Dämonischer „Hohepriester“
Ricardo Leppe bezieht sich direkt auf die Anastasia-Ideologie. Zum Beispiel in einem Video mit dem vielsagenden Titel „Hinterfrage alles — Geht es um uns Menschen?“. Darin startet er mit dem Unsinn, das Wort „Bürger” käme von „bürgen” und empfiehlt dann den Text „Der Dämon Kratie“, den er auch als pdf-Datei verlinkt. Bei den vier Seiten handelt es sich um einen Ausschnitt aus dem achten Band der Anastasia-Romanreihe (1). Leppe suggeriert, dass es ein Tatsachenbericht sein könnte: „Aber ganz egal, was man von dem Text hält, ob er erfunden ist oder nicht, er trifft’s ziemlich auf den Punkt.“ Der Text erzählt von der Entstehung der Lohnsklaverei als Plan einer Elite von Priestern. Protagonist ist der „Hohepriester Kratie“, dem die folgende Aufgabe zukommt: „Kratie hatte die Aufgabe übernommen, den Staat umzugestalten, um die Macht der Priester über die Menschen dieser Erde auf Jahrtausende hinaus zu festigen und sie alle, einschließlich der sogenannten Herrscher, zu Sklaven der Priester zu machen.“
Mit der Bezeichnung „Hohepriester“ setzt Megre einen Terminus, der gemeinhin mit dem Judentum verbunden wird. Im weiteren Verlauf der Geschichte lernt Kratie, dass zur Errichtung der ewigen Herrschaft physische Gewalt nicht reicht, vielmehr müsse „jeder Mensch und jedes Volk (…) psychologisch beeinflusst werden“. Der Hohepriester entwickelt fortan das Konzept eines Geldsystems, in dem sich zwar alle frei fühlen, aber eben nicht sind – weder die ehemaligen Sklaven, noch die Herrschenden. Letztlich werden alle zu ewigen Sklav*innen der Priesterelite. Die plumpe Pointe der Geschichte: Kratie wird aufgrund seines ausgefuchsten Plans von einem Priesterkollegen als Dämon bezeichnet und er entgegnet darauf: „Wenn ich ein Dämon bin, dann sollen in Zukunft die Menschen meine Idee Demokratie nennen.“
Megre äußert sich in seiner Romanreihe an anderen Stellen noch viel expliziter antisemitisch: Juden und Jüdinnen fungieren im Rahmen dieser okkulten Weltverschwörung als „priesterliches Heer“. Folglich wird ihnen auch die Schuld an ihrer Verfolgung und Vernichtung zugeschoben: „Historiker hielten Hitler für schuldig“, aber es seien schließlich schon andere Machthaber zu solchen Taten gezwungen gewesen: ‚Die Herrscher sind gezwungen, das jüdische Volk aus ihrem Land zu vertreiben.’“ (2) Kurzum: Mit der Wahnidee von einer jahrtausendealten Priesterelite, die im Hintergrund die Fäden zieht und sogar die Herrscher beherrscht, liefert das Anastasia-Kapitel eine wahre Blaupause für das Narrativ der jüdischen Weltverschwörung.
„Kritische Fragen“ und Logen
Obwohl Leppe selbst sich nicht die Blöße einer solchen Direktheit gibt, bedient er doch durchgehend die Rhetorik von Verschwörungsnarrativen (3). Einmal in dem zitierten Video wird er aber deutlicher: „Glauben die da oben, wen auch immer wir da jetzt ansprechen, ob man jetzt sagt die Logen, ob man sagt die Politik, also Politik hat damit ja nur zum Teil was zu tun, glauben die, dass wir alle dumme Schafe sind?“

Er platziert den beliebten antisemitischen Code von den Logen, ohne zu spezifizieren, wer oder was das eigentlich ist. Überhaupt übt er sich in dem Video in einer rhetorischen Grunddisziplin des Verschwörungsdiskurses: dem Stellen vermeintlich kritischer Fragen und dem beiläufigen Einstreuen hanebüchener Behauptungen. Sich dergestalt schadlos haltend, landet er schließlich sogar bei jenem „Hinterfragen“, in dem sich auch Holocaustleugner*innen gerne üben: „Wieso darf ich das, was im zweiten Weltkrieg ist, auf gar keinen Fall hinterfragen, weil sonst bin ich ganz ganz böse und ganz ganz schlimm? Ich leugne nicht, dass das scheiße war damals, aber vielleicht war’s nicht so. Wieso darf ich nicht darüber sprechen mit anderen?“
Braune Pseudomedizin
Das passt insofern ins Bild, als Leppe auch immer wieder an einem wahren Klassikers brauner Esoterik anknüpft: der „Germanischen Heilskunde“. Das Konzept stammt von dem 2017 verstorbenen Scharlatan, Antisemiten und Holocaustleugner Ryke Geerd Hamer. Ein längeres Video vom Dezember 2020 zum Thema wurde inzwischen gelöscht, aber die entsprechende Ankündigung inklusive Link findet sich noch auf seinem Telegram-Kanal. Dort heißt es: „Krankheiten kommen fast immer aus der Ernährung und oder der Psyche. Heute beleuchten wir mal den psychischen Part. Mir hat die germanische Heilkunde schon gut geholfen und auch in meinem Umfeld ist sie ganz klar richtig.“

In den Kommentaren zum Posting schreibt auch der Kanalinhaber selbst immer wieder und gibt dadurch weitere Einblicke in seine tiefe Verstrickung mit der rechtsesoterischen Szene. So wird etwa das Buch von Björn Eybl, einem österreichischen Masseur, über Hamers gefährliche Pseudomedizin, empfohlen. Auch Rüdiger Dahlke, einen der produktivsten Akteure der Esoterikszene mit Hang zu Verschwörungsmythen, bezeichnet er als „gute Anlaufstelle“ für weiterführende Literatur zur „Germanischen Heilkunde“.

Das gelöschte Video war ein Interview, das Leppe im Dezember 2020 mit Helmut Pilhar, dem umtriebigsten Nachlassverwalter von Hamers Ideologie, geführt hat. Auf Pilhars Website „germanische-heilkunde“ finden sich dazu noch die Ankündigung des Videos und ein Link, der aufgrund der Löschung ins Nirwana führt. Das ist brisant, weil Pilhar nicht nur unzweifelhaft ein Antisemit ist, sondern auch erst seit kurzem wieder damit begonnen hat, den Wahn seines Vorbilds Hamer ganz ungefiltert via YouTube zu verbreiten.

Hamer sieht eine jüdische Verschwörung gegen sich am Werk; seine „Entdeckung“ sei von Rabbinern gestohlen worden und werde seither nur auf Juden und Jüdinnen angewandt, während alle anderen Menschen gezielt durch Chemotherapien ermordet werden würden. Pilhar sei laut Psiram darum bemüht gewesen, die offensichtlichsten Belege für Hamers Antisemitismus zu löschen. Dass er gerade diese nun aber selbst verbreitet, könnte mit dem allgemeinen Aufschwung zusammenhängen, den die Szene aufgrund der Covid19-Pandemie erlebt und auszunutzen weiß.
Das Konzept der „germanischen Heilkunde“ taucht in Leppes Videos immer wieder beiläufig auf. So eben auch in dem oben zitierten Clip „Hinterfrage alles”. Dort bringt er es im Rahmen seiner „kritischen Fragen“ ein. Und an einer Stelle in dem wirren Video raunt er: „Wie viele überleben die Krebstherapie?“, womit er ganz im Sinne Hamers – aber viel subtiler – suggeriert, dass Menschen gar nicht an Krebs sterben würden, sondern an der Therapie dagegen.
Esoterik an der Schnittstelle zum Rechtsextremismus
Wie es oft im Esoterik-Milieu der Fall ist, wirken die Inhalte auch bei Leppe auf den ersten Blick lediglich obskur. Erst bei genauerer Betrachtung zeigen sich Schnittmengen mit rechtsextremem Gedankengut und den entsprechenden Akteur*innen. Leppe selbst vermittelt durchaus glaubhaft, dass er sich selbst nicht für einen Rechten hält.
Die Verklärung von Natürlichkeit und Ursprünglichkeit markiert oftmals die Schnittstelle von esoterischen mit völkischen Positionen: Das geteilte Feindbild ist stets die urbane Moderne, die nicht als komplexes gesellschaftliches Verhältnis begriffen und kritisiert wird, sondern als eine „von oben“ orchestrierte Veranstaltung. Anstatt sich den schmerzhaften Ambivalenzen und der eigenen Verstrickung in den krisenhaften Spätkapitalismus zu stellen, sucht die esoterische Ideologie – genau wie die rechte – nach der Wiederentdeckung eines vermeintlich verlorenen Paradieses im Sinne einer natürlichen oder organischen Reinheit. Auch wenn Leppe versucht, sich darüber hinwegzuschwindeln: Er bewegt sich mitten in dem Amalgam von esoterischen Heilsversprechungen und braunem Gedankengut.
Solange sich niemand beschwert …
Vom „Standard“ mit einzelnen seiner Aussagen konfrontiert, antwortet Leppe nonchalant: „Solange mir so viele Eltern und kleine Kinder täglich freudestrahlend danken kann ich also damit leben wenn manche meinen ich sei ein Antisemit oder die sonst üblichen Begriffe.“ Auf die Frage der Standard-Journalistin, wieso ein Hitler-verherrlichendes Video in der Telegram-Gruppe „WissenSchafft Freiheit — freier Austausch“ nicht gelöscht wurde, gab sich Leppe äußerst tolerant: „Solange sich niemand beschwert darf dort jeder schreiben und diskutieren.“ Soviel kann gesagt werden: Die fehlenden Kommas in Leppes Antworten sind das geringste Problem!

➡️ Der Zauberer & die braune Esoterik – Teil 1: Die Hautevolee des Obskurantentums
➡️ Der Standard: Wenn Heimunterricht in rechte Esoterik abdriftet
➡️ Das Gespenst des Ex-Doktors: Antisemitischer Wahn auf YouTube
Fußnoten
1 konkret aus dem Buch „Anastasia – Neue Zivilisation“, Band 8.1, auf deutsch erschienen bei dem esoterischen Silberschnur-Verlag.
2 Megre zit. nach Bericht infoSekta 2016, S. 4
3 Im oben zitierten Sonnencreme-Video raunt er: „Unsere Erfahrung ist, dass das was sie uns offiziell sagen um 180 Grad dreht, dann ist man am richtigen Punkt.“ In einem anderen Video mit dem Titel „Unsere Sprache — Hintergründe — Hinterfrage alles!“ (28.01.2021) erklärt er, er habe „nichts gefunden, wo von offizieller Meinung eine Wahrheit gesprochen wird“.