Die göttliche Fügung in Mauthausen

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Es war gegen 13 Uhr, als die ers­te Mel­dung durch die Medi­en ging: Bei der Kund­ge­bung von Corona-Maßnahmenkritiker*innen in Maut­hau­sen ist eine Hit­ler-Rede abge­spielt wor­den. Die Ver­an­stal­tung wur­de via Live­stream auf You­Tube über­tra­gen – wir haben mehr als vier Stun­den lang mit­ge­schaut und ‑gehört. Manch­mal nur mit hal­bem Ohr und kei­nen Augen – anders war das nicht zu ertragen.

Ins­ge­samt, um gleich mit einem Resü­mee zu begin­nen, war die Ver­an­stal­tung selbst ein Flop – und das auf meh­re­ren Ebe­nen: Aus dem ursprüng­li­chen Plan, die Kund­ge­bung direkt bei der KZ-Gedenk­stät­te abzu­hal­ten, wur­de wegen einer Unter­sa­gung nichts. Also muss­ten die Ver­an­stal­ter rund um den Bus­un­ter­neh­mer Alex­an­der Ehr­lich auf einen Park­platz aus­wei­chen. So war die gesam­te Kund­ge­bung von hef­ti­gem Auto­lärm der direkt dane­ben lie­gen­den, stark befah­re­nen B3 durch­aus wür­dig umrahmt.

Parkplatz an der Bundesstraße, Ehrlich müht sich bei der Fernbedienung, Israelfahne

Park­platz an der Bun­des­stra­ße, Ehr­lich müht sich mit der Fern­be­die­nung, Isra­el­fah­ne (Screen­shot YT)

Es war viel Poli­zei anwe­send und wenig Publi­kum – viel­leicht um die 15 Per­so­nen und eini­ge Kie­bit­ze, die abseits­stan­den. Auch auf You­Tube war vom ange­kün­dig­ten Mas­sen­event nichts zu bemer­ken: Die Zahl der Zuseher*innen pegel­te sich im Lau­fe der Stun­den bei etwa 80–100 ein. Dort, im Chat, bejam­mer­ten Doris, Mano und Peter denn auch das maue Inter­es­se, wofür sie gleich einen Grund anga­ben: „Ohne Rut­ter ist halt alles anders“„a waun­sinn beim Ehr­lich san jo mehr Spre­cher ols Teilnehmer..des kummt wohl davon wenn man über M. Rut­ter her­ziagt..“ – „Mit Mar­tin Rut­ter waren zig­tau­send Leu­te auf der Stra­ße, das waren kräf­ti­ge Lebens­zei­chen gegen Kurz & Co.“

Ruf nach Rutter im YT-Chat

Ruf nach Rut­ter im YT-Chat

Das Pro­gramm der als Gedenk­ver­an­stal­tung gefr­am­ten Kund­ge­bung hät­te sich eigent­lich bis zum Abend hin­zie­hen sol­len. Jede Men­ge Redner*innen waren vor­ge­se­hen – ein Misch­masch aus mehr oder weni­ger bekann­ten Corona-Schwurbler*innen und wei­te­ren, teil­wei­se aus Deutsch­land ange­reis­ten Akteur*innen. Der Star­gast, Ralph T. Nie­mey­er, der ins ver­schwö­rungs­ideo­lo­gi­sche mit reichs­bür­ger­li­chen Ver­satz­stü­cken gespeis­te Milieu abge­wan­der­te Ex-Ehe­mann von Sahra Wagen­knecht, lan­de­te erst, nach­dem das vor­zei­ti­ge Ende ver­kün­det wer­den musste.

Drei Stun­den zuvor begann es aber mit Ehr­lich auf der Büh­ne und zog sich kau­gum­mi­ar­tig hin: immer wie­der Unter­bre­chun­gen, weil die Tech­nik nicht funk­tio­nier­te oder Ehr­lich mit der Tech­nik nicht zuran­de kam, oder weil nicht klar war, wer mit der nächs­ten Rede dran war.

Apro­pos Tech­nik: Für den Sound, der eigent­lich ein famo­ser sein hät­te sol­len, aber eher durchs Gegen­teil auf­fiel, zeich­ne­te nach Anga­ben der Ver­an­stal­ter Frank Schreib­mül­ler ver­ant­wort­lich. Der rausch­te als „Frank der Rei­sen­de“ Mit­te April durch die Medi­en, als Recher­chen zeig­ten, dass der in der reich­bür­ger­li­chen bis hin neo­na­zis­ti­schen Sze­ne ver­an­ker­te Schreib­mül­ler etwa 4.000 Tele­gram-Kanä­le, dar­un­ter auch öster­rei­chi­sche, orches­triert, unter­ein­an­der ver­netzt und zumin­dest teil­wei­se auch kon­trol­liert. Schreib­mül­ler lebt der­zeit mut­maß­lich in Öster­reich, wo ihn das ARD-Maga­zin Kon­tras­te und t‑online auf­ge­spürt und inter­viewt haben – beim TV-Ter­min dabei: Alex­an­der Ehr­lich. Der ist inzwi­schen auch ins Laut­spre­cher-Busi­ness ein­ge­stie­gen oder ver­sucht es zumin­dest. Auch hier sam­melt er Spen­den (wie bereits bei „Honk for Hope“ als „Schen­kun­gen“ titu­liert).

Ehrlich bewirbt eigene Lautsprecher

Ehr­lich bewirbt eige­ne Lautsprecher

Zurück nach Maut­hau­sen, wo das Wun­der­laut­spre­cher­werk erst­mals zum Ein­satz kam und gleich in eine gött­li­che Fügung führ­te: Als Ehr­lich nach der Ankün­di­gung, ein 40-sekün­di­ges „Puz­zle­stück“ ein­spie­len zu wol­len, das für ihn den „Schlüs­sel der natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Auf­het­zung“ dar­stel­le, auf einer Fern­be­die­nung her­um­di­let­tier­te und Rat­schlä­ge aus dem Live­stream-Off von Manu­el Mül­ler, der wie­der­um im You­Tube-Chat vom rei­sen­den Frank Instruk­tio­nen erhielt, län­ger nicht zum ange­peil­ten Ziel führ­ten, ertön­te über­ra­schend die Stim­me des GröFaz aus dem Schreibmüller’schen Sound­sys­tem. Nach 20 Sekun­den brach Ehr­lich die Ein­spie­lung eines Teils jener Rede, die Hit­ler am 10. Novem­ber 1933 vor Sie­mens­ar­bei­tern in Ber­lin gehal­ten hat­te, wie­der ab.

"Frank der Reisende" gibt im YT-Chat Instruktionen zum Sound

„Frank der Rei­sen­de” gibt im YT-Chat Instruk­tio­nen zum Sound

Jemand aus Ehr­lichs Team kom­men­tier­te: „Das war nicht, was es spie­len soll­te, oder?“, wor­auf Ehr­lich fürs Publi­kum fort­setz­te: „Gut, ich betrach­te das als Zei­chen gött­li­cher Fügung. Es war ohne­hin ein ris­kan­tes Vor­ha­ben …“ Mit letz­te­rer Ein­schät­zung hat­te Ehr­lich aus­nahms­wei­se recht! Aber was woll­te Ehr­lich da vor­füh­ren? Hit­ler in einer „Gedenk“veranstaltung in Maut­hau­sen – war es als extre­me Pro­vo­ka­ti­on gedacht oder ein­fach nur auf jede Men­ge Töl­pel­haf­tig­keit und Igno­ranz zurückzuführen?

Doch damit nicht genug: Als eine Hand­voll Jugend­li­cher mit paläs­ti­nen­si­scher Flag­ge auf­tauch­te, hat­te ein Juli­us aus Wien, der sich als „als Spre­cher des lin­ken Flü­gels der öster­rei­chi­schen Sozi­al­de­mo­kra­tie“ hoch­sti­li­sier­te, sei­nen gro­ßen Auf­tritt. Der mün­de­te dann nach einer Schreie­rei in einen jüdisch-paläs­ti­nen­si­schen Park­platz­gip­fel zwi­schen dem 15-jäh­ri­gen jüdi­schen Ben und Maria aus Paläs­ti­na sowie dar­in, dass die bis dort­hin am Red­ner­pult wehen­de Isra­el­flag­ge ver­senkt wur­de. Das bezeich­ne­te Ehr­lich spä­ter als „Wun­der von Mauthausen“.

Ehrlich: "Das Wunder von Mauthausen" "die wahre Sensation"

Ehr­lich: „Das Wun­der von Maut­hau­sen” „die wah­re Sensation”

Etwa zwei Stun­den, nach­dem die Hit­ler-Rede über den Park­platz dröhn­te und eini­gen Reden mehr, schrit­ten Poli­zei und Lan­des­amt für Ver­fas­sungs­schutz ein. Die Ver­samm­lung wur­de auf­ge­löst und Ehr­lich zu einer Ein­ver­nah­me gebe­ten. Die gött­li­che Fügung hat­te zu einer Anzei­ge wegen des Ver­dachts auf Wie­der­be­tä­ti­gung und zum jähen Ende der Kund­ge­bung geführt.

YT-Chat: Antisemitismus während der sog. Gedenkveranstaltung

YT-Chat: Anti­se­mi­tis­mus wäh­rend der sog. Gedenkveranstaltung

Der­wei­len kom­men­tier­te „anne­do­re“ im You­Tube-Chat: „Jesus lebt im Ich, denkt im hei­li­gen Geist, drückt sich im Her­zen aus und mani­fes­tiert sich dur Taten der Lie­be in Frie­den. Durch ein jeden ein­zel­nen von uns, wer denn bedin­gungs­los will, der ist.“ Und dar­un­ter „Hei­dor­no“: „haha ihr trotteln“

YT-Chat: "haha ihr trotteln"

YT-Chat: „haha ihr trotteln”