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Wochenschau KW 29 bis 33/20 (Teil 1)

Von acht Pro­zes­sen wegen des Ver­dachts auf Wie­der­be­tä­ti­gung haben die Medi­en in den letz­ten fünf Wochen berich­tet. Alle ende­ten mit Schuld­sprü­chen. Gewis­ser­ma­ßen ein Höhe­punkt der straf­ab­weh­ren­den Erklä­rungs­ver­su­che, die die Ange­klag­ten – alle­samt Män­ner – vor­ge­bracht hat­ten: eine Hit­ler­büs­te an einer Schlaf­zim­mer­wand, die wegen ihrer Far­be kaum sicht­bar war. Schär­­ding-Rie­­d/OÖ: Brau­ner Klas­si­ker im Inn­vier­tel Bruck/­­Lei­­tha-Konrneu­­bur­­g/NÖ: Anti­se­mi­tis­mus aus […]

17. Aug 2020

Schär­ding-Rie­d/OÖ: Brau­ner Klas­si­ker im Innviertel
Bruck/­Lei­tha-Konrneu­bur­g/NÖ: Anti­se­mi­tis­mus aus „Frust“
Feldkirch/Vbg.: Schnell­läu­te­rung vor Prozess
Salz­burg: Jun­ger Neo­na­zi und sein Lie­fe­rant vor Gericht
Wien: „Nazi­keu­le“ wegen Satire?
Schär­ding-Rie­d/OÖ: „Heil Hit­ler“ als Kurzschlussreaktion
Mühl­vier­tel-Lin­z/OÖ: Mimi­kry-Hit­ler­büs­te im Schlafzimmer

Schär­ding-Rie­d/OÖ: Brau­ner Klas­si­ker im Innviertel

Es ist der Klas­si­ker: einer­seits vom Ort her – das Inn­vier­tel, aus dem der bereits vor­be­straf­te Ange­klag­te stammt –, ande­rer­seits die Delik­te: Der jun­ge beschäf­ti­gungs­lo­se Mann hat diver­se brau­ne Datei­en, dar­un­ter auch Musik der mit dem NSU in Bezie­hung ste­hen­den Musik­band „Gigi und die brau­nen Stadt­mu­si­kan­ten“ mit ande­ren aus­ge­tauscht und selbst mit Schwar­zer Son­ne und „Heil Hit­ler“ posiert und gegen das Waf­fen­ge­setz verstoßen.

Der Inn­viert­ler hat­te laut Ankla­ge im Jahr 2017 meh­re­re Bild­da­tei­en, Sprach­nach­rich­ten, Vide­os und ein Lied der Band „Gigi und die brau­nen Stadt­mu­si­kan­ten“ mit natio­nal­so­zia­lis­ti­schem Inhalt über den Nach­rich­ten­dienst Whats­App an wei­te­re Per­so­nen wei­ter­ge­schickt. Die­se wer­den geson­dert ver­folgt, auch ihnen droht ein Ver­fah­ren. (…) Zudem wur­den beim Beschul­dig­ten trotz eines auf­rech­ten Waf­fen­ver­bots, das 2018 ver­hängt wur­de, meh­re­re Waf­fen, wie Schlag­rin­ge, eine Mache­te und eine Schreck­schuss­pis­to­le gefun­den. (nachrichten.at 22.7.20)

Zwei Jah­re Haft, davon acht unbe­dingt lau­te­te das nicht rechts­kräf­ti­ge Urteil am Rie­der Landesgericht.

Bruck/­Lei­tha-Konrneu­bur­g/NÖ: Anti­se­mi­tis­mus aus „Frust“

Es wäre inter­es­sant zu erfah­ren, wie der „Frust“, den der 33-jäh­ri­ge Ange­klag­te wäh­rend der Flücht­lings­kri­se nach Eigen­aus­sa­ge ver­spürt habe, anti­se­mi­ti­sche Äuße­run­gen erklärt oder gar recht­fer­tigt. Oder die Haken­kreuz­fah­ne und das Hit­ler-Por­trät, womit der Ange­klag­te sein Wohn­zim­mer schmück­te. Ein Son­nen­rad habe er sich auf sei­ner Brust täto­wie­ren las­sen wol­len, das sei aber nicht fer­tig gewor­den, dar­um ist’s bei einem Haken­kreuz geblie­ben. „Mitt­ler­wei­le habe er das Tat­too ent­fer­nen las­sen. Das Gericht ver­ur­teil­te den Ange­klag­ten schließ­lich zu 18 Mona­ten beding­ter Haft. Nicht rechts­kräf­tig.“ (noen.at, 30.7.20)

Feldkirch/Vbg.: Schnell­läu­te­rung vor Prozess

Die Weih­nachts­fei­er­ta­ge schei­nen dem 33-jäh­ri­gen Ange­klag­ten nicht gut getan zu haben. Am Ste­fa­ni­tag habe der ehe­ma­li­ge Ski­lift­mit­ar­bei­ter atta­cken­ar­tig inner­halb von 30 Minu­ten diver­se brau­ne Bil­der und Sprü­che via Whats­App an sei­ne Arbeits­kol­le­gen geschickt. Ziem­lich flott scheint dann auch eine Läu­te­rung ein­ge­tre­ten zu sein.

Der Ange­klag­te hat­te unter ande­rem Bil­der von Adolf Hit­ler ver­schickt, ver­se­hen mit Sprü­chen wie „Guter Jun­ge“ und „Nicht alle Hel­den tra­gen Mas­ken“. Inzwi­schen habe er erfah­ren, dass der Bru­der sei­nes Groß­va­ters im Zwei­ten Welt­krieg als Sol­dat in Russ­land ums Leben gekom­men sei. Das habe ihm die Augen für die Gräu­el von Krie­gen geöff­net, sag­te der Ange­klag­te vor Gericht. (Neue Vor­arl­ber­ger Tages­zei­tung, 4.8.20, S. NEUE21)

Das bereits rechts­kräf­ti­ge Urteil: eine unbe­ding­te Geld­stra­fe von 2.880 Euro. Ob dem Täter die „88“ in der Geld­sum­me freu­en, ist nicht überliefert.

Salz­burg: Jun­ger Neo­na­zi und sein Lie­fe­rant vor Gericht

Das Ser­vie­ren von Wein gehört ja an sich zu den Kern­auf­ga­ben eines Kell­ners. Ein außer­ge­wöhn­li­ches Ser­vice ließ ein 39-jäh­ri­ger Salz­bur­ger jedoch einem 20-jäh­ri­gen Neo­na­zi ange­dei­hen: Er bestell­te für ihn über einen Onlin­ever­sand diver­se NS-Devo­tio­na­li­en, dar­un­ter auch eine Fla­sche Wein mit Hit­ler-Eti­kett. Dafür erhielt er rechts­kräf­tig eine außer­or­dent­li­che Straf­mil­de­rung (war­um?) und zehn Mona­te beding­te Haft. (vgl. sn.at, 5.8.20)

Hin und wie­der ein paar klei­ne ras­sis­ti­sche Gedanken

Eine Woche spä­ter stand dann der 20-jäh­ri­ge Abneh­mer vor Gericht, der nicht ganz so glimpf­lich davon­kam wie sein Lie­fe­rant. Der prä­sen­tier­te sich als geläu­tert und mein­te, dass er nur „[h]in und wie­der (…) ein paar klei­ne ras­sis­ti­sche Gedan­ken“ habe. „Ansons­ten habe er ‚das alles im Griff‘. (sn.at, 12.8.20). Mit „das alles“ meint er sei­nen Hang zum Neo­na­zis­mus. 

Er soll zwi­schen 2017 und 2019 eine Viel­zahl ein­schlä­gi­ger Pos­tings im Inter­net und Nach­rich­ten in Whats­App-Chats getä­tigt und NS-Devo­tio­na­li­en bestellt haben. Der Ange­klag­te habe bei­spiels­wei­se auch geplant, eine Moschee mit Schwei­ne­blut zu beschmie­ren, sag­te die Staats­an­wäl­tin, die von einem „wirk­lich umfang­rei­chen Akt“ sprach. Der 20-Jäh­ri­ge sei noch „von einem Jahr von der Idee des Natio­nal­so­zia­lis­mus zu 100 Pro­zent über­zeugt gewe­sen“. (sn.at)

Das nicht rechts­kräf­ti­ge Urteil: Eine Zusatz­stra­fe von 24 Mona­ten bedingt zu einer frü­he­ren Ver­ur­tei­lun­gen. Vom Vor­wurf einer Kör­per­ver­let­zung wur­de er freigesprochen.

Wien: „Nazi­keu­le“ wegen Satire?

Ein Freund von Alko­hol­fla­schen mit gepfleg­ten Eti­ket­ten, näm­lich mit dem Kon­ter­fei von Adolf Hit­ler, ist wie der Salz­bur­ger Jung-Neo­na­zi aus dem vor­her­ge­hen­den Bei­trag auch ein 39-jäh­ri­ger Wie­ner aus Flo­rids­dorf. Er selbst bezeich­ne­te sich als „Freund der Sati­re“ und tat­säch­lich, das, was er da im Lau­fe des Pro­zes­ses an Recht­fer­ti­gungs­ver­su­chen von sich gab, könn­te direkt aus der Tages­pres­se stam­men. Da waren ein­mal sei­ne WLAN-Pass­wör­ter, etwa „Gesta­po 88“, „Schutz­staf­fel 88“ oder auch „Schutz­staf­fel 1“. die er sich des­halb zuge­leg­te, um sei­nen Nach­barn zu pro­vo­zie­ren – weil der ihn für einen Nazi gehal­ten hat­te. Einem jüdi­schen „Freund“ ließ er eben­falls ein­schlä­gi­ge Nach­rich­ten zukom­men, weil auch der ihn als Nazi titu­liert habe.

Wie­so wohl? Viel­leicht des­halb: ein Eiser­nes Kreuz als Tat­too am Ober­arm , rei­hen­wei­se ver­schick­te Nazi-Bil­der, ‑Vide­os und ‑Sprü­che? Weil Bil­der von ihm selbst mit Hit­ler-Mas­ke auf sei­nem Com­pu­ter gefun­den wurden?

Die habe er bei Ama­zon bestellt. „Das war aus Jux. Mein Vater hat sich vor 50 Jah­ren als Hit­ler ver­klei­det, der ist 1935 gebo­ren“, recht­fer­tigt T. sich. War­um er zwei­mal am 20. April Bil­der mit einem Bezug zu Adolf Hit­ler ver­sen­det hat? „Weil ich dumm war. Ich war depres­siv und habe viel getrun­ken. Es war eh nur eine kur­ze Zeit.“ – „Es war zwi­schen 2017 und 2019!“, kor­ri­giert Apos­tol ihn. Wenig spä­ter platzt es aus dem Ange­klag­ten her­aus: „Das ist schon wie­der die Nazi­keu­le, die mir auf­ge­drängt wird!“, ver­tei­digt er ein Bild. (derstandard.at, 6.8.20)

Von 28 Ankla­ge­punk­ten wur­de der Sati­re-Freund in 20 Punk­ten schul­dig gespro­chen. Er erhielt dafür 18 Mona­te, davon drei Mona­te unbedingt.

Ein bemer­kens­wer­tes Detail am Ran­de: 

An die­ser Stel­le muss erwähnt wer­den, dass Apos­tol kon­se­quent die Ankla­ge­schrift modi­fi­zie­ren lässt. Denn die Staats­an­wäl­tin, die das Schrift­stück ver­fasst hat, muss sich ent­we­der blind auf die Anga­ben der Ermitt­ler des Lan­des­am­tes für Ver­fas­sungs­schutz und Ter­ro­ris­mus­be­kämp­fung ver­las­sen haben – oder sie hat wenig Ahnung von Zeit­ge­schich­te. Denn zum Ankla­ge­punkt mit der SS-Ein­heit steht „Wehr­machts­sol­da­ten“. Ein noch deut­li­che­res Bei­spiel: In der Ankla­ge wird ein Video beschrie­ben mit: „Eine Per­son in Wehr­machts­uni­form macht den Hit­ler­gruß.“ Der Vor­sit­zen­de ändert das in: „Eine Per­son in SS-Uni­form. Die Hein­rich Himm­ler heißt.“ (derstandard.at)

Wer auch immer die Ver­ant­wor­tung für die­se feh­ler­haf­ten Beschrei­bun­gen trägt: Er oder sie soll­te sich im Bereich der Zeit­ge­schich­te einer Nach­schu­lung unterziehen!

Schär­ding-Rie­d/OÖ: „Heil Hit­ler“ als Kurzschlussreaktion

Er habe angeb­lich beob­ach­tet, wie ein Mäd­chen von zwei Aus­län­dern beläs­tigt wor­den sei – so die Erklä­rung des 29-jäh­ri­gen Inn­viert­lers für sein Geschrei mit­ten in Schär­ding: „Tut end­lich mal etwas, greift hart durch, das Gan­ze inter­es­siert mich nicht mehr, Heil Hit­ler!“ (nachrichten.at, 12.8.20)

Beim Pro­zess in Ried klang die Ange­le­gen­heit schon etwas anders: „Vor Gericht räum­te er ein, die Situa­ti­on an jenem Abend falsch ein­ge­schätzt zu haben. Der Heil-Hit­ler-Ruf sei auf­grund sei­ner star­ken Alko­ho­li­sie­rung eine Kurz­schluss­re­ak­ti­on gewe­sen.“ (nachrichten.at)

Für die­sen „Kurz­schluss“ fass­te der Mann neun Mona­te bedingt aus.

Mühl­vier­tel-Lin­z/OÖ: Mimi­kry-Hit­ler­büs­te im Schlafzimmer

Der 43-jäh­ri­ge Jür­gen G. kann von eini­gem viel vor­wei­sen: Er hat acht Vor­stra­fen und noch viel mehr Tat­toos – 78 sol­len sei­nen Kör­per zie­ren, dar­un­ter auf sei­ner Brust die Zahl „88“, dem Code für „Heil Hit­ler“. Und das war auch der Grund, war­um er wegen Ver­sto­ßes gegen das Ver­bots­ge­setz wie­der vor Gericht lan­de­te. Denn die „88“ hat­te er an einem Bade­see zur Schau gestellt. Aber, so der Mühl­viert­ler, er kön­ne „ja nicht mit einem Pull­over baden gehen“ (krone.at, 12.8.20). „Heu­te“ führt aller­dings aus, dass er damit auch auf Face­book posiert hatte.

Rich­tig­ge­hend krea­tiv ist die Erklä­rung für eine Hit­ler­büs­te, die sich an einer Wand sei­nes Schlaf­zim­mers befun­den hat­te. „Den Hit­ler­kopf habe er in der Werk­zeug­kis­te eines Bekann­ten gefun­den und dann von die­sem geschenkt bekom­men. ‚Damit er nicht kaputt geht, habe ich ihn halt auf­ge­hängt. Er war sehr klein und grau. Und man hat ihn auf mei­ner grau­en Wand ja kaum gese­hen”, so der Ange­klag­te vor Gericht.’“ (heute.at) Eine Mimi­kry-Büs­te gewis­ser­ma­ßen also, die sich ihrer Umge­bung anpasst, damit sie nicht gese­hen wird!

Und dann waren beim sich vor Gericht sich geläu­tert geben­den Ange­klag­ten auch noch „abscheu­li­che Bil­der mit Nazi-Sym­bo­len“, die er via Whats­App ver­schickt hat­te und trotz Waf­fen­ver­bot der Besitz von „einer Luft­druck-Pis­to­le, einem Schlag­stock, einem Spa­zier­stock mit ein­ge­bau­tem Mes­ser und einem Reiz­gas­spray“ (heute.at). Das sei­en jedoch nur Sammelobjekte.

Nach­dem der Staats­an­walt zum ver­häng­ten Straf­aus­maß – 15 Mona­te beding­te Haft und 1.680 Euro Geld­stra­fe – kei­ne Erklä­rung abge­ben hat, ist das Urteil nicht rechtskräftig.