Die Lais-Schule
Erfinder der sogenannten Lais-Methode ist der Kärntner Dieter Graf-Neureiter, ein ausgebildeter Stationsgehilfe, ehemaliger Gastronom, NLP-Practitioner und „Mentalcoach“ (pädagogische Ausbildungen dürften keine vorhanden sein). Er gründete gemeinsam mit Ingeborg Schober und Martina Graf 2014 das LAIS.Institut in Klagenfurt mit dazugehörigem Schulprojekt. Der Begriff „Lais“ soll einerseits aus dem Gotischen kommen und „ich weiß“ bedeuten, andererseits gemäß seiner indogermanischen Wurzel auch „Spur, Bahn, Furche“ meinen. Der Lais-Ansatz propagiert und verspricht eine Lernmethode, die das „natürliche Lernen“ von Kindern reaktivieren bzw. die „Reinheit“ dieses natürlichen Wissensdrangs bewahren oder befördern kann (siehe auch ausführlich Pöhlmann 2016, sektenwatch.de). Aufgrund derartiger Verheißungen und einer zunehmenden Ablehnung der Regelschulsystems erfreut sich die Lais-Methode eines regen Zulaufs und immer mehr Kinder werden von herkömmlichen Schulen abgemeldet (siehe Jakob Winter im profil, Juni 2018).
Die relativ niederschwellige gesetzliche Regelung für Heimunterricht in Österreich dürfte diese Entwicklung befördern. Einer parlamentarischen Anfrage durch den Grünen Bundesrat David Stögmüller vom März 2018 zufolge könnte es inzwischen bis zu 35 „Lais-Schulen“ geben, wobei es sich dabei nicht um Schulen mit Öffentlichkeitsrecht handelt, sondern um häuslichen Unterricht in Form von Lerngruppen (ganz im Gegensatz zu der Weinbergschule – siehe im kommenden Teil II dieses Beitrags). In einem Interview mit der Wiener Zeitung vom 30.06.2017 bezeichnet der Bildungswissenschaftler Stefan Hopmann die ideologische „Kultivierung“ durch das Lais-Unterrichtskonzept – neben dem völligen Fehlen einer wissenschaftlich fundierten Pädagogik – als das gravierende Problem: „Denn oftmals werden hochdubiose weltanschauliche Einstellungen vermittelt. Es findet sich, auch im Lais-Kontext, alles Mögliche an esoterischen Vorstellungen, Verschwörungstheorie, auch quasi rassistische Blut und Boden Ideologie. Meist ist es eine wüste Gemengelage.“
Den weltanschaulichen und methodischen Hintergrund zu dieser Gemengelage liefert die sogenannte Schetinin-Schule, und dabei handelt es sich um einen „schulischen“ Ableger der völkisch-esoterischen Anastasia-Bewegung. Diese enge Verbindung – Lais-Schetinin-Anastasia – wurde seit 2017 einige Male in den Medien thematisiert (2017: Kleine Zeitung, Wiener Zeitung; 2018: News, derStandard, SZ), sowie eben auch im März 2018 in der parlamentrischen Anfrage ausführlich besprochen.
Dieter Graf-Neureiter grenzt sich inzwischen ganz dezidiert von Schetinin und Anastasia ab – man habe damit nichts zu tun, die Medienberichte seien diffamierend, Lais sei „keine Bewegung und kein pädagogisches Konzept“, sondern eine „lerndidaktische Methode“, mit Sekten und Extremismus habe man nichts zu schaffen (1). Entgegen dieser Abgrenzung, beweisen doch mehrere Verstrickungen, dass es Zusammenhänge gibt und, mehr noch, dass die Schetinin-Lehre sogar die Grundlage von Lais bildet. Das zeigt Alexandra Liehmann (Mitgründerin und Obfrau der Lais-Schule Klagenfurt) etwa bei dem obskuren GAIA-Kongress 2014 (2). In dem 40-minütigen Video ihres Auftritts, das immer noch auf der GAIA-Homepage einzusehen ist, geht es um wenig anderes als um die Schetinin-Schule und ihre direkte Vorbildwirkung für die Lais-Methode.
Seit März diesen Jahres ist die mediale Resonanz zu dem Thema leise verebbt. Besonders ausgeprägt war sie aber nie und ein systematisch-analytischer Blick fehlt meistens gänzlich. Ein solcher Blick, mit besonderem Fokus auf Schnittmengen mit rechtsextremer Gesinnung soll im Folgenden entwickelt werden. Wir beginnen bei A wie Anastasia.
Was ist Anastasia?
Die Anastasia-Lehre beruht auf der 10-bändigen, zwischen 1996 und 2010 entstandenen Romanreihe „Die klingenden Zedern Russlands“ vom Unternehmer Vladimir N. Megre. Dieser beschreibt sein Aufeinandertreffen und Leben mit der jungen Frau Anastasia, einer im Wald lebenden, zaubernden, allwissenden Angehörigen der alten wedrussischen Kultur. Diese Geschichte wird von den Anastasia-Anhänger_innen nicht als fiktiv, sondern vielmehr als reale Tatsachenschilderung erachtet. Die Zahl der Anastasia-Gefolgschaft dürfte unbekannt, aber wachsend sein; hinter der naturverliebten Pose wimmelt jedenfalls ein reges kommerzielles Treiben – Megre macht Millionen.
Laut dem Anastasia-Kenner Vladimir Martinovic handelt es sich bei der darin vermittelten Glaubenslehre um ein Amalgam aus unterschiedlichsten religiösen Bausteinen und Versatzstücken des kultischen und esoterischen Milieus (3). Im Folgenden sollen inhaltliche Schnittmengen mit und Übergänge zur extremen Rechten anhand einiger zentraler Motive bei Anastasia illustriert werden.
Natur und Natürlichkeit
Rechtsextreme Ideologie verstehen wir, mit Willibald Holzer, als ein „Syndromphänomen“, das aus einem Bündel verschiedener Aussagen besteht, die durch den Bezug auf Natur oder Natürlichkeit verklammert werden (siehe auch DÖW). So werden gesellschaftliche Verhältnisse und soziale Widersprüche als unveränderbare Naturtatsachen dargestellt, Abweichendes wird als widernatürlich denunziert.
In esoterischen Lehren (und so auch bei Anastasia) nimmt „Natur“ einen ähnlich zentralen Stellenwert ein und fungiert oftmals als Chiffre für eine verlorene/verschüttete Reinheit oder Ursprünglichkeit. So bringt die permanent angerufene Natürlichkeit oft eine allgemeine und diffuse Skepsis gegenüber Wissenschaft und Bildung zum Ausdruck, die aber eben auch bis hin zu völkischen Positionierungen reichen kann. Und bei Anastasia ist das Letztere der Fall. Denn hier bleibt es nicht bei naturromantischen Verklärungen, sondern Natürlichkeit wird mit „Reinheit“ gleichgesetzt und zum gesellschaftlichen Imperativ erklärt.
Reinheit
„Reinheit“ bildet bei den – sehr konkreten (4) – Anastasia-Vorgaben zur Lebensführung eine „leitende Metapher“ (infoSekta 2016, S. 2). So sollen die Menschen dem „Einfluss der technokratischen Welt“ (5) durch eine ländlich-natürliche und reine Lebensweise entrinnen. Damit einher geht das absurde Versprechen „ausnahmslos von allen Krankheiten geheilt zu werden“ (Megre zit. nach infoSekta 2016, S. 2), sofern man sich an die Regeln der Lehre hält. Die Verschränkung des Natur- mit dem Reinheitsgedanken wird insbesondere an der Verklärung von Kindern sichtbar; damit eng in Verbindung steht auch die Behauptung eines verloren gegangenen Wissens: „Die Natur und der kosmische Verstand fügen es so, dass jeder Mensch als ein Herrscher (…) geboren wird (…) einem Engel gleich, ebenso rein und sündlos. (…) Ein neunjähriges Kind, inmitten der Natur aufgewachsen, begreift den Weltaufbau richtiger als eure Wissenschaft.“ (Megre zit. nach infoSekta 2016, S. 4) Bei der Lehre geht es nun darum diesen verlorenen Heils-Zustand wiederzuerlangen.
Antisemitismus und Verschwörungsnarrativ
Absolute Heilslehren dieser Art sind Gegenaufklärung pur und können selten ohne die Konstruktion eines Bedrohungsszenarios auskommen, was erklärt, warum sich das große Heil bis jetzt nicht durchsetzen konnte (obwohl es doch in der bloßen Natur des Menschen bzw. der Schöpfung liegt). Hier kommen Verschwörungstheorien ins Spiel. Die Feindbilder können durchaus selektiv und situationsangepasst sein. So werden etwa die staatlichen Sektenbeauftragten „als eine kleine, gemeine, alte und ausländische Sekte der Bioroboter dargestellt“ (Martinovich 2014, S.12). Originell. Aber das Gros der Verschwörungsnarrative beweist, dass der Mechanismus solcher Projektionen nicht selektiv ist, sondern seiner wirkmächtigen Urform bedarf: des Antisemitismus.
Und hier ist Megre ganz explizit: Die Menschheit werde von einer kleinen Gruppe jüdischer Priester beherrscht; diese heimliche Weltführung hätte „das jüdische Volk kodiert und in ein priesterliches Heer verwandelt“ (Megre zit. nach infoSekta 2016, S. 4). Megre lässt seine Anastasia außerdem dozieren: „Historiker hielten Hitler für schuldig“, aber es seien schließlich schon andere Machthaber zu solchen Taten gezwungen gewesen: „Die Herrscher sind gezwungen, das jüdische Volk aus ihrem Land zu vertreiben.“ (ebd.) Kurzum: Antisemitischer Wahn und ganz offener Geschichtsrevisionismus.
Der aufgezeigte Zusammenhang dieser Kategorien – vergessener Ursprung, korrumpierte Natürlichkeit, wiederherzustellende Reinheit und Weltverschwörung durch die Juden – ist kein zufälliger, sondern in seiner Verkettung folgerichtig. Auch wenn Anastasia als „Weltbefreiungs-Ideologie“ daherkommt, bleibt sie in einem völkischen – weil naturalisierenden – Sinn auf fixierbare Kollektividentitäten bestehen; oder mit dem Religionswissenschaftler Christoph Wagenseil:
Die Bewegung bleibt anschlussfähig an ethnopluralistische Vorstellungen eines identitären regionalistischen Nebeneinanders der Kulturen und wäre damit – vergleichbar der so genannten ‚Identitären Bewegung’ selbst – typischer Ausdruck der neurechten Verschmelzung von Nationalismus und Internationalismus. (siehe Wagenseil 2016)
➡️ „Anastasias Traum” Teil 2
Fußnoten
1 Homepage der Lais-Zentrale, zuletzt eingesehen am 21.08.2018
2 Homepage des Verein GAIA, zuletzt eingesehen am 21.08.2018
3 „Megres Bücher nehmen die Vorstellungen von Roerich, pseudowissenschaftliche Lehren von Akimov,
Kaznatscheev und Cleve Baker, Ideen des positiven Denkens, der Noosphären Bewegung, Gedanken aus den biblischen Apokryphen, Lehren des Porfiriy Ivanov, einige Elemente und Ideen der Theosophie, des Hermetimus, und der Kabbalah auf, aber auch Vorstellungen von Wunderheilung und Behexung, von Atlantis, den Indigo- Kindern, Schutzgeistern, Shambala, von Klarträumen, Weltverschwörungen, Reinkarnation, Telegonie, Hellsehen; auch Teile der Glaubenslehre der Vissarion-Bewegung, der Internationalen Akademie der Informatisierung, des Integralen Yoga, Theorien aus Parapsychologie, Ufologie, Neuheidentums, Spiritismus, usw.“(Martinovic 2014, S. 8)
4 Siehe dazu den ausführlichen Bericht von infoSekta, der Schweizer Fachstelle für Sektenfragen, S. 2–6
5 auf der deutschen Homepage der Anastasia-Bewegung, zuletzt eingesehen am 21.08.2018