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Wochenschau KW 25/22

Aus Ober­ös­ter­reich sind wir ja eini­ges gewohnt, was brau­ne Akti­vi­tä­ten betrifft, aber der Fall von 35 Jugend­li­chen aus drei Bezir­ken soll­te doch auf­schre­cken. Die waren Mit­glie­der einer Chat­grup­pe, bei der u.a. Nazi-Bot­­schaf­­ten und kin­der­por­no­gra­fi­sches Datei­en aus­ge­tauscht wur­den. Zudem gibt’s zahl­rei­che wei­te­re Delik­te, die zur Anzei­ge gebracht wur­den. Kratzt es die Poli­tik? Bis­lang nicht! Wie­ner Neu­stadt: NS-Schmiererei […]

27. Jun 2022

Wiener Neustadt: NS-Schmiererei in Gefängniszelle
Mistelbach/NÖ: Geheimabstimmung über Nowotny-Ehrentafel
Bez. Perg, Urfahr-Umgebung, Linz-Land/OÖ: 35 Jugendliche mit 68 Delikten

Wiener Neustadt: NS-Schmiererei in Gefängniszelle

Es ist ungüns­tig, aus­ge­rech­net in einer Gefäng­nis­zel­le Nazi-Codes wie „S88S“, „Sieg Heil“ und „Öster­reich bleibt arisch“ anzu­brin­gen. Des­we­gen muss­te sich ein 26-Jäh­ri­ger vor dem Lan­des­ge­richt Wie­ner Neu­stadt erklä­ren. Und da der sich teil­wei­se nicht erin­nern konn­te, weil er angeb­lich unter Dro­gen stand und nur zugab, eine Rune und das Logo einer Rap-Band sowie „Only god can judge me“ geschmiert zu haben, den Rest aber nicht er selbst, son­dern sein Zel­len­mit­be­woh­ner, muss­te die Ver­hand­lung ver­tagt werden.

Sein Zel­len­kol­le­ge gab vor Gericht an, dass er sich sicher sei, dass der 26-Jäh­ri­ge alles geschrie­ben habe, weil ihm bei einer gründ­li­chen Putz­ak­ti­on davor die­se Sachen auf­ge­fal­len wären. Der Pro­zess wur­de ver­tagt, um Jus­tiz­be­am­te zu laden und Schrift­pro­ben des Ange­klag­ten zu beschaf­fen. (NÖN, 22.6.22, S. 22)

Mistelbach/NÖ: Geheimabstimmung über Nowotny-Ehrentafel 

In Wien hat die Betei­li­gung am „Nowot­ny-Geden­ken“ auf dem Wie­ner Zen­tral­fried­hof in den letz­ten Jah­ren sehr abge­nom­men. Inzwi­schen scheint sich auch die Nowot­ny-Fan­sze­ne zer­strit­ten zu haben, sodass es 2021 zu einem getrenn­ten Auf­marsch kam.

Am 1. Novem­ber tra­fen sich über ein Dut­zend Neo­na­zis am Nowot­ny-Grab und hin­ter­leg­ten einen Kranz des „Natio­na­len Wider­stands”, wie auf der Trau­er­schlei­fe zu lesen war. Eine Woche spä­ter lud der „Ver­ein zur Pfle­ge des Gra­bes Wal­ter Nowot­ny” auf den Zen­tral­fried­hof zu sei­ner Gedenk­ver­an­stal­tung. (…) Die­ses Jahr war unter den Anwe­sen­den, die teil­wei­se uni­for­miert und mit mili­tä­ri­schen Orden und Abzei­chen erschie­nen, eine Abord­nung des Kame­rad­schafts­bun­des Mis­tel­bach, der eins­ti­gen Hei­mat­ge­mein­de Nowot­nys. Zusätz­lich tauch­ten Akti­vis­ten der weit rechts ange­sie­del­ten Kame­rad­schaft Prinz Eugen aus Perch­tolds­dorf auf. Ver­gli­chen mit frü­he­ren Jah­ren war es eine eher klei­ne Ver­an­stal­tung. (derstandard.at, 15.11.22)

Wäh­rend in Wien der Wider­stand gegen das Nazi-Geden­ken 2003 zur Aberken­nung des Ehren­grabs für Nowot­ny führ­te, im nie­der­säch­si­schen Bram­sche, wo Nowot­ny mit sei­nem Flug­zeug 1944 abge­schos­sen wor­den war, ein Nowot­ny-Denk­mal wenigs­tens kon­tex­tua­li­siert wur­de, brauch­te es im nie­der­ös­ter­rei­chi­schen Mis­tel­bach etwas län­ger, bis Bewe­gung bezüg­lich einer an der Fried­hofs­mau­er ange­brach­ten Ehren­ta­fel kam. Wobei „Bewe­gung“ vor­erst nur bedeu­tet, dass es eine Abstim­mung über das Nut­zungs­recht der Fried­hofs­mau­er durch den ört­li­chen Kame­rad­schafts­bund geben wird.

Eine Grup­pe um [den] His­to­ri­ker und Jour­na­lis­ten Andi Kuba über­gab dem Mis­tel­ba­cher Gemein­de­rat einen Antrag auf Ent­fer­nung der Ehren­ta­fel für den umstrit­te­nen Welt­kriegs-Kampf­pi­lo­ten Wal­ter Nowot­ny. Behan­delt wird die Cau­sa ver­mut­lich in der Juli-Sit­zung des Gemeinderates.
Die Tafel hängt seit 1979 an der Fried­hofs­mau­er neben dem Denk­mal für die Gefal­le­nen bei­der Welt­krie­ge. Auf­ge­hängt wur­de sie vom Mis­tel­ba­cher Kame­rad­schafts­bund, der, ent­ge­gen den Emp­feh­lun­gen des Lan­des­ver­ban­des, eine inni­ge Ver­bun­den­heit mit Nowot­ny lebt. (noen.at, 22.6.22)

Der Nowot­ny-Grab­pfle­ge-Ver­ein, der sei­nen Ver­eins­sitz inzwi­schen von Wien nach Linz ver­legt hat, zeigt sich natur­ge­mäß not amu­sed und behaup­tet im Gegen­satz zum DÖW, dass Nowot­ny nicht Mit­glied der NSADP gewe­sen sei.

Nowotny-Grabpflege-Verein: Obmann Ex-FPÖ-Mitarbeiter Gerhard Staudinger, Schriftführer Ex-FPÖ-Politiker Johann Herzog (Auszug Vereinsregister 2022)
Nowot­ny-Grab­pfle­ge-Ver­ein: Obmann Ex-FPÖ-Mit­ar­bei­ter und Rechts­an­walt Ger­hard Stau­din­ger, Schrift­füh­rer der Wie­ner Ex-FPÖ-Poli­ti­ker Johann Her­zog (Aus­zug Ver­eins­re­gis­ter 2022)

Der ÖVP-Bür­ger­meis­ter gibt sich nach außen gelas­sen und will die Abstim­mung als nor­ma­le Ange­le­gen­heit framen. Dass dem nicht ganz so ist, zeigt der Plan, die Abstim­mung geheim abzu­wi­ckeln. Dann müs­sen sich jene, die für die Bei­be­hal­tung des brau­nen Geden­kens stim­men, nicht outen. Das im Jahr 2022!

Bez. Perg, Urfahr-Umgebung, Linz-Land/OÖ: 35 Jugendliche mit 68 Delikten

Gleich 35 Jugend­li­che zwi­schen 14 und 17 aus den ober­ös­ter­rei­chi­schen Bezir­ken Perg, Urfahr-Umge­bung und Linz-Land sind in das Visier von Poli­zei und Jus­tiz gekom­men, weil sie ver­däch­tig wer­den, eine gro­ße Anzahl zum Teil schwer­wie­gen­der Delik­te began­gen zu haben. Ins­ge­samt sind bis­lang 68 Delik­te zur Anzei­ge gebracht wor­den, dar­un­ter Ver­stoß gegen das Ver­bots­ge­setz, por­no­gra­fi­sche Dar­stel­lung Min­der­jäh­ri­ger, Ver­het­zung, Dro­gen­be­sitz und Dro­gen­han­del, Sach­be­schä­di­gung und Diebstahl.

25 Ver­däch­ti­ge sind nach dem Ver­bots­ge­setz, 14 wegen por­no­gra­fi­scher Dar­stel­lung Min­der­jäh­ri­ger und sechs wegen Ver­het­zung ange­zeigt wor­den. Erschre­ckend: Die Jugend­li­chen (…) zeig­ten nahe­zu kein Unrechts­be­wusst­sein. Ihnen wer­den auch zahl­rei­che Sach­be­schä­di­gun­gen und Ver­kehrs­zei­chen-Dieb­stäh­le zur Last gelegt. (krone.at, 24.6.22)

Begon­nen hat­ten die Erhe­bun­gen bei einem Bur­schen, auf des­sen Mobil­te­le­fon eine kin­der­por­no­gra­fi­sche Auf­nah­me sicher­ge­stellt wor­den war. Die Ermitt­ler fan­den her­aus, dass ein­schlä­gi­ge Fotos und Vide­os auf Whats­App und Snap­chat geteilt wor­den waren — dar­un­ter auch sol­che, die gegen das Ver­bots­ge­setz ver­sto­ßen und Ver­het­zung dar­stel­len sollen.
So fan­den die Beam­ten zum Bei­spiel einen selbst gedreh­ten Video­clip, in dem drei Mäd­chen vor der KZ-Gedenk­stät­te [Maut­hau­sen, Anmk. SdR] den rech­ten Arm zum Hit­ler­gruß aus­stre­cken. Im Bereich des Bahn­hofs von St. Geor­gen wur­den Haken­kreuz-Sym­bo­le mit Tixo an die Wand der Hal­te­stel­le geklebt. In ins­ge­samt sechs Fäl­len geht es laut Poli­zei um Wie­der­be­tä­ti­gung. (nachrichten.at, 25.6.22)

Alle Jugend­li­chen wur­den auf frei­em Fuß angezeigt.

Wäh­rend uns aus der Poli­tik bis­lang kei­ner­lei Reak­tio­nen zu die­sem in sei­ner Dimen­si­on doch außer­ge­wöhn­li­chen Fall bekannt sind, hat zumin­dest die Gedenk­stät­te Maut­hau­sen via Pres­se­aus­sendung reagiert.

Die KZ-Gedenk­stät­te Maut­hau­sen betont, dass jun­ges Alter und Unrei­fe kei­ne Ent­schul­di­gung für Anti­se­mi­tis­mus sowie für die Ver­harm­lo­sung und Leug­nung natio­nal­so­zia­lis­ti­scher Ver­bre­chen sind. Straf­ta­ten die­ser Art müs­sen immer geahn­det wer­den, auch wenn es sich bei den mut­maß­li­chen Straf­tä­tern um Jugend­li­che im Alter von 14 bis 17 Jah­ren handelt.
Zusätz­lich zur kla­ren Ver­ur­tei­lung der­ar­ti­ger Hand­lun­gen müs­sen aber auch Fra­gen gestellt wer­den: War­um ver­üben Jugend­li­che sol­che? Ist es blo­ße Lan­ge­wei­le? Ist es Gleich­gül­tig­keit? Ist es ein Ein­zel­phä­no­men? Oder viel­mehr Aus­druck einer gesell­schaft­li­chen Ent­wick­lung, die uns allen Sor­gen berei­ten muss? Einer Ent­wick­lung, die eine Ver­ro­hung der Gesell­schaft beför­dert, unse­ren Kin­dern nicht aus­rei­chend Schutz bie­tet, alte Feind­bil­der mehr und mehr reak­ti­viert, sie wie­der gesell­schafts­fä­hig macht? Spie­geln die­se 35 Jugend­li­chen aus Ober­ös­ter­reich jene Hand­lun­gen und Hal­tun­gen, wel­che ins­ge­samt in der Gesamt­ge­sell­schaft zuneh­mend an Raum gewinnen?
Wir benö­ti­gen breit ange­leg­te Alli­an­zen, um sol­chen Ent­wick­lun­gen zu begeg­nen. Es hat noch nie aus­ge­reicht, jugend­li­che Straf­tä­ter ein­zig und allein zu ver­ur­tei­len, ent­schei­dend ist, wie in der Auf­ar­bei­tung die­ser Taten zusätz­lich zu den Jugend­li­chen auch das gesell­schaft­li­che Umfeld in den Blick genom­men wird.