Dortmund/D: „Combat 18“-Prozess im Anlaufen
EP-„Patrioten“ kurzzeitig mit bekennendem Faschisten als Vizefraktionsvorsitzenden
Schnellroda/D: Rechtsextreme Vernetzung mit österreichischer Beteiligung
NRW/D: AfD-Parteischiedsgericht entzieht Helferich Mitgliederrechte
Großbritannien: Pogromartige Ausschreitungen
Türkei: Neonazi sticht fünf Menschen nieder
Dortmund/D: „Combat 18“-Prozess im Anlaufen
Am 4. April 2024 gab die Generalbundesanwaltschaft bekannt, dass das Oberlandesgericht Düsseldorf Anklage gegen vier mutmaßliche Anführer der verbotenen rechtsextremistischen Gruppierung „Combat 18 Deutschland“ erhoben hat. Anfang Juli wurde das Hauptverfahren vor dem Landesgericht Dortmund eröffnet. Den Rädelsführern des Blood & Honour-Ablegers C18, Stanley R., Keven L., Gregor M. und Robin S., wird vorgeworfen, gegen das seit Oktober 2020 bestehende Vereinigungsverbot verstoßen zu haben. Verhandlungstermine sind bislang nicht bekannt. Im Kern geht es um mindestens 14 geheime Treffen, die Organisation von Rechtsrockkonzerten sowie die Herstellung von Tonträgern und Kleidungsstücken mit Bezug zu „Combat 18 Deutschland“.
2018 hat die Plattform „Exif Recherche“ auch die Verbindungen der Angeklagten nach Österreich aufgezeigt und dabei fünf Vorarlberger genannt, die ebenfalls bei C18-Veranstaltungen gesichtet wurden.
EP-„Patrioten“ kurzzeitig mit bekennendem Faschisten als Vizefraktionsvorsitzenden
In der von der FPÖ mitbegründeten Fraktion im Europäischen Parlament (EP) „Patrioten für Europa“ kam es gleich bei der konstituierenden Sitzung zu Unstimmigkeiten, nachdem der französische Rassemblement National (RN) die Wahl des italienischen Lega-Mitglieds General Roberto Vannacci zum Vizepräsidenten der Gruppe abgelehnt hatte. Vannacci, der zuvor durch faschistische Parolen auffiel und deswegen von seinem Posten im Militär für elf Monate suspendiert wurde, gilt als homophob, rassistisch und pro-Mussolini. Trotz anfänglichen Lobes bei der Sitzung am 8. Juli, in der auch der RN der Wahl Vannaccis zugestimmt hatte, distanzierte sich der RN danach von seiner Ernennung. RN-Abgeordnete forderten die Lega auf, einen neuen Kandidaten zu nominieren. (Quelle: euractiv.de, 12.7.24)
Am 18. Juli kam es in der Fraktion zum Showdown: Bis auf die italienische Delegation stimmten alle Sitzungsteilnehmer*innen gegen Vannacci. Damit fand Vannaccis Zeit als Vizepräsident seiner Fraktion nach nur wenigen Tagen ein jähes Ende. (Quelle: ilfattoquotidiano.it, 18.7.24)
Schnellroda/D: Rechtsextreme Vernetzung mit österreichischer Beteiligung
Am 13. und 14. Juli 2024 fand in Schnellroda (Sachsen-Anhalt) ein als „Sommerfest“ tituliertes Vernetzungstreffen der extremen Rechten statt. Organisiert wurde die Veranstaltung vom Antaios-Verlag und dessen Leiter Götz Kubitschek. Unter den Teilnehmer*innen befanden sich hochrangige AfD-Politiker*innen wie der EU-Parlamentarier Maximilian Krah, die Landtagsabgeordnete Ramona Storm und Tim Krause (Mitglied des Landesvorstands der AfD Brandenburg) sowie das „freundliche Gesicht des NS“, der Bundestagsabgeordnete Matthias Helferich.
Faschistoides Stelldichein mit der AfD in Schnellroda
Im Juli 2024 fand in Sachsen-Anhalt ein Vernetzungstreffen der (rechtsextremen, neofaschistischen) „Neuen Rechten” statt. Ebenfalls mit dabei: zahlreiche Spitzenpolitiker:innen der AfD sowie deren politisches Vorfeld. pic.twitter.com/thC9UXegv3
— recherche-nord (@recherchenorth) July 16, 2024
Von Österreich angereist waren Martin Sellner, Philipp Huemer (Heimatkurier), Michael Scharfmüller (Info-Direkt) und Konrad Markwart Weiß, der die rechtsextreme Postille der Österreichischen Landsmannschaft, „Der Eckart“, zusammen mit Ulrike Raich vorgestellt hat. Zudem war auch „Alexander Pichler, der in der Vergangenheit für die Parteiakademie der AfD-Schwesterpartei Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) referierte“ (dokunetzwerk.org, 13.7.24) nach Schnellroda gereist.
NRW/D: AfD-Parteischiedsgericht entzieht Helferich Mitgliederrechte
Das Landesschiedsgericht der AfD Nordrhein-Westfalen entzog im Juli dem Bundestagsabgeordnete Matthias Helferich die Mitgliederrechte. Die Entscheidung über seinen Parteiausschluss steht noch aus. Helferich wird vorgeworfen, Parteimitglieder bedroht, Kontakte zu Altnazis gepflegt und eine sexistische Bezeichnung für eine ehemalige Parteikollegin verwendet zu haben. Ein Instagram-Post, in dem er Migranten mit „Viechern“ gleichsetzte, wurde als menschenverachtend verurteilt. Zudem unterstützte er AfD-Kollegen, die behaupteten, Personen türkischer und jesidischer Herkunft könnten nicht Deutsche werden, was gegen das Grundgesetz und das AfD-Grundsatzprogramm verstoße. Helferich wies die Vorwürfe zurück und erhielt Unterstützung aus dem Lager von Björn Höcke. Er kann den Beschluss beim Bundesschiedsgericht der AfD in Stuttgart überprüfen lassen. (Quelle: t‑online.de, 21.7.24)
Kurz danach trug Helferich am Oberlandesgericht Köln Streitereien mit einem ebenfalls aus dem rechtsextremen Spektrum kommenden Arzt aus, den Helferich als V‑Mann bezeichnet hatte. Helferich unterlag in diesem Rechtsstreit. (Quelle: nd-aktuell.de, 2.8.24)
Update 29.8.24: Das AfD-Bundesschiedsgericht hat den Antrag Helferichs, den Entzug der Mitgliederrechte zu überprüfen, abgelehnt.
Großbritannien: Pogromartige Ausschreitungen
Ende Juli/Anfang August wütete in England, Wales und Nordirland ein rassistisch geprägter Mob. Der Anlass: Am 29. Juli ermordete in Southport ein 17-Jähriger aus bisher ungeklärten Gründen drei junge Mädchen und verletze acht weitere Kinder sowie zwei Erwachsene, die an einer Taylor-Swift-Tanzstunde teilnahmen. Vor allem über soziale Medien verbreiteten sich in kurzer Zeit Falschnachrichten über die Herkunft des Täters, die unter anderem durch den mehrfach verurteilten Neonazi-Schläger Stephen Yaxley-Lennon alias „Tommy Robinson“ und von dem mit ihm befreundeten „Manfluencer“ Andrew Tate angeheizt wurden. Die rechtsextremen Krawalle führten zu gewalttätigen Angriffen auf Moscheen, Asylunterkünfte, Geschäfte und Personen, die als „Ausländer“ identifiziert wurden.
Der Österreicher Robert Rotifer schilderte für „fm4“ die Ausschreitungen und ordnete sie ein:
Die Tatsache, dass zum Aufwiegeln dieses Mobs auf sozialen Medien Fehlinformationen und Hetze verbreitet wurde – bis hin zu X‑Chef Elon Musk selbst, der aus der Entfernung einen „Bürgerkrieg“ im UK als „unvermeidbar“ bezeichnet hat – spielt zwar in der Dynamik eine große Rolle, aber nicht im Prinzip der Sache: Alle, die sich an so einem „Protest“ beteiligen, wissen eigentlich, dass sie sich an einem rassistischen Pogrom beteiligen. Auch wenn sie selbst das Wort nicht kennen oder kennen wollen (in Liverpool wurde bezeichnenderweise eine Bibliothek als feindlich ausgemacht und verwüstet) bzw. man in den Medien nicht so dazu sagt. Und dieser inhumane Kern, nicht bloß die an sich idiotische Gewalt, ist das zusätzlich Schockierende an der Sache. (fm4.orf.at, 5.8.24)
Für den 7. August wurde ein Höhepunkt der rechtsextremen Gewaltexzesse befürchtet, dem sich schließlich jedoch landesweiter Widerstand mit Tausenden Menschen auf den Straßen diverser Städte entgegengestellt hatte. Das läutete zusammen mit restriktiven Maßnahmen gegen rechtsextreme Täter seitens der neuen Labour-Regierung den Wendepunkt der mehr als eine Woche andauernden Krawalle ein. Die Bilanz: mehr als 1.000 festgenommene Personen, die zum Teil in Schnellverfahren angeklagt und zu Haftstrafen verurteilt wurden. Die Regierung musste einen Notfallplan entwickeln, weil die britischen Gefängnisse völlig überfüllt sind.
Türkei: Neonazi sticht fünf Menschen nieder
Ein 18-jähriger türkischer Rechtsterrorist hat am 12. August in Eskisehir (etwa 200km westlich von Ankara) fünf Menschen bei einem Messerangriff zum Teil schwer verletzt und die Tat live auf der Plattform X gestreamt. Im Videostream ist er mit einer schwarzen Maske, Schutzbrille und einem alten Militärhelm zu sehen. Fotos zeigen ihn mit einer Schutzweste, auf der eine „Schwarze Sonne“ geprägt ist. Zudem soll er eine Axt mit sich geführt haben. Er griff im Garten einer Moschee scheinbar wahllos Menschen an, bis er von Passanten gestoppt wurde.
Ein vom Täter verfasstes und von ihm veröffentlichtes 16-seitiges „Manifest“ ist voller antisemitischer, rassistischer, antifeministischer und LGBT-feindlicher Äußerungen. Es zeigt die doppelte Sigrune der SS und beschreibt seinen Hass auf die Menschheit.
Der mutmaßliche Attentäter schreibt, sein „Hass auf die Menschheit“ habe während seiner Schulzeit begonnen. Politisch könne man ihn als Nationalsozialisten bezeichnen. Sein ursprünglicher Plan sei es gewesen, das Gebäude der Türkischen Kommunistischen Partei (TKP) in Eskisehir anzugreifen. Würde es in seiner Stadt ein Gebäude einer kurdischen Partei geben, würde sein Angriff dort stattfinden. (rnd.de, 14.8.24)
Ein besonderer Hass richtet sich gegen Kurdinnen und Kurden, denen ein ganzer Abschnitt des Pamphlets gewidmet ist. Es enthält auch zahlreiche Verweise auf frühere rechtsextreme Anschläge und Amokläufe, darunter die Amokläufer von Columbine, Anders B., der 2011 in Norwegen 77 Menschen ermordete, und Brenton T., der 2019 in Christchurch 51 Menschen tötete und die er als „moderne Heilige” bezeichnet, ein Begriff, der in rechtsterrorverherrlichenden Online-Communitys verbreitet ist. Auch Stephan B., der 2019 in Halle zwei Menschen ermordete, wird als Held dargestellt. Der Täter wurde festgenommen.
➡️ Rückblick KW 27–33/24 (Teil 1): Verbotsgesetz-Prozesse
➡️ Rückblick KW 27–33/24 (Teil 2): Prozesse Verhetzung
➡️ Rückblick KW 27–33/24 (Teil 3): Von Razzien, Burschenschaftern, Identitären bis zum Bundesheer
➡️ Rückblick KW 27–33/24 (Teil 5): FPÖ