Bis vor kurzem war eigentlich fast nichts über den Jagsthausener Kreis, seine Mitglieder und Teilnehmer*innen (es waren fast ausschließlich Männer), die Orte und die Referate, die bei seinen Tagungen gehalten wurden, bekannt.: „Über die ideologische Färbung des Kreises, seine personelle Zusammensetzung und mögliche Aufnahmebedingungen des ‚Jagsthausener Kreise‘“ können lediglich Mutmaßungen angestellt werden“, schrieb Isabel Drews noch 2005 in ihrer Arbeit über den Schweizer Rechtspopulisten James Schwarzenbach („Schweizer erwache!” Der Rechtspopulist James Schwarzenbach (1967–1978), Verlag Huber, Frauenfeld, 2005).
Dabei verdanken wir gerade ihrer Arbeit einige wichtige Erkenntnisse über die Jagsthausener. Etwa, dass man sich zweimal im Jahr, alternierend entweder auf der Jagsthausener Götzenburg oder im steirischen Bad Aussee traf. Bad Aussee, das war die Arbeitsstätte des Altnazi, SS-Offiziers und späteren Geheimdienstmanns Wilhelm Höttl. Er kommt in den Mitglieder- und Einladungslisten der Jagsthausener nicht vor – es wäre aber ein merkwürdiger Zufall, wenn ausgerechnet vor seiner Haustür Treffen von prominenten Altnazis, Geheimdienstlern und Rechtsextremen ohne ihn stattgefunden hätten.
Jedenfalls wissen wir aus diversen Schreiben, die zwischen den Mitgliedern zirkulierten, wer in den 1960er- und 70er-Jahren der organisatorische Kopf der Jagsthausener war. Drews nennt den „in der Öffentlichkeit nicht bekannten Wiener“ nur mit den Initialen, A.F.. In den uns vorliegenden Mitglieder- und Adressenlisten taucht er nicht auf – vermutlich, weil sie von ihm verfasst wurden. A.F. war ein sudetendeutscher Textilfabrikant, der in der Nazi-Zeit im Protektorat für Böhmen und Mähren eine gewichtige Rolle spielte. Seine ideologische Einstellung blitzt in einem Brief aus dem Jahr 1967 auf: „Das Einzige, was man sieht, ist Auflösung und da wieder ist mir die unheimlichste Erscheinung de Gaulle: spielt er oder wird er gespielt? Ich nehme das letztere an und frage mich, auf welcher Grundlage sich Rothschild mit denen [sic!] Kommunisten bereits geeinigt hat.“ (aus dem Brief A.F. an G.B. vom 9.7.67) Da tauchen sie wieder auf – die alten antisemitischen Nazi-Verschwörungserzählungen, unterlegt mit einem Schuss Pessimismus, der für alte Nazis im Jahr 1967 durchaus angebracht war!
A.F., der Textilfabrikant, war offensichtlich auch derjenige, der Referenten und Geld für den JK keilte. Drews schreibt von Mitgliedsbeiträgen, mit denen die Vorträge finanziert wurden; es dürften aber auch großzügige Spenden eingelangt sein. Der Altnazi, spätere Rechtsextreme und Geheimdienstler Gerhard Baumann schrieb jedenfalls 1971, dass der Organisator A.F. das nächste Treffen schon angekündigt habe, „verbunden mit einem Brunftschrei nach Geld! Soll er haben, kriegt er auch“ (aus dem Brief an Hermann Bickler vom 11.3.71).
Einige der Referenten waren durchaus prominent, wie etwa Franz Josef Strauß, der Chef der CSU und langjährige bayrische Ministerpräsident, der im Februar 1975 beim JK referierte: „Er will sich viel Zeit nehmen, damit auch interne Fragen besprochen werden können“, zitiert Isabel Drews den Organisator A.F. aus einem Schreiben an James Schwarzenbach, der seinerseits das Gesicht der Schweizer Rechten in den 1960er- und 70er-Jahren war.
Strauß bei Besprechungen über interne Fragen der Jagsthausener? Vielleicht eine Übertreibung des Organisators, um das Treffen noch schmackhafter zu machen, andererseits entsprach die Gemengelage aus Interessen von alten Nazis, Geheimdienstlern, Industriellen und Rechtsextremen durchaus. Weitere Referenten waren – unter vielen anderen – der revisionistische Hitler-Biograph Werner Maser, der Nazi-Schweizer Armin Mohler, ein späterer Proponent der Neuen Rechten und der SS-Mann Hermann Bickler, der sich seiner Verurteilung zum Tod durch ein französisches Gericht durch Flucht entzogen hatte, 1973 aber ohne Probleme bei den Jagsthausenern über „Die deutsche Situation“ referieren konnte. Karl Epting, ein deutscher Nazi und Antisemit, der im besetzten Frankreich Karriere machte, durfte zu „Frankreich-Europa“ 1973 referieren und James Schwarzenbach sprach 1974 zum Thema „Unheilige Allianzen – weltpolitische Hintergründe“. Isabel Drews urteilt darüber: „Inhaltlich handelte es sich dabei um eine Variation der Weltverschwörungsthese im Stile der ‚Protokolle der Weisen von Zion‘.“
„Rund ein Drittel der Redner blickte auf eine Karriere im NS-Regime zurück“, schreibt Drews in ihrem Schwarzenbach-Buch. Bei den Rednern mag das zutreffen, bei den Mitgliedern und Adressaten des JK war der Anteil sicher viel höher. Einige von ihnen haben wir schon in Teil 1 genannt, Drews nennt noch Taras Borodajkewycz selbst und den in Ried im Innkreis geborenen Völkerrechtler Hermann Raschhofer. Der war ein illegaler Nationalsozialist, der im Reichsprotektorat Böhmen und Mähren gewütet hatte, aber nach 1945 ungehindert weiter an seiner Karriere arbeiten durfte. Wie Borodajkewycz (und Höttl) war Raschhofer übrigens Teilnehmer der Oberweiser Konferenz 1949, wo die alten Nazis mit Vertretern der ÖVP über eine Unterstützung bei den Wahlen debattierten.
Drews ist aufgefallen, dass Schwarzenbach in seinem Briefwechsel mit dem damaligen Organisator der Jagsthausener, A.F., „eine deutlich aggressivere Wortwahl pflegte als gewöhnlich“. Wenn man aggressiv durch offen ergänzt, gilt das auch für die anderen alten Jagsthausener. Wilfried Strik-Strikfeldt, ein baltischer Nazi-Kollaborateur und Jagsthausener, sprach in einem Brief an Baumann 1967 (20.2.) davon, dass nur der
standhafte – in sich gefestigte – Mensch (…) dem ‚revolutionären Krieg‘ standhaft begegnen [kann]. Daher ist das Problem der inneren Festigung durch eine Elite die vordringlichste Aufgabe der Stunde. Und nur sie kann diesen Gegner „abschrecken“ und zur Mäßigung zwingen. Letzteres weiß ich ‑aus bitterster Erfahrung!
Wer der Gegner ist, dem die Jagsthausener stellvertretend für Deutschland „standhaft“ entgegentreten müssten, das haben andere vom JK wie sein Organisator A.F. oder auch James Schwarzenbach schon so formuliert, wie sie es Jahrzehnte zuvor aufgenommen haben: Juden, Kommunisten, Linke.
„Entscheidend bleibt zuletzt, mit welcher Gesinnung ein Volk dem Schicksal gegenübertritt“, postuliert der Altnazi Hermann Bickler in einem Brief, den er 1967 aus seinem italienischen Fluchtort an Baumann geschrieben hat. So ähnlich, nur etwas negativer, hat das Goebbels auch formuliert, bevor er seine Familie und sich selbst suizidierte.
Durch die Materialien, die Erich Schmidt-Eenboom und Isabel Drews in ihren Arbeiten so nebenbei über den JK gesammelt und veröffentlicht haben, wissen wir jetzt etwas mehr über diesen klandestinen Klub im äußerst rechten Eck. Wir wissen jetzt auch, dass Österreicher von den frühen Jahren an bis zuletzt nicht nur als Mitglieder und Referenten aktiv waren, sondern auch den Kreis organisiert haben. In den 1960er- und 70er-Jahren war es der Wiener Textilfabrikant, der im Protektorat Böhmen und Mähren gewirkt hatte, in den letzten Jahren sind es die beiden Salzburger Caspart und Wutscher. Sie und ihr Wirken werden wir nach dem Sommerurlaub vorstellen.
P.S.: Wir danken Erich Schmidt-Eenboom und Isabel Drews für die von ihnen zur Verfügung gestellten Materialien!