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Rechtsextreme Talkrunde befürwortet Desinformation

„Run­de der Chef­re­dak­teu­re“ nen­nen bekann­te rechts­extre­me Aktivist*innen ein neu­es Gesprächs­for­mat, in dem sie Ein­bli­cke in ihr Selbst­ver­ständ­nis und ihre Stra­te­gien am (Des-)Informationsmarkt geben: etwa dar­in, den Ein­satz von Ver­schwö­rungs­my­then und Des­in­for­ma­ti­on als Mit­tel der Mani­pu­la­ti­on zu befür­wor­ten. Als „gemein­sa­mes Pro­jekt alter­na­ti­ver Medi­en aus Öster­reich“ wird das Talk-For­­mat auf der Web­site des rechts­extre­men Maga­zins „Info-Direkt“ angekündigt. […]

21. Okt 2023
Verschwörungsmythen und Nabelschau bei einer rechtsextremen "Runde der Chefredakteure"

Als „gemein­sa­mes Pro­jekt alter­na­ti­ver Medi­en aus Öster­reich“ wird das Talk-For­mat auf der Web­site des rechts­extre­men Maga­zins „Info-Direkt“ ange­kün­digt. Bereits die Selbst­be­zeich­nung „alter­na­ti­ve Medi­en“ ist ein sze­ne­ty­pi­scher und mani­pu­la­ti­ver Kampf­be­griff: Damit wird impli­zit unter­stellt, es herr­sche in der nicht-rech­ten Medi­en­land­schaft eine Ein­heits­mei­nung vor, wodurch sich wie­der­um völ­ki­sche, ver­schwö­rungs­my­thi­sche und neo­fa­schis­ti­sche Posi­tio­nen als wider­stän­dig bzw. rebel­lisch insze­nie­ren können.

Bei dem Namen des For­mats han­delt es sich um die direk­te Über­nah­me des Titels einer bekann­ten ORF-Sen­dung, wodurch auf eine erhöh­te Sicht­bar­keit bei Suchen auf Goog­le oder You­Tube gehofft wer­den kann. Sol­ches Hijack­ing von Bekann­tem und mit Normalität/Seriosität asso­zi­ier­tem gehört zu den zen­tra­len Medi­enstra­te­gien der „neu­rech­ten“ Sze­ne. Und aus eben die­ser kom­men auch die drei Talk-Gäs­te der Auf­takt­run­de: Götz Kubit­schek, Micha­el Scharf­mül­ler und Ber­na­dette Con­rads. Als Mode­ra­tor fun­giert Kon­rad M. Weiß.

Rechtsextreme "Runde der Chefredakteure" gehostet am YT-Kanal von Thomas Bachheimer
Rechts­extre­me „Run­de der Chef­re­dak­teu­re” gehos­tet am YT-Kanal von Tho­mas Bachheimer

Gehos­tet wird die rechts­extre­me Run­de pas­sen­der­wei­se auf dem You­Tube-Kanal des Edel­me­tall­händ­lers Tho­mas Bach­hei­mer, der mit sei­nem Blog ein ähn­li­ches Publi­kum adres­siert wie die Gäs­te des Talk-Formats.

Die Runde

Der pro­mi­nen­tes­te Tal­ker ist zwei­fel­los Götz Kubit­schek, der das Maga­zin „Sezes­si­on“ her­aus­gibt und der Prot­ago­nist sowohl hin­ter dem Ver­lag „Antai­os“ als auch dem Thinktank „Insti­tut für Staats­po­li­tik“ (IfS) ist. Das IfS, das mit einem uni­ver­si­tä­ren Insti­tut frei­lich nichts zu tun hat, wird vom deut­schen Ver­fas­sungs­schutz seit Okto­ber 2021 als „gesi­chert rechts­extrem“ ein­ge­stuft. Kubit­scheks klei­nes Insti­tu­tio­nen-Netz­werk, das in sei­nem Hei­mat­ort Schnell­ro­da in Sach­sen ange­sie­delt ist, bespielt seit den frü­hen 2000er-Jah­ren das „neu­rech­te“ Ver­lan­gen nach einer Intel­lek­tua­li­sie­rung völ­ki­scher Ideologie.

Micha­el Scharf­mül­ler ist Her­aus­ge­ber des öster­rei­chi­schen Maga­zins „Info-Direkt“, das seit 2015 exis­tiert und vom Doku­men­ta­ti­ons­ar­chiv des öst. Wider­stan­des (DÖW) fol­gen­der­ma­ßen cha­rak­te­ri­siert wird:

Die Zeit­schrift klei­det klas­sisch rechts­extre­me Welt­an­schau­ung (…) in ein moder­nes Gewand und lotet ins­be­son­de­re in Form von omni­prä­sen­tem Anti­se­mi­tis­mus, Volks­ge­mein­schafts­dün­kel, einer teils offen ver­tre­te­nen anti­de­mo­kra­ti­schen Stoß­rich­tung und qua­si-revo­lu­tio­nä­rem Impe­tus die Gren­ze zum Neo­na­zis­mus aus, was auch der poli­ti­schen Vita zen­tra­ler Akteu­re ent­spricht.“ (doew.at)

Ber­na­dette Con­rads hat die iden­ti­tä­ren-nahe Web­site „derstatus.at“ erst heu­er gemein­sam mit Juli­an Sch­erntha­ner und Mat­thi­as Hell­ner gegrün­det. Alle drei waren davor beim rechts­extre­men Hetz- und Des­in­for­ma­ti­ons­me­di­um „Wochen­blick“ (WB) als Autor*innen tätig. Die­ses wur­de ver­gan­ge­nen Dezem­ber ein­ge­stellt, und „derstatus.at“ übt sich seit Jän­ner als abge­speck­ter Nach­fol­ger. Con­rads star­te­te ihre Kar­rie­re als iden­ti­tä­re Akti­vis­tin. Sie war bis zum Ende der tür­kis-blau­en Koali­ti­on auch par­la­men­ta­ri­sche Mit­ar­bei­te­rin im FPÖ-Par­la­ments­klub, wo sie nach dem Ende des Wochen­blicks wie­der anheu­er­te – ein Fak­tum, das Con­rads ver­schweigt. Abge­se­hen vom WB schrieb sie auch für Andre­as Möl­zers rechts­extre­me Wochen­pos­til­le „Zur Zeit“.

Mode­riert wird das Gespräch von Kon­rad M. Weiß, der als „Schrift­lei­ter“ des seit 1953 exis­tie­ren­den rechts­extre­men Maga­zins „Der Eck­art“ fun­giert, das von der „Öster­rei­chi­schen Lands­mann­schaft“ (ÖLM) her­aus­ge­ge­ben wird. Es gehört zum Tra­di­ti­ons­be­stand der rechts­extre­men Publi­zis­tik in Öster­reich und bespielt(e) auch immer wie­der den Nah­be­reich zum Neo­na­zis­mus. Im Jahr 2019 hat­te das Maga­zin einen Relaunch und tritt seit­her aggres­si­ver auf, das DÖW attes­tier­te damals einen „Rechts­ruck mit zuneh­men­den ver­schwö­rungs­phan­tas­ti­schen Ten­den­zen“ (doew.at). „Stoppt die Rech­ten“ hat zuletzt anhand einer Aus­ga­be des Jah­res 2020 (Febru­ar) auf­ge­zeigt, wie nahe „Der Eck­art“ an offen neo­na­zis­ti­schen Posi­tio­nen balan­ciert. „Schrift­lei­ter“ Weiß betreibt außer­dem den „neu­rech­ten“ Wie­ner „Karo­lin­ger Ver­lag“ und war kurz­zei­tig als Pres­se­spre­cher von Ex-Vize­kanz­ler Heinz Chris­ti­an Stra­che tätig. In die­se Zeit fällt auch ein Text von ihm, der in Kubit­scheks „Sezes­si­on“ (April 2018) erschien und in dem Weiß in sei­nem deutsch­na­tio­na­len Ser­mon das NS-Befrei­ungs­jahr 1945 als „Kata­stro­phe bezeichnete.

Erst im Sep­tem­ber war Weiß gemein­sam mit Kubit­schek und Scharf­mül­ler bei einem „neu­rech­ten“ Kul­tur­event in Wien zur Ehrung des fran­zö­si­schen Ras­sis­ten und „Abendland“-Apokalyptikers Jean Ras­pail in Erschei­nung getre­ten; viel­leicht ent­stand dort ja die Idee zum „Chefredakteure“-Talk.

Rechtsextremes Selbstbewusstsein unter Kickl

Oft­mals wäh­rend des Talks geht es um die jewei­li­ge Posi­tio­nie­rung gegen­über der Par­tei­po­li­tik, also kon­kret gegen­über FPÖ und AfD. Scharf­mül­ler zeigt dabei ein hohes Selbst­be­wusst­sein. Er sieht sei­ne Auf­ga­be u.a. dar­in, „die Rück­kopp­lung der Par­tei zu sein“ und den „Kampf um die Deu­tungs­ho­heit“ im Par­tei­en­vor­feld zu füh­ren. In die­sem Sinn hält er sich für „das schlech­te Gewis­sen“ der Par­tei und spart nicht mit Kri­tik. Die rich­tet sich aber selbst­ver­ständ­lich nicht gegen die Licht­fi­gur selbst: Mit Her­bert Kickl sei die „Wie­der­auf­er­ste­hung gekom­men“, er mache, was „Info-Direkt“ schon immer sage: „Wer sich distan­ziert ver­liert.“ Das habe sich lei­der „noch nicht ganz durch­ge­setzt in der FPÖ“, bei­spiels­wei­se in Salz­burg und in Ober­ös­ter­reich. Damit meint er jene Lan­des­grup­pen, die angeb­lich noch zar­te Kri­tik an Kickl wagen. Ins­be­son­de­re gegen Man­fred Haim­buch­ner (FPÖ-Chef OÖ) ätzt Scharf­mül­ler mit dem Selbst­be­wusst­sein eines Recken, der sich auf Füh­rer­li­nie weiß. Ganz beson­ders empört ihn die FPÖ-Zustim­mung zum ober­ös­ter­rei­chi­schen „Akti­ons­plan gegen Extre­mis­mus“, die Haim­buch­ner nach Unken­ru­fen aus rechts­extre­men Medi­en und nach einem öffent­li­chen Rüf­fel durch Gene­ral­se­kre­tär Hafenecker ohne­hin schuld­be­wusst revi­dier­te (sie­he auch doew.at, Aug. 2023).

Verschwörungsmythen und antisemitische Codes

Scharf­mül­ler ima­gi­niert, dass im Rah­men die­ses Akti­ons­planslinks­extre­me Krei­se“ hofiert wer­den wür­den und er stei­gert sich in wah­ren Ver­schwö­rungs­ei­fer, wenn er behaup­tet, dass jetzt „glo­ba­lis­ti­sche NGOs direk­ten Ein­fluss auf die Aus­bil­dung von Leh­rern und auf die Köp­fe unse­rer Kin­der“ hät­ten. Die Chif­fre „Glo­ba­lis­mus“ ist ein häu­fig bedien­ter anti­se­mi­ti­scher Code, der eine Welt­ver­schwö­rung gegen ver­meint­lich orga­nisch gewach­se­ne (Volks-)Gemeinschaften andeu­tet, ohne dies direkt aus­for­mu­lie­ren zu müssen.

Pas­send dazu pro­ble­ma­ti­siert die Run­de ein Phä­no­men, das sie „Melo­ni-Effekt“ (Weiß) bzw. „Melo­ni­sie­rung“ (Kubit­schek) nen­nen. Damit ist in Anleh­nung an die ita­lie­ni­sche Minis­ter­prä­si­den­tin Gior­gia Melo­ni das ver­meint­li­che Auf­wei­chen von rechts­extre­men Wahlkämpfer*innen hin zu einer gemä­ßig­te­ren rech­ten Real­po­li­tik gemeint. Wenig über­ra­schend wird dies von den Anwe­sen­den bedau­ert und zudem als Eli­ten­ver­schwö­rung erklärt – teil­wei­se wie­der ent­lang von anti­se­mi­ti­schen Codes: Nach Ber­na­dette Con­rads sei eben auch Melo­ni Teil „glo­ba­lis­ti­scher Eli­ten“, sie sei etwa seit 2021 Mit­glied in der US-ame­ri­ka­ni­schen Denk­fa­brik „Aspen Insti­tut“ und „vie­le Vor­gän­ge sie betref­fend“ könn­ten damit erklärt wer­den. Auch dass Bun­des­prä­si­dent Alex­an­der Van der Bel­len angeb­lich den Regie­rungs­an­tritt Melo­nis als eher harm­los ein­ge­schätzt hät­te, deu­tet Con­rads rau­nend so, dass sich bei­de eben „aus gewis­sen inter­na­tio­na­len Zusam­men­hän­gen“ ken­nen würden.

Desinformation und Selbstbilder

Frei­lich hal­lu­zi­nie­ren alle zusam­men, dass sie „seriö­se“ Medi­en sei­en, Con­rads hält ihr Online-Des­in­for­ma­ti­ons­for­mat zumin­dest für ein Bou­le­vard­ma­ga­zin, das „in die Tie­fe“ gehe. Scharf­mül­ler gibt den­noch einen sehr offe­nen Ein­blick in sei­nen instru­men­tel­len Zugang zu geziel­ter Des­in­for­ma­ti­on, die er frei­lich nur bei ande­ren Medi­en im rech­ten Spek­trum am Werk sieht:

Bei Kol­le­gen, die (…) mit Angst arbei­ten, wenn die das schlau machen, dann kön­nen wir auch davon pro­fi­tie­ren, wenn die jetzt die gan­zen UFO-Leu­te (…) und Ech­sen­men­schen ein­fan­gen und dar­auf hin­wei­sen, dass viel­leicht tat­säch­li­che Pro­ble­me wie der Bevöl­ke­rungs­aus­tausch vor­han­den sind, dann kann das sein, dass wir den einen oder ande­ren zu unse­ren Medi­en her­über­brin­gen und dann ist das aus mei­ner Sicht sehr wohl sinn­voll, was die machen.

Die­ser unver­blümt und dümm­lich vor­ge­brach­te Zynis­mus ist eine wah­re Blau­pau­se für den Zugang von FPÖ und ihrem rechts­extre­men Medi­en-Umfeld zu Falsch­in­for­ma­ti­on und Obsku­ran­tis­mus: Wenn das durch­ge­knall­te Ver­schwö­rungs­nar­ra­tiv von „Ech­sen­men­schen“ („Rep­ti­lo­iden“) dabei hilft, Men­schen auf den Geschmack der ras­sis­ti­schen Ver­schwö­rungs­for­mel vom „Bevöl­ke­rungs­aus­tausch“ zu brin­gen, ist das will­kom­men, nach dem Mot­to: Jede ver­schwö­rungs­my­thi­sche Lüge ist eine Chan­ce, um Leu­te auf die eige­ne Sei­te zu zie­hen, egal ob man das selbst für falsch oder tat­säch­lich rich­tig hält.

Kubit­schek stimmt die­ser blan­ken Beja­hung von Mani­pu­la­ti­on zu, wenn er moniert, dass „Mas­se bespielt wer­den muss, dass die Mas­sen­psy­che eine ande­re ist als die Indi­vi­du­al­psy­che“, und er freut sich dar­über, dass es For­ma­te gibt, die eben das tun. Sei­ne eige­ne Auf­ga­be sieht er aber woan­ders, näm­lich, sei­nem typisch „neu­rech­ten“ Eli­te-Den­ken ent­spre­chend, dar­in, dass „die ent­schei­den­den Leu­te“ sei­nen Out­put lesen: „das kom­plet­te Feuil­le­ton, der kom­plet­te poli­ti­sche Geg­ner und vor allem die Par­tei selbst“. Bezüg­lich der AfD spricht Kubit­schek von nöti­gen „Häu­tun­gen“, womit er ein bio­lo­gis­ti­sches Bild für deren ideo­lo­gi­sche Eska­la­ti­on hin zur völ­ki­schen Höcke-Par­tei meint. Sei­ne eige­ne Rol­le in die­sem Pro­zess beschreibt er als nach­ge­reich­ten „Sor­tie­rungs­vor­gang“ – man habe „Begrif­fe ven­ti­lie­ren [kön­nen], die für die Par­tei bis heu­te wich­tig sind“. Damit bläst Kubit­schek in das glei­che Horn wie Scharf­mül­ler, aber etwas weni­ger plump. Letzt­lich geht es immer um Mani­pu­la­ti­on in völ­ki­scher Sache.