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Die unrühmlichen Gothen

Kor­po­ra­tio­nen, die sich Gothia nen­nen, gibt es eini­ge in Öster­reich. Uns inter­es­siert hier aber eine ganz spe­zi­el­le, die aka­de­mi­sche (und schla­gen­de) Bur­schen­schaft Gothia zu Wien (nicht zu ver­wech­seln mit der gleich­na­mi­gen katho­li­schen Ver­bin­dung). Sie ist im sehr rech­ten Dach­ver­band „Deut­sche Bur­schen­schaft“ orga­ni­siert und dort wie­der­um zusätz­lich in der rechts­extre­men Pres­­su­­re-Group „Bur­schen­schaft­li­che Gemein­schaft“. Die Neo­na­­zi-Enzy­k­lo­­pä­­die Metapedia […]

26. Feb 2020
Türschild der Burschenschaft Gothia Wien
Türschild der Burschenschaft Gothia Wien

Am 24. Jän­ner 2019 hat von einem Fens­ter der Bude der Bur­schen­schaft Gothia in der Wie­ner Schlös­sel­gas­se ein Bur­sche Ges­ten gezeigt, die er zunächst selbst als pro­vo­zie­rend und miss­ver­ständ­lich bezeich­net hat­te. In die­sem Betrag wol­len wir uns aller­dings nicht mit ihm und sei­nen Ges­ten, son­dern mit der Bur­schen­schaft Gothia selbst beschäftigen.

Als am 24. Jän­ner des Vor­jah­res die Don­ners­tag-Demo vor die Bude der Gothia mar­schier­te, schmück­ten die Bur­schen ihre Bude mit der deut­schen Flag­ge. Das war durch­aus pro­gram­ma­tisch gemeint. 1996 hat der dama­li­ge Spre­cher der Gothen der Zeit­schrift „pro­fil“ (25.11.1996) erklärt: „Wir füh­len uns der deut­schen Volks- und Kul­tur­ge­mein­schaft ver­bun­den“. 2005 wur­de die­ses Bekennt­nis zur deut­schen Volks­ge­mein­schaft dann durch Besuch und Refe­rat von Safet Babic, Funk­tio­när der neo­na­zis­ti­schen NPD, vertieft.

Gemeinsame Adresse: Eingangstür zur Gothia Wien und zu "unzensuriert" in der Schlösselgasse
Gemein­sa­me Adres­se: Ein­gangs­tür zur Gothia Wien und zu „unzen­su­riert” in der Schlösselgasse
Türschild der Burschenschaft Gothia Wien
Tür­schild der Bur­schen­schaft Gothia Wien

Eini­ge Jah­re zuvor, im Jahr 2001, trug sich die neo­na­zis­ti­sche Wie­ner Kame­rad­schaft Ger­ma­nia in das Gäs­te­buch der Gothen mit dem Hin­weis ein „Heil Euch! Sonn­wend­fei­er mit einem Bal­la­den-sän­ger! 22.juni! Nähe­res per netz­post!

Kein Wun­der, dass sich die rechts­extre­me Sze­ne mit den Bur­schen­schaf­ten ver­bun­den fühlt. Die Wie­ner­Ka­me­rad­schaft Ger­ma­nia wirbt auf ihrer Home­page für die Olym­pen und die Bur­schen­schaft Gothia. Die „jun­gen natio­nal­ge­sinn­ten Ost­mär­ker” der Kame­rad­schaft Ger­ma­nia wol­len die Zukunft der „ari­schen Kin­der sicher­stel­len” und bie­ten nicht nur ein­schlä­gi­ges Mate­ri­al über NS-Pro­pa­gan­da­mi­nis­ter Joseph Goeb­bels oder zu Rudolph Hess an, sie suchen auch Kon­takt zu den Bur­schen­schaf­ten und zur FPÖ.

Auch das war 2001 in „pro­fil“ (Nr.18 vom 30.4.2001) zu lesen. Ein Jahr spä­ter, 2002, orga­ni­sier­te die Kame­rad­schaft Ger­ma­nia dann die Neo­na­zi-Demo gegen die Wehr­machts­aus­stel­lung – unter reger Betei­li­gung von deutsch­na­tio­na­len Burschenschaftern.

Ideo­lo­gi­sche und per­so­nel­le Ver­bin­dun­gen der Gothia zum Rechts­extre­mis­mus lie­fen frü­her viel­fach über ihren Alten Her­ren und Nazi Fritz Stü­ber, der bis 1953 den äußerst rech­ten Rand des FPÖ-Vor­läu­fers Ver­band der Unab­hän­gi­gen (VdU) abdeck­te und bei den Gothen für gute Ver­bin­dun­gen zur neo­na­zis­tisch ori­en­tier­ten Arbeits­ge­mein­schaft für Poli­tik (AfP) sorg­te. Bern­hard Wei­din­ger zitiert in sei­ner umfas­sen­de Stu­die über die Bur­schen­schaf­ten „Im natio­na­len Abwehr­kampf der Grenz­land­deut­schen“ einen Nach­ruf auf Stü­ber, in dem fest­ge­stellt wird, dass des­sen „blo­ßes Zuge­gen­sein“ schon aus­ge­reicht habe, um bestimm­te Auf­fas­sun­gen durch­zu­set­zen (S.160) .

Als sich 1976 die Bur­schen­schaft Ober­ös­ter­rei­cher Ger­ma­nen am Ver­bands­tag der DB bei einem Beschluss der Stim­me ent­hielt , der die Mög­lich­keit der Mit­glied­schaft von Bur­schen­schaf­ter in rechts­extre­men Orga­ni­sa­tio­nen bil­lig­te, sank­tio­nier­ten die Wie­ner Hard­li­ner-Bur­schen­schaf­ten Olym­pia, Liber­tas und Gothia die Ober­ös­ter­rei­cher Ger­ma­nen dadurch, dass sie nicht mehr mit ihnen fech­ten woll­ten (Wei­din­ger, S. 316). – Die Teu­to­nen, die eben­falls zu den rechts­extre­men Hard­li­nern zäh­len, waren damals noch nicht im Dachverband.

Über die poli­ti­sche Aus­rich­tung der Bur­schen­schaft Gothia ist ja aus dem, was sie 2020 auf ihrer Web­sei­te offe­riert, nicht mehr all­zu viel zu erfah­ren. In einem Punkt sind die Gothen aber nach wie vor sehr klar: in ihrem Bekennt­nis zum (rechts­extre­men) völ­ki­schen Vater­lands­be­griff: „Das gro­ße über­grei­fen­de Ziel bleibt jedoch stets die Voll­endung der Ein­heit des deut­schen Vol­kes im geis­tig-kul­tu­rel­len Sin­ne“, heißt es dazu im aktu­el­len Kapi­tel „Wer sind wir?“ auf ihrer Web­site. Mög­li­cher­wei­se ist das der Grund, war­um die Neo­na­zi-Enzy­klo­pä­die Metape­dia die Gothia lobt: „Die aB! Gothia gilt – neben der aB! Oym­pia und der aB! Teu­to­nia – als unge­beugt völ­ki­sche Ver­bin­dung.

Über so viel dickes brau­nes Lob kön­nen sich also die Gothen freu­en! Mög­li­cher­wei­se ver­dan­ken sie es auch dem Ange­den­ken an ihre „berühm­ten Gothen“, denen sie auf ihrer Web­site eine Sei­te wid­men. Sie­ben „Berühm­te Gothen“ wer­den da auf­ge­zählt – und von die­sen sie­ben waren nur zwei kei­ne Nazis. Die zwei sind näm­lich zu früh gestor­ben. Dafür war einer der zwei Hit­lers Vor­bild in Sachen Anti­se­mi­tis­mus, Georg Rit­ter von Schö­ne­rer. Die rechts­extre­men Bur­schen­schaf­ten Liber­tas Wien, Teu­to­nia Wien, Ger­ma­nia Inns­bruck und eben auch die Gothia haben ihm ein Plätz­chen in ihrer Geschich­te als Mit­glied oder Ehren­mit­glied reser­viert – weil sie so stolz sind auf die­sen üblen Anti­se­mi­ten! In ihrer Ver­bands­ge­schich­te (eben­falls auf ihrer Home­page ein­seh­bar) schrei­ben die Gothen – ohne jeg­li­che Distanz (und Kennt­nis der deut­schen Grammatik):

Gothia ver­folg­te die Grund­sät­ze deutsch­na­tio­na­ler Gesin­nung im Sin­ne Schö­ne­rers, Kampf für Grö­ße, Ein­heit und Rein­heit des deut­schen Vol­kes, unbe­ding­te Genug­tu­ung auf Säbel und Ein­fach­heit in stu­den­ti­schen For­men­we­sen“. (…) Gothia blieb den Idea­len Schö­ne­rers und Bis­marcks stets enga­giert ver­bun­den. So wur­de all­jähr­lich zum Todes­tag von Bis­marck eine grö­ße­re oder klei­ne­re Gedenk­fei­er abge­hal­ten; Schö­ne­rer wur­de 1919 — zwei Jah­re vor sei­nem Tode — als Ehren­bursch aufgenommen.

Die „Idea­le“ Schö­ne­rers – geht’s noch? – wer­den in der Gothen-Chro­nik natür­lich nicht ange­führt. Die Gothen wis­sen schließ­lich, was unter dem Tep­pich blei­ben muss! „Geis­ti­ger Vater“ Hit­lers nennt ihn Han­nah Are­ndt – für die Gothen ein „berühm­ter Gothe“.

Plakat zur Ausstellung über Schönerer 1942
Pla­kat zur Aus­stel­lung über Schö­ne­rer 1942

2013 wid­met Klaus Taschwer, Wis­sen­schafts­re­dak­teur des „Stan­dard“ dem Netz­auf­tritt der Gothia erst­mals eini­ge Zei­len. Der Gothe und Uni­ver­si­täts­pro­fes­sor für Rechts- und Ver­fas­sungs­ge­schich­te an der Uni Wien, Chris­ti­an Neschwa­ra, ant­wor­te­te ihm via Mail, sprach davon, dass das Kapi­tel über die „berühm­ten Gothen“ ohne­hin dem­nächst im Rah­men der Neu­ge­stal­tung des Online-Auf­tritts über­ar­bei­tet würde.

Am 30. Dezem­ber 2017 erschien dann ein neu­er Bei­trag von Taschwer über den „Anti­se­mi­tis­mus berühm­ter Gothen“, in dem er fest­stel­len muss­te, dass sich im Kapi­tel „berühm­te Gothen“ fak­tisch nichts geän­dert habe: kei­ne kri­ti­schen Anmer­kun­gen, kei­ne Erwäh­nung ihrer NS- Ver­stri­ckun­gen, kei­ner­lei Distan­zie­rung – trotz Neu­ge­stal­tung des Online-Auftritts.

Die Gothia Wien in der Selbstdarstellung: der Zweite Weltkrieg als "der große Krieg"
Die Gothia Wien in der Selbst­dar­stel­lung: der Zwei­te Welt­krieg als „der gro­ße Krieg”

Im Ein­trag zu Hein­rich von Srbik heißt es bei den Gothen:

Pro­fes­sor für all­ge­mei­ne und Wirt­schafts­ge­schich­te in Graz, für all­ge­mei­ne Geschich­te der Neu­zeit in Wien. Zahl­rei­che Ver­öf­fent­li­chun­gen. 1929 Unter­richts­mi­nis­ter, 1938 Prä­si­dent der Aka­de­mie der Wis­sen­schaf­ten und Mit­glied des Reichstages.

Kei­ne Erwäh­nung davon, dass Hein­rich Srbik schon vor der Okku­pa­ti­on Öster­reichs durch die Nazis Mit­glied der anti­se­mi­ti­schen Pro­fes­so­ren­cli­que „Bären­höh­le“ war, die jüdi­schen und lin­ken Wis­sen­schaf­tern an der Uni Wien das Leben schwer mach­ten. 1938 beju­bel­te Srbik den Anschluss Öster­reichs als „Ver­wirk­li­chung des tau­send­jäh­ri­gen Traums der Deut­schen“, womit wir eigent­lich sehr nahe bei der Gothen –Ideo­lo­gie auch des Jah­res 2020 wären. Srbik war NSDAP-Par­tei­mit­glied seit 1938, trat 1942 – so Wei­din­ger, der sich dabei auf den Bur­schen­schafts­his­to­ri­ker Gün­ter Cer­win­ka bezieht – auch aus der Gothia aus und war trotz klei­ne­rer Kon­flik­te mit der NS-Büro­kra­tie eine „zumin­dest ambi­va­len­te Figur“ (Wei­din­ger), aber sicher kein Wider­stands­kämp­fer gegen den Natio­nal­so­zia­lis­mus, zu dem ihn eini­ge Bur­schen­schaf­ter hoch­ju­beln woll­ten. Das Urteil der His­to­ri­ke­rin Mar­ti­na Pes­dit­schek, die zu Srbik geforscht und publi­ziert hat, ist noch viel ein­deu­ti­ger. Sie cha­rak­te­ri­siert ihn als „kühl kal­ku­lie­ren­den, nie­mals ver­trau­ens­wür­di­gen Macht­men­schen und durch­aus typi­schen Natio­nal­so­zia­lis­ten“ (zit. nach derstandard.at, 30.12.17).

Mir­ko Jelu­sich, eben­falls ein „berühm­ter Gothe“ war nicht bloß Burg­thea­ter­di­rek­tor wäh­rend der Nazi-Ära, son­dern schon vor­her ein ille­ga­ler Nazi und auch nach 45 in den ein­schlä­gi­gen Krei­sen sehr aktiv.

Auch Edu­ard Pichl, der eine von Hit­ler mit­fi­nan­zier­te Schö­ne­rer-Bio­gra­phie ver­fasst hat­te, war ein fana­ti­scher Anti­se­mit und spä­tes­tens seit 1938 NSDAP-Mit­glied. Über ihn und die Gothia kann man auch 2020 noch auf der Gothia-Home­page vol­ler Stolz lesen:

Auf den Bur­schen­ta­gen von 1919 ver­trat Gothia durch ihren AH Pichl vehe­ment und schließ­lich mit Erfolg den den (sic!) Zusam­men­schluß mit der Deut­schen Bur­schen­schaft. In die­sem Dach­ver­band sah Gothia ihre Auf­ga­be vor allem in der Durch­set­zung der ost­mär­ki­schen Grund­sät­ze und der sog. „Waid­ho­fe­ner Grundsätze“.

Fritz Stübers ein­zi­ge her­aus­ra­gen­de poli­ti­sche Leis­tung neben sei­ner Nazi-Mit­glied­schaft seit 1932 war übri­gens, dass er als ein­zi­ger Abge­ord­ne­ter gegen den Staats­ver­trag von 1955 wet­ter­te, weil durch ihn ein Keil zwi­schen Deutsch­land und Öster­reich getrie­ben würde.

Edu­ard Kran­ner war wäh­rend der Nazi-Zeit Bür­ger­meis­ter von Eggen­burg, was in der Rubrik „berühm­te Gothen“ natür­lich nicht erwähnt wird. Ob auch er NSDAP-Mit­glied war, geht aus den ver­füg­ba­ren Quel­len nicht her­vor. Publi­ziert hat er jeden­falls in der Schrif­ten­rei­he der NSDAP – eine mil­de­re Beur­tei­lung ver­dient er allen­falls dadurch, dass er 1945 die Zer­stö­rung Eggen­burgs durch die Wehr­macht verhinderte.

Eduard Kanner, Die Stadt Eggenburg. Schhriftenreihe für Heimat und Volk. Herausgegeben vom Gaupresseamt Niederdonau der NSDAP.
Edu­ard Kan­ner, Die Stadt Eggen­burg. Schhrif­ten­rei­he für Hei­mat und Volk. Her­aus­ge­ge­ben vom Gau­pres­se­amt Nie­der­do­nau der NSDAP.

Gothen der letz­ten Jahr­zehn­te schei­nen nicht unter den „berühm­ten Gothen“ auf. Ihre alten Unrühm­li­chen könn­ten sie auch kaum toppen.

Cover Bernhard Weidinger, Im nationalen Abwehrkampf der Grenzlanddeutschen (Böhlau, 2015), zum Download
Cover Bern­hard Wei­din­ger, Im natio­na­len Abwehr­kampf der Grenz­land­deut­schen (Böhlau, 2015), zum Down­load