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Anastasias Traum – zur russischen Rechtsesoterik in österreichischen Schulprojekten (Teil 1)

Zwei öster­rei­chi­sche Schul­pro­jek­te sind die wesent­li­chen Prot­ago­nis­ten beim Import der rus­si­schen Sche­­t­i­­nin-Ideo­­lo­­gie in den deutsch­spra­chi­gen Raum: Das Lais-Kon­­­zept und die Wein­berg­schu­le. Bei die­sem Trans­fer wer­den aller­lei Pseu­do­päd­ago­gik, rech­te Eso­te­rik und Ver­schwö­rungs­theo­rien mit­ge­bracht. Dies pas­siert manch­mal unbe­wusst, manch­mal ganz dezi­diert und oft­mals auch ver­deckt. Neben den Inhal­ten ver­wei­sen ins­be­son­de­re die Ver­stri­ckun­gen mit ande­ren Akteu­ren im esoterischen […]

21. Aug 2018

Die Lais-Schu­le

Erfin­der der soge­nann­ten Lais-Metho­de ist der Kärnt­ner Die­ter Graf-Neu­rei­ter, ein aus­ge­bil­de­ter Sta­ti­ons­ge­hil­fe, ehe­ma­li­ger Gas­tro­nom, NLP-Prac­ti­tio­ner und „Men­tal­coach“ (päd­ago­gi­sche Aus­bil­dun­gen dürf­ten kei­ne vor­han­den sein). Er grün­de­te gemein­sam mit Inge­borg Scho­ber und Mar­ti­na Graf 2014 das LAIS.Institut in Kla­gen­furt mit dazu­ge­hö­ri­gem Schul­pro­jekt. Der Begriff „Lais“ soll einer­seits aus dem Goti­schen kom­men und „ich weiß“ bedeu­ten, ande­rer­seits gemäß sei­ner indo­ger­ma­ni­schen Wur­zel auch „Spur, Bahn, Fur­che“ mei­nen. Der Lais-Ansatz pro­pa­giert und ver­spricht eine Lern­me­tho­de, die das „natür­li­che Ler­nen“ von Kin­dern reak­ti­vie­ren bzw. die „Rein­heit“ die­ses natür­li­chen Wis­sens­drangs bewah­ren oder beför­dern kann (sie­he auch aus­führ­lich Pöhl­mann 2016, sektenwatch.de). Auf­grund der­ar­ti­ger Ver­hei­ßun­gen und einer zuneh­men­den Ableh­nung der Regel­schul­sys­tems erfreut sich die Lais-Metho­de eines regen Zulaufs und immer mehr Kin­der wer­den von her­kömm­li­chen Schu­len abge­mel­det (sie­he Jakob Win­ter im pro­fil, Juni 2018).

Die rela­tiv nie­der­schwel­li­ge gesetz­li­che Rege­lung für Heim­un­ter­richt in Öster­reich dürf­te die­se Ent­wick­lung beför­dern. Einer par­la­men­ta­ri­schen Anfra­ge durch den Grü­nen Bun­des­rat David Stög­mül­ler vom März 2018  zufol­ge könn­te es inzwi­schen bis zu 35 „Lais-Schu­len“ geben, wobei es sich dabei nicht um Schu­len mit Öffent­lich­keits­recht han­delt, son­dern um häus­li­chen Unter­richt in Form von Lern­grup­pen (ganz im Gegen­satz zu der Wein­berg­schu­le – sie­he im kom­men­den Teil II die­ses Bei­trags). In einem Inter­view mit der Wie­ner Zei­tung vom 30.06.2017 bezeich­net der Bil­dungs­wis­sen­schaft­ler Ste­fan Hop­mann die ideo­lo­gi­sche „Kul­ti­vie­rung“ durch das Lais-Unter­richts­kon­zept – neben dem völ­li­gen Feh­len einer wis­sen­schaft­lich fun­dier­ten Päd­ago­gik – als das gra­vie­ren­de Pro­blem: „Denn oft­mals wer­den hoch­du­bio­se welt­an­schau­li­che Ein­stel­lun­gen ver­mit­telt. Es fin­det sich, auch im Lais-Kon­text, alles Mög­li­che an eso­te­ri­schen Vor­stel­lun­gen, Ver­schwö­rungs­theo­rie, auch qua­si ras­sis­ti­sche Blut und Boden Ideo­lo­gie. Meist ist es eine wüs­te Gemengelage.“

Den welt­an­schau­li­chen und metho­di­schen Hin­ter­grund zu die­ser Gemenge­la­ge lie­fert die soge­nann­te Sche­t­i­nin-Schu­le, und dabei han­delt es sich um einen „schu­li­schen“ Able­ger der völ­kisch-eso­te­ri­schen Ana­sta­sia-Bewe­gung. Die­se enge Ver­bin­dung – Lais-Sche­t­i­nin-Ana­sta­sia – wur­de seit 2017 eini­ge Male in den Medi­en the­ma­ti­siert (2017: Klei­ne Zei­tung, Wie­ner Zei­tung; 2018: News, der­Stan­dard, SZ), sowie eben auch im März 2018 in der par­la­men­tri­schen Anfra­ge aus­führ­lich bespro­chen. 

Die­ter Graf-Neu­rei­ter grenzt sich inzwi­schen ganz dezi­diert von Sche­t­i­nin und Ana­sta­sia ab – man habe damit nichts zu tun, die Medi­en­be­rich­te sei­en dif­fa­mie­rend, Lais sei „kei­ne Bewe­gung und kein päd­ago­gi­sches Kon­zept“, son­dern eine „lern­di­dak­ti­sche Metho­de“, mit Sek­ten und Extre­mis­mus habe man nichts zu schaf­fen (1). Ent­ge­gen die­ser Abgren­zung, bewei­sen doch meh­re­re Ver­stri­ckun­gen, dass es Zusam­men­hän­ge gibt und, mehr noch, dass die Sche­t­i­nin-Leh­re sogar die Grund­la­ge von Lais bil­det. Das zeigt Alex­an­dra Lieh­mann (Mit­grün­de­rin und Obfrau der Lais-Schu­le Kla­gen­furt) etwa bei dem obsku­ren GAIA-Kon­gress 2014 (2). In dem 40-minü­ti­gen Video ihres Auf­tritts, das immer noch auf der GAIA-Home­page ein­zu­se­hen ist, geht es um wenig ande­res als um die Sche­t­i­nin-Schu­le und ihre direk­te Vor­bild­wir­kung für die Lais-Methode.

Seit März die­sen Jah­res ist die media­le Reso­nanz zu dem The­ma lei­se ver­ebbt. Beson­ders aus­ge­prägt war sie aber nie und ein sys­te­ma­tisch-ana­ly­ti­scher Blick fehlt meis­tens gänz­lich. Ein sol­cher Blick, mit beson­de­rem Fokus auf Schnitt­men­gen mit rechts­extre­mer Gesin­nung soll im Fol­gen­den ent­wi­ckelt wer­den. Wir begin­nen bei A wie Anastasia.

Was ist Anastasia?

Die Ana­sta­sia-Leh­re beruht auf der 10-bän­di­gen, zwi­schen 1996 und 2010 ent­stan­de­nen Roman­rei­he „Die klin­gen­den Zedern Russ­lands“ vom Unter­neh­mer Vla­di­mir N. Meg­re. Die­ser beschreibt sein Auf­ein­an­der­tref­fen und Leben mit der jun­gen Frau Ana­sta­sia, einer im Wald leben­den, zau­bern­den, all­wis­sen­den Ange­hö­ri­gen der alten wed­rus­si­schen Kul­tur. Die­se Geschich­te wird von den Ana­sta­sia-Anhän­ger_in­nen nicht als fik­tiv, son­dern viel­mehr als rea­le Tat­sa­chen­schil­de­rung erach­tet. Die Zahl der Ana­sta­sia-Gefolg­schaft dürf­te unbe­kannt, aber wach­send sein; hin­ter der natur­ver­lieb­ten Pose wim­melt jeden­falls ein reges kom­mer­zi­el­les Trei­ben – Meg­re macht Mil­lio­nen. 

Laut dem Ana­sta­sia-Ken­ner Vla­di­mir Mar­ti­no­vic han­delt es sich bei der dar­in ver­mit­tel­ten Glau­bens­leh­re um ein Amal­gam aus unter­schied­lichs­ten reli­giö­sen Bau­stei­nen und Ver­satz­stü­cken des kul­ti­schen und eso­te­ri­schen Milieus (3). Im Fol­gen­den sol­len inhalt­li­che Schnitt­men­gen mit und Über­gän­ge zur extre­men Rech­ten anhand eini­ger zen­tra­ler Moti­ve bei Ana­sta­sia illus­triert wer­den. 

Natur und Natür­lich­keit 

Rechts­extre­me Ideo­lo­gie ver­ste­hen wir, mit Wil­li­bald Hol­zer, als ein „Syn­drom­phä­no­men“, das aus einem Bün­del ver­schie­de­ner Aus­sa­gen besteht, die durch den Bezug auf Natur oder Natür­lich­keit ver­klam­mert wer­den (sie­he auch DÖW). So wer­den gesell­schaft­li­che Ver­hält­nis­se und sozia­le Wider­sprü­che als unver­än­der­ba­re Natur­tat­sa­chen dar­ge­stellt, Abwei­chen­des wird als wider­na­tür­lich denun­ziert. 

In eso­te­ri­schen Leh­ren (und so auch bei Ana­sta­sia) nimmt „Natur“ einen ähn­lich zen­tra­len Stel­len­wert ein und fun­giert oft­mals als Chif­fre für eine verlorene/verschüttete Rein­heit oder Ursprüng­lich­keit. So bringt die per­ma­nent ange­ru­fe­ne Natür­lich­keit oft eine all­ge­mei­ne und dif­fu­se Skep­sis gegen­über Wis­sen­schaft und Bil­dung zum Aus­druck, die aber eben auch bis hin zu völ­ki­schen Posi­tio­nie­run­gen rei­chen kann. Und bei Ana­sta­sia ist das Letz­te­re der Fall. Denn hier bleibt es nicht bei natur­ro­man­ti­schen Ver­klä­run­gen, son­dern Natür­lich­keit wird mit „Rein­heit“ gleich­ge­setzt und zum gesell­schaft­li­chen Impe­ra­tiv erklärt.

Rein­heit 

„Rein­heit“ bil­det bei den – sehr kon­kre­ten (4) – Ana­sta­sia-Vor­ga­ben zur Lebens­füh­rung eine „lei­ten­de Meta­pher“ (info­Sek­ta 2016, S. 2). So sol­len die Men­schen dem „Ein­fluss der tech­no­kra­ti­schen Welt“ (5) durch eine länd­lich-natür­li­che und rei­ne Lebens­wei­se ent­rin­nen. Damit ein­her geht das absur­de Ver­spre­chen „aus­nahms­los von allen Krank­hei­ten geheilt zu wer­den“ (Meg­re zit. nach info­Sek­ta 2016, S. 2), sofern man sich an die Regeln der Leh­re hält. Die Ver­schrän­kung des Natur- mit dem Rein­heits­ge­dan­ken wird ins­be­son­de­re an der Ver­klä­rung von Kin­dern sicht­bar; damit eng in Ver­bin­dung steht auch die Behaup­tung eines ver­lo­ren gegan­ge­nen Wis­sens: „Die Natur und der kos­mi­sche Ver­stand fügen es so, dass jeder Mensch als ein Herr­scher (…) gebo­ren wird (…) einem Engel gleich, eben­so rein und sünd­los. (…) Ein neun­jäh­ri­ges Kind, inmit­ten der Natur auf­ge­wach­sen, begreift den Welt­auf­bau rich­ti­ger als eure Wis­sen­schaft.“ (Meg­re zit. nach info­Sek­ta 2016, S. 4) Bei der Leh­re geht es nun dar­um die­sen ver­lo­re­nen Heils-Zustand wie­der­zu­er­lan­gen.  

Anti­se­mi­tis­mus und Ver­schwö­rungs­nar­ra­tiv 

Abso­lu­te Heils­leh­ren die­ser Art sind Gegen­auf­klä­rung pur und kön­nen sel­ten ohne die Kon­struk­ti­on eines Bedro­hungs­sze­na­ri­os aus­kom­men, was erklärt, war­um sich das gro­ße Heil bis jetzt nicht durch­set­zen konn­te (obwohl es doch in der blo­ßen Natur des Men­schen bzw. der Schöp­fung liegt). Hier kom­men Ver­schwö­rungs­theo­rien ins Spiel. Die Feind­bil­der kön­nen durch­aus selek­tiv und situa­ti­ons­an­ge­passt sein. So wer­den etwa die staat­li­chen Sek­ten­be­auf­trag­ten „als eine klei­ne, gemei­ne, alte und aus­län­di­sche Sek­te der Bio­ro­bo­ter dar­ge­stellt“ (Mar­ti­no­vich 2014, S.12). Ori­gi­nell. Aber das Gros der Ver­schwö­rungs­nar­ra­ti­ve beweist, dass der Mecha­nis­mus sol­cher Pro­jek­tio­nen nicht selek­tiv ist, son­dern sei­ner wirk­mäch­ti­gen Urform bedarf: des Antisemitismus.

Und hier ist Meg­re ganz expli­zit: Die Mensch­heit wer­de von einer klei­nen Grup­pe jüdi­scher Pries­ter beherrscht; die­se heim­li­che Welt­füh­rung hät­te „das jüdi­sche Volk kodiert und in ein pries­ter­li­ches Heer ver­wan­delt“ (Meg­re zit. nach info­Sek­ta 2016, S. 4). Meg­re lässt sei­ne Ana­sta­sia außer­dem dozie­ren: „His­to­ri­ker hiel­ten Hit­ler für schul­dig“, aber es sei­en schließ­lich schon ande­re Macht­ha­ber zu sol­chen Taten gezwun­gen gewe­sen: „Die Herr­scher sind gezwun­gen, das jüdi­sche Volk aus ihrem Land zu ver­trei­ben.“ (ebd.) Kurz­um: Anti­se­mi­ti­scher Wahn und ganz offe­ner Geschichts­re­vi­sio­nis­mus.    

Der auf­ge­zeig­te Zusam­men­hang die­ser Kate­go­rien – ver­ges­se­ner Ursprung, kor­rum­pier­te Natür­lich­keit, wie­der­her­zu­stel­len­de Rein­heit und Welt­ver­schwö­rung durch die Juden – ist kein zufäl­li­ger, son­dern in sei­ner Ver­ket­tung fol­ge­rich­tig. Auch wenn Ana­sta­sia als „Welt­be­frei­ungs-Ideo­lo­gie“ daher­kommt, bleibt sie in einem völ­ki­schen – weil natu­ra­li­sie­ren­den – Sinn auf fixier­ba­re Kol­lek­tiv­i­den­ti­tä­ten bestehen; oder mit dem  Reli­gi­ons­wis­sen­schaft­ler Chris­toph Wagenseil:

Die Bewe­gung bleibt anschluss­fä­hig an eth­no­plu­ra­lis­ti­sche Vor­stel­lun­gen eines iden­ti­tä­ren regio­na­lis­ti­schen Neben­ein­an­ders der Kul­tu­ren und wäre damit – ver­gleich­bar der so genann­ten ‚Iden­ti­tä­ren Bewe­gung’ selbst – typi­scher Aus­druck der neu­rech­ten Ver­schmel­zung von Natio­na­lis­mus und Inter­na­tio­na­lis­mus. (sie­he Wagen­seil 2016) 

➡️ „Ana­sta­si­as Traum” Teil 2

Fuß­no­ten

1 Home­page der Lais-Zen­tra­le, zuletzt ein­ge­se­hen am 21.08.2018 

2 Home­page des Ver­ein GAIA, zuletzt ein­ge­se­hen am 21.08.2018 

3 „Megres Bücher neh­men die Vor­stel­lun­gen von Roe­rich, pseu­do­wis­sen­schaft­li­che Leh­ren von Aki­mov, Kaz­nat­scheev und Cle­ve Bak­er, Ideen des posi­ti­ven Den­kens, der Noo­sphä­ren Bewe­gung, Gedan­ken aus den bibli­schen Apo­kry­phen, Leh­ren des Porf­iriy Iva­nov, eini­ge Ele­men­te und Ideen der Theo­so­phie, des Her­me­timus, und der Kab­ba­lah auf, aber auch Vor­stel­lun­gen von Wun­der­hei­lung und Behe­xung, von Atlan­tis, den Indi­go- Kin­dern, Schutz­geis­tern, Sham­ba­la, von Klar­träu­men, Welt­ver­schwö­run­gen, Reinkar­na­ti­on, Tele­go­nie, Hell­se­hen; auch Tei­le der Glau­bens­leh­re der Vis­sa­ri­on-Bewe­gung, der Inter­na­tio­na­len Aka­de­mie der Infor­ma­ti­sie­rung, des Inte­gra­len Yoga, Theo­rien aus Para­psy­cho­lo­gie, Ufo­lo­gie, Neu­hei­den­tums, Spi­ri­tis­mus, usw.“(Mar­ti­no­vic 2014, S. 8)
4 Sie­he dazu den aus­führ­li­chen Bericht von info­Sek­ta, der Schwei­zer Fach­stel­le für Sek­ten­fra­gen, S. 2–6 

5 auf der deut­schen Home­page der Ana­sta­sia-Bewe­gung, zuletzt ein­ge­se­hen am 21.08.2018