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Rückblick KW 45 (I): Prozesse

Um Gerichts­pro­zes­se geht es in die­sem ers­ten Teil des Wochen­rück­blicks: Ver­ur­tei­lun­gen nach dem Ver­bots­ge­setz, Frei­sprü­che von iden­ti­tä­ren Akti­vis­ten und ein Eis­ho­­ckey-Spie­­ler, den Geschwo­re­ne zuerst für einen Hitler‑, dann aber doch für einen Ronal­­do-Fan hiel­ten. Vöck­la­bruck-Wels/OÖ: Nicht rechts­kräf­ti­ge Frei­sprü­che für iden­ti­tä­ren-nahe Män­ner Puchen­au-Linz: Wie­der­be­tä­ti­gung „aus dem Bauch her­aus“ Wels/OÖ: „Heil Hit­ler“- oder „Siuuu“-Ruf – Geschwo­re­ne mussten […]

13. Nov 2023

Vöcklabruck-Wels/OÖ: Nicht rechtskräftige Freisprüche für identitären-nahe Männer
Puchenau-Linz: Wiederbetätigung „aus dem Bauch heraus“

Wels/OÖ: „Heil Hitler“- oder „Siuuu“-Ruf – Geschworene mussten zweimal abstimmen
Wien-Korneuburg/NÖ: Ehemalige Justizangestellte in zahlreichen Fällen nach Verbotsgesetz verurteilt
Graz: Verurteilung wegen selbstgestochenen Hakenkreuz-Tattoos in Haft

Vöcklabruck-Wels/OÖ: Nicht rechtskräftige Freisprüche für identitären-nahe Männer

Nach zwei Ver­ta­gun­gen kam es in Wels im Ver­fah­ren gegen fünf Män­ner aus dem iden­ti­tä­ren Umfeld wegen des Ver­dachts auf Ver­het­zung zu einem Urteil: Sie wur­den freigesprochen.

Die fünf Män­ner hat­ten im August 2021 an einem Bau­platz in Vöck­la­bruck, auf dem das mitt­ler­wei­le fer­tig gestell­te „Bos­nia­kisch-Öster­rei­chi­sche Kul­tur- und Bil­dungs­zen­trum“ in Ent­ste­hung war, ein Ban­ner samt Ku Kux-Klan-ähn­li­chem Holz­kreuz hin­ter­las­sen. In dem ers­ten Pro­zess­ter­min im August 2022 wur­de ver­tagt, weil ein Ver­fas­sungs­schüt­zer gela­den wer­den soll­te, am zwei­ten Ver­hand­lungs­tag im Dezem­ber 2022 kam es wie­der zur Ver­ta­gung, um ein Gut­ach­ten einzuholen.

Nach elf Mona­ten ging es nun wei­ter, aller­dings ohne das ange­for­der­te Gut­ach­ten, weil sich der gela­de­ne Sach­ver­stän­di­ge nicht zustän­dig gefühlt habe. Dafür wur­de auf Antrag der Ver­tei­di­gung ein Islam­wis­sen­schaf­ter aus Deutsch­land tele­fo­nisch zuge­schal­tet, der erklär­te, dass der Ver­ein in Vöck­la­bruck einen sala­fis­ti­schen Pre­di­ger ein­ge­la­den hätte.

Die Ver­tei­di­gung berief sich zudem auf einen Bera­ter des Alt­kanz­lers Sebas­ti­an Kurz, der den Betrei­ber­ver­ein des Neu­baus nicht zu den libe­ra­len Mus­li­men gezählt haben soll. Der Rich­ter über­nahm die­ses Argu­ment und stuf­te das Ver­hal­ten der Ange­klag­ten als nicht gegen den Islam, son­dern gegen den Isla­mis­mus im Rah­men der Mei­nungs­frei­heit und der öster­rei­chi­schen Grund­sät­ze gerich­tet ein. Die Staats­an­walt­schaft woll­te sich dem nicht anschlie­ßen und kün­dig­te an, Rechts­mit­tel ein­zu­le­gen, womit das Urteil nicht rechts­kräf­tig ist. Einer der zwei Ver­tei­di­ger war übri­gens der ehe­ma­li­ge FPÖ-BZÖ-Poli­ti­ker Ewald Stadler.

Wohl nicht beab­sich­tig­ten Humor bewies der bei der Ver­hand­lung eben­falls anwe­sen­de AUF1-Schrei­ber­ling Kurt Gug­gen­bich­ler. Der bezeich­ne­te die laut „Ober­ös­ter­rei­chi­sche Nach­rich­ten“ (9.11.23) zwi­schen 19- und 51-jäh­ri­gen Ange­klag­ten als „fünf jun­ge Män­ner“. Gug­gen­bich­ler beklag­te auch noch die aus sei­ner Sicht nicht aus­rei­chen­de Arbeit des „BVT“. Viel­leicht soll­te ihm jemand flüs­tern, dass es das „Bun­des­amt für Ver­fas­sungs­schutz und Ter­ro­ris­mus­be­kämp­fung“, kurz „BVT“, seit fast zwei Jah­ren nicht mehr gibt. Obwohl: Auf sol­che Details kommt’s bei der rechts­extre­men Des­in­for­ma­ti­ons­schleu­der AUF1 auch nicht mehr an.

Dan­ke für die Prozessbeobachtung!

Puchen­au-Linz: Wie­der­be­tä­ti­gung „aus dem Bauch heraus“

Öster­reich­weit bekannt wur­de der aus Puchen­au stam­men­de Ober­ös­ter­rei­cher Flo­ri­an O. nicht mit Pes­to­krea­tio­nen aus sei­nem „Genuss-Gar­ten“, die er auf diver­sen Märk­ten recht erfolg­reich ver­kauft haben soll und auch noch nicht, als er Coro­na-Demos orga­ni­sier­te und im Lock­down in sei­nen Gar­ten lud, son­dern weil er im Juli 2023 mit der im Kof­fer­raum sei­nes Autos depo­nier­ten Lei­che sei­ner an Krebs ver­stor­be­nen Frau auf­ge­hal­ten und in Haft genom­men wur­de. In einem Essay über O.s Radi­ka­li­sie­rung schreibt Gabri­el Egger in den Ober­ös­ter­rei­chi­schen Nach­rich­ten (25.7.23):

In der chao­ti­schen Erst­pha­se der Coro­na­pan­de­mie ver­lor Flo­ri­an O. den Halt. Sei­ne Ansich­ten wur­den radi­ka­ler, die Wor­te dras­ti­scher. (…) Die Fami­lie Roth­schild wür­de die Zügel der Welt „ganz fest in der Hand hal­ten”, er wol­le nicht mehr mit­spie­len, nicht mehr Fol­ge leis­ten. Was mit den Tie­ren gemacht wur­de, wer­de nun bei den Men­schen gemacht: ein­sper­ren, chip­pen, die Kon­trol­le übernehmen.
Als die Imp­fung The­ma wird, spricht O. auf der Büh­ne von „Schul­me­di­zin und Mäch­ten, die im Hin­ter­grund blei­ben wol­len und eine unhei­li­ge Alli­anz ein­ge­gan­gen sind”. O. wird ange­zeigt, weil er kei­ne Mas­ke trägt. Immer und immer wie­der. Er zah­le nicht, nie­mals, sagt er. Als ihm am 24. Jän­ner der Füh­rer­schein wegen Dro­gen am Steu­er abge­nom­men wird, sagt er, dass die „Fir­ma Poli­zei” nur Bediens­te­te und kei­ne Beam­ten hät­te. Es sei alles ille­gal. O. drif­tet ab in Ver­schwö­rungs­theo­rien, bedient sich der Ansich­ten der Staatsverweigerer.

Auf eine Ver­ur­tei­lung wegen Ver­leum­dung, fal­scher Beweis­aus­sa­ge, übler Nach­re­de, Belei­di­gung und Fäl­schung eines Beweis­mit­tels zu einem Jahr Haft, davon vier Mona­te unbe­dingt, folgt eine Ankla­ge nach dem Ver­bots­ge­setz, weil O. die Coro­na-Maß­nah­men und die Imp­fung mehr­fach mit dem Natio­nal­so­zia­lis­mus und dem Holo­caust ver­gli­chen hat. Zu sei­nem Pro­zess erscheint O. nicht und taucht bis zur Fest­hal­tung letz­ten Juli unter. Am 10. Okto­ber wird O. schließ­lich aus der Haft in den Gerichts­saal geführt.

Dort zeigt sich der 40-Jäh­ri­ge ziem­lich unbe­darft: Hät­te er gewusst, wie sei­ne Aus­sa­gen inter­pre­tiert wer­den, hät­te er ande­re Wor­te gewählt. Das Ver­bots­ge­setz sei ihm nicht bekannt gewe­sen und auch nicht die ein­schlä­gi­ge Bedeu­tung des Wor­tes „Wie­der­be­tä­ti­gung“ – er habe den Begriff ohne Hin­ter­grund­wis­sen „aus dem Bauch her­aus“* ver­wen­det. Auf die Fra­ge des Rich­ters, wen O. mit sei­ner Aus­sa­ge Sie berei­ten einen neu­en Holo­caust vor“ mit „Sie“ gemeint habe, ließ O. das Gericht wis­sen: „Das ist eine Inter­pre­ta­ti­on, die jeder sel­ber machen soll.“ Mit dem Natio­nal­so­zia­lis­mus habe er nichts am Hut, er habe schließ­lich davor sogar war­nen wollen.

Am Ende wird O. nach drei­ein­halb Stun­den Bera­tungs­zeit in zwei der drei Haupt­fra­gen frei- und in der Fra­ge, ob O. schul­dig ist, auf Tele­gram in einem Video die Impf­pflicht mit dem Geno­zid ver­gli­chen und damit den Holo­caust gröb­lich ver­harm­lost zu haben, schul­dig gespro­chen und zu nur drei Mona­ten beding­ter Haft ver­ur­teilt – was sehr deut­lich unter der Min­dest­stra­fe von einem Jahr liegt. O. kann das Gericht somit als frei­er Mann ver­las­sen. Die Staats­an­walt­schaft gibt kei­ne Erklä­rung ab, womit das Urteil nicht rechts­kräf­tig ist.

Dan­ke für die Prozessbeobachtung!

* Zita­te aus dem Pro­zess stam­men aus dem Prozessprotokoll.

➡️ Ober­ös­ter­rei­chi­sche Nach­rich­ten (10.11.23): Holo­caust-Ver­harm­lo­sung: Flo­ri­an O. zu 3 Mona­ten beding­ter Haft verurteilt

Wels/OÖ: „Heil Hitler“- oder „Siuuu“-Ruf – Geschworene mussten zweimal abstimmen

Ein 30-jäh­ri­ger Eis­ho­ckey-Spie­ler muss­te sich am 5.10.2023 wegen angeb­li­chem Zei­gen des Hit­ler­gru­ßes und „Sieg Heil“-Rufen in Wels ver­ant­wor­ten. Dem Gericht wur­den zwei ein­an­der wider­spre­chen­de Geschich­ten gebo­ten. Zeu­gin­nen sag­ten aus, der Mann, der mit sei­nem Eis­ho­ckey-Ver­ein in einem Wel­ser Beisl fei­er­te, habe im und vorm Lokal mehr­mals „Sieg Heil“ geru­fen und den ent­spre­chen­den Gruß gezeigt. Auch bei wie­der­hol­tem Mal hät­ten der Secu­ri­ty des Lokals sowie der Bar­chef nicht mit dem Raus­schmiss des Man­nes reagiert. Die Zeu­gin­nen setz­ten einen Poli­zei­ruf ab, Anzei­ge wur­de erstat­tet. Vor Gericht stand es dann Aus­sa­ge gegen Aussage:

Als Zeu­gen gela­de­ne Kol­le­gen vom Eis­ho­ckey-Ver­ein erklär­ten – genau­so wie der Bar­kee­per und der Secu­ri­ty – nichts der­glei­chen gehört oder gese­hen zu haben. Der 30-Jäh­ri­ge erklär­te, nur Cris­tia­no Ronal­dos „Siuuu“-Ruf nach­ge­macht zu haben. Auf Video­auf­zeich­nun­gen war aus­ge­rech­net die Zeit der mut­maß­li­chen Vor­fäl­le nicht gespei­chert. (krone.at, 8.11.23)

Die Geschwo­re­nen stimm­ten zwar zunächst für schul­dig, woll­ten aber kei­nen Vor­satz erken­nen, was eine erneu­te Rechts­be­leh­rung durch den vor­sit­zen­den Rich­ter zur Fol­ge hat­te und zudem eine zwei­te Abstim­mung, bei der ein rechts­kräf­ti­ger Frei­spruch erfolg­te. (Quel­le: krone.at)

Wien-Korneuburg/NÖ: Ehemalige Justizangestellte in zahlreichen Fällen nach Verbotsgesetz verurteilt

Eine 47-Jäh­ri­ge soll sich in 196 Fäl­len nach dem Ver­bots­ge­setz straf­bar gemacht haben und muss­te sich bereits Ende Okto­ber dafür am Lan­des­ge­richt Kor­neu­burg ver­ant­wor­ten. Bri­sant an dem Fall ist, dass es sich bei der Frau um eine ehe­ma­li­ge Jus­tiz­an­ge­stell­te han­delt, die wäh­rend einer Zeit­span­ne von zehn Jah­ren straf­ba­res Mate­ri­al, ins­be­son­de­re NS-ver­harm­lo­sen­de und ‑ver­herr­li­chen­de Bild- und Text­nach­rich­ten, ver­sen­det hat­te. Dazu kamen zahl­rei­che NS-Devo­tio­na­li­en, die bei einer Haus­durch­su­chung im Jahr 2021 sicher­ge­stellt wur­den. Weil die Ange­klag­te in dem inkri­mi­nier­ten Zeit­raum am Lan­des­ge­richt für Straf­sa­chen in Wien tätig war, wur­de der Fall an die Staats­an­walt­schaft Kor­neu­burg über­ge­ben, um einen mög­li­chen Anschein von Befan­gen­heit zu ver­mei­den. Die Frau war voll­um­fäng­lich gestän­dig und gab an, sie sei zehn Jah­re von NS-Gedan­ken­gut infi­ziert gewesen.
Um zu ver­mei­den, dass alle Delik­te vor­ge­tra­gen wer­den müs­sen, wur­den die Geschwo­re­nen schließ­lich nur mit den 51 schwer­wie­gends­ten Delik­ten in die Bera­tun­gen geschickt.

Der soge­nann­te Wahr­spruch der Geschwo­re­nen fiel abso­lut klar aus: in allen 51 Ankla­ge­punk­ten wur­de die 47-Jäh­ri­ge mit acht zu null Stim­men schul­dig gespro­chen. So ein­deu­tig, so erwart­bar. Aber das Urteil soll­te noch eine böse­re Über­ra­schung für die bis­her unbe­schol­te­ne 47-Jäh­ri­ge bereit­hal­ten: Zwei Jah­re Frei­heits­stra­fe, davon sechs Mona­te unbe­dingt. Bei­de Sei­ten gaben vor­erst kei­ne Erklä­rung zu dem Urteil ab. (noen.at, 10.11.23)

Das Urteil ist daher noch nicht rechtskräftig.

Graz: Verurteilung wegen selbstgestochenen Hakenkreuz-Tattoos in Haft

Ein mehr­fach vor­be­straf­ter 25-jäh­ri­ger Stei­rer muss­te sich vor Gericht wegen eines Haken­kreuz-Tat­toos ver­ant­wor­ten. Er hat­te es sich selbst gesto­chen, wäh­rend er noch wegen schwe­ren Rau­bes in Haft saß. Als Motiv für den Ver­stoß gegen das Ver­bots­ge­setz gab er Frust an:

„Ich war frus­triert, war 23 Stun­den am Tag eing‘sperrt.“ – „Man soll­te aber schon dazu sagen, dass sie wegen schwe­ren Raubs sit­zen“, ent­geg­net die Vor­sit­zen­de und zeigt sich über die Motiv­wahl irri­tiert: „Wie­so gera­de ein Haken­kreuz? Sie hät­ten sich ja auch einen Del­fin täto­wie­ren kön­nen.“ – „Ein Del­fin hät­te nicht mei­ne gan­ze Frus­tra­ti­on aus­ge­drückt“, erklärt der Mann. Das Haken­kreuz stün­de für Hass. „Ich hat­te Hass auf alles und jeden. Dabei war ich selbst schuld.“ Als Nazi will er sich jeden­falls nicht sehen. „Er hat das nie pro­pa­gan­dis­tisch ver­stan­den“, assis­tiert ihm der Anwalt. (kleinezeitung.at, 9.11.23)

Die Geschwo­re­nen qua­li­fi­zier­ten die­se Aus­sa­gen als Schutz­be­haup­tun­gen, der Schuld­spruch war ein­stim­mig: zwei Jah­re zusätz­li­cher Haft, zudem der Wider­ruf einer Bewäh­rungs­stra­fe über zehn Mona­te aus einer Vor­stra­fe. (Quel­le: kleinezeitung.at)