser Wachtrupps, deren politische Orientierung kaum ausgeprägt bzw. vorhanden ist.
Bei der Bürgerwehr, die der RFJ-Funktionär und FPÖ-Kandidat für den Gemeinderat Ralph Schäfer in Wels initiierte, war die Öffentlichkeit gewollt. Vor der Welser Gemeinderatswahl im Oktober 2015 startete er sie im Stadtteil Laahen „aufgrund der jüngsten Vorfälle und der Machtlosigkeit der Exekutive gegenüber kriminellen Einbrecherbanden aus dem Ausland“ und „informierte“ die AnrainerInnen via Flyer. Von weiteren Aktivitäten war nach dem Wahlerfolg der FPÖ in Wels nichts mehr zu hören.
Die Faustregel, je weniger Öffentlichkeit der Bürgerwehr, desto weniger aggressiv und rechtsextrem aufgeladen ist sie, gilt leider nur eingeschränkt. Erst vor wenigen Wochen musste sich ein Steirer (56) wegen der Ansammlung von Kampfwaffen vor einem Grazer Geschworenengericht verantworten. Die Geschworenen deuten darauf hin, dass die Anklage auf NS-Wiederbetätigung lautete. Im Prozessbericht der APA war nur die Rede von den vielen Waffen, die der Angeklagte trotz Waffenverbot gesammelt hatte – ganz offensichtlich, um eine Bürgerwehr zu gründen. Ob der rechtsextreme Steirer schon in Kontakt mit anderen Gleichgesinnten war, geht aus dem Prozessbericht nicht hervor. Der Prozess wurde vertagt.
➡️ Bürgerwehren in Österreich (III): „Wir verjagen Bettler und Asylanten“
➡️ Bürgerwehren in Österreich (II): „Das leise Summen scharfer Klingen“