Feridun Zaimoglu: Der Rechte ist kein Systemkritiker, kein Abweichler
Verlassen sind die Fremden. Sie müssen ertragen, dass man sie als Keimträger, als Wühler und Agenten, als unbrauchbaren Menschenmüll beschimpft. Die Rechten kennen keine Gnade, wenn es gilt, die Neuankömmlinge zu verfratzen. Sie rufen: Ihr gehört nicht zu uns, wir sind uns selbst genug, wir brauchen keine weitere Gesellschaft. Ihr seid hergeholt worden, um uns zu unterwandern. Fühlt euch hier bei uns nicht zu Hause, wir lassen euch niemals in Frieden! In was für eine Welt sind die Fremden hineingeraten? In eine Welt ohne Tyrannen und Despoten, in den Frieden haben sie sich gerettet. Sie stehen aber plötzlich im Spuckeregen der Verachtung. Es hilft nichts, den Rechten edle Motive zu unterstellen, wie es mancher Feuilletonist tut. Es geht ihnen einzig und allein um die Fremdenabwehr, die Vaterländerei ist ihre Phrase der Stunde. Der Moslem, der Morgenländer, der Einwanderer, der Flüchtling: Sie sind in ihren Augen Geschöpfe dritten Ranges. Der Rechte ist kein Systemkritiker, kein Abweichler und kein Dissident, er ist vor allem kein besorgter Bürger. Wer die Eigenen gegen die Anderen ausspielt und hetzt, ist rechts. Punkt. Wer für das Recht der Armen streitet, ist ein Menschenfreund. Punkt. Es gibt keinen redlichen rechten Intellektuellen. Es gibt keinen redlichen rechten Schriftsteller. (Feridun Zaimoglu, 4.7.2018)

Guy Stern wurde 1922 in Hildesheim geboren, wanderte 1937 in die USA aus und kam 1944 als Soldat der US-Army wieder zurück nach Europa. Stern wurde in den USA Professor für Germanistik mit Schwerpunkt Exilliteratur an mehreren Universitäten. Der mittlerweile 96-Jährige arbeitet noch immer fast täglich im Holocaust-Museum von Farmington Hills bei Detroit. Dem „Spiegel“ Nr. 25 vom 16.6.2018 gab er ein Interview, das leider nur eingeschränkt zugänglich ist.
Spiegel: Der Umgang mit der Geschichte hat sich in Deutschland seit dem Krieg verändert. Der Holocaust steht nun im Mittelpunkt einer umfassenden Gedächtniskultur. Und dennoch erleben wir gerade den Aufstieg einer populistischen, rechtsradikalen Partei, die von dieser Vergangenheit nichts mehr wissen will. Was bedeutet das für Sie ?
Stern: Der Aufstieg faschistischer Parteien in Europa macht mir Angst. Offenbar ist das Problem der Migranten ein gefundenes Fressen für diese Leute. Da sind Ausschreitungen und Angriffe passiert, die den Menschen Sorgen bereiten. Selbst einige meiner Freunde in Deutschland sagen nun: „In einem sicheren Land sind wir auf einmal unsicher geworden“. Wenn sich jetzt noch eine Führerpersönlichkeit findet, die diese Stimmung ausnutzt, dann kann das wieder sehr gefährlich werden.
Spiegel: ‚Wenn AfD-Chef Alexander Gauland sagt, Hitler und die Nazis seinen „nur ein Vogelschiss in über tausend Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte“. (…)
Stern: Als ich das gehört habe, habe ich erst mal gedacht: Sprachlich erinnert das irgendwie an unseren Präsidenten. (…)
Spiegel: Und was sagen Sie zum Inhalt dieses Satzes?
Stern: Ich hätte ihm, wäre er in meiner Geschichtsklasse gewesen, eine nicht sehr gute Zensur gegeben. (…)
Spiegel: Wie soll man heute mit solchen Provokationen wie dem Satz Gaulands umgehen? Einfach ignorieren?
Stern: In einer Demokratie sind die besten Waffen Aufrichtigkeit, Authentizität und Widerlegung. Und zwar eine Widerlegung, die nicht nur auf Intellektuelle einwirken soll, sondern auf den Durchschnittsbürger. Man sollte also sagen: So war es nicht, der Nazismus ist kein Einzelereignis in der deutschen Geschichte, es hat viele Katastrophen in den vergangenen Jahrhunderten gegeben. Das heißt: Man muss ihm antworten,. Man darf diese Bemerkung nicht einfach im Raum stehen lassen.
Spiegel: Und was halten Sie von dem Argument, dass jede Antwort diesem Unsinn noch mehr Bedeutung verschaffen würde?
Stern: Ich weiß, manche denken, man soll solche Demagogen einfach reden lassen. Aber das war schon die falsche Einstellung der liberalen Parteien und des Zentrums in den frühen Dreißigerjahren, damals als die Nazis langsam aufstiegen. (…) Wir haben als Demokraten keine andere Waffe als die der Entlarvung.“

Der italienische Innenminister Salvini hat vor wenigen Wochen den Schriftsteller Saviano geklagt, weil ihn dieser als „Minister der Unterwelt“ bezeichnet hatte, der die „Sprache eines Mafioso“ spricht. Der Beitrag in der „Süddeutschen Zeitung“ ist die Reaktion von Saviano.
Diese Regierung, die damit spekuliert, dass viele Menschen in Schwierigkeiten stecken, benutzt die Angriffe auf Migranten und NGOs als Ablenkungsmanöver. Während Cinque Stelle und Lega über fundamentale Probleme ihres Regierungsvertrags streiten, machen sie uns glauben, dass unser Kernproblem die Migranten seien. Wenn ihr für die Lega und für Cinque Stelle gestimmt habt, um mal so richtig auf den Tisch zu hauen, weil das in euren Augen die einzige Methode war, eine Politikerkaste loszuwerden, die in jeder Hinsicht versagt hatte, dann macht die Augen auf, denn die Dinge wenden sich zum Schlechten. Auch für euch.
Schriftsteller! Angriffe auf das Buch, das Denken, das Wissen sind alltäglich geworden. Verleger! Fühlt ihr nicht, wie der Boden unter euren Füßen wankt? Beteiligt euch! Vorsicht führt hier nicht zur Rettung. Das Wissen ist ein sehr wertvolles Werkzeug zur Emanzipation vom persönlichen Elend, lasst es uns mit all unserer Energie verteidigen. Die Zeit, sich bedeckt zu halten, ist vorbei. Wenn ihr euch nicht beteiligt, bedeutet das, dass ihr einverstanden seid mit dem, was passiert: Es gibt nur Komplizen oder Rebellen.
