Unproblematisches Treffen mit Küssel
Manuel E. hat sich selbst ein Bein gestellt und ist fulminant auf die Nase gefallen. So ließe sich der Prozess am 11. März kurz zusammenfassen. In elendslangen, ermüdenden Ausführungen versuchte er zu belegen, dass er alles übers Verbotsgesetz wisse und daher zu klug sei, um dagegen zu verstoßen. So weit hatte seine Klugheit allerdings nicht gereicht, dass er seine Aktivitäten nicht fortgeführt hätte, obwohl er von den laufenden Ermittlungen gegen ihn bereits wusste: Fahrt nach Wien und ein Treffen mit Gottfried Küssel, wovon der Verfassungsschutz ein schönes Erinnerungsfoto geknipst hat; am Tag danach ein Auftritt beim neonazistischen Honsik-Kongress – seine Ausflüchte nicht nur dafür wären reif für die Einreichung bei einem Satirepreis.
Küssel habe er nur getroffen, um ihn wegen einer Wohnung in Wien zu befragen und darüber, welche Viertel „gut“ seien und welche Kindergärten. Die Richterin: „Sie sind nicht auf die Idee gekommen, dass es ungeschickt wäre, während eines laufenden Verfahrens den bekanntesten Neonazi aus Österreich zu besuchen?“ Das war für Manuel E. „unproblematisch“.
Zum Honsik-Kongress sei er nur deshalb gegangen, um sich juristisch wegen der Ermittlungen gegen ihn beraten zu lassen. Bei einem Neonazi-Kongress? Dort habe er sich breitschlagen lassen und sei so am Rednerpult gelandet, wovon zwei Fotos zeugen. Jedoch: Beim Vortrag des Neofaschisten Davide Brancaglion habe er nur übersetzt; warum er auch beim Schweden Fredrik Vejdeland am Pult war, wurde dann nicht mehr erläutert – vermutlich deshalb, weil der Verfassungsschutz nur eines der beiden Fotos ausfindig gemacht hatte.
Im Neonazi-Milieu verhaftet
Doch E. war auch mit anderen Szenegrößen in Kontakt: 2017 wollte er den NSU-Unterstützer André Eminger in der Haft besuchen, in einer Sprachnachricht versuchte er, den auch wegen Mordes verurteilten deutschen Neonazi-Musiker Hendrik Möbus dazu zu bewegen, einen Vortrag in Wien (im zweiten Bezirk, also dort, wo Küssel sein Domizil hat) zu halten, um den CD-Verkauf bei „Scheitelträgern“ (Burschenschaftern) und „Glatzen“ (Skinheads) und weiteren „Kameraden aus Österreich“ anzukurbeln. Aber, so tönte der Osttiroler im Gerichtssaal, mit Möbus verbinde ihn nur die Begeisterung für „Black Metal“-Musik. Dass E. in die U‑Haft ausgerechnet Post aus Suben von dem zu zehn Jahren verurteilten Neonazi-Rapper Philip H. („Mr. Bond“) erhalten hatte, war dem Angeklagten zwar nicht anzulasten, zeugte jedoch ebenfalls vom Milieu, bei dem der Osttiroler Anklang gefunden hatte.
So wundert es nicht, dass der Prozess von einigen einschlägigen „Kameraden“ auch aus Deutschland beobachtet wurde. Das könnte suboptimal gewesen sein angesichts der Bemühungen von Kamerad E., dem Gericht zu beweisen, dass er aus dem Neonazismus ausgestiegen sei. Seine nationalen und internationalen Vernetzungen waren dann auch ein Argument, warum der Verfassungsschutz E. als „Hochrisiko-Gefährder“ eingestuft hatte.
Keine Meinung zum Nationalsozialismus
Dort, wo E. konkret werden hätte können, blieb er möglichst schwammig: Zum Nationalsozialismus, zu den industriellen Tötungen habe er keine Meinung, er mache sich dazu keine Gedanken, denn „das liegt ja in der Vergangenheit“. Diese Vergangenheit hinderte E. allerdings nicht daran, die Jahre des Nationalsozialismus nach dem Anschluss in einer Nachricht als „goldene Zeit“ zu bezeichnen, was dann vor Gericht wiederum so klang: „Ich hab damals nicht gelebt und kann es deswegen nicht beurteilen.“
So viel konnte E. dann doch beurteilen, dass er in einer weiteren Sprachnachricht in Wien eine „Hochkonzentration des Judentums“ konstatierte, den Schwager, durch dessen Anzeige die Ermittlungen gegen E. ausgelöst wurden, als „Untermensch“ diffamierte, von der Wiedereinführung des Deutschen Reichs faselte („Befreiung von der Befreiung“) und Rechte, die sich auf Aliens verlassen würden („Wehrkraftzersetzer”), zum „Steineklopfen nach Mauthausen“ schicken wollte.
Ein normaler Vorname
Immer wieder bezog sich E. auf seine verantwortungsvolle Rolle als fünffacher Familienvater. In der Lebensrealität des Kameraden E. sah das allerdings so aus, dass er versucht habe, seine 16-jährige Stieftochter nationalsozialistisch zu indoktrinieren, weswegen er ebenfalls angeklagt wurde. Bei E. seien nicht nur NS-Kinderbücher gefunden worden, er habe die Jugendliche auch zu rechtsextremen Veranstaltungen mitgenommen.
Seinem just am 20. April, also an Hitlers Geburtstag, geborenen jüngsten Sohn verpasste E. als Vorname den Nachnamen eines prominenten Nazi-Verbrechers. Der bewusste Bezug zum NS sei eine „Unterstellung“, konterte E., es sei „ein ganz normaler Vorname“. Diese Rechnung machte E. allerdings ohne die Staatsanwältin, die zuvor eine Namensabfrage durchgeführt hatte und feststellte: In Österreich gibt es diesen Vornamen nur einmal, nämlich in der Familie E..
18 Hauptfragen – 12 Schuldsprüche
Es waren schließlich 18 Hauptfragen, die die Geschworenen mit „schuldig“ oder „nicht schuldig“ zu beantworten hatten – vom Besitz von NS-Devotionalien und einschlägigen Druckwerken, der Zurschaustellung von Kleidung mit NS-Symbolen und NS-Propagandamaterial über Tattoos bis zu den diversen Sprachnachrichten und dem schwerwiegenden Vorwurf, sein Vaterverhältnis dazu ausgenutzt zu haben, um die Stieftochter indoktrinieren zu können.
Nach einem überlangen Verhandlungstag und mehr als vier Stunden Beratung kamen die Geschworenen dann zu einem recht eindeutigen Urteil: schuldig in zwölf von den 18 Hauptfragen, Freispruch in vier Fragen und unentschieden (4:4) in zwei Fragen. Die verhängten neun Jahre unbedingter Haft kommentierte ein „Kamerad“ im Gerichtssaal mit „Dreckspack“, womit er keinesfalls den Angeklagten gemeint hatte.
Prompt folgten auch die Reaktionen im Internet zum Urteil gegen den „Nationalisten“ Manuel E.: „Die Republik Österreich ist der repressivste Staat Europas“, lautete der Tenor. „Wir werden uns das nicht bieten lassen“, kündigte die Thüringer Szenegröße Thorsten Heise via Telegram an. Und er riet „jedem deutschen Touristen und allen, die Ostmark zu vermeiden“.
Da weder der Verteidiger René Schwetz noch die Staatsanwältin eine Erklärung abgegeben haben, ist das Urteil nicht rechtskräftig. Die Wahrscheinlichkeit, dass zumindest E. Rechtsmittel einlegen wird, geht jedoch gegen 100 Prozent.
Postscriptum
Manuel E. unterhält in den sozialen Medien einige Accounts. In einem seiner Facebook-Profile wimmelt es von rechtsextremen szenebekannten „Freunden“; mit dabei: der AUF1-Macher Stefan Magnet und der FPÖ-Haus- und Hofmaler Odin Wiesinger.
Update 20.3.24: Manuel E.s Verteidiger hat Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung angemeldet, die Staatsanwaltschaft Berufung (Quelle: Christof Mackinger). Damit geht das Verfahren in die nächste Instanz (bezgl. Nichtigkeit an den OGH, bzgl. Berufungen an das OLG Innsbruck). Sollte der Nichtigkeitsbeschwerde stattgegeben werden, müsste das Verfahren in der ersten Instanz wiederholt werden. Bei den Berufungen geht es nur um die Höhe der verhängten Strafe.
Update 7.8.24: Der OGH wies die Nichtigkeitsbeschwerden von E. ab, das Oberlandesgericht Innsbruck bestätigte am 8.8.24 das in der ersten Instanz verhängte Strafmaß. Damit ist E. rechtskräftig zu neun Jahren unbedingter Haft verurteilt.
Weiterführend:
➡️ Stoppt die Rechten (11.3.24): Manuel E.: Mit Kampfsport-Soundtrack zum Neonazi-Exportschlager
➡️ Stoppt die Rechten (22.6.21): Terrorsphära: der österreichische Neonazi-Export
Medienberichte zum Prozess:
➡️ Endstation Rechts (12.3.24): Neun Jahre Haft: Österreichischer Rechtsextremist wegen NS-Wiederbetätigung verurteilt
➡️ Kleine Zeitung (12.3.24): Osttiroler Nazi-Musiker zu neun Jahren Haft verurteilt
➡️ Dolomitenstadt (12.3.24): Neun Jahre Haft für Osttiroler Nazi-Netzwerker