„Ihr lieben Herzmenschen, wer von Euch im Mai am Rheinwiesen- und Ahrtaltreffen teilnehmen möchte und noch nicht in der dafür eingerichteten Gruppe ist, möge sich bitte bei mir melden. Ich füge Euch dann gern hinzu“, tönt es süßlich vom Inhaber der Telegram-Gruppe „Herzen handeln“. Die geschlossene Gruppe „Rheinwiesen- und Ahrtal Treffen 2022 u. 2023“ hat mittlerweile mehr als 400 Mitglieder, im Organisationsteam für das Treffen, das vom 10. bis 12. Mai nahe den am Rhein gelegenen Orten Remagen und Sinzig (Rheinland-Pfalz) stattfinden soll, agieren vorwiegend fünf Personen: Oliver Kloth, Geschäftsführer einer Firma für Brandschutzartikel und Unternehmensberatung, seine Lebensgefährtin Nancy Mandody, der niederländische Esoteriker Lex van Someren, die Heilpraktikerin Kristina Krüger und die pensionierte Salzburger Kunsthistorikerin Catherine T.. In den Statements aus der Gruppe wird manchmal verklausuliert, manchmal recht offen blanker Geschichtsrevisionismus inklusive Täter-Opfer-Umkehr betrieben.
Rechtsextreme stricken aus den Lagern gräuelpropagandistische Erzählungen und verbreiten, es seien Hunderttausende bis zu einer Million Häftlinge gezielt umgebracht worden. Den Gipfel der Perfidie stellt die Lüge dar, Opfer aus den Rheinwiesenlagern seien ausgegraben und als jüdische KZ-Opfer ausgegeben worden.
Neonazi-Aufläufe („Trauermärsche“) bei den Rheinwiesen hat es bereits in der Vergangenheit gegeben – zuletzt zog im November 2021 allerdings nur mehr ein kümmerlicher Haufen von um die 50 Personen durch Remagen.
Angemeldet hatte die Demonstration ein Funktionär der Partei „Die Rechte“, auch Mitglieder der NPD waren gekommen. (…) Doch machte ihr Transparent deutlich, dass die Trauer nur ein Vorwand war, um einen Verschwörungsmythos zu verbreiten. Auf den Rheinwiesen, so die Behauptung, habe die US-Armee absichtlich eine Million Kriegsgefangene sterben lassen. Diese Behauptung ist unter Rechtsradikalen beliebt. (spiegel.de, 4.7.22, Artikel zum Download)
Die alliierten Gefangenenlager an den Rheinwiesen gehören zusammen mit der Bombardierung von Dresden zu den wichtigsten Opfer-Topoi der rechtsextremen und neonazistischen Szene – beide strahlen über Deutschland hinaus. So fanden die inzwischen zusammengeschrumpften Nazi-Aufmärsche in Dresden in ihren Glanzzeiten mit reger österreichischer Beteiligung – neben Gottfried Küssel trieb sich 2010 etwa auch Martin Sellner dort herum – statt.
Gruppierungen aus dem esoterisch-reichsbürgerlichen Milieu, die sich rund um den 1945 geborenen US-Amerikaner William Toel scharen, haben nun die Rheinwiesen für sich entdeckt. Toel, der 800.000 Todesopfer in den dortigen Lagern herbeifantasiert, tourt seit Jahren durch Deutschland und will die durch die Alliierten geschundene deutsche Volksseele, so seine Erzählung, wieder zum Erwachen bringen, damit der allen überlegene deutsche Geist Heil über die gesamte Welt bringen könne. Das kennen wir in martialischerer Tonalität samt mörderischen Auswirkungen aus der Vergangenheit!
Toel interpretiert jedoch nicht nur die deutsche Geschichte auf eine eindeutig revisionistische Weise, sondern prophezeite in deutlicher Anlehnung an QAnon-Narrative einen „perfekten Sturm“, der Deutschland von der seit 1945 andauernden Unterjochung befreien werde. Mit den Corona-Demos und den multiplen Krisen witterte auch Toel Morgenluft und wagte sich an konkrete Datumsangaben – ab 13./14. Jänner 2023 – für das Aufkommen des ersehnten Sturms und die danachfolgende Befreiung. Der Sturm traf allerdings nicht einmal als Lüfterl ein, was Toel selbst im Verschwörungsmilieu heftige Kritik eingebracht und seine Apologet*innen in schwere Erklärungsnöte getrieben hatte.
Unterstützung aus Österreich
Die 62-jährige tief im esoterischen Sumpf eingegrabene Salzburgerin Catherine T. betreibt eine Reihe von Social Media-Kanälen, wo sie auch schon vor der Pandemie vom „Deep State“, von „Dunkelmächten“, „Q‑Drops“ und anderen verschwörungsideologischen Hirngespinsten gefaselt hatte. Anfang März 2020 führte T. in den Räumlichkeiten einer Autobahnraststätte am Walserberg ein öffentliches Gespräch mit dem Leipziger Reichsbürger und QAnon-Anhänger Hans Joachim Müller. Ins Internet geliefert hat die Veranstaltung „OkiTALK“, eine im niederösterreichischen St. Martin (Bezirk Melk) ansässige Radio- und Video-Plattform, die zu einem virtuellen Hotspot für verschwörungsideologische und staatsfeindliche Akteur*innen geworden ist. Aber nicht nur T., sondern auch weitere Organisator*innen des Rheinwiesenlager-Treffens sind auf OkiTALK aktiv.
T. wurde 2022 am Salzburger Landesgericht wegen Holocaustverharmlosung rechtskräftig zu 15 Monaten bedingter Haft verurteilt. Sie hatte u.a. behauptet, nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs seien 1,6 Millionen Leichen von Deutschen zu jüdischen Opfern umetikettiert worden, um die Zahl der ermordeten Juden künstlich zu erhöhen. Tatsächlich habe es während des Nationalsozialismus nicht mehr als 600.000 jüdische Opfer gegeben. In einem Video behauptete T., Juden seien „die Wurzel allen Übels“ und sprach in diesem Zusammenhang auch von einer „satanischen Kultgemeinschaft“. Beim Prozess versuchte T. ihre nazistischen Entgleisungen noch mit einer Lebenskrise zu rechtfertigen, in der sie sich damals befunden habe, agiert nun jedoch trotzdem mitten in der Rheinwiesen-Gruppe, in denen sinngleiche Äußerungen widerspruchslos getätigt werden.
Catherine T. mäandert durchaus erfolgreich – alleine auf ihrem Telegram-Kanal hat sie 30.300 Abonnent*innen – im (rechts)esoterischen Milieu herum. Sie teilt russlandpropagandistische Inhalte (etwa dass das Massaker im ukrainischen Butscha erfunden sei) und tritt regelmäßig in diversen esoterisch-verschwörungsideologischen Settings auf. Im Jänner 2021 führte sie mit dem vom deutschen Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuften und aufgrund seiner verbalen Exzesse mit Haftbefehl ausgestatteten QAnon-Anhänger Oliver Janich einen „Meinungsaustausch”. Im November 2022 hatte sie erstmals William Toel nach Österreich (Seekirchen/Wallersee) eingeladen. Ein Youtube-Video von dem Gespräch beginnt bereits mit der vielsagenden Einblendung: „Was wäre wenn die Geschichte eine große Lüge ist?” Anfang April 2023 ist Toel ein weiteres Mal „im Raum Salzburg“ aufgetreten.
Auf einer von T. betriebenen Shop-Website bewirbt sie in diversen Merchandising-Formen ein von ihr selbst hergestelltes „Historiengemälde“, das die im August 2020 versuchte Erstürmung des deutschen Reichstagsgebäudes durch Rechtsextreme und Staatsverweigerer glorifiziert. Dazu schreibt T. beschönigend: „Als am 30. August 2020 eine fröhliche Menschenmenge die Treppen des deutschen Reichstags mit ihren schwenkenden Fahnen belebten, war mir klar, diese Bilder der großen Freiheits-Demo in Berlin würden in die Geschichte eingehen.“
Teure Pseudo-Therapie für die deutsche Seele
Eine direkte personelle Verflechtung des Rheinwiesen-Organisationsteams gibt es mit den Veranstaltern eines Seminars, das T. mehrfach beworben hat. Darin wurde für den 22./23. April 2023 wieder einmal ins Bundesland Salzburg geladen – den genauen Veranstaltungsort erfuhren nur Angemeldete; ein Foto lässt jedoch darauf schließen, dass das dubiose Treiben am Attersee stattgefunden haben wird. Schon zuvor, im Oktober 2022, hatte die Truppe mit diesem Seminar ebenfalls im „Salzburger Land” gastiert.
Um wohlfeile 485 Euro Seminargebühr (exklusive Unterkunft und Verpflegung) für gerade einmal eineinhalb Tage versprechen Nancy Mandody, der Ex-Apotheker Carsten Pötter und Oliver Kloth auf ihrer harmlos klingenden Plattform „Friedensprojekt“ eine Ausbildung zum „Veritas Begleiter“. Ziel des Seminars sei, „das deutsche Volk beim Erwachungsprozess“ therapeutisch zu unterstützen, wobei beim deutschen Volk auch Österreicher*innen und sogar Schweizer*innen mitgemeint sind. Das erweitert praktischerweise die potentielle Klientel für die pseudo-therapeutischen Seminare. Als Ausgangsthesen zu den Seminarinhalten werden dieselben geschichtsrevisionistischen Versatzstücke wie im Kontext des Rheinwiesen-Treffens angeführt. Auf der Friedensprojekt-Website sind etwas versteckt Sätze zu lesen wie:
Das deutsche Volk wurde von ihren [sic!] Ahnen abgetrennt – Geschehen u.a. 1945 und darüber hinaus in den Rheinwiesenlagern
Die Deutschen sollten nicht mehr in Kreativität, analytischem Denken und Wahrheitsfindung geschult werden. Somit wurde der deutsche Geist weiter verkrüppelt.
Die Familie als Rückgrat der Gesellschaft wurde geschwächt – nach dem zweiten Weltkrieg waren die Familien meist zerrüttet, die Frauen ohne Mann und oftmals geschändet, die Kinder oft traumatisiert und vaterlos. Viele, oft männliche Einwanderer wurden in Deutschland aufgenommen, das deutsche Volk somit vermischt.
Das deutsche Volk wurde ihrer Männlichkeit beraubt – es ist seit dem zweiten Weltkrieg verpönt, Stärke zu zeigen; Schwäche wurde zur neuen Tugend erklärt. Patriot zu sein wurde unter Strafe gestellt.
Am 4.2.23 berichtete die „Siegener Zeitung“ über eine letztlich gescheiterte Unterkunftsfindung von Pötter und Kloth: „Seminar mit Reichsbürger-Thesen und gefährlichen Heil-Versprechen geplatzt.“ Kloth hatte in einem Hotel im Raum Siegen (NRW) Seminarraum und Zimmer mit der erlogenen Angabe, es handle sich um eine Veranstaltung über Brandschutz, reserviert.
Stattdessen bucht Kloth die Räume für den Verschwörungstheoretiker Pötter. Die Siegener Zeitung konfrontiert den Geschäftsführer [gemeint ist Kloth; Anmk. SdR] damit: „Herr Pötter hatte Besseres zu tun, als sich um die Buchung zu kümmern“, wiegelt Kloth ab. Auch bei Pötter selbst fragt die SZ an. „Herr Kloth hat nur eine Dienstleistung für mich erbracht, mehr nicht“, behauptet Pötter. Später lenkt er ab: „Es geht um Brandschutz – aber um emotionalen Brandschutz.“ Aha. (Siegener Zeitung)
Das Hotel cancelte schließlich die Buchung der unerwünschten Gäste. In Österreich konnte dasselbe Seminar am Attersee offenbar ungestört stattfinden, wie ein Video in der TG-Gruppe „Herzen handeln“ zeigt.
In Plüsch gehüllter Neonazismus und wenn die Verpackung fällt
Bei „Herzen handeln“ und dem „Friedensprojekt“ kommen die neonazistischen Versatzstücke mit einer quasi in Plüsch gehüllten Dramaturgie daher: Es gehe um eine Heilung der Verletzungen und Traumata, die deutsche Volksseele werde danach die Welt mit Liebe überziehen. Besonders in der geschlossenen Telegram-Gruppe zum Treffen fällt jedoch in aller Regelmäßigkeit die schöne Verpackung. Was dann übrig bleibt, ist glasklarer Neonazismus in der altbekannten menschenverachtenden Form.
In Deutschland sind die Behörden informiert, ein Bündnis ruft zu Protestaktionen gegen die Versammlung am Rhein auf. Aber auch in Österreich sollte der Verfassungsschutz hinsehen, vor allem dann, wenn hierzulande die braun getönten Veranstaltungen stattfinden.
➡️ Weiterführende Recherche von AROB mit vertiefenden Informationen zu den nicht-österreichischen Akteur*innen und zu den Narrativen innerhalb der Gruppe: „Holocaustleugner, Verschwörungsideologen, Revisionisten und Esoteriker beim Rheinwiesenlagertreffen am 10.05. bis 12.05.2023”