Was ist ein „ObstdhmfD“?
Zur Aufklärung: „ObstdhmfD“ ist die Abkürzung für einen Oberst des höheren militärfachlichen Dienstes. Gefunden haben wir diese Rangbezeichnung für Reinhard Stradner auf der Website der AUF/AFH Steiermark (Arbeitsgemeinschaft Unabhängiger und Freiheitlicher/Arbeitsgemeinschaft Freiheitlicher Heeresangehöriger). Dort ist Stradner nämlich erster Landesvorsitzenden-Stellvertreter. Beim Österreichischen Marine-Verband wird er als Erster Vizepräsident geführt. Und diverse Postings lassen darauf schließen, dass Stradner bei der FPÖ-Ortsgruppe Heiligenkreuz am Waasen aktiv ist.
In seiner Freizeit widmet sich Stradner der Erforschung darüber, wo die Hauptstadt des antiken Königreichs Noricum, Noreia, zu verorten ist. Er will herausgefunden haben, dass Noreia im Raum Knappenberg (Kärnten) gelegen hat– und nicht in der Steiermark oder sonstwo. Auch für ihn gilt der Seufzer, den wir bereits bei dem Polizisten Franz M. ausgestoßen haben: Ach, wäre er doch nur bei diesem Hobby geblieben! Aber Reinhard Stradner, der ObstdhmfD, der Alte Geschichte an der Uni Graz studiert hat und knapp vor seiner Pensionierung steht, fühlt sich auch berufen, sehr einschlägige Kommentare zur Zeitgeschichte abzugeben.
Die einschlägigste Äußerung ist ein Posting zu den Rheinwiesenlagern mit Link zu einem Video. Das Video ist eigentlich nicht das Problem – sieht man einmal davon ab, dass es von dem mittlerweile völlig nach Rechtsaußen abgedrifteten Historiker Alfred de Zayas eingeleitet wird und einen Titel verpasst bekommen hat, der nicht durch den Inhalt belegt wird: „Rheinwiesenlager: Der vergessene Völkermord an den Deutschen“
Was ist ein Völkermord?
Was ein Völkermord ist, wurde bereits 1948 in einer UN-Konvention definiert: als Verbrechen, das von der Absicht getragen ist, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe ganz oder teilweise auszulöschen. War das in den Rheinwiesenlagern der Fall? Keineswegs! Die teilweise katastrophalen Lebensbedingungen in diesen Lagern waren der bedingungslosen Kapitulation des Nazi-Regimes, dem Rückstrom von Millionen Kriegsgefangener, die entwaffnet und registriert werden mussten und der Zerstörung von Infrastruktur und Versorgung durch den Krieg geschuldet. Die alliierten Siegermächte mussten in kürzester Zeit das Überleben von zig Millionen aus der hungernden Zivilbevölkerung und den „Displaced Persons“ sichern. Das Gräuelmärchen vom Völkermord in den Rheinwiesenlagern kursiert daher auch nur in rechtsextremen Verschwörungserzählungen, vorwiegend unter Neonazis.
Der Oberst des österreichischen Bundesheeres Reinhard Stradner teilt am 30.11.19 einen Link zu einem Text der rechtsextremen Website „anonymousnews.ru“, in dem die Rheinwiesenlager als „Völkermord an den Deutschen“bezeichnet werden und sondert dazu seinen persönlichen Kommentar ab: „Die unter den Tisch gekehrten Schweinereien der angeblich heute so politisch Korrekten!“
anonymousnews.org
Die Website „anonymousnews.org“ ist eine Weiterleitung von „anonymousnews.ru“, einer 2016 online gegangenen Desinformations- und Hassplattform, die möglicherweise von Russland aus betrieben wird. 2017 ordnet die „Tagesschau“ die Seite ein: „Anonym hetzen via Russland”
Einordnung vom Deutschen Bundestag (2020): „falsche Informationen und Verschwörungstheorien sowie Artikel über die deutsche Politik aus einer rechtsextremen Perspektive“
Der Text, zu dem Stradner verlinkt:
Deutschland ist Schuld, Schuld an allem… doch die Wahrheit ist nicht das, worin wir konditioniert werden. Über die Schuld der vermeintlichen Befreier aus Übersee spricht heute niemand mehr. Am 8. Mai 2023 jährte sich zum 78. Mal das wohl größte Verbrechen der Menschheitsgeschichte: Ein von Machtgier, Neid und Rassenhass initiierter Völkermord an den Deutschen. Nach der vermeintlichen Kapitulation der Wehrmacht internierten Briten und Amerikaner in den sogenannten Rheinwiesenlagern mehrere Millionen Menschen und verübten ein beispielloses und bis heute tabuisiertes Kriegsverbrechen. Von 3.250.000 Gefangenen ließen die Alliierten rechts und links des Rheins rund 2 Millionen vorsätzlich verhungern. Zeitzeugenaussagen lassen darauf schließen, dass die tatsächliche Opferzahl noch weitaus größer gewesen sein könnte. Bis zum heutigen Tag ist das Graben auf den ehemaligen Flächen der alliierten Lager behördlich untersagt und unter Androhung drastischer Strafen verboten.
Das Wort „Rheinwiesenlagern“ ist verlinkt zum Buch von James Bacque, dessen revisionistische Thesen zu den Rheinwiesenlagern längst widerlegt sind.
Das ist noch um einige Tonlagen verstörender als der Kommentar von EU-General Brieger, dem zu einem Post auf dem FB-Profil des Polizisten Franz M., in dem über die Rheinwiesenlager als „verschwiegenes Kapitel deutscher Geschichte“fantasiert wird, dieser Kommentar eingefallen war: „Es ist vor allem ein verschwiegenes Kapitel in der Geschichte der Sieger.“
Brieger und Stradner müssen einander kennen – zumindest deutet die Facebook-Freundschaft zwischen den beiden darauf hin, dass sie sich nicht fremd sind. Befreundet sind die beiden jedenfalls auf einem Facebook-Account von Stradner. Der ObstdhmfD betreibt nämlich auf FB gleich zwei Konten. Zu den Rheinwiesenlagern postet er auf beiden Accounts: Am 5.11.2019 verlinkt er unter dem Titel „Rheinwiesenlager Der vergessene Völkermord der Alliierten an den Deutschen“ auf ein YouTube-Video. Trotz des leicht variierten Titels ist es dasselbe Video wie jenes vom 30.11.2019 auf „anonymousnews.ru“, zu dem er seinen Kommentar mit den angeblichen Schweinereien getätigt hat.
Verdacht der Verharmlosung des Holocaust
Den Eintrag vom 30.11.2019 hat Facebook mit dem Hinweis „Fehlinformation. Von unabhängigen Faktenprüfern überprüft“ gekennzeichnet, was eine sehr zurückhaltende Bewertung von Facebook darstellt, denn das, was sich unter der Decke verbirgt, rechtfertigt den Verdacht der Verharmlosung des Holocaust. Es heißt da nämlich in dem Kommentar von „anonymousnews“, zu dem Stradner verlinkt, unter anderem: „Am 8. Mai 2023 jährte sich zum 78. Mal das wohl größte Verbrechen der Menschheitsgeschichte: Ein von Machtgier, Neid und Rassenhass initiierter Völkermord an den Deutschen.“
In dem vom Oberst des Bundesheeres verlinkten Text ist die Rede von „vermeintlichen“ Befreiern und einer „vermeintlichen Kapitulation der Wehrmacht“. Wie also? Die Nazi-Wehrmacht hat gar nicht kapituliert? Das „wohl größte Verbrechen der Menschheitsgeschichte“ seien nicht der Holocaust und andere NS-Verbrechen, sondern ein verschwiegener „Völkermord an den Deutschen“ durch die Alliierten, die, laut Text auf „anonymousnews“, mindestens (!) zwei Millionen Menschen vorsätzlich verhungern ließen? (1)
Halten wir fest: Oberst Stradner teilt die Lüge, dass in den Rheinwiesenlagern ein Völkermord an den Deutschen verübt wurde. Oberst Stradner ist der Ansicht, dass es sich bei diesem „vergessenen Völkermord“ um unter den Tisch gekehrte Schweinereien handelt. Oberst Stradner teilt das braune Gräuelmärchen von „anonymousnews“, wonach es sich dabei um das „wohl größte Verbrechen der Menschheitsgeschichte“ handelt.
Weitere Kameraden, denen so etwas gefällt
Stradners FB-Konto, auf dem zu dem Nazi-Narrativ verlinkt wird, ist öffentlich zugänglich: Die ganze Welt kann das lesen. Sieben Likes hat Stradner dafür geerntet, eines davon ist von Stradner selbst, ein weiteres Like stammt von Wolfgang Jung, der in seiner aktiven Zeit Brigadier des Bundesheeres, dann auch Nationalrats‑, Landtags- und EP-Abgeordneter der FPÖ war. Noch einem Wolfgang gefällt das Geschreibsel von Stradner und den Rechtsextremen von anonymousnews: Es ist der Kommandant der Bundeshandelsakademie für Führung und Sicherheit an der Theresianischen Militärakademie, Oberst Wolfgang Gröbming. Sowohl Stradner als auch Jung sind Mitglieder der rechtsextremen Verbindung „Akademische Tafelrunde Wiking zu Wiener Neustadt”, Stradner ist dort sogar Vizeobmann. Gröbming wiederum ist bei der ebenfalls rechtsextremen „Wiener akademische Burschenschaft Teutonia”.
Stradner: VdB ein „Pfosten”, Klimakleber „anbrunzen”, Link zu Neonazi Rennicke
2018 stellt Stradner einen Cartoon in seine Timeline, der gut illustriert, wie er sonst noch tickt. Da munkelt er von einer Neuen Weltordnung, an der Merkel, Macron und andere arbeiten würden. Illustriert wird das durch einen bewaffneten Terroristen (?) auf einer Leiter, der neben die EU-Sterne Halbmonde, also die Symbole der türkischen Flagge, malt. Der Bundespräsident, also Stradners Oberbefehlshaber, ist für ihn nicht nur ein „internationaler“ Freimaurer, sondern – wie auch viele andere Spitzenpolitiker – ein „Pfosten“.
Zu George Soros fällt ihm eine Aussage des russischen Neofaschisten Dugin ein, wonach ein Bürgerkrieg in Europa unausweichlich sei. Soros ist für ihn außerdem nur eine Bestätigung für die angeblichen Pläne von Hooton und anderen „Hochfreimaurern“. Zudem verlinkt Stradner ebenfalls über den Hooton-Plan zum Neonazi-Musiker Frank Rennicke. Was deren angebliche Pläne waren, schilderte die alte Nazi-Tante Haverbeck in einem Video, das bei dem Polizisten Franz M. zu finden ist. Auch Oberst Stradner ist mit Franz M. befreundet. Und dann postet Stradner, der zwischen 2019 und 2023 Verteidigungsattaché an der österreichischen Botschaft in Zagreb war, noch zu den Klimakleber*innen die Frage, ob er die „eigentlich auch anbrunzen [darf], um ihr /ihm Verachtung öffentlich merken zu lassen“.
Update 12.7.24: Die Staatsamwaltschaft Graz, bei der „Stoppt die Rechten” Anzeige erstattet hat, teilt mit, dass das Verfahren wegen fehlenden Anfangsverdachts eingestellt wurde. Es wurde also nicht einmal ermittelt.
Update 3.5.24: Stradner ist mit 1. Mai 24 in den Ruhestand getreten.
➡️ derstandard.at: FPÖ-naher Oberst in Ruhe sorgt auf Facebook für Unruhe
Fußnote
1 In den zwischen April und September 1945 bestandenen 23 Rheinwiesenlagern waren insgesamt um die eine Million Personen interniert, wobei die ersten bereits nach wenigen Wochen wieder entlassen wurden. Die Forschung gibt zwischen mindestens 8.000 und maximal 40.000 verstorbenen Lagerinsassen an. Siehe dazu: Arthur Lee Smith, Die „vermißte Million”. Zum Schicksal deutscher Kriegsgefangener nach dem Zweiten Weltkrieg. Band 65 der „Schriftenreihe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte”, Oldenburg 1992. (Download der Publikation)