Die frühere FPÖ
Nach der Bildung der ersten schwarzblauen Schüssel-Haider- Koalition im Jahr 2000 sandte die Europäische Union „drei Weise“ nach Österreich, um einzuschätzen, ob mit der FPÖ eine rechtsextreme Partei erstmalig in der Regierung eines Mitgliedslandes sitzt. Die „drei Weisen“ kamen in ihrem Bericht zu dem Ergebnis, dass es sich bei der (damaligen) FPÖ um eine rechtspopulistische Partei mit radikalen Elementen handle – für damalige Verhältnisse keine so schlechte Charakterisierung, auch wenn so manche österreichische Linke und Grüne die Partei als eindeutig rechtsextrem beschrieben wissen wollten.
Fakt ist, dass die FPÖ im Lauf ihrer Regierungsbeteiligung (Knittelfeld 2002) und nach bzw. mit der Spaltung 2005 (BZÖ) Radikalisierungsschübe durchlief, die programmatisch in der Erstellung des völkisch-rassistischen Handbuchs Freiheitlicher Politik (2013) und in der Wiedereinführung des Bekenntnisses zur deutschen Volksgemeinschaft (2011) und personell in der Besetzung wichtigster Funktionen durch schlagende Burschenschafter (der Deutschen Burschenschaft) ihren Ausdruck fanden.
Der frühere Kickl
In diesem politischen Umfeld wurde Herbert Kickl, dem immer nachgesagt wurde, mit den Burschenschaften und Deutschnationalen wenig gemein zu haben, Generalsekretär der FPÖ und Geschäftsführer der vorher sehr drögen Parteizeitung „Neue Freie Zeitung“, die unter seiner Leitung deutlich hetzerische Züge in Bild und Text annahm.
Als er 2010 die langjährige Mitgliedschaft des steirischen FPÖ-Spitzenkandidaten Kurzmann bei der Kameradschaft IV, der Organisation der ehemaligen Mitglieder der Waffen-SS, mit den Worten verteidigte, dass eine Einheit wie die Waffen-SS nicht kollektiv schuldig gesprochen werden könne (obwohl sie schon vom Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg zur verbrecherischen Organisation erklärt worden war), war das nicht sein erster und auch nicht sein einziger rechtsextremer Ausfall.
Verglichen mit seinen Sprüchen der letzten Jahre waren die Reden, die Kickl damals selbst hielt, moderater – wenn er nicht gerade Rechtsextreme in der eigenen Partei verteidigen musste.
Christa Zöchling, die sich jahrzehntelang intensiv mit der FPÖ journalistisch beschäftigt hat, beschreibt das in einem Artikel für „profil“ 2021 so:
Seine Brandreden wurden immer ausgefeilter und menschenverachtender, seine Mimik, die immer ein wenig pikiert gewirkt hatte, fröhlicher. Er fand Gefallen an dem, was er tat. Kickl bekam im Wahlkampf 2019 weit mehr als doppelt so viele Vorzugsstimmen wie Hofer.
Im gleichen Beitrag zitiert Zöchling noch einen anderen Spruch von Kickl aus dem Wahlkampf 2019, der sonst wenig Beachtung fand, aber eine bedeutende Veränderung markiert:
Ich halte auch nichts von diesem Dauerdistanzieren. Wenn man sich von allem distanziert, dann wird man keinen Meter vorwärtskommen. Da bin ich dann schon bei der nächsten Vokabel, wo man angeblich so vorsichtig sein soll: Was ist denn das anderes als ein Bevölkerungsaustausch, was ist denn das, wenn man seine eigene Heimat nicht mehr wiedererkennen kann!
Die öffentliche Aufkündigung jeglicher Distanz zu Rechtsextremen außerhalb der FPÖ wird gemeinhin dem damals frischgebackenen Generalssekretär Michael Schnedlitz zugeschrieben, der das Ende der „Distanziererei“ 2020 in einem Gespräch mit einem Rechtsextremen verkündete.
Kickl war früher dran, sogar um einige Jahre früher: 2016, bei seiner Begrüßungsansprache für die rechtsextremen und neonazistischen BesucherInnen des Kongresses „Verteidiger Europas“ in Linz, wo er sich unter „Gleichgesinnten“ sah.
FPÖ heute: Volkspartei der Rechtsextremen
Mittlerweile ist es blauer Alltag, dass FPÖ-Funktionäre mit anderen Rechtsextremen – vorwiegend mit Identitären – gemeinsame Sache machen: bei Demonstrationen und Podiumsdiskussionen und via FPÖ-nahe rechtsextreme Medien. Abgrenzungen und Sanktionen gibt es faktisch nicht mehr, höchstens vereinzelt bei NS-Wiederbetätigung von Funktionären – das jedoch, ohne es zu thematisieren.
Das ÖVP-Narrativ, wonach die FPÖ eine breit aufgestellte rechtskonservative Partei sei und es nur ein Problem mit ihrem Obmann gäbe, der sich selbst als Rechtsextremer auslobe, entspricht nicht der Realität und ist rein wahltaktisch motiviert. Rechtsextreme Burschenschafter sitzen nach wie vor in wichtigen Funktionen, stellen Stammpersonal bei den Mandaten in den parlamentarischen Gremien – vom Bund bis in die Länder. Auch bei den Spitzenfunktionen in der FPÖ gibt es niemanden, der ein gemäßigteres Programm fahren würde. Manfred Haimbuchner, der aus unverständlichen Gründen als Liberaler gehandelt wird, hat am 1. Mai des Vorjahres noch ganz unverhohlen Journalist*innen und ORF mit harten Sanktionen gedroht: „Euch wer’ma die Wadln no vürerichtn“.
Programmatische Ausrichtung
Was die programmatische Ausrichtung der FPÖ betrifft, ist zunächst einmal auffällig, dass der ideologisch und philosophisch geschulte Parteichef bisher kaum programmatische Markierungen gesetzt hat, sieht man einmal vom Leitantrag „Freiheit durch Selbstbestimmung“ ab, der am Bundesparteitag der FPÖ 2023 beschlossen wurde. Der Antrag stellt aber keine programmatische Neuorientierung oder Änderung dar, sondern müht sich mit einigen aktuellen blauen Aufregungsthemen ab, wobei ein Satz besonders auffällig war, der – so paradox es auch zunächst scheint – eindeutig Kickls Duftmarke trägt: „Parteien wie die Grünen sind die Archonten dieser aggressiven kulturellen Verdrängung, wobei die ÖVP indolent schweigt und längst zum Teil der linken Doxa degeneriert ist.“
Ein Satz aus der Feder eines Parteichefs, der immer ganz volksnah sein will und alle anderen für ihre Abgehobenheit kritisiert?
Während das Parteiprogramm von 2011 noch immer gültig ist, wurde das „Handbuch Freiheitlicher Politik“ aus 2013 vor Kurzem still und heimlich entsorgt – mit dem paradoxen Hinweis bei der Online-PDF-Ausgabe: „Vergriffen“. Viel deutlicher als das Parteiprogramm enthält das umfangreiche Handbuch völkisch-rassistische Markierungen – vor allem in der Sozial- und Familienpolitik. Ist das klammheimliche Entsorgen des Handbuchs Indiz dafür, dass sich die Partei von diesen völkisch-rassistischen Markierungen distanzieren will? Wohl nicht – Kickl hat sich schon 2007 als frischgebackener Sozialsprecher der FPÖ dafür ausgesprochen, „dass es ein eigenes System der sozialen Verantwortung und der sozialen Absicherung geben soll“ für alle, die keine Staatsbürger sind.
Auch das ebenfalls sehr detaillierte „Handbuch Freiheitlicher Politik“ für die Steiermark wurde kurz nach seiner Präsentation als Wahlkampfprogramm im November 23 heimlich entsorgt. Das deutet eher darauf hin, dass sich die Kickl-FPÖ nicht im Detail festlegen, weniger angreifbar machen will.
Die FPÖ propagiert die „Remigration“, vermeidet aber Aussagen, wie sie genau ablaufen soll. Generell überwiegen in der FPÖ-Rhetorik – nicht nur bei Kickl – Begriffe und Parolen, die eindeutig rechtsextrem markiert sind, aber auch sehr allgemein und anschlussfähig für die unterschiedlichen rechtsextremen Strömungen – von QAnon über Rechtsesoteriker bis Identitäre und auch offen Braune. „System“, „Systempolitiker“, Systemmedien“, „Volkskanzler“, „Bevölkerungsaustausch“. „Globalisten“, „Deep State“, „Great Reset“ oder auch der Kampf gegen so ziemlich alle internationalen Organisationen wie EU, NATO, WHO, WEF oder Weltklimarat, egal ob Österreich Mitglied ist oder nicht (NATO, WEF). Als Draufgabe gibt es dann noch Entwurmungsmittel aus Kickls Hausapotheke.
Die FPÖ ist unter Kickl zur Volkspartei der Rechtsextremen geworden.