Im schwäbischen Städtchen Wemding fand das hochtrabend „Zukunftskongress Deutschland“ betitelte, schwach besuchte Meeting einer Reichsbürger-Gruppe statt, das durch Medienberichte, eine gut besuchte Gegendemo und eine Razzia der Polizei Aufmerksamkeit fand – und dann war da noch „ein Mann jenseits der 70: Gerhoch R., einer der Referenten auf einer Veranstaltung von sogenannten Reichsbürgern“ (br.de, 17.11.23) der sich als „Monarchist“ vorstellte, seinen Hund Gassi führte und erklärte, von Demokratie nichts zu halten. Unschwer zu erkennen, wer damit gemeint war. Was der Bayerische Rundfunk Gerhoch Reisegger sen. entlockte, war zwar nicht gerade tiefschürfend, aber es funktioniert jedenfalls bei der Selbstcharakterisierung als Antidemokrat.
Antisemitische Erzählungen als Lebensthema
Zwischen Referaten zum Thema „Freie Energie“, „Unrecht seit 100 Jahren erkennen und verstehen“, „Vom Deutsch sprechenden Amerikaner zum Germanen“ und „Die befreiende Energie des Wassers“ durfte Reisegger seine Themen referieren. In einem Teaser-Video mit „Lars“ wetterte er über die „verbrecherischen Regierungen“ Kohl und Merkel und jammerte: „Manche Dinge sind nicht frei diskutierbar.“ Vermutlich meint Reisegger damit, was seiner Lebenserzählung entspricht: die vermeintliche jüdische Weltverschwörung, die er seit Jahrzehnten in allen denkbaren Varianten in Medien und Vorträgen abhandelt. (1)
Zwischen 2000 und 2010 war Reisegger auf etlichen internationalen Konferenzen Referent neben Nazi-Größen und Holocaust-Leugnern wie dem ehemaligen KKK-Leader David Duke, Jürgen Graf, Pierre Krebs oder Ahmed Rami. Daneben und dazwischen gastierte er etwa in dem aus Mitteln der Bundesregierung geförderten „Haus der Heimat“ in Wien, bei der „Initiative Freiheitlicher Frauen” und beim „Kampfbund Deutscher Sozialisten“ (KDS), einer neonazistischen Gruppe, die sich an Nordkorea orientierte.
Das Treffen mit dem KDS fand übrigens im Oktober 2004 in Moskau statt. Auf der Internetpräsenz des KDS war dazu zu lesen:
Bei einem guten Tropfen und scharfen Gerichten gab es mit dem revisionistischen Autor heiße Diskussionen über strategische Fragen des Kampfes gegen den US-Imperialismus und seine zionistischen Hintermänner. Positiv wurde von allen Teilnehmern diese abendliche Zusammenkunft, mit vielen Aspekten des antikosmopolitischen Kampfes Stalins, gewürdigt. Für Rechte, die jetzt eine Nervenkrise bekommen, empfehle ich die Einschätzung Michael Kühnens, über die Persönlichkeit Stalins, zu lesen. Eine Einladung der Bezirksleitung Berlin des KDS zu einem Besuch in der alten Reichs-DDR-Hauptstadt nahm der Autor freudig entgegen.
Nachzulesen ist dies bei Andreas Kemper. Kemper berichtet zudem ausführlich über ein anderes Treffen, an dem Reisegger wenige Tage zuvor in St. Petersburg teilgenommen hatte. Der Kongress „Die christliche Welt im dritten Jahrtausend“ brachte russische Monarchisten mit deutschösterreichischen Ultrarechten zusammen, unter ihnen der Bruder von Ryke Geerd Hamer, der Antisemit Eberhard Hamer und – hier schließt sich ein anderer Kreis – der Reichsbürger Matthes Haug.
Haug ist nicht nur einer der Beschuldigten in der Reichsbürger-Gruppe „Patriotische Union“, die 2022 ausgehoben wurde und unter Terror-Verdacht steht, sondern auch einer der Teilnehmer an dem 3. ZKD vor wenigen Tagen in Wemding, wo er erneut auf Reisegger traf.
Zur Jahreswende 2004/2005, also nach seinem ausgiebigen Russland-Trip, war Reisegger noch in einer anderen Sache auf- und ausfällig geworden. Er verbreitete einen Text des australischen Verschwörungsideologen Joe Vialls, wonach Amerikaner und Juden durch die Zündung einer Unterwasser-Atombombe den verheerenden Tsunami im Dezember 2004 verursacht hätten. Auch dieser hetzerische Schwachsinn fand seine Anhänger*innen. Reisegger schaffte es damit sogar in einen Beitrag des kritischen ARD-Magazins „Panorama“.
Nach 2010 ebbten Reiseggers Aktivitäten ab. 2014 tauchte er mit einem Vortrag beim Wiener Akademikerbund des Christian Zeitz, einem Vertrauten im rechten Geiste, auf, 2016 Reisegger bei einem Arbeitskonvent des Alten Orden vom St. Georg. Hier wird es noch einmal interessant. Nicht wegen Reisegger selbst, der nur als Besucher erwähnt wird, sondern wegen anderer Figuren, die da noch referierten. Es trafen sich Rechtskonservative und Rechtsextreme aus Adel, Klerus und dem „einfachen“ Volk zum Arbeitsthema „Die Zukunft Europas – ist unsere Zivilisation dem Untergang geweiht?“
Das interessierte offenbar nicht nur Reisegger, sondern auch die beiden Organisatoren des „Jagsthausener Kreises” Konrad Wutscher und Wolfgang Caspart, den rechten Publizisten Thomas Bachheimer, den prorussischen Rechtsextemen Algis Klimaitis, die ultrakonservative Aktivistin Hedwig Freifrau von Beverfoerde und den niederländischen CitizenGO-Aktivisten Michiel Hemminga. Die Referenten: der ultrareaktionäre emeritierte Weihbischof Andreas Laun, Christian Zeitz vom Wiener Akademikerbund, der niederländische Rechtsaußen- Politiker und Dugin-Freund Thierry Baudet und der immer weiter nach Rechts abdriftende Islam-Experte Bassam Tibi, der drei Jahre nach diesem seltsamen Treffen mit Rechtsextremen, Rechtsfundamentalisten und Antisemiten wie Gerhoch Reisegger im österreichischen Parlament die Gedenkrede gegen Gewalt und Rassismus im Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus gehalten und vor dem „importierten“ Antisemitismus gewarnt hat. Damit kann er nicht Gerhoch Reisegger gemeint haben, denn dessen Antisemitismus ist nicht „importiert“, sondern zweifelsfrei hausgemacht.
AUF1 bei Reichsbürgern
Beim Reichsbürger-Treffen in Wemding war auch Stefan Magnets Internetkanal „Auf1“ vor Ort – „mit mehreren Personen“ vertreten, wie BR24 berichtete. Auch hier schließt sich ein Kreis, denn vor fast 20 Jahren referierte Reisegger bei den Neonazis vom Bund freier Jugend (BFJ), dem Stefan Magnet als führender Kader angehörte, seine Verschwörungsmärchen zu den Terroranschlägen vom 11. September 2001.
Vor wenigen Tagen ist im tiefbraunen Nordland-Verlag eine neue Nummer der neonazistischen Zeitschrift „Volk in Bewegung – Der Reichsbote“ erschienen. Als einer der Autoren wird Gerhoch Reisegger genannt. Also auch im publizistischen Bereich ist sich Reisegger treu geblieben.
SdR-Serie „Was wurde denn aus …?”
➡️ Was wurde denn aus … Helmut Pilhar?
➡️ Was wurde denn aus … Gary Lauck?
➡️ Was wurde denn aus … Karl Steinhauser?
Fußnoten
1 Ein umfassender Überblick über Reiseggers Aktivitäten und ideologischen Auswürfe bis zum Jahr 2010 ist in Wilhelm Laseks Dossier „Funktionäre, Aktivisten und Ideologen der rechtsextremen Szene in Österreich“ (S. 122ff) zu finden.