Rückblick
Wir müssen etwas nachtragen: Vor zwei Jahren stand der Angeklagte schon einmal vor einem Geschworenengericht wegen NS-Wiederbetätigung. Damals kassierte er 18 Monate bedingt auf drei Jahre. Wegen eines Facebook-Postings. Was damals sonst noch im Prozess erörtert wurde, wissen wir nicht – wir waren nicht dabei. Leider. Klar ist allerdings für unsereins, dass L. eigentlich schon längst vor Gericht gestellt werden hätte müssen – wegen langandauernder, wiederkehrender NS-Wiederbetätigung und unerträglicher dumpfer rassistischer und sexistischer Hetze. Natürlich auch wegen seiner Bomben-Chats mit „Junker Jörg“ in einem Forum der „Freien Freunde“.
Sowilo war „Ingeborg Asmus“
Hinter dem „Junker Jörg“ verbarg sich der – damalige – NPD-Chef von Sachsen-Anhalt, Matthias Heyder, der sich darauf einließ, in einem angeblich streng geheimen Sub-Forum mit „Sowilo“, dem „Generalleutnant“ fachkundig Bombenrezepturen und Anschläge zu besprechen. Den NPD-Chef kosteten die Bomben-Chats aus 2006 politisch den Kopf, seinem Chat-Partner „Sowilo“ aus Wien passierte gar nichts. Als die Chats aus dem Neonazi-Forum 2011 auch an uns weitergereicht wurden, interessierte uns natürlich: Wer ist „Sowilo“? Einen Hinweis gab er auf seiner Visitenkarte im Forum: „Praktisch nur mehr via Facebook, unter ‚Ingeborg Asmus‘ erreichbar.“
Danke Wolfgang, sehr lieb von Dir! So hantelten wir uns langsam vorwärts, entdeckten ihn über die Jahre hinweg unter immer neuen dümmlichen Decknamen, die sehr bezeichnend waren: Neben „Ingeborg Asmus“ waren das „Doris Kli“, „Andi Gewehre“, „Lecksie Kohn“, „Eva Kuieren“, „Dörte Denzing“ usw. … So wie wir die verschiedenen Aliasse von Wolfgang verfolgten und dokumentierten, folgte er auch uns und wechselte seine Tarnnamen. Auffällig war schon damals seine gute Vernetzung mit den Größen der österreichischen und deutschen Neonazi-Szene (Norman Bordin, Meinolf Schönborn, Udo Voigt, Axel Reitz, Annett Müller, „Tomasz Frantic“) und im FPÖ-Umfeld.
Die Anklage
Über die Jahre hinweg ein treuer Begleiter der verschiedenen Tarnprofile von Wolfgang auf Facebook war „Andreas Wotan“ alias Andreas L., der im Juni drei Jahre (noch nicht rechtskräftig) für seine NS-Wiederbetätigung kassieren durfte. Die „WhatsApp“-Chats, die bei „Wotan“ in einer Hausdurchsuchung sichergestellt wurden, legten eine deutliche Spur zum Wolfgang. Der war offensichtlich der liebste Chat-Kamerad von Andreas. Die beiden tauschten fleißig Hitler-Bildchen aus, sendeten sie auch an andere in der Gruppe weiter, was noch zu weiteren Prozessen führen wird. Vom Wolfgang gab’s auch Fotos zu sehen, die ihn mit Hitlergruß zeigen. Das alles veranlasste den Pflichtverteidiger dazu, für L. festzustellen, es tue ihm leid, dass es „lauter Blödsinn“ war und dass er das nie wieder tun werde. Wolfgang L., der von der Richterin zu seinen einzelnen Postings befragt wurde, war da bis zu seiner Schlusserklärung bedeutend vorsichtiger. Seine Dutzenden Hitlerbilder mit dümmlichen Kommentaren versuchte er mit „Humor“ zu erklären, seine noch primitiveren sexistischen wollen wir hier gar nicht weiter erörtern. Weil ihm außer „Humor“ nichts einfiel, zog er zumeist „nicht erinnerlich“ als Ausrede heran. Ein Angeklagter darf ja auch lügen oder die Aussage verweigern, darauf hatte ihn die vorsitzende Richterin schon zu Beginn der Verhandlung aufmerksam gemacht.
Das Problem der Anklage war natürlich, dass fast ausschließlich seine WhatsApp-Chats zur Debatte standen. Als Nebengeräusch der Hausdurchsuchung wurden noch zwei Untertassen mit der Inschrift „Ein Volk, ein Reich, ein Führer“ erwähnt und die in einer Kiste verwahrte Hinterlassenschaft von P. H., bei der auch „Blood & Honour“-Insignien auftauchten. Das wäre schon noch interessant gewesen, denn damit führten Spuren zur Neonazi-Fan-Gruppe „Unsterblich“, bei der L. in der Vergangenheit ebenso gesichtet wurde wie bei Burschenschafter-Aufmärschen und beim Nowotny-Gedenken am Zentralfriedhof. Es läppert sich schon einiges zusammen in geschätzt zwei Jahrzehnten Neonazi-Karriere und der Wolfgang war nicht irgendwer in der Szene.
In der Anklage fanden sich aber nur die Chats aus der WhatsApp-Gruppe und die Untertassen. Das alles ist zwar brauchbares Material für die Beurteilung von Wiederbetätigung, sagt aber sonst relativ wenig über den Angeklagten aus. Nachdem die Vorsitzende Richterin in einer ermüdenden und für sie sicher auch anstrengenden Litanei den Geschworenen die 69 Anklagepunkte vorgetragen hatte (Dauer: ca. eine Dreiviertelstunde), durfte L. in seinem Schlussplädoyer dann so dick auftragen, dass wir entschieden widersprechen müssen.
Eigentlich reicht schon das Plädoyer seines Verteidigers, der sich zu der Behauptung verstieg, dass L. nicht gewusst habe, dass das alles strafbar sei und der Mandant unter dem Prozess leide. Ja, hoffentlich! Der Mandant legte dann noch eins drauf und versicherte, dass er nie politisch aktiv gewesen sei und immer klar Stellung bezogen habe, dass das NS-Regime ein Verbrecherregime war. Wie bitte?
Als im April 2011 der Neonazi und damalige NVP-Kader Robert Faller einen Bericht der „Krone“ über die Verhaftung von Gottfried Küssel teilt und dafür drei Likes erhält, fährt „Doris Kli“ dazwischen: „… was gefällt daran, wenn ein Unschuldiger verhaftet wird?“ Ein Jahr später – der L. ist von „Doris Kli“ mittlerweile zu „Dörte Denzing“ mutiert – postet er zum Prozess gegen den Rechtsterroristen Anders Behring Breivik: „Breivik bekennt sich ‚nicht schuldig‘. Mal ehrlich; es gibt auch nicht den geringsten Beweis für seine Schuld.“
Im Thread gibt es daraufhin eine Debatte, ob dieser Kommentar ernstgemeint sei. Wolfgang alias „Dörte Denzing“ klärt das mit diesem zynischen Post auf: „Alle paar 100 Jahre darf man schon mal ein paar norwegische Kinder perforieren. Der Handvoll Regierungsbeamt_*Innen weint ja ohnehin niemand eine Träne nach …“
Als „Andi Gewehre“ postet er dann antisemitischen Dreck, der so widerlich ist, dass wir auf die Wiedergabe verzichten. In einem anderen Thread unterhalten sich einige Neonazis, ob das Bekenntnis eines zum NS Konvertierten ernstzunehmen sei. Während einige zweifeln, urteilt „Doris Kli“: „Ist authentisch. Wer nachdenkt, kommt automatisch zu uns.“ Und später noch deutlicher: „Der ist schon schwer in Ordnung. Ein erleuchteter Volksgenosse mehr.“
Als 2013 Quentin Tarantino die US-Sklaverei mit dem Holocaust vergleicht, jubelt Andreas Keltscha entzückt über diese Relativierung: „Der Mann hat recht“ und wird daraufhin von zwei Neonazis zusammengestaucht. Kutte Binder schreibt: „Der einzige Unterschied: der Völkermord an den Ureinwohnern hat tatsächlich stattgefunden. Er lässt sich belegen und ist somit OFFENKUNDIG.“ Wolfgang L. alias „Eva Kuieren“ setzt da noch drauf: „Stimmt. Und insofern ist Tarantinos Aussage falsch.“
Im Jänner 2013 weist „Eva Kuieren“ Robert Faller, der von einem drohenden „Bürgerkrieg“ in Europa schwafelt, scharf zurecht: „Rassen‑, nicht Bürgerkrieg. (…) Fremdrassige sind keine Bürger.“
Das Urteil
Es ist nur eine kleine Auswahl an braunen und hetzerischen Postings, die wir hier präsentieren. Sie würden wohl für einige Jahre Haft wegen Wiederbetätigung reichen. Geworden sind es dann allerdings nur weitere 14 Monate bedingt, die, weil die 42 Delikte, für die Wolfgang L. von den Geschworenen als schuldig erkannt wurde, schon vor seiner Verurteilung 2020 getätigt wurden, als Zusatzstrafe ausgesprochen wurden. L. hat demnach 32 Monate bedingt auf der Kante. Mal sehen, was daraus noch wird und dem L. in den nächsten drei Jahren noch einfällt. L. hat das Urteil jedenfalls akzeptiert, die Staatsanwaltschaft gab am Freitag noch keine Erklärung ab. Es ist also noch nicht rechtskräftig.
➡️ „Standard“-Bericht zum Prozess: Wiederbetätigungsprozess: Die „Witzigkeit” der „patriotischen Kreise”
➡️ „Stoppt die Rechten“ zu Wolfgang L. alias „Sowilo“: NPD sagt Tschüss zu Sowilos Partner