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Neonazi-Rapper als Hochrisiko-Gefährder

Die brau­ne Sze­ne hat wie­der Grund für Empö­rung: Der aus Lienz stam­men­de Neo­na­­zi-Rap­­per Manu­el E. wur­de am Lan­des­ge­richt Inns­bruck zu neun Jah­ren unbe­ding­ter Haft ver­ur­teilt. Das ist nach der Ver­ur­tei­lung des Rap­­per-Kol­­le­­gen Phil­ip H. die zweit­höchs­te Stra­fe, die seit sehr lan­ger Zeit nach dem Ver­bots­ge­setz aus­ge­spro­chen wur­de. Eini­ge Schlag­lich­ter aus dem Pro­zess. Unpro­ble­ma­ti­sches Tref­fen mit […]

13. Mrz 2024
Verhandlung im Schwurgerichtssaal LG Innsbruck (© SdR)
Verhandlung im Schwurgerichtssaal LG Innsbruck (© SdR)

Unproblematisches Treffen mit Küssel

Manu­el E. hat sich selbst ein Bein gestellt und ist ful­mi­nant auf die Nase gefal­len. So lie­ße sich der Pro­zess am 11. März kurz zusam­men­fas­sen. In elend­slan­gen, ermü­den­den Aus­füh­run­gen ver­such­te er zu bele­gen, dass er alles übers Ver­bots­ge­setz wis­se und daher zu klug sei, um dage­gen zu ver­sto­ßen. So weit hat­te sei­ne Klug­heit aller­dings nicht gereicht, dass er sei­ne Akti­vi­tä­ten nicht fort­ge­führt hät­te, obwohl er von den lau­fen­den Ermitt­lun­gen gegen ihn bereits wuss­te: Fahrt nach Wien und ein Tref­fen mit Gott­fried Küs­sel, wovon der Ver­fas­sungs­schutz ein schö­nes Erin­ne­rungs­fo­to geknipst hat; am Tag danach ein Auf­tritt beim neo­na­zis­ti­schen Hon­sik-Kon­gress – sei­ne Aus­flüch­te nicht nur dafür wären reif für die Ein­rei­chung bei einem Satirepreis.

Küs­sel habe er nur getrof­fen, um ihn wegen einer Woh­nung in Wien zu befra­gen und dar­über, wel­che Vier­tel „gut“ sei­en und wel­che Kin­der­gär­ten. Die Rich­te­rin: Sie sind nicht auf die Idee gekom­men, dass es unge­schickt wäre, wäh­rend eines lau­fen­den Ver­fah­rens den bekann­tes­ten Neo­na­zi aus Öster­reich zu besu­chen?“ Das war für Manu­el E. „unpro­ble­ma­tisch“.

Zum Hon­sik-Kon­gress sei er nur des­halb gegan­gen, um sich juris­tisch wegen der Ermitt­lun­gen gegen ihn bera­ten zu las­sen. Bei einem Neo­na­zi-Kon­gress? Dort habe er sich breit­schla­gen las­sen und sei so am Red­ner­pult gelan­det, wovon zwei Fotos zeu­gen. Jedoch: Beim Vor­trag des Neo­fa­schis­ten Davi­de Bran­ca­gli­on habe er nur über­setzt; war­um er auch beim Schwe­den Fre­d­rik Vej­de­land am Pult war, wur­de dann nicht mehr erläu­tert – ver­mut­lich des­halb, weil der Ver­fas­sungs­schutz nur eines der bei­den Fotos aus­fin­dig gemacht hatte.

Manuel E. (jeweils links) beim Honsik-Kongress am 7.10.23 mit Davide Brancaglion und dem Schweden Fredrik Vejdeland
Manu­el E. (jeweils links) beim Hon­sik-Kon­gress am 7.10.23 mit Davi­de Bran­ca­gli­on und dem Schwe­den Fre­d­rik Vejdeland

Im Neonazi-Milieu verhaftet

Doch E. war auch mit ande­ren Sze­ne­grö­ßen in Kon­takt: 2017 woll­te er den NSU-Unter­stüt­zer André Emin­ger in der Haft besu­chen, in einer Sprach­nach­richt ver­such­te er, den auch wegen Mor­des ver­ur­teil­ten deut­schen Neo­na­zi-Musi­ker Hen­drik Möbus dazu zu bewe­gen, einen Vor­trag in Wien (im zwei­ten Bezirk, also dort, wo Küs­sel sein Domi­zil hat) zu hal­ten, um den CD-Ver­kauf bei „Schei­tel­trä­gern“ (Bur­schen­schaf­tern) und „Glat­zen“ (Skin­heads) und wei­te­ren „Kame­ra­den aus Öster­reich“ anzu­kur­beln. Aber, so tön­te der Ost­ti­ro­ler im Gerichts­saal, mit Möbus ver­bin­de ihn nur die Begeis­te­rung für „Black Metal“-Musik. Dass E. in die U‑Haft aus­ge­rech­net Post aus Suben von dem zu zehn Jah­ren ver­ur­teil­ten Neo­na­zi-Rap­per Phil­ip H. („Mr. Bond“) erhal­ten hat­te, war dem Ange­klag­ten zwar nicht anzu­las­ten, zeug­te jedoch eben­falls vom Milieu, bei dem der Ost­ti­ro­ler Anklang gefun­den hatte.

So wun­dert es nicht, dass der Pro­zess von eini­gen ein­schlä­gi­gen „Kame­ra­den“ auch aus Deutsch­land beob­ach­tet wur­de. Das könn­te sub­op­ti­mal gewe­sen sein ange­sichts der Bemü­hun­gen von Kame­rad E., dem Gericht zu bewei­sen, dass er aus dem Neo­na­zis­mus aus­ge­stie­gen sei. Sei­ne natio­na­len und inter­na­tio­na­len Ver­net­zun­gen waren dann auch ein Argu­ment, war­um der Ver­fas­sungs­schutz E. als „Hoch­ri­si­ko-Gefähr­der“ ein­ge­stuft hatte.

Keine Meinung zum Nationalsozialismus

Dort, wo E. kon­kret wer­den hät­te kön­nen, blieb er mög­lichst schwam­mig: Zum Natio­nal­so­zia­lis­mus, zu den indus­tri­el­len Tötun­gen habe er kei­ne Mei­nung, er mache sich dazu kei­ne Gedan­ken, denn „das liegt ja in der Ver­gan­gen­heit“. Die­se Ver­gan­gen­heit hin­der­te E. aller­dings nicht dar­an, die Jah­re des Natio­nal­so­zia­lis­mus nach dem Anschluss in einer Nach­richt als „gol­de­ne Zeit“ zu bezeich­nen, was dann vor Gericht wie­der­um so klang: „Ich hab damals nicht gelebt und kann es des­we­gen nicht beurteilen.“

So viel konn­te E. dann doch beur­tei­len, dass er in einer wei­te­ren Sprach­nach­richt in Wien eine „Hoch­kon­zen­tra­ti­on des Juden­tums“ kon­sta­tier­te, den Schwa­ger, durch des­sen Anzei­ge die Ermitt­lun­gen gegen E. aus­ge­löst wur­den, als „Unter­mensch“ dif­fa­mier­te, von der Wie­der­ein­füh­rung des Deut­schen Reichs fasel­te („Befrei­ung von der Befrei­ung“) und Rech­te, die sich auf Ali­ens ver­las­sen wür­den („Wehr­kraft­zer­set­zer”), zum „Stei­ne­klop­fen nach Maut­hau­sen“ schi­cken wollte.

Manuel E. am 11.3.24 auf der Anklagebank (© SdR)
Manu­el E. am 11.3.24 auf der Ankla­ge­bank (© SdR)

Ein normaler Vorname

Immer wie­der bezog sich E. auf sei­ne ver­ant­wor­tungs­vol­le Rol­le als fünf­fa­cher Fami­li­en­va­ter. In der Lebens­rea­li­tät des Kame­ra­den E. sah das aller­dings so aus, dass er ver­sucht habe, sei­ne 16-jäh­ri­ge Stief­toch­ter natio­nal­so­zia­lis­tisch zu indok­tri­nie­ren, wes­we­gen er eben­falls ange­klagt wur­de. Bei E. sei­en nicht nur NS-Kin­der­bü­cher gefun­den wor­den, er habe die Jugend­li­che auch zu rechts­extre­men Ver­an­stal­tun­gen mitgenommen.

Sei­nem just am 20. April, also an Hit­lers Geburts­tag, gebo­re­nen jüngs­ten Sohn ver­pass­te E. als Vor­na­me den Nach­na­men eines pro­mi­nen­ten Nazi-Ver­bre­chers. Der bewuss­te Bezug zum NS sei eine „Unter­stel­lung“, kon­ter­te E., es sei „ein ganz nor­ma­ler Vor­na­me“. Die­se Rech­nung mach­te E. aller­dings ohne die Staats­an­wäl­tin, die zuvor eine Namens­ab­fra­ge durch­ge­führt hat­te und fest­stell­te: In Öster­reich gibt es die­sen Vor­na­men nur ein­mal, näm­lich in der Fami­lie E..

18 Hauptfragen – 12 Schuldsprüche

Es waren schließ­lich 18 Haupt­fra­gen, die die Geschwo­re­nen mit „schul­dig“ oder „nicht schul­dig“ zu beant­wor­ten hat­ten – vom Besitz von NS-Devo­tio­na­li­en und ein­schlä­gi­gen Druck­wer­ken, der Zur­schau­stel­lung von Klei­dung mit NS-Sym­bo­len und NS-Pro­pa­gan­da­ma­te­ri­al über Tat­toos bis zu den diver­sen Sprach­nach­rich­ten und dem schwer­wie­gen­den Vor­wurf, sein Vater­ver­hält­nis dazu aus­ge­nutzt zu haben, um die Stief­toch­ter indok­tri­nie­ren zu können.

Nach einem über­lan­gen Ver­hand­lungs­tag und mehr als vier Stun­den Bera­tung kamen die Geschwo­re­nen dann zu einem recht ein­deu­ti­gen Urteil: schul­dig in zwölf von den 18 Haupt­fra­gen, Frei­spruch in vier Fra­gen und unent­schie­den (4:4) in zwei Fra­gen. Die ver­häng­ten neun Jah­re unbe­ding­ter Haft kom­men­tier­te ein „Kame­rad“ im Gerichts­saal mit „Drecks­pack“, womit er kei­nes­falls den Ange­klag­ten gemeint hatte.

Prompt folg­ten auch die Reak­tio­nen im Inter­net zum Urteil gegen den „Natio­na­lis­ten“ Manu­el E.: Die Repu­blik Öster­reich ist der repres­sivs­te Staat Euro­pas“, lau­te­te der Tenor. „Wir wer­den uns das nicht bie­ten las­sen“, kün­dig­te die Thü­rin­ger Sze­ne­grö­ße Thors­ten Hei­se via Tele­gram an. Und er riet „jedem deut­schen Tou­ris­ten und allen, die Ost­mark zu ver­mei­den“.

Da weder der Ver­tei­di­ger René Schwetz noch die Staats­an­wäl­tin eine Erklä­rung abge­ge­ben haben, ist das Urteil nicht rechts­kräf­tig. Die Wahr­schein­lich­keit, dass zumin­dest E. Rechts­mit­tel ein­le­gen wird, geht jedoch gegen 100 Prozent.

Postscriptum

Manu­el E. unter­hält in den sozia­len Medi­en eini­ge Accounts. In einem sei­ner Face­book-Pro­fi­le wim­melt es von rechts­extre­men sze­n­e­be­kann­ten „Freun­den“; mit dabei: der AUF1-Macher Ste­fan Magnet und der FPÖ-Haus- und Hof­ma­ler Odin Wiesinger.

FB-Account von Manuel E. mit Odin Wiesinger und Stefan Magnet in der Freundesliste (Screenshot Foto mit Pistole 2017; Screenshot "Freunde" 13.3.24)
FB-Account von Manu­el E. mit Odin Wie­sin­ger und Ste­fan Magnet in der Freun­des­lis­te (Screen­shot Foto mit Pis­to­le 2017; Screen­shot „Freun­de” 13.3.24)

Update 20.3.24: Manu­el E.s Ver­tei­di­ger hat Nich­tig­keits­be­schwer­de und Beru­fung ange­mel­det, die Staats­an­walt­schaft Beru­fung  (Quel­le: Chris­tof Mack­in­ger). Damit geht das Ver­fah­ren in die nächs­te Instanz (OLG Inns­bruck). Soll­te der Nich­tig­keits­be­schwer­de statt­ge­ge­ben wer­den, müss­te das Ver­fah­ren in der ers­ten Instanz wie­der­holt wer­den. Bei den Beru­fun­gen geht es nur um die Höhe der ver­häng­ten Strafe.

Wei­ter­füh­rend:

➡️ Stoppt die Rech­ten (11.3.24): Manu­el E.: Mit Kampf­sport-Sound­track zum Neonazi-Exportschlager
➡️ Stoppt die Rech­ten (22.6.21): Ter­ror­sph­ära: der öster­rei­chi­sche Neonazi-Export

Medi­en­be­rich­te zum Prozess:

➡️ End­sta­ti­on Rechts (12.3.24): Neun Jah­re Haft: Öster­rei­chi­scher Rechts­extre­mist wegen NS-Wie­der­be­tä­ti­gung verurteilt
➡️ Klei­ne Zei­tung (12.3.24): Ost­ti­ro­ler Nazi-Musi­ker zu neun Jah­ren Haft verurteilt
➡️ Dolo­mi­ten­stadt (12.3.24): Neun Jah­re Haft für Ost­ti­ro­ler Nazi-Netzwerker