Pandemie-Erfolgsstory
„Übernimm selbst die Verantwortung für dein Leben“, sagt Ricardo Leppe gegen Ende des dreiminütigen Intro-Videos seines YouTube-Kanals, und er fügt hinzu: „und all dieses Wissen, um das selber übernehmen zu können, möchte ich dir hier zur Verfügung stellen.“ (1)
Leppe, ein etwa dreißigjähriger Zauberer und Gedächtnistrainer aus Niederösterreich, verfügt über enormes Selbstbewusstsein und weiß sich eloquent zu inszenieren. Er ist der Protagonist hinter dem Verein „WissenSchafft Freiheit“, der hauptsächlich auf den Plattformen Youtube und Telegram aktiv ist. In seinen Videos verbreitet er nicht nur Lerntipps und Gedächtnisübungen, sondern verbindet diese mit esoterischen Heilsversprechen und einer klaren Positionierung gegen die Covid-19-Schutzmaßnahmen. Zudem veröffentlich er mit seinem Bruder Elias, der auch Vizepräsident des Vereins ist und einen eigenen YouTube-Kanal zum Thema Ernährung betreibt, den „Gebrüder Leppe Talk“. In diesen via Telegram veröffentlichten Kurzvideos (es gibt inzwischen 24 dieser „Talks“) verbreiten die beiden Brüder haarsträubende Falschinformationen zu medizinischen Themen. Sie empfehlen etwa, auf Sonnencreme zu verzichten, denn diese verbrenne eigentlich die Haut (2). Sie erklären Menstruationsschmerzen damit, dass unnatürlicherweise „so viel Dreck vorhanden ist im Körper, der raus will“; überhaupt würde die Monatsblutung bei richtiger Ernährung aufhören oder nur sehr schwach auftreten (3/4).
Leppes Online-Aktivitäten stoßen im heterogenen Querdenker*innen- und Esoterik-Milieu auf viel Zustimmung. Inzwischen fungiert er als Vernetzer und Impulsgeber von zahlreichen Lerngruppen und „Schulprojekten“. Sein Erfolg zeigt sich auch in Zahlen. In einem kritischen Artikel der Berliner Wochenzeitung „Jungle World“ von Mai dieses Jahres wird der Telegram-Kanal des Vereins „WissenSchafft Freiheit“ noch mit 17.000 Abonnent*innen angegeben – inzwischen hat sich die Zahl mehr als verdoppelt. Der gleichnamige YouTube-Kanal verfügt mit 27.000 Abonnent*innen über eine ähnliche Reichweite. Es handelt sich also um eine wahre Pandemie-Erfolgsstory.
„Kinder der Zukunft“
Leppe hat heuer und letztes Jahr an der Veranstaltung „Kinder der Zukunft“ als Redner teilgenommen. Es handelt sich dabei um eine Kooperation der deutschen Website „energize-you“ mit der Plattform „theworldbecomes.one“. Letztere führt im Impressum den Namen des Steirers Gernot Gauper. Dieser tritt seit 2020 offensiv als Corona-Leugner in Erscheinung.
Ein Blick auf die Redner*innen des Kongresses zeigt das Bild einer zwar heterogenen, aber doch äußerst einschlägigen Szene. Heuer war etwa Soulsänger und Q‑Anon-Fan Xavier Naidoo als Stargast geladen. Walter Rieske, ein Vertreiber von esoterischen Scharlatanerieprodukten, sprach über die „Transformation von Angstenergie und anderen niedrigschwingenden Energiefeldern“. Am selben Tag sprach auch der rassistische Verschwörungsideologe und „Fernheiler“ Roman Christian Hafner. Auch Johannes „Joe“ Kreissl, braunesoterischer Holocaust-Bezweifler und selbsternannter „Freeman Austria“ und der pandemiegeschäftstüchtige Busunternehmer Alexander Ehrlich, der ausgerechnet in Mauthausen durchs Abspielen einer Hitler-Rede auffiel, bekamen eine Plattform auf dem Kongress. Die Liste ließe sich fortsetzen.
Am letztjährigen Kongress – auch dort war Leppe Vortragender – hat der Wirtschaftswissenschaftler Franz Hörmann gesprochen, gegen den das „Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes“ (DÖW) im Jahr 2012 Anzeige wegen des Verdachts auf Wiederbetätigung erstattete. Dies brachte dem Verschwörungsideologen eine kurzzeitige Suspendierung von der Wirtschaftsuni Wien ein. Hörmann war 2014 als Referent bei der sogenannten „Antizensurkonferenz“ der Anti-Zensur-Koalition (AZK) von dem fundamentalistischen Schweizer Sektenguru Ivo Sasek.
Apropos Ivo Sasek: Dessen infame Fake-News-Website „kla tv“, wo etwa im Jahr 2016 der Neonazi-Film „Höllensturm” veröffentlicht wurde, rezipiert Leppes Aktivität positiv und zeigt sein YouTube-Video „Die Schule der Zukunft in zwei Schritten“ in einer Sendung von April 2020 in voller Länge.
Am 4. Oktober 21 trat Leppe in einer Videoeinspielung bei einer Onlineveranstaltung mit dem vielsagenden Titel „Wahrheitskongress” auf; dort tummelte sich ebenfalls die Hautevolee des Obskurantentums – aus dem rechtsextremen Sektor inklusive. Leppe folgte gleich auf „Dr. Coldwell”. Coldwell, das Pseudonym des selbsternannten „Wunderheilers” Bernd Klein, erlangte durch seine Vorhersagen tragikomische Bekanntheit, etwa wegen jener, dass fast alle Anti-Covid-Geimpften im September (2021) das Zeitliche segnen oder dass alle Geimpften homosexuell würden. Im selben „Kongress” darf „Thorsten ZND” auftreten, der ohne zu fackeln schon im Titel die völkisch-orientierte Marschrichtung vorgibt: „Deutsch sein! — Zurück zu den Wurzeln”
Im Juli dieses Jahres war Leppe zum Interview bei dem rechtsextremen Medienprojekt AUF1 zu sehen. Konkreter bei „Klartext mit Edith“, einer Interviewserie, die von der Covid-19-Geschäftemacherin und „Querdenkerin“ Edith Brötzner moderiert wird. In dem einstündigen Video darf Leppe dort seine „Schule der Zukunft“ ausführlich bewerben.
Ideologische Schulung: Anastasia und Schetinin
Im Zentrum von Leppes Zugang zum Thema Bildung steht die Behauptung, mittels der richtigen Lerntechniken könne der ganzjährige Unterrichtsstoff in einer Stunde pro Tag bewältigt werden. Der Rest der Zeit solle dann auf Dinge, die Spaß machen verwendet werden und Dinge, die man wirklich fürs Leben brauche (5). Leppe, der über keinerlei pädagogische Ausbildung verfügt, greift immer wieder auf szenebekannte Vorbilder für dieses Heilsversprechen zurück. Dazu gehört insbesondere die von dem Musiklehrer Michail Petrowitsch gegründete Schetinin-Schule im russischen Tekos. Dort wird nicht nur ein ähnliches Wunderkonzept bezüglich schnellem Lernen propagiert, sondern die internatsähnlichen Einrichtung indoktriniert Kinder auch mit Nationalismus und autoritärem Natur- und Heimatdünkel.
Leppe erwähnt die Schetintin-Schule immer wieder lobend als gelungenes Bespiel für das, was ihm selbst vorschwebt, so etwa in einem langen Gespräch mit dem Autoren und Covid-19-Verschwörungsideologen Gunnar Kaiser, dessen YouTube-Kanal mit über 200.000 Abonent*innen außerordentlich erfolgreich ist (6). Im November 2020 interviewt Leppe die Lehramtstudentin Iris Autenrieth, die zwei Monate als Praktikantin in der Schetinin-Schule war (7). Die junge Frau – übrigens auch Referentin bei der „Kinder der Zukunft“-Konferenz – behauptet in dem euphorischen Gespräch, an der Schetinin-Schule werde der gesamte Schulstoff (bis zur Matura) innerhalb nur eines Jahres gelernt. Sie beschreibt den pädagogischen Zugang folgendermaßen: Es dürfe nur jemand an der Schule unterrichten, der wisse, dass das Kind schon alles weiß und dass dieses Wissen nur noch im Kind erweckt werden müsse.
Weniger harmlos klingt diese Verklärung von Natürlichkeit und Ursprünglichkeit in einem Artikel der esoterischen Zeitschrift „Sein“ aus dem Jahr 2013 (8). Obwohl der Artikel ganz offensichtlich wohlwollend ist, stößt dem Autor doch der Nationalismus auf, aus dem kein Hehl gemacht werde – man lerne „für Russland, für die Zukunft der Heimat“. Die Schule erkläre das damit, dass Kinder „an die kollektive Volksseele, ihre Ahnen angebunden sein [müssen], verwurzelt in der Natur ihres Heimatlandes“. Man sehe Jungs bei „militärischen Kampfübungen im Wald“ und Mädchen beim „Schwertkampf auf Ninja-Niveau“; wer die Schule verlasse, sei „auch ein Krieger“. Der wohlmeinende, aber verunsicherte Autor kann seinen „Eindruck einer gewissen Ideologie“ nicht ganz verscheuchen; er erwähnt diesbezüglich auch das allgegenwärtige „Anastasia-Gedankengut“.
Zu dieser Ideologie steht der Schetinin-Ansatz tatsächlich in enger Verbindung, wie etwa die Schweizer Fachstelle für Sektenfragen in einem ausführlichen Bericht darlegt. Die Anastasia-Bewegung geht auf die zehnbändige Romanreihe „Die klingenden Zedern Russlands“ (1996–2010) von dem russischen Unternehmer Wladimir Megre zurück. In der fiktiven Geschichte, die von Megre als Tatsachenbericht vermarktet wird, werden Spiritualität, Verschwörungsmythen und ein unverblümter Antisemitismus miteinander verknüpft und eine naturverbunden-antimoderne Lebensform propagiert. Zu diesem ideologischen Amalgam mischt Megre noch einen ausgeprägten Antifeminismus hinzu. Starre Geschlechterrollen werden propagiert und pseudowissenschaftlich unterfüttert; die gewünschte „Reinheit“ der Frau wird etwa mit dem biologistisch-rassistischen Konzept der Telegonie „untermauert“, auf das sich auch Neonazis gerne beziehen (9). Diese ideologische Gemengelage macht die Anastasia-„Lehre“ seit Jahren auch für Reichsbürger*innen und für völkische Siedlungsprojekte attraktiv.
➡️ Der Zauberer & die braune Esoterik (Teil 2): Anastasia & Hamer
➡️ Anastasias Traum – zur russischen Rechtsesoterik in österreichischen Schulprojekten (Teil 1+2)
Fußnoten
1 „Intro — WissenSchafft Freiheit“, 17.08.2020, eingesehen via Youtube-Kanal „WissenSchafftFreiheit“: 21.09.2021
2 „Gebrüder Leppe Talk #24: Sonne, Vitamin D3, Sonnencreme“, 18.06.2021, eingesehen via Telegram: 21.09.2021
3 „Gebrüder Leppe Talk #19: Die weibliche Menstruation“, 16.05.2021, eingesehen via Telegram: 21.09.2021
4 Siehe dazu den amüsanten und ausführlichen Blog-Beitrag von Christian Kreil im Standard
5 Leppe wiederholt seine Mission immer wieder und in verschiedenen Videos. Etwa hier: „Die Schule der Zukunft in zwei Schritten“, 11.10.2020, eingesehen via Youtube-Kanal „WissenSchafftFreiheit“: 21.09.2021
6 Das Interview mit Kaiser ist in dessen YouTube-Kanal unter dem Titel „Lernen neu denken — Ricardo Leppe im Gespräch“ (26.05.2021) erschienen und dürfte mit beinahe 150.000 Aufrufen die höchste Reichweite sein, die Leppe bislang erzielt hat.
7 „Eine Schule des Lebens — Interview mit Iris“, 24.11.2020, eingesehen via Youtube-Kanal „WissenSchafftFreiheit“: 21.09.2021
8 „Die Tekos-Schule: 11 Jahre Schule in einem Jahr“, 29.01.2013, eingesehen auf der Website „Sein.de”: 27.02.2021
9 Siehe Bericht infoSekta 2016, S. 8–9