Die durchaus freundlich auftretende Richterin war gleich zu Beginn des Prozesses überrascht, als sich L. nicht einmal zur Richtigkeit der Generaldaten (Geburtsdatum, Wohnadresse etc.) äußern wollte. Ihr Versuch, ihn wenigstens zur Beantwortung der ersten Fragen zu bewegen, da ihm hier ohnehin nichts passieren könne („Dann will ich Sie auch nicht weiter quälen“), war nur teilweise erfolgreich. Aber das war für den weiteren Prozessverlauf ohnehin unwichtig.
Die wesentlichen Anklagepunkte stützten sich auf Funde bei zwei Hausdurchsuchungen, im Zuge derer neben NS-Devotionalien wie eine Wehrmachtsbüste im Wintergarten vor allem Datenträger inklusive mehrerer Handys sichergestellt worden waren. L.s Versuch, während der Durchsuchung im Badezimmer alle Daten von einem bereits beschlagnahmten Handy zu löschen, trug ihm gleich eine weitere Anklage wegen Unterdrückung von Beweismitteln ein – die wurde allerdings beim heutigen Prozess ausgeschieden. L. hätte es sich allerdings sparen können, sein Smartphone auf Werkseinstellung zurückzusetzen, denn alle Daten konnten wiederhergestellt werden und waren Teil einer langen, sehr langen Liste von nach dem Verbotsgesetz § 3g angeklagten Taten.
L. gab sich schon während der Ermittlungen schweigsam, auch im Prozess hatte er nicht viel beizutragen. So verlas er gerade einmal eine kurz gehaltene Stellungnahme, schwafelte da von seiner Schulzeit, in der er von Demokratie und Meinungsfreiheit gehört hätte. Jetzt müsse er, der „jahrelang von der Polizei gequält“ worden sei, bemerken, dass dem in Österreich nicht so sei. Er habe sich nicht nationalsozialistisch betätigen wollen, alles sei nur Spaß gewesen, und es gäbe schließlich keine Opfer. Daher bekannte er sich nicht schuldig.
Sein Verteidiger ging etwas differenzierter vor, erkannte an, dass es sich bei einigen Anklagepunkten doch eindeutig um Verstöße gegen das Verbotsgesetz handle, aber einige seien doch fraglich. Etwa die Bilder von den Reichsflugscheiben, die in den angeklagten Chats geteilt worden seien, denn da müsse man ja erst nachsehen, was das überhaupt ist. Oder die „nordische Hochzeit“ inklusive Hakenkreuzdeko, an der L. mit anderen Szenebekannten in einer Hütte im Wald teilgenommen hatte: Da sei L. laut Verteidiger ja nur dabei gewesen und könne nicht dafür verurteilt werden, dass „vorne“ ein 75-Jähriger eine einschlägige Rede gehalten hatte.
Die Reichsflugscheiben beschäftigten auch die beisitzende Richterin, denn die fragte laut, was das denn sei. Richtig mühsam wurde der Prozess, als der Richter*innensenat abwechselnd über eine ganze Stunde hinweg die Fragen, über die die Geschworenen zu befinden hatten, in einem Höllentempo herunterleierte. Da wurde aber erst klar, dass die Mitglieder einer Chatgruppe – genannt wurden 18 gesondert angeklagte Kumpan*innen „und weitere nicht mehr feststellbare Personen“ in ihren Unterhaltungen wohl kaum etwas ausgelassen hatten, was an NS-Symbolen bekannt ist und in Nazi-Kreisen kursiert: von Hakenkreuzen, Hitler-Grüßen, Hitlerbildern und ‑videos, Runen, Triskelen, Keltenkreuzen bis zu Reichskriegflaggen und mehr, sodass aus der Anklage fast ein Lexikon der Widerbetätigung erstellt werden könnte.
Dabei waren auch verhetzende, rassistische Sujets und Widerlichkeiten, mit denen sich die Truppe etwa über die Ermordung von Juden und Jüdinnen im Holocaust amüsiert hatte. In der Chatgruppe kursierte auch das Logo der „Ferialverbindung Imperia”, der Nachfolgeorganisation von Küssels „Ferialverbindung Reich”. Nicht nur damit, sondern auch personell sind Verbindungen zur Küssel-Truppe festzustellen. Aber die oder andere Verbindungen in Neonazi-Kreise waren beim Prozess kein Thema.
Angeklagt war auch der Austausch eines Fotos und von Textzitaten des deutschen Neonazi-Liedermachers „Fylgien”. Das ist insofern bemerkenswert, als dass Sebastian Döhring (alias „Fylgien”) 2017 bei der Burschenschaft Germania Ried live ohne juristische Konsequenzen aufgetreten ist, denn damals stellte die Rieder Staatsanwaltschaft das Verfahren ein. Was bei L. und anderen in vergleichsweise harmloser Form für eine Anklage reicht, ist in Oberösterreich in verschärfter Weise offenbar nicht strafbar – zumindest dann, wenn es sich um Mitglieder einer Burschenschaft handelt.
Dazu kamen bei L. einschlägige Postings auf Facebook unter dem Tarnnamen „Andreas Wotan” und auf Instagram, der Besitz von Neonazi-Tonträgern, braune Tätowierungen, ein in der Wohnung aufgemaltes gelbes Hakenkreuz und eben die Teilnahme an der „nordischen Hochzeit“, der übrigens auch jener Ex-Parlamentssecurity beigewohnt hatte, der im November 2018 aufgeflogen ist.
Nach der Verlesung der 87 Fragen an die Geschworenen ging es dann schnell: kurze Schlussplädoyers von Staatsanwaltschaft und Verteidigung, der Angeklagte verzichtete auf das Schlusswort. Die Geschworenen wurden in die Pause entlassen, bevor sie in einer stundenlangen Session über Schuld und Unschuld und über die Strafthöhe zu befinden hatten.
Das nicht rechtskräftige Urteil: Schuldspruch in 35 der 87 Anklagepunkte, drei Jahre Haft, davon zwei bedingt. Damit könnte L. seinen ersten braunen Fleck im bislang weißen Strafregister erhalten. Es ist ohnehin erstaunlich, dass es so lange gedauert hat, denn L.s Szenezugehörigkeit war seit Jahren öffentlich bekannt, und auch der angeklagte Tatzeitraum beginnt bereits 2015.