Bundesheersoldat in SS-Uniform: vom kollektiven Wegschauen und einer Ministerin, die nichts wissen will

Es war ein­er von jenen raren Momenten, in denen sich Bun­de­spräsi­dent Van der Bellen zur Tage­spoli­tik zu Wort gemeldet hat­te: Seine Kri­tik an der Nich­t­ent­las­sung eines Bun­desheerun­terof­fiziers nach dessen braunen Umtrieben kam um die Kurve, war aber den­noch deut­lich. Doch das Prob­lem begin­nt und endet keineswegs mit der nicht nachvol­lziehbaren Entschei­dung der Disziplinarkommission.

„Wer in der Exeku­tive arbeit­et, trägt beson­dere Ver­ant­wor­tung. Jede Form der NS-Ver­her­rlichung ist aufs Schärf­ste zu verurteilen und hat keinen Platz im Staats­di­enst und in unser­er Gesellschaft“, ver­meldete Alexan­der Van der Bellen via Twit­ter. Bere­its zuvor set­zte es bre­ites Unver­ständ­nis und laute Kri­tik, nach­dem der „Kuri­er“ (12.10.22) öffentlich machte, dass der Kärnt­ner Bun­desheerange­hörige im Rang eines Ober­stab­swacht­meis­ters, der über Jahre hin­weg immer wieder gegen das Ver­bots­ge­setz ver­stoßen hat­te, im Staats­di­enst verbleiben kann.

Kollek­tives Wegschauen

Vor­ange­gan­gen war ein kollek­tives Wegschauen. Das zeigt sich am Allerdeut­lich­sten daran, dass der Mann mehrfach vor Pub­likum den Hit­ler­gruß dar­bi­eten kon­nte, ohne dass irgend­je­mand reagiert hätte: 2019 in seinem Sportum­feld vor min­destens acht Per­so­n­en, ein weit­eres Mal vor min­destens elf Per­so­n­en. Ein Zeuge behauptete vor Gericht, er selb­st habe sich nichts dabei gedacht – offen­bar auch nicht, als ihm der Bun­desheerange­hörige seine Devo­tion­alien­samm­lung gezeigt hat­te. Damit nicht genug: 2020 ent­bot der Ober­stab­swacht­meis­ter in ein­er Wiener Kaserne vor Sol­dat­en den Hit­ler­gruß. Wieder ohne Kon­se­quenz. Erst als im Novem­ber 2021 der Staatss­chutz ein­marschierte und eine Durch­suchung machte, kamen die Instanzen des Bun­desheers in Gang.

In Medi­en­bericht­en wurde vielfach erwäh­nt, dass bei dem Ober­stab­swacht­meis­ter – seinem Face­book-Account nach FPÖ-Fan, Impfgeg­n­er und jemand, der find­et, dass die aktuelle Regierung ein „Zusam­men­schluss aus Aus­tro­faschis­ten und Postkom­mu­nis­ten” sei – Knal­lkör­p­er aus Heeres­bestän­den gefun­den wor­den seien – die soll er laut eigen­er Aus­sage „verse­hentlich” mit nach Hause genom­men haben. Aber bei der Durch­suchung wur­den keineswegs nur Knal­lkör­p­er sichergestellt; da gab’s noch mehr, darunter 50 Stück Muni­tion für ein Kleinkalibergewehr, die er in seinem Auto deponiert hatte.

Ungewöhn­lich mildes Urteil

Den Besitz von NS-Devo­tion­alien erk­lärte der Kärnt­ner vor Gericht damit, dass er zuerst braunen Schrott wie etwa Geschirr mit Hak­enkreuz-Dekor von seinem Urgroß­vater und seinem Groß­vater über­nom­men habe, die bei­de bei der Wehrma­cht gewe­sen seien und die NS-Zeit ver­harm­lost hät­ten. „Irgend­wann hat mich die Sam­mellei­den­schaft erwis­cht“, fügte er an.

Über einen Zeitraum von sieben Jahren hat­te sich der Kärnt­ner wieder­betätigt – das gilt als langer Tatzeitraum und wird in der Regel als Erschwerungs­grund bei der Bemes­sung der Strafhöhe herange­zo­gen. Das Lan­des­gericht Kla­gen­furt hat jedoch entsch­ieden, sog­ar unter der im Ver­bots­ge­setz vorge­se­henen Min­dest­strafe von zwölf Monat­en zu bleiben. Zehn Monate bed­ingt und eine Geld­strafe von 1.200 Euro (300 Tagessätze à 4 Euro) gab’s zusam­menge­fasst für:

– das Sam­meln und Zurschaustellen von Nazi-Devotionalien
– die Bestel­lung von NS-Devo­tion­alien aus dem Internet
– für das Basteln und Zurschau­tra­gen ein­er SS-Uni­form inklu­sive Anfer­ti­gung von Self­ies mit (wohl ein­schlägigem) Oberlippenbart
– die Anfer­ti­gung ein­er Nazi-Urkunde
– dreima­liges Zeigen des Hit­ler­grußes vor Publikum
– min­destens ein ein­schlägiges Posting
– das alles im Tatzeitraum zwis­chen 2014 und 2021

Schon ein unsys­tem­a­tis­ch­er Blick auf jüng­ste Urteile zeigt, dass bei augen­schein­lich gerin­geren Verge­hen dur­chaus auch härtere Strafen ver­hängt wer­den: etwa Ende Sep­tem­ber, als ein Bur­gen­län­der wegen des Aus­tauschs von ein­schlägi­gen Chat­nachricht­en 15 Monate bed­ingt und eine Geld­strafe über 4.500 Euro kassiert hat, ein ander­er eben­falls wegen Chat­nachricht­en 14 Monate bed­ingt und eine Geld­strafe über 820 Euro oder ein Niederöster­re­ich­er für das­selbe Delikt 13 Monate bed­ingt oder im März 2022, als es in Kla­gen­furt für einen Pen­sion­is­ten zwölf Monate und eine Geld­strafe eben­falls „nur“ für das Versenden von NS-Pro­pa­gan­da (29 Nachricht­en) setzte.

Die nicht informierte Ministerin

Das Urteil des Kla­gen­furter Gerichts set­zte zweifel­los schon einen Maßstab für die auss­chließlich mit Heere­sange­höri­gen beset­zte Diszi­pli­nar­be­hörde, die für ihre eigene Entschei­dung mehrere Milderungs­gründe anführte, darunter eine ange­blich glaub­hafte Dis­tanzierung des selb­ster­nan­nten „Ober­sturm­ban­n­führers” von seinen Tat­en und von braunem Gedankengut sowie eine gün­stige Prog­nose. Nach­dem der Beschuldigte bis zu sein­er Sus­pendierung in ein­er nicht unheiklen Posi­tion, näm­lich als „Kom­man­dant der Gruppe Infor­ma­tion, Kom­mu­nika­tion und Tech­nolo­gie“ tätig war, muss er nun in die Küche abrücken.

Die gegenüber dem Diszi­pli­naran­walt weisungs­befugte Vertei­di­gungsmin­is­terin Clau­dia Tan­ner erk­lärte zwar „Null Tol­er­anz“ als Prinzip im Umgang mit Wieder­betä­ti­gung im Bun­desheer, aber gegenüber dem ORF (Mit­tagsjour­nal 14.10.22) auch, sie wolle gar nicht über konkrete Fälle informiert wer­den, denn: „Das öffne der Willkür Tür und Tor und werde deshalb nicht stat­tfind­en.“ Ist nun daraus die Schlussfol­gerung zu ziehen, dass die Min­is­terin als Let­ztver­ant­wortliche bei einem Wis­sen um der­ar­tige Fälle willkür­liche Entschei­dun­gen tre­f­fen würde – und das bei ein­er „Null Toleranz“-Linie?

Ein­sprin­gen mussten nach der deut­lichen Inter­ven­tion des Bun­de­spräsi­den­ten und nach dem laut­en all­ge­meinen Auf­schrei zwei andere Min­is­terin­nen: Alma Zadić und Karo­line Edt­stadler kündigten eine Geset­zesän­derung an, wonach für Beamt*innen nach ein­er recht­skräfti­gen Verurteilung wegen Wieder­betä­ti­gung unab­hängig von der Strafhöhe die sofor­tige Ent­las­sung aus dem Staats­di­enst fol­gt. Damit wer­den uns bei der­ar­ti­gen Fällen kün­ftig nicht nur dubiose Entschei­dun­gen von Diszi­pli­narkom­mis­sio­nen erspart bleiben, son­dern auch die Fol­gen der Untätigkeit von ressortver­ant­wortlichen Minister*innen.

➡️ Bericht zum Gericht­sprozess: Friesach/Klagenfurt: Bun­desheerun­terof­fizier als selb­ster­nan­nter „Ober­sturm­ban­n­führer“
➡️ Recht­sex­treme „Einzelfälle“ im Bundesheer