Wien: Eine Diversion und die nächste Anklage
Wien: Schuldspruch wegen „mythologischer“ Verhetzung
Salzburg: Verhetzung nach Schmerzmitteleinnahme
Wien: Eine Diversion und die nächste Anklage
Ein 54-jähriger Mostviertler, Sorte im Internet aktiver Tastaturtäter, stand Mitte Juli in Wien vor Gericht, weil er auf Facebook die Tötung von Klimaaktivisten in Panama kommentierte. Der Berufskraftfahrer schrieb unter einem Artikel des rechten Onlinemediums „exxpress”, in dem von zwei ermordeten Klimaaktivisten die Rede war: „Kann man den [gemeint ist der Mörder; Anmk. SdR] auch Buchen?? Frage für einen Freund.…!!!!“ Die Staatsanwaltschaft sah darin eine „Gutheißung einer mit Strafe bedrohten Handlung“ (§ 282 StGB). Vor Richterin Nicole Baczak verteidigte sich der Angeklagte, Herr H., damit, dass ihn nur „bitterböser, schwarzer Humor“ und Sarkasmus getrieben hätte und betonte, persönlich keine Abneigung gegen Klimaaktivisten zu verspüren und von deren Aktionen nicht betroffen zu sein, da er hauptsächlich nachts arbeite.
Die Richterin tendiert zu einer diversionellen Erledigung, hat aber noch eine Überraschung für den Angeklagten: „Das Landesgericht St. Pölten sucht Sie. Wegen des Verbotsgesetzes.“ – „Ah, dann weiß ich schon“, zeigt er sich informiert. Auch da gehe es um eine Äußerung auf Facebook. „Die Staatsanwaltschaft St. Pölten hat Ihnen eine Diversion mit 300 Euro Geldbuße angeboten. Warum haben Sie die nicht akzeptiert?“, wundert Baczak sich. Er habe für einen „Scherz“ – den Kommentar „Der Adi wäre mit denen schon abgefahren“ unter dem Bild Homosexueller – nicht zahlen wollen. „Ich wollte schauen, ob die das wirklich anklagen“, gibt sich der im Privatkonkurs befindliche Angeklagte, der auch gegen die staatlichen Maßnahmen gegen die Covid-19-Pandemie virtuell aktiv war, kämpferisch. „Ja, die haben sich getraut, das anzuklagen“, informiert ihn die Richterin. (derstandard.at, 16.7.24)
Die Richterin bot ihm an, das Verfahren durch Bewährungshilfe und das Coaching „Dialog statt Hass“ diversionell, also ohne Urteil, zu erledigen, was er akzeptierte. Er muss zudem 150 Euro Verfahrenskosten zahlen. Zum Abschluss warnte die Richterin ihn vor dem bevorstehenden Wiederbetätigungsverfahren in St. Pölten: „Dann wünsche ich Ihnen viel Erfolg in St. Pölten. Da ist es nicht so nett wie bei mir.“ (ebd.) Damit könnte die Richterin recht behalten.
Wien: Schuldspruch wegen „mythologischer“ Verhetzung
Mehrere rassistische Postings brachten den 38-jährigen Deutschen Daniel B. am 31.7.24 vor das Landesgericht Wien. Er soll im Herbst 2023 mehrmals über Social Media gegen Muslim*innen gehetzt haben.
So schrieb der Angeklagte unter anderem, dass der Islam in Österreich und Deutschland keine Zukunft habe, eine „Wilde Jagd“ begonnen hätte, und dass sich „Moslems“ benehmen sollen, da ansonsten die „Raben“ ihr Fleisch bekommen würden. Vor Gericht darauf angesprochen, behauptete B., er habe das alles gar nicht so gemeint, denn das seien nur Metaphern. Mit „Wilder Jagd“ meine er etwa nicht eine tatsächliche Jagd auf muslimische Personen, sondern ein Element germanischer und nordischer Mythologie. Im mythologischen Kontext sei die „Wilde Jagd” ein schlechtes Omen; genauso seien die „Raben“ gar keine richtigen Raben, sondern eine Metapher für Personen in Machpositionen, beispielsweise Politiker*innen oder Medienschaffende. Er wollte damit nur vor einer Spaltung der Gesellschaft sowie einer Instrumentalisierung von Straftaten muslimischer Personen durch politische Kräfte warnen.
Dass es sich bei Daniel D., der in Deutschland bereits wegen Körperverletzung zu einer Bewährungsstrafe verurteilt wurde und in Österreich keiner Beschäftigung nachgeht, nicht nur um einen besorgten Mythologie-Fan handelt, ist an einem weiteren Posting zu erkennen, in dem er schrieb: „Der 4. [4. Wiener Gemeindebezirk, Anmk. SdR] wird wieder Österreich!, was angesichts der nicht-österreichischen Staatsbürgerschaft des Angeklagten fast schon als Satirebeitrag durchgehen könnte. In dem Posting verlinkte der 38-Jährige zusätzlich das Lied „Wir rufen deine Wölfe“; hierbei handelt es sich um einen deutschen Neo-Folk-Song, der mitunter Bezug auf die Lehren des rechten Philosophen Friedrich Hielscher nimmt. Hielscher, der zu den Vertrauten Ernst Jüngers zählte, gilt vor allem in der „Neuen Rechten“, aber auch in der neuheidnischen Szene als eine Ikone. Seine Werke werden unter anderem vom Antaios-Verlag des rechtsextremen Vordenkers Götz Kubitschek herausgegeben.
Die Argumentationen und die Verweise auf die germanische Mythologie dürften das Gericht allerdings nicht überzeugt haben. D. wurde nicht rechtskräftig zu neun Monaten Haft bedingt auf drei Jahre Probezeit verurteilt.
Danke an prozess.report für die Prozessbeobachtung!
Salzburg: Verhetzung nach Schmerzmitteleinnahme
Übles hatte der Betreiber eines kryptischen „TV“ in einem Video bezüglich seines Verfahrens vorhergesagt: Er würde von jemandem gestalkt, sei nach dem Verbotsgesetz angeklagt, dabei wolle er nur den Frieden, aber auch wegen zwei vorhergehender Verurteilungen mit Haftaufenthalten befürchte er bis zu zehn Jahren Haft. Er habe keine Unterstützung, obwohl er die ersten Corona-Demos in Salzburg organisiert habe. Er sei psychisch am Ende, dabei habe er noch Großes vorgehabt.
Die Fakten liegen anders: Gestalkt wurde Roman R. nicht, sondern über die App „BanHate“ wegen einiger seiner auf Facebook abgelassenen Postings gemeldet, wie „Stoppt die Rechten“ erfahren konnte. Ermittelt wurde tatsächlich wegen eventueller Wiederbetätigung, am Ende stand jedoch eine Anklage wegen eines Postings nach dem Verhetzungsparagrafen.
Fünf Bilder blutender und getöteter Kinder aus dem Gazastreifen veröffentlichte der 50-Jährige in sozialen Medien. Dazu schrieb er laut Anklage: „Zionisten sind Nazis und alle, die diese Monster unterstützen.“ (…) Er sei damals unter dem Einfluss starker Schmerzmittel gestanden. Seine Worte seien „politisch nicht korrekt“ gewesen. Er sei ein Pazifist im Geist des indischen Staatsgründers Mahatma Gandhi, der passiven Widerstand geleistet und angeregt habe, sich gegen jede Art von Krieg zu stellen. (5.8.24, salzburg.orf.at)
Die prognostizierten zehn Jahre Kerker kamen für R. nicht, sondern vergleichsweise freundliche, bereits rechtskräftige sieben Monate bedingt.
➡️ Rückblick KW 27–33/24 (Teil 1): Verbotsgesetz-Prozesse
➡️ Rückblick KW 27–33/24 (Teil 3): Von Razzien, Burschenschaftern, Identitären bis zum Bundesheer
il 1): Verbotsgesetz-Prozesse
➡️ Rückblick KW 27–33/24 (Teil 4): Blick über die Grenzen
➡️ Rückblick KW 27–33/24 (Teil 5): FPÖ