Lesezeit: 8 Minuten

Der Zauberer & die braune Esoterik (Teil 2): Anastasia & Hamer

Ricar­do Lep­pes nach außen hin freund­li­che The­sen zu einer Bil­dung, die viel mehr auf Bedürf­niss­se von Kin­dern aus­ge­rich­tet sein soll, erfreu­en sich seit der Pan­de­mie hoher Beliebt­heit – beson­ders unter Anhänger*innen der Ver­schwö­rung­s­ze­ne, die ihre Kin­der vom regu­lä­ren Schul­un­ter­richt abge­mel­det haben. Lep­pe ist nach Eigen­an­ga­ben aber auch oft zu Gast in staat­li­chen Schu­len. Das scheint […]

21. Okt 2021

Dämo­ni­scher „Hohe­pries­ter“

Ricar­do Lep­pe bezieht sich direkt auf die Ana­sta­sia-Ideo­lo­gie. Zum Bei­spiel in einem Video mit dem viel­sa­gen­den Titel „Hin­ter­fra­ge alles — Geht es um uns Men­schen?“. Dar­in star­tet er mit dem Unsinn, das Wort „Bür­ger” käme von „bür­gen” und emp­fiehlt dann den Text „Der Dämon Kra­tie“, den er auch als pdf-Datei ver­linkt. Bei den vier Sei­ten han­delt es sich um einen Aus­schnitt aus dem ach­ten Band der Ana­sta­sia-Roman­rei­he (1). Lep­pe sug­ge­riert, dass es ein Tat­sa­chen­be­richt sein könn­te: „Aber ganz egal, was man von dem Text hält, ob er erfun­den ist oder nicht, er trifft’s ziem­lich auf den Punkt.“ Der Text erzählt von der Ent­ste­hung der Lohn­skla­ve­rei als Plan einer Eli­te von Pries­tern. Prot­ago­nist ist der „Hohe­pries­ter Kra­tie“, dem die fol­gen­de Auf­ga­be zukommt: „Kra­tie hat­te die Auf­ga­be über­nom­men, den Staat umzu­ge­stal­ten, um die Macht der Pries­ter über die Men­schen die­ser Erde auf Jahr­tau­sen­de hin­aus zu fes­ti­gen und sie alle, ein­schließ­lich der soge­nann­ten Herr­scher, zu Skla­ven der Pries­ter zu machen.

Mit der Bezeich­nung „Hohe­pries­ter“ setzt Meg­re einen Ter­mi­nus, der gemein­hin mit dem Juden­tum ver­bun­den wird. Im wei­te­ren Ver­lauf der Geschich­te lernt Kra­tie, dass zur Errich­tung der ewi­gen Herr­schaft phy­si­sche Gewalt nicht reicht, viel­mehr müs­se „jeder Mensch und jedes Volk (…) psy­cho­lo­gisch beein­flusst wer­den“. Der Hohe­pries­ter ent­wi­ckelt fort­an das Kon­zept eines Geld­sys­tems, in dem sich zwar alle frei füh­len, aber eben nicht sind – weder die ehe­ma­li­gen Skla­ven, noch die Herr­schen­den. Letzt­lich wer­den alle zu ewi­gen Sklav*innen der Pries­ter­eli­te. Die plum­pe Poin­te der Geschich­te: Kra­tie wird auf­grund sei­nes aus­ge­fuchs­ten Plans von einem Pries­ter­kol­le­gen als Dämon bezeich­net und er ent­geg­net dar­auf: „Wenn ich ein Dämon bin, dann sol­len in Zukunft die Men­schen mei­ne Idee Demo­kra­tie nen­nen.

Meg­re äußert sich in sei­ner Roman­rei­he an ande­ren Stel­len noch viel expli­zi­ter anti­se­mi­tisch: Juden und Jüdin­nen fun­gie­ren im Rah­men die­ser okkul­ten Welt­ver­schwö­rung als „pries­ter­li­ches Heer“. Folg­lich wird ihnen auch die Schuld an ihrer Ver­fol­gung und Ver­nich­tung zuge­scho­ben: „His­to­ri­ker hiel­ten Hit­ler für schul­dig“, aber es sei­en schließ­lich schon ande­re Macht­ha­ber zu sol­chen Taten gezwun­gen gewe­sen: ‚Die Herr­scher sind gezwun­gen, das jüdi­sche Volk aus ihrem Land zu ver­trei­ben.’“ (2) Kurz­um: Mit der Wahn­idee von einer jahr­tau­sen­de­al­ten Pries­ter­eli­te, die im Hin­ter­grund die Fäden zieht und sogar die Herr­scher beherrscht, lie­fert das Ana­sta­sia-Kapi­tel eine wah­re Blau­pau­se für das Nar­ra­tiv der jüdi­schen Weltverschwörung.

„Kri­ti­sche Fra­gen“ und Logen

Obwohl Lep­pe selbst sich nicht die Blö­ße einer sol­chen Direkt­heit gibt, bedient er doch durch­ge­hend die Rhe­to­rik von Ver­schwö­rungs­nar­ra­ti­ven (3). Ein­mal in dem zitier­ten Video wird er aber deut­li­cher: „Glau­ben die da oben, wen auch immer wir da jetzt anspre­chen, ob man jetzt sagt die Logen, ob man sagt die Poli­tik, also Poli­tik hat damit ja nur zum Teil was zu tun, glau­ben die, dass wir alle dum­me Scha­fe sind?

Leppe doziert im Auto über Logen, Impfablehnung, Zwangsgebühren für öffentlichen Rundfunk ...
Lep­pe doziert im Auto über Logen, Impf­ab­leh­nung, Zwangs­ge­büh­ren für den öffent­li­chen Rundfunk …

Er plat­ziert den belieb­ten anti­se­mi­ti­schen Code von den Logen, ohne zu spe­zi­fi­zie­ren, wer oder was das eigent­lich ist. Über­haupt übt er sich in dem Video in einer rhe­to­ri­schen Grund­dis­zi­plin des Ver­schwö­rungs­dis­kur­ses: dem Stel­len ver­meint­lich kri­ti­scher Fra­gen und dem bei­läu­fi­gen Ein­streu­en hane­bü­che­ner Behaup­tun­gen. Sich der­ge­stalt schad­los hal­tend, lan­det er schließ­lich sogar bei jenem „Hin­ter­fra­gen“, in dem sich auch Holocaustleugner*innen ger­ne üben: „Wie­so darf ich das, was im zwei­ten Welt­krieg ist, auf gar kei­nen Fall hin­ter­fra­gen, weil sonst bin ich ganz ganz böse und ganz ganz schlimm? Ich leug­ne nicht, dass das schei­ße war damals, aber viel­leicht war’s nicht so. Wie­so darf ich nicht dar­über spre­chen mit ande­ren?

Brau­ne Pseudomedizin

Das passt inso­fern ins Bild, als Lep­pe auch immer wie­der an einem wah­ren Klas­si­kers brau­ner Eso­te­rik anknüpft: der „Ger­ma­ni­schen Heils­kun­de“. Das Kon­zept stammt von dem 2017 ver­stor­be­nen Schar­la­tan, Anti­se­mi­ten und Holo­caust­leug­ner Ryke Geerd Hamer. Ein län­ge­res Video vom Dezem­ber 2020 zum The­ma wur­de inzwi­schen gelöscht, aber die ent­spre­chen­de Ankün­di­gung inklu­si­ve Link fin­det sich noch auf sei­nem Tele­gram-Kanal. Dort heißt es: „Krank­hei­ten kom­men fast immer aus der Ernäh­rung und oder der Psy­che. Heu­te beleuch­ten wir mal den psy­chi­schen Part. Mir hat die ger­ma­ni­sche Heil­kun­de schon gut gehol­fen und auch in mei­nem Umfeld ist sie ganz klar rich­tig.

Verweis auf Video Pilhar-Leppe (TG, 19.12.20)
Ver­weis auf Video Pil­har-Lep­pe (TG, 19.12.20)

In den Kom­men­ta­ren zum Pos­ting schreibt auch der Kanal­in­ha­ber selbst immer wie­der und gibt dadurch wei­te­re Ein­bli­cke in sei­ne tie­fe Ver­stri­ckung mit der recht­se­so­te­ri­schen Sze­ne. So wird etwa das Buch von Björn Eybl, einem öster­rei­chi­schen Mas­seur, über Hamers gefähr­li­che Pseu­do­me­di­zin, emp­foh­len. Auch Rüdi­ger Dah­l­ke, einen der pro­duk­tivs­ten Akteu­re der Eso­te­rik­sze­ne mit Hang zu Ver­schwö­rungs­my­then, bezeich­net er als „gute Anlauf­stel­le“ für wei­ter­füh­ren­de Lite­ra­tur zur „Ger­ma­ni­schen Heilkunde“.

Leppe verweist auf Dahlke und Eybl (TG)
Lep­pe ver­weist auf Dah­l­ke und Eybl (TG)

Das gelösch­te Video war ein Inter­view, das Lep­pe im Dezem­ber 2020 mit Hel­mut Pil­har, dem umtrie­bigs­ten Nach­lass­ver­wal­ter von Hamers Ideo­lo­gie, geführt hat. Auf Pil­hars Web­site „ger­ma­ni­sche-heil­kun­de“ fin­den sich dazu noch die Ankün­di­gung des Vide­os und ein Link, der auf­grund der Löschung ins Nir­wa­na führt. Das ist bri­sant, weil Pil­har nicht nur unzwei­fel­haft ein Anti­se­mit ist, son­dern auch erst seit kur­zem wie­der damit begon­nen hat, den Wahn sei­nes Vor­bilds Hamer ganz unge­fil­tert via You­Tube zu ver­brei­ten.

Pilhar und Leppe im Gespräch, Dez. 2020 (Video gelöscht)
Pil­har und Lep­pe im Gespräch auf der Web­site von Pil­har, Dez. 2020 (Video gelöscht)

Hamer sieht eine jüdi­sche Ver­schwö­rung gegen sich am Werk; sei­ne „Ent­de­ckung“ sei von Rab­bi­nern gestoh­len wor­den und wer­de seit­her nur auf Juden und Jüdin­nen ange­wandt, wäh­rend alle ande­ren Men­schen gezielt durch Che­mo­the­ra­pien ermor­det wer­den wür­den. Pil­har sei laut Psi­ram dar­um bemüht gewe­sen, die offen­sicht­lichs­ten Bele­ge für Hamers Anti­se­mi­tis­mus zu löschen. Dass er gera­de die­se nun aber selbst ver­brei­tet, könn­te mit dem all­ge­mei­nen Auf­schwung zusam­men­hän­gen, den die Sze­ne auf­grund der Covi­d19-Pan­de­mie erlebt und aus­zu­nut­zen weiß.

Das Kon­zept der „ger­ma­ni­schen Heil­kun­de“ taucht in Lep­pes Vide­os immer wie­der bei­läu­fig auf. So eben auch in dem oben zitier­ten Clip „Hin­ter­fra­ge alles”. Dort bringt er es im Rah­men sei­ner „kri­ti­schen Fra­gen“ ein. Und an einer Stel­le in dem wir­ren Video raunt er: „Wie vie­le über­le­ben die Krebs­the­ra­pie?“, womit er ganz im Sin­ne Hamers – aber viel sub­ti­ler – sug­ge­riert, dass Men­schen gar nicht an Krebs ster­ben wür­den, son­dern an der The­ra­pie dagegen.

Eso­te­rik an der Schnitt­stel­le zum Rechtsextremismus

Wie es oft im Eso­te­rik-Milieu der Fall ist, wir­ken die Inhal­te auch bei Lep­pe auf den ers­ten Blick ledig­lich obskur. Erst bei genaue­rer Betrach­tung zei­gen sich Schnitt­men­gen mit rechts­extre­mem Gedan­ken­gut und den ent­spre­chen­den Akteur*innen. Lep­pe selbst ver­mit­telt durch­aus glaub­haft, dass er sich selbst nicht für einen Rech­ten hält.

Die Ver­klä­rung von Natür­lich­keit und Ursprüng­lich­keit mar­kiert oft­mals die Schnitt­stel­le von eso­te­ri­schen mit völ­ki­schen Posi­tio­nen: Das geteil­te Feind­bild ist stets die urba­ne Moder­ne, die nicht als kom­ple­xes gesell­schaft­li­ches Ver­hält­nis begrif­fen und kri­ti­siert wird, son­dern als eine „von oben“ orches­trier­te Ver­an­stal­tung. Anstatt sich den schmerz­haf­ten Ambi­va­len­zen und der eige­nen Ver­stri­ckung in den kri­sen­haf­ten Spät­ka­pi­ta­lis­mus zu stel­len, sucht die eso­te­ri­sche Ideo­lo­gie – genau wie die rech­te – nach der Wie­der­ent­de­ckung eines ver­meint­lich ver­lo­re­nen Para­die­ses im Sin­ne einer natür­li­chen oder orga­ni­schen Rein­heit. Auch wenn Lep­pe ver­sucht, sich dar­über hin­weg­zu­schwin­deln: Er bewegt sich mit­ten in dem Amal­gam von eso­te­ri­schen Heils­ver­spre­chun­gen und brau­nem Gedankengut.

Solan­ge sich nie­mand beschwert …

Vom „Stan­dard“ mit ein­zel­nen sei­ner Aus­sa­gen kon­fron­tiert, ant­wor­tet Lep­pe non­cha­lant: „Solan­ge mir so vie­le Eltern und klei­ne Kin­der täg­lich freu­de­strah­lend dan­ken kann ich also damit leben wenn man­che mei­nen ich sei ein Anti­se­mit oder die sonst übli­chen Begrif­fe.“ Auf die Fra­ge der Stan­dard-Jour­na­lis­tin, wie­so ein Hit­ler-ver­herr­li­chen­des Video in der Tele­gram-Grup­pe „Wis­sen­Schafft Frei­heit — frei­er Aus­tausch“ nicht gelöscht wur­de, gab sich Lep­pe äußerst tole­rant: „Solan­ge sich nie­mand beschwert darf dort jeder schrei­ben und dis­ku­tie­ren.“ Soviel kann gesagt wer­den: Die feh­len­den Kom­mas in Lep­pes Ant­wor­ten sind das gerings­te Problem!

Hitler-Huldigungsvideo in Leppes TG-Gruppe: "„Solange sich niemand beschwert darf dort jeder schreiben und diskutieren.“
Hit­ler-Hul­di­gungs­vi­deo in Lep­pes TG-Grup­pe: „„Solan­ge sich nie­mand beschwert darf dort jeder schrei­ben und diskutieren.“

➡️ Der Zau­be­rer & die brau­ne Eso­te­rik – Teil 1: Die Haute­vo­lee des Obskurantentums
➡️ Der Stan­dard: Wenn Heim­un­ter­richt in rech­te Eso­te­rik abdriftet

➡️ Das Gespenst des Ex-Dok­tors: Anti­se­mi­ti­scher Wahn auf YouTube

Fuß­no­ten

1 kon­kret aus dem Buch „Ana­sta­sia – Neue Zivi­li­sa­ti­on“, Band 8.1, auf deutsch erschie­nen bei dem eso­te­ri­schen Silberschnur-Verlag.
2 Meg­re zit. nach Bericht info­Sek­ta 2016, S. 4
3 Im oben zitier­ten Son­nen­creme-Video raunt er: „Unse­re Erfah­rung ist, dass das was sie uns offi­zi­ell sagen um 180 Grad dreht, dann ist man am rich­ti­gen Punkt.“ In einem ande­ren Video mit dem Titel „Unse­re Spra­che — Hin­ter­grün­de — Hin­ter­fra­ge alles!“ (28.01.2021) erklärt er, er habe „nichts gefun­den, wo von offi­zi­el­ler Mei­nung eine Wahr­heit gespro­chen wird“.