Wochenrückblick KW 4/23 (Teil 1): Prozesse

Auf­fäl­lig viele und ziem­lich unver­ständliche Freis­prüche gab es in der let­zten Woche, dazu noch ein skan­dalös­es Urteil in Wels. Daneben gehen die bei­den Schuld­sprüche in Wien und Kla­gen­furt fast unter. Deut­lich zeigt sich, wie wichtig die öffentliche Prozess­beobach­tung ist bzw. am Beispiel Wels wie wichtig sie wäre! Wir suchen nach wie vor Prozessbeobachter*innen – in Oberöster­re­ich vor allem für Wels und Steyr.

Kirch­berg am Wech­sel-Wiener Neustadt/NÖ: Freis­pruch trotz Hitlergruß
Salzburg: Freis­pruch trotz Holocaustleugnung
Bez. Ober­wart-Eisen­stadt: Freis­pruch nach Schuldsprüchen
St. Veit-Kla­gen­furt: Schuld­spruch unvermeidlich
Wels/OÖ: Ein völ­lig unver­ständlich­es und mildes Urteil
Wien: Schuld­spruch für einen „Eis­er­nen“

Kirch­berg am Wech­sel-Wiener Neustadt/NÖ: Freis­pruch trotz Hitlergruß

Kirch­berg am Wech­sel, das ist die niederöster­re­ichis­che Gemeinde, in der der Nor­bert Burg­er (1929–1992), Südtirol-Ter­ror­ist, Olympia-Burschen­schafter und Grün­der der NDP, zuhause war. Gut, das ist schon einige Jahrzehnte her, aber die Leben­srune prangt noch immer auf seinem Wohn­haus. Dazu der recht­sex­treme Spruch: „Die Män­ner sind des Reich­es Hüter, das Volk jedoch lebt durch die Müt­ter.“ Die Leben­srune war nicht nur das Sym­bol der (ver­bote­nen) NDP, son­dern ist auch ein ver­botenes NS-Sym­bol. Deshalb ist das öffentliche Zeigen dieser Rune nach dem Abze­ichenge­setz straf­bar – und zwar eindeutig.

Haus Norbert Burger Kirchberg/Wechsel (© Stoppt die Rechten)

Haus Nor­bert Burg­er Kirchberg/Wechsel (© Stoppt die Rechten)

Das hat zwar nicht unmit­tel­bar etwas mit dem Fall zu tun, der am 24.1.23 vor dem Lan­des­gericht Wiener Neustadt ver­han­delt wurde, aber passt schon zu der Hal­tung: Ist doch nicht so schlimm, oder? Dem Angeklagten wurde jeden­falls vorge­wor­fen, in einem Lokal unweit des Kirch­berg­er Freibades die rechte Hand zum Hit­ler­gruß gehoben und „Sieg Heil“ gerufen zu haben. bezirk.at (27.1.23) fasste die Ver­hand­lung in weni­gen Sätzen zusam­men: „Seine Erk­lärung dafür war, er sei betrunk­en gewe­sen und habe mit dieser Gesin­nung nichts am Hut. Auch Zeu­gen bestätigten, dass der Mann nicht ins ‚rechte Eck‘ gehöre. Freispruch.“

Salzburg: Freis­pruch trotz Holocaustleugnung

Angeklagt war ein mäßig, aber doch Promi­nen­ter aus der Szene der Coro­na-Schwur­bler: „Gesund­heitsmechaniker“ nen­nt sich der Ergother­a­peut Roland Karn­er aus dem Salzburg­er Lun­gau auf seinem Telegram-Kanal, wo er irre Sprüche wie diesen von sich gibt: „Das Gesund­heitswe­sen ist eine der gefährlich­sten Krea­turen für die eigene Gesund­heit.“ Noch immer fast 14.000 Abonnent*innen fol­gen ihm dort.

"Gesundheitsmechaniker": „Das Gesundheitswesen ist eine der gefährlichsten Kreaturen für die eigene Gesundheit.“ (Screenshot TG 2.2.23)

„Gesund­heitsmechaniker”: „Das Gesund­heitswe­sen ist eine der gefährlich­sten Krea­turen für die eigene Gesund­heit.“ (Screen­shot TG 2.2.23)

Karn­er war 2021 auch MFG-Pro­pa­gan­dist, der sich am 24.1.23 vor dem Salzburg­er Lan­des­gericht wegen Ver­harm­lo­sung des Holo­caust nach § 3h Ver­bots­ge­setz und auch nach § 3g ver­ant­worten musste. Unter anderem, weil er auf seinem TG-Kanal ein Video veröf­fentlichte, in dem er dem dama­li­gen Gesund­heitsmin­is­ter Rudi Anschober einen Aufnäher mit einem gel­ben Juden­stern und der Inschrift „ungeimpft“ vor die Kam­era hielt und dazu die doofe Frage stellt: „Rudi, schon mal gesehen?“

Der „Stan­dard“ (24.2.23) berichtet aber auch noch von den anderen Vor­wür­fen aus der Anklage:

Neben dem inkri­m­inierten Video wird dem 40-Jähri­gen auch vorge­wor­fen, in ein­er Diskus­sion auf seinem Telegram-Account Holo­caust-Ver­harm­lo­sun­gen geduldet zu haben. Der Selb­st­ständi­ge eröffnete den Diskurs mit dem Hochladen eines Porträts von Adolf Hitler und der Auf­schrift „Hitler hat nie selb­st jeman­den getötet. Das waren alles nur Leute, die ihren Job gemacht haben”. Daraufhin hat sich eine rege Debat­te entwick­elt. Ein Nutzer ver­bre­it­ete darunter etwa: „Leuchters Report lesen: Hitler und die Nation­al­sozial­is­ten besaßen keine Gaskam­mern. Zyk­lon B wurde zur Desin­fek­tion genutzt.“

Kom­mentare, die ihn kri­tisierten, löschte der „Gesund­heitsmechaniker“ schon, den Kom­men­tar zum Holo­caustleugn­er Leuchter dage­gen nicht. Stattdessen postete er dazu: „‚Man darf den Main­stream nicht in Frage stellen? Das ist Blas­phemie an der Schwur­bler-Welt‘, und fügte noch ein Ein­horn-Emoti­con hinzu. „Wie anders kann man das ver­ste­hen als eine Zus­tim­mung?”, fragte der Staat­san­walt die Geschwore­nen.“

Das völ­lig unver­ständliche Urteil der Geschwore­nen (7 zu 1): Der „Gesund­heitsmechaniker“ ist unschuldig im Sinne der Anklage. Der Wahrspruch der Geschwore­nen wurde von den Beruf­s­richtern auch nicht aus­ge­set­zt, die Staat­san­waltschaft sah keine Nichtigkeit – somit ist das Urteil rechtskräftig.

Bez. Ober­wart-Eisen­stadt: Freis­pruch nach Schuldsprüchen

Im März des Vor­jahres berichteten wir über die im Bur­gen­land aus­ge­hobe­nen braunen What­sApp-Chat­grup­pen, die im Bur­gen­land aus­ge­hoben wur­den. An die 20 bis 30 Per­so­n­en, darunter ein Polizist, tauscht­en sich mit braunen Post­ings und Fotos aus. Es gab auch schon Ankla­gen, die bish­er – nach unserem Ken­nt­nis­stand – alle­samt mit Verurteilun­gen ende­ten. Nicht so die Ver­hand­lung vor dem Geschwore­nen­gericht Eisen­stadt am 24.1., bei der ein Mechaniker aus dem Bezirk Ober­wart angeklagt war, weil er zwis­chen März 2015 und Novem­ber 2020 „eine Vielzahl an ‚Nazi-Dateien‘ versendet hat. Von Abbil­dun­gen des Hak­enkreuzes und Sieg-Heil Sprüchen bis hin zu Darstel­lun­gen des Hitler-Grußes“, wie meinbezirk.at (25.1.23) berichtete: „Zudem eine Unmenge an der­ben, ras­sis­tis­chen Tex­ten sowie Doku­men­ta­tio­nen über Holo­caust-Ver­harm­lo­sun­gen — die hier bewusst nicht näher erläutert bzw. aufge­lis­tet wer­den.“

Der Angeklagte bekan­nte sich auch schuldig, wollte aber mit dem Nation­al­sozial­is­mus nichts im Sinn gehabt haben dabei: „Es war halt lustig!“ Erst nach fünf Jahren will er von seinem Schwiegervater, einem Polizis­ten, erfahren haben, dass das Versenden solch­er Post­ings und Fotos ver­boten sei;dann habe er aufgehört.

Die Geschwore­nen nah­men ihm das alles ab und sprachen ihn ein­stim­mig von jed­er Schuld frei. Die Beruf­s­richter woll­ten nicht dage­gen­hal­ten. Das Urteil ist daher rechtskräftig.

St. Veit-Kla­gen­furt: Schuld­spruch unvermeidlich

In sein­er Woh­nung fan­den sich ein beleuchtetes Hak­enkreuz, ein Hitler-Gemälde, Nazi-Musik und sog­ar ein Hitler-Bier. Außer­dem auf seinem recht­en Ober­schenkel ein Tat­too mit den SS-Runen, das er laut Anklage öffentlich zur Schau gestellt hat­te. Dazu noch Nazi-Pro­pa­gan­da in sozialen Medi­en. Das reicht für eine Anklage und den Prozess am 24.1. wegen NS-Wieder­betä­ti­gung gegen den 26-Jähri­gen aus St. Veit. „Weil er ‚mit dem ganzen Blödsinn‘ nichts mehr zu tun haben wolle, habe er sich das Tat­too inzwis­chen ent­fer­nen lassen, so der 26-Jährige. Sein Vertei­di­ger forderte ihn daraufhin dazu auf, die Hose herun­terzu­lassen, „damit jed­er sehen kann, dass die Nazi-Sym­bole weg sind.” (heute.at, 25.1.23)

Die vor­sitzende Rich­terin verzichtete darauf. Die Geschwore­nen waren sich in diesem Fall ziem­lich rasch einig: Schuld­spruch! Die Strafe: 2.000 Euro Geld­strafe und 14 Monate bed­ingt. Rechtskräftig.

Wels: Ein völ­lig unver­ständlich­es und mildes Urteil

Am 25.1.23 fand vor dem Welser Lan­des­gericht eine Ver­hand­lung statt, die angekündigt war „wegen Ver­brechen nach dem Ver­bots­ge­setz und Verge­hen der fort­ge­set­zten Gewal­tausübung im Zeitraum Anfang 2020 bis Mitte 2021 in Grü­nau im Alm­tal u. a. Orten“. Angeklagt war ein 59-Jähriger, der „seinen Sohn mit Nazidrill­meth­o­d­en gepeinigt, ihn geschla­gen und auf den Buben sog­ar mit ein­er Luft­druck­pis­tole geschossen haben soll“. Die „Kro­ne“ schrieb vor dem Prozess, dass der Angeklagte seine Erziehungs­maß­nah­men „wohl aus der Zeit sein­er offen­sichtlichen Gesin­nung entlehnt“ habe. Das ist zwar eine etwas umständliche Beschrei­bung für die Nazidrill­meth­o­d­en, aber man ver­ste­ht. Nicht aber das Gericht und/oder die Geschwore­nen! Wir waren lei­der nicht bei diesem Prozess vertreten, drum kön­nen wir nur neuer­lich die „Kro­ne“ zitieren, die am 27.1. über den Prozess berichtete:

Seine Gesin­nung soll der Vater während eines Fam­i­lien­aus­flugs in den Tier­park Grü­nau im Alm­tal offen zur Schau gestellt haben, als er plöt­zlich vom gemütlichen Gehen in den Stech­schritt gewech­selt und auch den Hit­ler­gruß gezeigt haben soll. Und daheim habe er sich auch entsprechend benom­men und die NS-Zeit ver­her­rlichende Phrasen gedroschen haben. Einein­halb Jahre soll laut Anklage das Mar­tyri­um des Buben gedauert haben.

NS-Wieder­betä­ti­gung wird mit ein­er Frei­heitsstrafe zwis­chen einem und zehn Jahren geah­n­det, die „fort­ge­set­zte Gewal­tausübung“ gegen unmündi­ge Per­so­n­en (§ 107b StGB) mit ein­er Strafan­dro­hung zwis­chen sechs Monat­en und fünf Jahren.

Was aber ist am Lan­des­gericht Wels passiert? Die Anklagepunk­te wegen NS-Wieder­betä­ti­gung wur­den „fall­en gelassen“ (Kro­ne), die fort­ge­set­zte Gewal­tausübung mit nicht nachvol­lziehbaren drei Monat­en bed­ingt, also unter dem Min­dest­straf­satz, beurteilt. Das Urteil war laut „Kro­ne“ noch nicht recht­skräftig – ver­mut­lich, weil sich die Staat­san­waltschaft nicht sofort dazu geäußert hat.

Wien: Schuld­spruch für einen „Eis­er­nen“

Der Angeklagte Roman P., der sich am 26.1. vor dem Lan­des­gericht wegen NS-Wieder­betä­ti­gung nach § 3g Ver­bots­ge­setz ver­ant­worten musste, ist ein alter Bekan­nter aus der Szene. Zehn Vorstrafen zwis­chen 1992 und 2011 (Sachbeschädi­gung, schwere Kör­per­ver­let­zung, Wider­stand gegen die Staats­ge­walt, Waf­fenge­setz usw.) hat er schon am Buck­el, 2012 gab es dann ein Strafver­fahren nach dem Ver­bots­ge­setz wegen eines Hit­ler­grußes (ver­mut­lich beim Begräb­nis seines Nazi-Pro­tegés „Uwe“. Wurde aber eingestellt. Eigentlich wurde er in der recht­sex­tremen Hooli­gan-Szene von Rapid-Wien sozial­isiert, über „Eis­ern Wien“ gab es dann aber auch die Con­nec­tions zu den nach der Lesart von Hooli­gans Tod­fein­den von „Unsterblich“, der weit­ge­hend aus Neon­azis beste­hen­den Fan-Gruppe rund um die Aus­tria Wien. Schließlich hat die Nazi-Ide­olo­gie bei P. über die Hooli­gan-Regeln gesiegt.

Aufge­flo­gen ist er, weil er im Zeitraum vom 11.06.2017 bis 12.04.2019 in Baden und im Bun­des­land Salzburg seine neon­azis­tis­chen Tat­toos (Schwarze Sonne am Ell­bo­gen, SS-Totenkopf auf der Brust) offen zur Schau gestellt sowie einen Ring mit Schwarz­er Sonne in Wien vor dem Schloss Schön­brunn, getra­gen hat­te. Die Fotos dazu fan­den die Ermit­tler auf dem Handy sein­er Ex-Fre­undin, den braunen Rest fand man dann bei der Haus­durch­suchung. Irgend­wann in diesen Jahren will der Roman dann aus der Szene aus­gestiegen sein, was er den Geschwore­nen dadurch glaub­haft machen wollte, dass er sich seine Nazi-Tat­toos cov­ern ließ. Sein FB-Kon­to hat er auch gelöscht, nicht jedoch seinen Account bei VKon­tak­te. Dort gibt es zwar keine öffentlichen neuen Ein­träge, aber in den alten grat­uliert ihm der Braune von Wels 2017 zum Geburt­stag und ein ander­er fragt ihn 2016 bewun­dernd: „bist du der p… vom rapid-Sta­dion, der leg­endäre p…?“. Der Roman wiederum fol­gte den Iden­titären (Salzburg) und dem „III. Weg“, ein­er klar neon­azis­tis­chen Gruppe in Deutschland.

Die Geschwore­nen waren von Läuterung und Unschuld auch nicht so leicht zu überzeu­gen und befan­den ihn in 20 Fra­gen für schuldig, in ein­er für nicht schuldig. Ergeb­nis: 24 Monate bed­ingt auf drei Jahre.

Wir danken prozess.report für die Prozessbeobachtung!