Für Alt- und Neonazis ist die Forderung nach Deportation aller „Fremdvölkischen“ Pflichtprogramm, für Rechtsextreme und Rechtspopulisten war sie bislang eher eine verschämt verschwiegene Konsequenz ihrer Programme. Spätestens seit dem rechtsextremen Potsdamer Treffen im November 23 ist klar: Auch sie sind beim Deportieren dabei – vorläufig nur gedanklich. Die FPÖ hat jedenfalls schon viel früher – und deutlich brutaler – in diese Richtung vorgedacht.
Das 25-Punkte-Programm der NSDAP aus dem Jahr 1920 ist ganz klar. In Punkt 8 wird gefordert: „Jede weitere Einwanderung Nicht-Deutscher ist zu verhindern. Wir fordern, daß alle Nicht- Deutschen, die seit 2. August 1914 in Deutschland eingewandert sind, sofort zum Verlassen des Reiches gezwungen werden.”
Mit dem Kern dieser Forderung hat auch die FPÖ kein Problem. Der Bezug auf Deutschland, Nicht-Deutsche und die Jahresangabe müsste nur weggelassen werden – so wie das „Reich“. Was aber ist mit dem Zwang und der sofortigen Deportation? Auch da gibt es bei der FPÖ einiges zu entdecken.
FPÖ-Haider will „Minuszuwanderung“
Wann die Forderung nach einer „Minuszuwanderung“ zum ersten Mal bei der FPÖ öffentlich aufgetaucht ist, lässt sich genau bestimmen. Es war 1999 im Nationalratswahlkampf des damaligen FPÖ-Chefs Jörg Haider. Der einzige Journalist, der darauf reagierte und die Forderung nach einer „Minuszuwanderung“ logisch zu Ende dachte, war Hans Rauscher, der für das Wochenmagazin „Format“ (27.9.99) kommentierte, dass viele demnächst eine Partei wählen würden, „die einer ‚Minuszuwanderung‘, also praktisch der Zwangsdeportation das Wort redet“. Der öffentliche Protest dagegen blieb verhalten – ein bisschen die Grünen, und das war’s damals.
Bis 2005 war dann Pause. Nachdem sich Jörg Haider mit dem BZÖ von der FPÖ abgespalten hatte, erinnerte er sich wieder an seine Forderung von der „Minuszuwanderung“. Und wie? Indem er sich radikal von ihr distanzierte. Die Zeitschrift „News“ (3.11.05) fragte ihn: „Kennen sie das Wahlprogramm der FPÖ?“
BZÖ-Haider: „Minuszuwanderung“ neonazistisch
Haider:
Und wie! Darin wird sogar die Minuszuwanderung propagiert. Das heißt, dass Strache legal in Österreich befindliche Ausländer wieder deportieren will. Das entspricht der alten „Ausländer raus!”-Ideologie. Das ist übler NDP-Stil. BZÖ-Stil dagegen ist es, die Ausländerprobleme im Inland friedlich zu lösen.
Das darf man sich auf der Zunge zergehen lassen: Haider, der mit der FPÖ 1999 die „Minuszuwanderung“ gefordert hatte, entlarvt 2005 die „Minuszuwanderung“ als das, was sie auch schon vorher war: die Deportation von legal (!) in Österreich befindlichen „Ausländern“. Haider verwendet den Begriff „Deportation“ für „Minuszuwanderung“. Damit gemeint ist die zwangsweise Vertreibung oder Ausschaffung von großen Menschengruppen unter teilweisem oder vollständigem Verlust von gesetzlichen Rechten, auch von Eigentum. Vor Deportationen schützen völkerrechtliche Abkommen wie die UN-Menschenrechtscharta oder die Europäische Menschenrechtskonvention. Deportationen sind Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Der Jurist Jörg Haider wusste also genau, was er mit dem Vorwurf aussprach, „Minuszuwanderung“ sei mit „Deportation“ verbunden.
Ende 2005 kürte die Aktion „Österreichisches Deutsch“ der Universität Graz das Synonym „Negativzuwanderung“ zum „Unwort des Jahres“. Gebräuchlicher und zynischer war allerdings die „Minuszuwanderung“.
Die FPÖ mit ihrem neuen Chef Strache hielt auch in den folgenden Jahren an der Forderung nach einer „Minuszuwanderung“ fest, sprach immer wieder von einem Konzept oder gar einem Modell, blieb aber Details weitgehend schuldig. Sprach FPÖ-Generalsekretär Harald Vilimsky 2005 noch davon, dass „all jene integrationsunwilligen Ausländer dazu gebracht werden, wieder in ihre Heimatländer zurückzureisen“, so erweiterte Strache 2007 die blauen Abschiebepläne auf „Gastarbeiter“, die arbeitslos geworden sind (ORF Pressestunde, 23.9.07), blieb aber weiterhin vage, wie diese Abschiebungen umgesetzt werden sollten. Es fragte ihn auch niemand nachdrücklich.
Das „Modell“ wird konkreter, die Bösartigkeit sichtbarer
2013 erhält die Forderung nach der „Minuszuwanderung“ einen Booster durch die Veröffentlichung des „Handbuchs Freiheitlicher Politik“ in seiner vierten, veränderten Auflage. Das „Handbuch“ ist so etwas wie der blaue Katechismus für Funktionäre – bzw. war es, denn es ist vor Kurzem still und heimlich von allen FPÖ-Seiten entfernt worden.
Im „Handbuch“ von 2013 wird nicht nur der sofortige Zuwanderungsstopp gefordert („Bis auf weiteres lehnt die FPÖ auf Grund der Migrationswellen der jüngsten Vergangenheit jegliche Zuwanderung ab“, S. 31), sondern auch als Ziel erklärt, „nach dem Prinzip der ‚Minus-Zuwanderung‘ in Österreich aufhältige Ausländer wieder in ihre Heimat zurückzuführen“ (S. 31).

Im Unterschied zu früher werden die Schritte, wie man zu diesem zynischen Ziel kommen will, auch präzisiert:
- Der rechtliche Status von hier aufhältigen ArbeitsmigrantInnen soll zurückgestutzt werden. Verfestigter Aufenthalt und faktische Gleichstellung mit österreichischen ArbeitnehmerInnen sollen abgeschafft und durch einen befristeten Aufenthaltsstatus (Saisonnier) ersetzt werden.
- Wer innerhalb des befristeten Aufenthalts arbeitslos wird, verliert seinen Aufenthaltsstatus. Da auch die Arbeitslosenversicherung für die wieder „Gastarbeiter“ genannten Menschen abgeschafft wäre, hätten diese in der Arbeitslosigkeit kein Einkommen. Logische Konsequenz: die Abschiebung. Im zynischen FPÖ-Jargon heißt das: „Gastarbeiter, die in Österreich arbeitslos werden, haben die Möglichkeit im Heimatland Arbeit zu finden.“ (S. 113)
- Da Arbeitsmigrant*innen in der Vorstellung der FPÖ hier ohnehin nicht dauerhaft leben dürfen, also auch keine österreichische Alterspension erreichen können, sollen sie zudem mit einer eigenen Sozialversicherung (geringere Beiträge, geringere Leistungen – auch in der Krankenversicherung) abgespeist werden.
- Das Recht auf Staatsbürgerschaft (nach zehn Jahren) soll im Übrigen abgeschafft und durch eine Kann-Bestimmung nach 15 Jahren ersetzt werden. Außerdem soll eine Aberkennungsmöglichkeit eingeführt werden, „wenn sie erschlichen wurde und dieses Gelöbnis grob missachtet wurde“ (S. 48). Das wäre, wenn keine Doppelstaatsbürgerschaft vorliegt, ein Bruch der Verfassung, des Völkerrechts und Willkür.
In der Konsequenz beinhalten diese Vorstellungen eine brutal verschärfte Konkurrenz am Arbeitsmarkt, da die Entlohnung von beschäftigten Arbeitsmigrant*innen deutlich günstiger (billiger) für die Arbeitgeber ausfallen würde als für Österreicher*innen und ihnen gleichgestellte EU-Bürger*innen.
Worüber sich das „Handbuch“ aber ausschweigt, ist die Klärung der Frage, wie man zigtausende Arbeitsmigrant*innen mit befristetem Aufenthaltsrecht und jene, die bereits eine Aufenthaltsverfestigung erreicht und hier in Österreich ihre Existenz begründet haben, außer Landes schaffen will. Diese Klärung liefern andere Blaue.
➡️ FPÖ immer dabei: Minuszuwanderung, Remigration, Deportation (Teil 2)
