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Das Gespenst des Ex-Doktors: Antisemitischer Wahn auf YouTube

Hel­mut Pil­har, der aktivs­te Epi­go­ne von Ryke Geerd Hamers „Ger­ma­ni­scher Heil­kun­de“, ver­brei­tet des­sen anti­se­mi­ti­sche Para­noia nun wie­der unge­fil­tert und unbe­hel­ligt. Clips, die Pil­har in die­sem Jahr online gestellt hat, haben es in sich. Der „Jün­ger“ Wir haben erst vor kur­zem in unse­rem Seg­ment „Was wur­de denn aus …?“, über Hel­mut Pil­har berich­tet. Die span­nen­de und dramatische […]

1. Okt 2021

Der „Jün­ger“

Wir haben erst vor kur­zem in unse­rem Seg­ment „Was wur­de denn aus …?“, über Hel­mut Pil­har berich­tet. Die span­nen­de und dra­ma­ti­sche Geschich­te dar­über, wie der heu­te 55-jäh­ri­ge Inge­nieur auf­grund der Krebs­er­kran­kung sei­ner Toch­ter Oli­via, die von den Eltern durch eine Flucht quer durch Euro­pa einer schul­me­di­zi­ni­schen Behand­lung ent­zo­gen wer­den soll­te und zum treu­es­ten Jün­ger des Erfin­ders der soge­nann­ten „Ger­ma­ni­schen Neu­en Medi­zin“ (GNM) wur­de, erspa­ren wir uns daher an die­ser Stel­le. Pil­har tut sich jeden­falls seit Jah­ren als ideo­lo­gi­scher Nach­lass­ver­wal­ter der „Leh­re“ des 2017 ver­stor­be­nen Hamer her­vor. Der hat­te ihn immer­hin zum „Dozen­ten für Ger­ma­ni­sche Heil­kun­de – Theo­rie“ ernannt. Dabei han­delt es sich frei­lich um einen erfun­de­nen Titel.

Screenshot Video Erkenntnisunterdrueckung mit Hamer-Buch "Einer gegen alle"
Screen­shot Video Erkennt­nis­un­ter­drue­ckung mit Hamer-Buch „Einer gegen alle”

Die „Leh­re“

Die GNM ist eine pseu­do­me­di­zi­ni­sche Leh­re, die von Hamer ab 1981 ent­wi­ckelt wur­de und im Wesent­li­chen davon aus­geht, dass alle Erkran­kun­gen auf „Kon­flik­te“ bzw. „Kon­flikt­schock­erleb­nis­se“ rück­zu­füh­ren sei­en, die mit Hamers Ver­fah­ren, einem Mix aus psy­cho­the­ra­peu­ti­schen Anlei­hen und einem eso­te­ri­schen Posi­tiv-Den­ken-Ansatz, auf­ge­löst wer­den kön­nen. Hamer hat­te sei­ne Appro­ba­ti­on bereits 1986 ver­lo­ren, danach trotz­dem wei­ter prak­ti­ziert und des­halb meh­re­re Haft­stra­fen abge­ses­sen. Die Medi­zin­jour­na­lis­tin Kris­ta Feder­spiel geht davon aus, dass seit 1983 etwa 500 Per­so­nen auf­grund der Befol­gung von Hamers „Medi­zin“ gestor­ben sind.

Zudem waren Hamers The­sen stets ein­ge­bet­tet in eine ras­sis­ti­sche und anti­se­mi­ti­sche Ideo­lo­gie. Zu sei­nen Unter­stüt­zern und Ver­brei­tern der „Leh­re“ zäh­len fol­ge­rich­tig Neo­na­zis (etwa der „Coro­na-Rebell“ und Ex-NPD-Mann Mar­tin Gab­ling) und Holo­caust­leug­ner (etwa der „Reichs­bür­ger“ Iwan Wan­ja Götz). Hamers Kon­zept erfreut sich auch wei­ter­hin gro­ßer Beliebt­heit im hete­ro­ge­nen Eso­te­rik-Milieu, wo die Gren­zen zu rech­ten bis rechts­extre­men Ideo­lo­ge­men oft­mals flie­ßend sind.

Auf You­Tube gegen die „Erkennt­nis­un­ter­drü­ckung“

Hel­mut Pil­har erfüllt sei­ne Auf­ga­be als „Dozent für Ger­ma­ni­sche Heil­kun­de“ einer­seits über sei­ne wir­re Web­site, ande­rer­seits auf sei­nem You­Tube-Kanal, der über rund 10.000 Abonent*innen ver­fügt. Dort erschie­nen erst vor kur­zem eini­ge Clips, in wel­chen der Men­tor Hamer selbst zu Wort kommt. Und die haben es in sich. Das ist über­ra­schend, weil Pil­har einem gut recher­chier­ten Ein­trag auf dem kri­ti­schen Wiki-Por­tal „Psi­ram“ zufol­ge die offen­sicht­lichs­ten Bele­ge für Hamers Anti­se­mi­tis­mus eigent­lich zu löschen ver­sucht hat. Dabei han­delt es sich ins­be­son­de­re um offe­ne Brie­fe, die groß­teils bei Pil­har sein dürften.

Screenshot Video Erkenntnisunterdrueckung: Hamer wird von einer "Julia" interviewt
Screen­shot Video Erkennt­nis­un­ter­drue­ckung: Hamer wird von einer „Julia” interviewt

In einem Video mit dem Titel „Erkennt­nis­un­ter­drue­ckung“ (1), das Pil­har erst im Febru­ar die­ses Jah­res ver­öf­fent­licht hat, buch­sta­biert Hamer sei­nen anti­se­mi­ti­schen Wahn am deut­lichs­ten aus. Der Clip dau­ert bei­na­he eine Stun­de und ist eine Mon­ta­ge aus einem Inter­view mit Hamer und etli­chen Aus­zü­gen aus den erwähn­ten offe­nen Brie­fen und ande­ren Text­stel­len. Hamer setzt dar­in aus­ein­an­der, dass er Opfer einer jüdi­schen Ver­schwö­rung sei:

Die Pres­se gehört einer gewis­sen Reli­gi­ons­ge­mein­schaft, alles gehört die­ser Reli­gi­ons­ge­mein­schaft: Die Uni­ver­si­tä­ten, die Ban­ken … ein­fach alles. Und die­se größ­te Ent­de­ckung der Mensch­heits­ge­schich­te [womit er sei­ne eige­ne Erfin­dung meint, Amk. SdR], ja das ist doch unmög­lich, dass das denen nicht gehört, das kön­nen die gar nicht ertragen.

Laut Hamer habe das Juden­tum sei­ne gro­ße Ent­de­ckung gestoh­len und nüt­ze die­se nun nur für sich, wäh­rend die Wei­ter­ga­be der Wun­der­hei­lung an alle Nicht-Juden ver­bo­ten sei. Mehr noch: Alle ande­ren wür­den durch Mor­phi­um und Che­mo­the­ra­pie ermor­det; das sei der „teuf­li­sche Plan“, der der Wei­sung des „Welt­ober­rab­bi­ners“ ent­stam­me. Die­ser, gleich­zei­tig „spi­ri­tu­el­les Ober­haupt aller Frei­mau­rer­lo­gen“, sei der „Mes­si­as der Juden und größ­ter Mas­sen­mör­der aller Zei­ten“, unter des­sen Ägi­de bereits drei Mil­li­ar­den Men­schen „geschäch­tet wor­den“ sei­en.

Die­ser anti­se­mi­ti­sche Wahn ist gespickt mit zahl­rei­chen Details, etwa: Alle Onkolog*innen sei­en Juden und Jüdin­nen. Auf­fäl­lig ist, dass Hamer stän­dig ein Voka­bu­lar bedient, das im Dis­kurs über NS-Ver­bre­chen geläu­fig ist. Er wen­det es statt­des­sen gegen Juden und Jüdin­nen. So spricht er etwa vom „größ­ten Ver­bre­chen der Mensch­heits­ge­schich­te“, von der „Kol­lek­tiv­schuld“ der Rab­bi­ner und davon, dass sich die Men­schen von jüdi­schen Ärzt*innen „wie Scha­fe zur Schlacht­bank“ füh­ren lie­ßen, denn sie wür­den durch die schul­me­di­zi­ni­schen Maß­nah­men sys­te­ma­tisch ermordet.

User "steve gart" fragt Pilhar: "was ich derzeit nicht verstehe, warum man in Israel so viele Menschen gegen Covid impft, wenn doch die Israelis für Ihre Bürger die Germanische anwenden, wodurch ja Impfungen total sinnlos sind? Und überhaupt hatte Israel ja auch einen sehr strengen Lockdown. Also die würden doch dann ihre Glaubensbrüder nicht bewusst so schädigen wie den Rest der Welt oder verstehe ich da etwas falsch?" Pilhar: "Eine Antwort auf Ihre Frage würde mich auch interessieren."
User „ste­ve gart” fragt Pil­har: „was ich der­zeit nicht ver­ste­he, war­um man in Isra­el so vie­le Men­schen gegen Covid impft, wenn doch die Israe­lis für Ihre Bür­ger die Ger­ma­ni­sche anwen­den, wodurch ja Imp­fun­gen total sinn­los sind? Und über­haupt hat­te Isra­el ja auch einen sehr stren­gen Lock­down. Also die wür­den doch dann ihre Glau­bens­brü­der nicht bewusst so schä­di­gen wie den Rest der Welt oder ver­ste­he ich da etwas falsch?” Pil­har: „Eine Ant­wort auf Ihre Fra­ge wür­de mich auch interessieren.”

Hamers bizar­re Mischung aus Selbst­über­hö­hung (er habe die „größ­te Ent­de­ckung der Mensch­heits­ge­schich­te“ gemacht) einer­seits und der Behaup­tung tota­ler Kon­trol­le durch eine jüdi­sche Welt­ver­schwö­rung ande­rer­seits ent­spricht prä­zi­se jener „ohn­mäch­ti­gen All­machts­phan­ta­sie“, die der Poli­tik­wis­sen­schaft­ler Samu­el Salz­born im Anti­se­mi­tis­mus aus­macht. Anti­se­mi­tis­mus ent­las­tet – kogni­tiv und emo­tio­nal – durch einen „welt­an­schau­li­chen Allerklä­rungs­an­spruch: Er bie­tet als Welt­bild ein all­um­fas­sen­des Sys­tem von Res­sen­ti­ments und (Verschwörungs-)Mythen, die in ihrer kon­kre­ten Aus­for­mu­lie­rung wan­del­bar waren und sind“ (bpb.de). Pil­hars anti­se­mi­ti­sches Hetz-Video ist dafür auf­grund sei­ner Expli­zit­heit und Län­ge ein her­aus­ra­gen­des – und nur schwer erträg­li­ches – Beispiel.

„Mein Stu­den­ten­mäd­chen“

Was laut Hamer übri­gens auch von der jüdi­schen Kon­spi­ra­ti­on zurück­ge­hal­ten wird, sei die hei­len­de Wir­kung des von ihm kom­po­nier­ten Lieds „Mein Stu­den­ten­mäd­chen“. Das 1976 für sei­ne an Krebs ver­stor­be­ne Frau ver­fass­te Stück soll auf­grund sei­ner „Schwin­gun­gen“ eine hei­len­de Zau­ber­wir­kung haben. Hamer emp­fahl das Hören in Dau­er­schlei­fe als The­ra­pie gegen Krebs. Auch dem oben zitier­ten Video wird das Lied immer wie­der als eine weit her­aus­ra­gen­de Ent­de­ckung von Hamer erwähnt.

Hamers Wunderheilmittel: sein Lied "Mein Studentenmädchen"
Hamers Wun­der­heil­mit­tel: sein Lied „Mein Studentenmädchen”

Vor die­sem Hin­ter­grund wun­dert es nicht, dass Hamers Wahn­ideen oft­mals in Zusam­men­hang mit einer psy­chi­schen Erkran­kung gese­hen wur­den. Die­se Ver­mu­tung war bereits bei dem Gerichts­ur­teil von 1986 rele­vant. Sei­ne Anhänger*innen schreckt das frei­lich nicht ab. Pil­har bewirbt viel­mehr auch die­sen tra­gi­schen Unsinn auf sei­ner Website.

Wüst antisemitischer Brief Hamer an Mendel Schneerson
Wüst anti­se­mi­ti­scher Brief von Hamer an Men­del Schneerson

Fuß­no­ten:

1 „20130903 Dr. Hamer – Erkennt­nis­un­ter­drue­ckung“, 14.02.2021, ein­ge­se­hen via You­tube-Kanal „Hel­mut Pil­har“: 01.10.2021

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