Allgemein
38 von 97 Kandidat*innen (das sind fast 40 Prozent!) der Freiheitlichen Arbeitnehmer (FA) sind bei Einrichtungen der FPÖ inkl. „Freiheitliches Bildungsinstitut” beschäftigt. Sogar der Spitzenkandidat Oberlechner ist bei der FPÖ angestellt.
Wer Infos über die Programmatik der FA auf ihrer Website sucht, tut das vergebens. Dort funktioniert bis auf zwei Kontaktformualre nichts. Im Tätigkeitsbericht der FA 2014–2017 war zu lesen, dass an der Neugestaltung der „Heimseite“ gearbeitet werde. Es ist übrigens der letzte Tätigkeitsbericht der FA, den wir gefunden haben.
Platz 1 „Freiheitliche Arbeitnehmer” Wien: Michael Oberlechner
Bezirksparteiobmann der FPÖ Ottakring, Korporierter der „Jung-Dietrich“
Stolz zeigt sich Oberlechner als Korporierter am Burschenschafterball der FPÖ 2024. Oberlechner ist aber kein Burschenschafter, sondern Korporierter der Verbindung „Jung-Dietrich“ Wien im Mittelschülerkartellverband (MKV). Die ist dort allerdings am rechten Rand angesiedelt.
Das Burschenlied der Jung-Dietrich
Grün, Rot, Gold, so leuchten jene Farben,
die wir Burschen uns erwählt.
Wir prahl’n nicht mit simplen Narben,
weil der Glaub‘ im Kampf uns stählt.
Grün, ihr stolzen deutschen Eichen
Rot du deutsches Heldenblut.
Ihr versinnlicht gold’ne Treue,
Uns’res Volkes höchstes Gut.
(http://www.jdw.wg.vu/strophen)
Damit könnte das Kapitel zum Spitzenkandidaten der FA auch schon wieder geschlossen werden, gäbe es nicht einen bemerkenswerten Vorfall im Jahr 2005. Gut, der Vorfall ist fast 20 Jahre her, aber die Art und Weise, wie damit umgegangen wurde, ist auch heute noch bemerkenswert und aufklärungswürdig.
Oberlechner war 2005 Spitzenfunktionär des „Ring freiheitlicher Jugend“ (RFJ) Wien. Auf dem Weg zum Bundesparteitag in Salzburg soll er im Reisebus „in einer für das gesamte Fahrzeuginnere vernehmbaren Lautstärke“ (Protokoll über den Vorfall) das Horst-Wessel-Lied angestimmt haben. Tief in der Nacht, um 3 Uhr morgens in der Jugendherberge soll er neuerlich das Horst-Wessel-Lied gesungen haben: „[D]ie Stimme Oberlechners war eindeutig erkennbar.“ (Protokoll) Das Horst-Wessel-Lied war das Kampflied der SA und später dann die Parteihymne der NSDAP.
Das Protokoll über diesen neonazistischen Vorfall wurde – man glaubt es kaum – von Udo Landbauer verfasst und sollte eigentlich zum Ausschluss Oberlechners aus dem RFJ führen. Die Parteigremien wurden ebenso verständigt.
Passiert ist allerdings nichts: 2011 erfährt der „Kurier“ von dem Vorfall und befragt dazu Oberlechner und Landbauer. Oberlechner spricht von einem „völligen Blödsinn“ (Kurier, 25.2.11, S. 18) und Landbauer will das Protokoll nie abgeschickt haben, „weil sich die Vorwürfe als haltlos erwiesen haben“ (Kurier). Eine Intrige des BZÖ, das sich damals von der FPÖ abgespalten hatte, sei das gewesen. Und was ist mit dem von ihm eigenhändig unterschriebenen Protokoll, mit seinen eigenen Beobachtungen und Interventionen?
2015 unterläuft den Grünen in Oberlechners Bezirk Ottakring ein kleiner Fehler. Sie behaupten, Oberlechner sei wegen des Absingens der Nazi-Hymne aus dem RFJ ausgeschlossen worden. Die FPÖ klagt, und die Grünen müssen in einer Ehrenerklärung festhalten: „Michael Oberlechner wurde nicht wegen Singens des Horst-Wessel-Lieds und auch sonst nicht aus dem RFJ ausgeschlossen.“ Das stimmt– und ist damit der eigentliche Skandal.
Platz 2 „Freiheitliche Arbeitnehmer” Wien: Bernhard Rösch
Stv. Bezirksparteiobmann FPÖ Neubau, Bundesobmann Freiheitliche Arbeitnehmer, Burschenschafter der Gothia Wien
Rösch ist neben seinen Funktionen in der FPÖ Alter Herr der pflichtschlagenden und deutschnationalen Burschenschaft Gothia in Wien. Für die Zeit vor dem Nationalsozialismus verlieh die Historikerin Martina Pesditschek der Gothia den wenig ehrenvollen Titel einer „protonazistischen Gesinnungsgemeinschaft“. Der Umgang der heutigen Gothia mit ihren als „berühmte Gothen“ verehrten alten Nazis lässt uns diesen Titel auf „postnazistische Gesinnungsgemeinschaft“ ändern.
Was Rösch darüber denkt, wissen wir nicht. Wir können aber andere Momente seiner politischen Einstellung beurteilen. Rösch ist nämlich Langzeitobmann der „Freiheitlichen Arbeitnehmer“ (seit 2006) und hat da einige Spuren hinterlassen.
Der Topverdiener im Gemeindebau
Das Magazin „News“ (Nr. 48, 29.11.2012) verlieh dem hauptberuflichen Versicherungsangestellten den wenig ehrenvollen Titel „Großgrundbesitzer“ und kritisierte den als Geschäftsführer einer Immobilienfirma und als Wiener Gemeinderat bzw. Landtagsabgeordneter Tätigen, weil er in einer Gemeindebauwohnung wohnte.
2015 griff der „Kurier“ (26.6.15, S. 19) das Thema unter dem Titel „Der blaue Topverdiener im Gemeindebau“ neuerlich auf, was der FPÖ den Vorwurf der Doppelmoral eintrug. Die FPÖ würde bei allen anderen Parteien Politiker im Gemeindebau kritisieren, bei einem blauen Topverdiener wie Rösch jedoch nicht. „Topverdiener“ deshalb, weil Rösch sein Einkommen damals mit rund 17.000 Euro brutto beziffert hatte. Parteiobmann Strache, der das leidige Thema (das nicht nur Rösch betraf) weghaben wollte, postulierte deshalb, „Wer in den Landtag will, muss aus dem Gemeindebau raus!“ (Kronen Zeitung, 10.7.15, S. 30), und setzte dafür eine Frist bis zum Jahresende. Rösch versprach, sich um eine andere Wohnung umzusehen, wurde Bundesrat – und blieb in der Gemeindebauwohnung. Jedenfalls Jedenfalls dürfte er auch jetzt noch an seiner alten Adresse wohnen.
Schweigen zum Anschlag 12-Stunden-Arbeitstag
Aber Konsequenz oder die Einhaltung von Versprechen war auch beim 12- Stunden-Tag nicht seine Sache. 2013 sprachen sich die „Freiheitlichen Arbeitnehmer“ und ihr Bundesobmann Rösch sehr entschieden gegen einen verpflichtenden 12-Stunden-Arbeitstag aus: „Zwar gibt es Branchen, etwa Wachdienste, die 12 Stundendienste haben oder das Rettungspersonal, das sogar 24 Stunden durchgängig Dienst hat. Dass zukünftig aber alle Arbeitnehmer zu 12 Stunden Arbeit am Tag verpflichtet werden können, wäre ein regelrechter Anschlag.” (ots.at, 19.8.13)
Der regelrechte Anschlag kam dann 2018: Unter Federführung einer FPÖ-Sozialministerin wurde die Ausweitung der Arbeitszeiten beschlossen. „profil“ (Nr. 27/2018, 2.7.18) befragte dazu den blauen Oberarbeitnehmer Rösch: „Er zieht es, nach einer Nachdenkpause, vor, sich gar nicht zum 12-Stunden-Tag zu äußern: ‚Bitte um Verständnis, ich möchte erst abwarten, was endgültig im Gesetz steht, und jetzt kein Öl ins Feuer gießen.‘ Mehr sagt er lieber nicht.“ Wenige Tage später erklärte Rösch bei der Abstimmung des Gesetzes im Bundesrat, die aktuelle Regierung habe das Problem der Arbeitszeitflexibilisierung „in die Hand genommen“ (parlament.gv.at, 12.7.18).
Regelrechter Anschlag auf den Bundesobmann
Wohl nicht zufällig zur gleichen Zeit teilte der Bundesvorstand der FA seinem Obmann Rösch mit, dass man jetzt genug von ihm habe und einen Jüngeren an der Spitze wolle. Obwohl Rösch nicht abtreten wollte, lief seine Abwahl bzw. die Neuwahl von Gerhard Knoll zunächst wie geschmiert, bis das Bundesvereinsgericht entschied, dass die Wahl wegen starker Irregularitäten vor und bei der Wahl wiederholt werden müsse und Rösch als interimistischer Bundesobmann bis zur Neuwahl weiter amtieren könne. Der setzte den abgesetzten Obmann Knoll als Generalsekretär ein und ließ sich und den abwesenden Generalsekretär dann auf einem außerordentlichen Bundestag im Oktober 2018 neu wählen. 2021 wurde das seltsame Duo für eine weitere Periode wiederbestellt – so, als ob nichts gewesen wäre.
Ein rassistischer Anschlag
Ebenfalls im Oktober 2018 lancierten die „Freiheitlichen Arbeitnehmer“ ein zutiefst rassistisches und hetzerisches Sujet zur Indexierung der Familienbeihilfe durch die ÖVP-FPÖ-Koalition (die 2023 als EU-rechtswidrig aufgehoben wurde). Die Neos zeigten die FA und ihren Bundesobmann Rösch wegen des Verdachts der Verhetzung an. Von einer Anklage bzw. einer Verurteilung ist in den Medien nicht zu finden – die Anzeige dürfte zurückgelegt worden sein.
90 % der Familienbeihilfen für Kinder im Ausland betreffen Ungarn, Slowakei, Polen, Rumänien, Slowenien u. Tschechien. Ein Großteil davon für 24-Stunden-Pflegekräfte.
Und mit welchem Bild illustrieren die FPÖ-Arbeitnehmer das Thema? pic.twitter.com/kdWC5YHhsp
— Armin Wolf (@ArminWolf) October 25, 2018
➡️ Freiheitliche Arbeitnehmer Wien (II): Burschenschafter, Identitärer, Ex-VAPO