Vöcklabruck-Wels/OÖ: Nicht rechtskräftige Freisprüche für identitären-nahe Männer
Puchenau-Linz: Wiederbetätigung „aus dem Bauch heraus“
Wels/OÖ: „Heil Hitler“- oder „Siuuu“-Ruf – Geschworene mussten zweimal abstimmen
Wien-Korneuburg/NÖ: Ehemalige Justizangestellte in zahlreichen Fällen nach Verbotsgesetz verurteilt
Graz: Verurteilung wegen selbstgestochenen Hakenkreuz-Tattoos in Haft
Vöcklabruck-Wels/OÖ: Nicht rechtskräftige Freisprüche für identitären-nahe Männer
Nach zwei Vertagungen kam es in Wels im Verfahren gegen fünf Männer aus dem identitären Umfeld wegen des Verdachts auf Verhetzung zu einem Urteil: Sie wurden freigesprochen.
Die fünf Männer hatten im August 2021 an einem Bauplatz in Vöcklabruck, auf dem das mittlerweile fertig gestellte „Bosniakisch-Österreichische Kultur- und Bildungszentrum“ in Entstehung war, ein Banner samt Ku Kux-Klan-ähnlichem Holzkreuz hinterlassen. In dem ersten Prozesstermin im August 2022 wurde vertagt, weil ein Verfassungsschützer geladen werden sollte, am zweiten Verhandlungstag im Dezember 2022 kam es wieder zur Vertagung, um ein Gutachten einzuholen.
Nach elf Monaten ging es nun weiter, allerdings ohne das angeforderte Gutachten, weil sich der geladene Sachverständige nicht zuständig gefühlt habe. Dafür wurde auf Antrag der Verteidigung ein Islamwissenschafter aus Deutschland telefonisch zugeschaltet, der erklärte, dass der Verein in Vöcklabruck einen salafistischen Prediger eingeladen hätte.
Die Verteidigung berief sich zudem auf einen Berater des Altkanzlers Sebastian Kurz, der den Betreiberverein des Neubaus nicht zu den liberalen Muslimen gezählt haben soll. Der Richter übernahm dieses Argument und stufte das Verhalten der Angeklagten als nicht gegen den Islam, sondern gegen den Islamismus im Rahmen der Meinungsfreiheit und der österreichischen Grundsätze gerichtet ein. Die Staatsanwaltschaft wollte sich dem nicht anschließen und kündigte an, Rechtsmittel einzulegen, womit das Urteil nicht rechtskräftig ist. Einer der zwei Verteidiger war übrigens der ehemalige FPÖ-BZÖ-Politiker Ewald Stadler.
Wohl nicht beabsichtigten Humor bewies der bei der Verhandlung ebenfalls anwesende AUF1-Schreiberling Kurt Guggenbichler. Der bezeichnete die laut „Oberösterreichische Nachrichten“ (9.11.23) zwischen 19- und 51-jährigen Angeklagten als „fünf junge Männer“. Guggenbichler beklagte auch noch die aus seiner Sicht nicht ausreichende Arbeit des „BVT“. Vielleicht sollte ihm jemand flüstern, dass es das „Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung“, kurz „BVT“, seit fast zwei Jahren nicht mehr gibt. Obwohl: Auf solche Details kommt’s bei der rechtsextremen Desinformationsschleuder AUF1 auch nicht mehr an.
Danke für die Prozessbeobachtung!
Update 10.7.24: Das OLG Linz bestätigte den Freispruch, der damit rechtskräftig ist.
Puchenau-Linz: Wiederbetätigung „aus dem Bauch heraus“
Österreichweit bekannt wurde der aus Puchenau stammende Oberösterreicher Florian O. nicht mit Pestokreationen aus seinem „Genuss-Garten“, die er auf diversen Märkten recht erfolgreich verkauft haben soll und auch noch nicht, als er Corona-Demos organisierte und im Lockdown in seinen Garten lud, sondern weil er im Juli 2023 mit der im Kofferraum seines Autos deponierten Leiche seiner an Krebs verstorbenen Frau aufgehalten und in Haft genommen wurde. In einem Essay über O.s Radikalisierung schreibt Gabriel Egger in den Oberösterreichischen Nachrichten (25.7.23):
In der chaotischen Erstphase der Coronapandemie verlor Florian O. den Halt. Seine Ansichten wurden radikaler, die Worte drastischer. (…) Die Familie Rothschild würde die Zügel der Welt „ganz fest in der Hand halten”, er wolle nicht mehr mitspielen, nicht mehr Folge leisten. Was mit den Tieren gemacht wurde, werde nun bei den Menschen gemacht: einsperren, chippen, die Kontrolle übernehmen.
Als die Impfung Thema wird, spricht O. auf der Bühne von „Schulmedizin und Mächten, die im Hintergrund bleiben wollen und eine unheilige Allianz eingegangen sind”. O. wird angezeigt, weil er keine Maske trägt. Immer und immer wieder. Er zahle nicht, niemals, sagt er. Als ihm am 24. Jänner der Führerschein wegen Drogen am Steuer abgenommen wird, sagt er, dass die „Firma Polizei” nur Bedienstete und keine Beamten hätte. Es sei alles illegal. O. driftet ab in Verschwörungstheorien, bedient sich der Ansichten der Staatsverweigerer.
Auf eine Verurteilung wegen Verleumdung, falscher Beweisaussage, übler Nachrede, Beleidigung und Fälschung eines Beweismittels zu einem Jahr Haft, davon vier Monate unbedingt, folgt eine Anklage nach dem Verbotsgesetz, weil O. die Corona-Maßnahmen und die Impfung mehrfach mit dem Nationalsozialismus und dem Holocaust verglichen hat. Zu seinem Prozess erscheint O. nicht und taucht bis zur Festhaltung letzten Juli unter. Am 10. Oktober wird O. schließlich aus der Haft in den Gerichtssaal geführt.
Dort zeigt sich der 40-Jährige ziemlich unbedarft: Hätte er gewusst, wie seine Aussagen interpretiert werden, hätte er andere Worte gewählt. Das Verbotsgesetz sei ihm nicht bekannt gewesen und auch nicht die einschlägige Bedeutung des Wortes „Wiederbetätigung“ – er habe den Begriff ohne Hintergrundwissen „aus dem Bauch heraus“* verwendet. Auf die Frage des Richters, wen O. mit seiner Aussage „Sie bereiten einen neuen Holocaust vor“ mit „Sie“ gemeint habe, ließ O. das Gericht wissen: „Das ist eine Interpretation, die jeder selber machen soll.“ Mit dem Nationalsozialismus habe er nichts am Hut, er habe schließlich davor sogar warnen wollen.
Am Ende wird O. nach dreieinhalb Stunden Beratungszeit in zwei der drei Hauptfragen frei- und in der Frage, ob O. schuldig ist, auf Telegram in einem Video die Impfpflicht mit dem Genozid verglichen und damit den Holocaust gröblich verharmlost zu haben, schuldig gesprochen und zu nur drei Monaten bedingter Haft verurteilt – was sehr deutlich unter der Mindeststrafe von einem Jahr liegt. O. kann das Gericht somit als freier Mann verlassen. Die Staatsanwaltschaft gibt keine Erklärung ab, womit das Urteil nicht rechtskräftig ist.
Danke für die Prozessbeobachtung!
* Zitate aus dem Prozess stammen aus dem Prozessprotokoll.
➡️ Oberösterreichische Nachrichten (10.11.23): Holocaust-Verharmlosung: Florian O. zu 3 Monaten bedingter Haft verurteilt
Wels/OÖ: „Heil Hitler“- oder „Siuuu“-Ruf – Geschworene mussten zweimal abstimmen
Ein 30-jähriger Eishockey-Spieler musste sich am 5.10.2023 wegen angeblichem Zeigen des Hitlergrußes und „Sieg Heil“-Rufen in Wels verantworten. Dem Gericht wurden zwei einander widersprechende Geschichten geboten. Zeuginnen sagten aus, der Mann, der mit seinem Eishockey-Verein in einem Welser Beisl feierte, habe im und vorm Lokal mehrmals „Sieg Heil“ gerufen und den entsprechenden Gruß gezeigt. Auch bei wiederholtem Mal hätten der Security des Lokals sowie der Barchef nicht mit dem Rausschmiss des Mannes reagiert. Die Zeuginnen setzten einen Polizeiruf ab, Anzeige wurde erstattet. Vor Gericht stand es dann Aussage gegen Aussage:
Als Zeugen geladene Kollegen vom Eishockey-Verein erklärten – genauso wie der Barkeeper und der Security – nichts dergleichen gehört oder gesehen zu haben. Der 30-Jährige erklärte, nur Cristiano Ronaldos „Siuuu“-Ruf nachgemacht zu haben. Auf Videoaufzeichnungen war ausgerechnet die Zeit der mutmaßlichen Vorfälle nicht gespeichert. (krone.at, 8.11.23)
Die Geschworenen stimmten zwar zunächst für schuldig, wollten aber keinen Vorsatz erkennen, was eine erneute Rechtsbelehrung durch den vorsitzenden Richter zur Folge hatte und zudem eine zweite Abstimmung, bei der ein rechtskräftiger Freispruch erfolgte. (Quelle: krone.at)
Wien-Korneuburg/NÖ: Ehemalige Justizangestellte in zahlreichen Fällen nach Verbotsgesetz verurteilt
Eine 47-Jährige soll sich in 196 Fällen nach dem Verbotsgesetz strafbar gemacht haben und musste sich bereits Ende Oktober dafür am Landesgericht Korneuburg verantworten. Brisant an dem Fall ist, dass es sich bei der Frau um eine ehemalige Justizangestellte handelt, die während einer Zeitspanne von zehn Jahren strafbares Material, insbesondere NS-verharmlosende und ‑verherrlichende Bild- und Textnachrichten, versendet hatte. Dazu kamen zahlreiche NS-Devotionalien, die bei einer Hausdurchsuchung im Jahr 2021 sichergestellt wurden. Weil die Angeklagte in dem inkriminierten Zeitraum am Landesgericht für Strafsachen in Wien tätig war, wurde der Fall an die Staatsanwaltschaft Korneuburg übergeben, um einen möglichen Anschein von Befangenheit zu vermeiden. Die Frau war vollumfänglich geständig und gab an, sie sei zehn Jahre von NS-Gedankengut infiziert gewesen.
Um zu vermeiden, dass alle Delikte vorgetragen werden müssen, wurden die Geschworenen schließlich nur mit den 51 schwerwiegendsten Delikten in die Beratungen geschickt.
Der sogenannte Wahrspruch der Geschworenen fiel absolut klar aus: in allen 51 Anklagepunkten wurde die 47-Jährige mit acht zu null Stimmen schuldig gesprochen. So eindeutig, so erwartbar. Aber das Urteil sollte noch eine bösere Überraschung für die bisher unbescholtene 47-Jährige bereithalten: Zwei Jahre Freiheitsstrafe, davon sechs Monate unbedingt. Beide Seiten gaben vorerst keine Erklärung zu dem Urteil ab. (noen.at, 10.11.23)
Das Urteil ist daher noch nicht rechtskräftig.
Graz: Verurteilung wegen selbstgestochenen Hakenkreuz-Tattoos in Haft
Ein mehrfach vorbestrafter 25-jähriger Steirer musste sich vor Gericht wegen eines Hakenkreuz-Tattoos verantworten. Er hatte es sich selbst gestochen, während er noch wegen schweren Raubes in Haft saß. Als Motiv für den Verstoß gegen das Verbotsgesetz gab er Frust an:
„Ich war frustriert, war 23 Stunden am Tag eing‘sperrt.“ – „Man sollte aber schon dazu sagen, dass sie wegen schweren Raubs sitzen“, entgegnet die Vorsitzende und zeigt sich über die Motivwahl irritiert: „Wieso gerade ein Hakenkreuz? Sie hätten sich ja auch einen Delfin tätowieren können.“ – „Ein Delfin hätte nicht meine ganze Frustration ausgedrückt“, erklärt der Mann. Das Hakenkreuz stünde für Hass. „Ich hatte Hass auf alles und jeden. Dabei war ich selbst schuld.“ Als Nazi will er sich jedenfalls nicht sehen. „Er hat das nie propagandistisch verstanden“, assistiert ihm der Anwalt. (kleinezeitung.at, 9.11.23)
Die Geschworenen qualifizierten diese Aussagen als Schutzbehauptungen, der Schuldspruch war einstimmig: zwei Jahre zusätzlicher Haft, zudem der Widerruf einer Bewährungsstrafe über zehn Monate aus einer Vorstrafe. (Quelle: kleinezeitung.at)