Elitäre und reaktionäre Männerseilschaften sind ein politischer Faktor in Österreich. Besser bekannt sind sie unter dem Sammelbegriff Burschenschaften (1). Die völkisch-deutschnationale Version dieser intransparenten Bünde schlägt sich gerne mit Degen, manche kultivieren NS-Liedgut, andere veranstalten Abende mit Neonazis. Ihre Mitglieder stellen beinahe 40 Prozent im FPÖ-Parlamentsklub, sie sitzen folglich an den Schaltstellen des parlamentarischen Arms des Rechtsextremismus in Österreich. Vor diesem Hintergrund würde folgender Auszug aus einer aktuellen parlamentarischen Anfrage der FPÖ gar nicht schlecht klingen:
In einer pluralistischen und eigentlich transparenten Demokratie ist es höchst bedenklich, dass derart weitreichend vernetzte Geheimbünde offenbar unzählige Mitglieder in relevanten Führungspositionen des Staates installieren, darüber aber so gut wie keine Auskunft geben. Weder über Gründe [sic] dieser Mitgliedschaften, noch über Intentionen, Ziele oder gar mögliche Interessenskonflikte. (parlament.gv.at, 22.11.23)
Natürlich meint FPÖ-Generalsekretär Hafenecker (Nibelungia Wien) damit nicht sein eigenes Milieu antidemokratischer Seilschaften. Stattdessen geht es in der Anfrage um einen wahren Klassiker der Feindmarkierung, dessen Mobilisierung bei verschwörungsideologisch bewegten Rechten stets funktioniert: die Freimaurer. Hafenecker, der erst im September die FPÖ-Diffamierungskampagne gegen das DÖW einpeitschte, möchte diesmal um „Freimaurernetzwerke in Politik und Justiz“ wissen, z.B. wie viele Mitarbeiter*innen im Innen- bzw. Justizressort Freimaurer sind.
Demagogisches Raunen
Dass es dem Text um Suggestion geht, legt bereits der erste Satz nahe. Denn anstatt auf irgendeinen machtpolitisch relevanten Aspekt einzugehen – es soll sich ja schließlich um mächtige Hintermänner in Politik und Wirtschaft handeln – greift die FPÖ lieber einmal mehr den Fall des verurteilten Ex-Burgschauspielers Florian Teichtmeister auf und behauptet, dass dessen Mitgliedschaft bei den Freimaurern im „Zuge des Pädophilenskandals (…) prominent und durchaus unüblicherweise medial thematisiert“ (ebd.) worden sei.
Freilich weiß die FPÖ, dass ihre Demagogie auf fruchtbaren Boden fällt, so gab es bereits während des Prozesses gegen Teichtmeister Aufregung im rechten Medienuniversum und Demonstrierende hatten „vor dem Gerichtsgebäude über vermeintliche Verschwörungen von Pädophilen in der Politik und vermeintliche Einflussnahme auf das Urteil fabuliert“ (puls24.at, 12.12.23).
Entsprechend wurde die Anfrage im FPÖ-nahen Mediensumpf dann inhaltlich ausgebaut und zum Teil deutlicher in das rhetorische Register der antisemitischen Verschwörungsphantastik übersetzt. So freut sich das identitäre Online-Medium „Der Status“ (2) darüber, dass die FPÖ „Dunkle Strippenzieher ans Licht“ holen wolle und spricht zudem von „Schattennetzwerke[n]“ und einer „Unterwanderung des Staates“; außerdem fänden sich angeblich in allen „Systemparteien“ Personen „die der organisierten Freimaurerei nahestehen“; und die „größten Skandale der Republik“ würden die „Gerichte am Ende wieder in irgendwelche Logen“ führen.
Routinen rechter Verschwörungsphantastik
Nichts davon ist neu oder überraschend. Bereits in dem bis heute beliebten antisemitischen Pamphlet „Protokolle der Weisen von Zion“ (1920 erstmals auf Deutsch erschienen), das bekanntlich auch großen Einfluss auf die Nazis ausübte, wurde der Wahn von einer jüdisch-freimaurischen Weltverschwörung verbreitet. Zudem stehen die fünf Leitsätze der Freimaurer – Toleranz, Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit und Humanität – rechter Ideologie entgegen und triggern völkische Ängste vor Gemeinschaftszersetzung.
Auch die tendenziöse Verbindung zwischen Verschwörung und Pädophilie ist nicht überraschend. Hier echot die lange Geschichte der antisemitischen Ritualmordlegende, die zuletzt insbesondere im Rahmen der US-amerikanischen – aber inzwischen global verbreiteten – QAnon-Ideologie aktualisiert wurde als die Vorstellung, globale Eliten seien ein Netzwerk aus satanischen Kinderschändern und ‑mördern.
Vor diesem Hintergrund braucht die FPÖ nichts zu tun, als Andeutungen zu machen – die anvisierte Zielgruppe versteht zuverlässig. Wenn die Mächtigen in die Nähe von Pädokriminalität gerückt werden, adressiert dies zugleich bei der Eigengruppe ein Gefühl von „Normalität“, das stets gut an völkische Homogenitätsvorstellungen anknüpfen kann und – mehr noch – an die weiterhin sehr mobilisierungsfähige Agitation gegen Geschlechtsidentitäten und sexuelle Orientierungen, die von einer Hetero- und Kernfamiliennorm abweichen.
So wundert es nicht, dass die aktuelle parlamentarische Anfrage von Rechtsaußen bei weitem nicht die erste zum Thema „Freimaurer“ ist. Am engagiertesten hat sich in dieser Tradition der Ex-FPÖ und ‑BZÖ-Politiker Ewald Stadler erwiesen. Der christliche Fundamentalist hat als FPÖ-Parlamentarier bereits in den späten 1990er Jahren mehrere verschwörungsideologisch untermalte Anfragen mit Freimaurer-Bezug gestellt. Das DÖW dokumentiert zu diesem Kreuzzug im Jahr 2006:
Laut einem am 2. Oktober auf kreuz.net veröffentlichten Bericht behauptete der einflussreiche FPÖ-Politiker [Stadler, Anm. SdR] dort, dass „die EU das wichtigste Instrument der freimaurerischen Politik sei“. Gegenwärtig seien die „Maurer […] damit beschäftigt, eine Zivilreligion mit dem Holocaust als Zentrum aufzubauen“. Laut Stadler steht die freimaurerische Weltverschwörung hinter Revolutionen und Umstürzen, alle Staaten versuche sie unter ihre „Kontrolle“ zu bringen. (doew.at)
Bevor der politische Wendehals Stadler im Jahr 2008 zu Haiders BZÖ wechselte, beschimpfte er sogar diesen als „Freimaurer“.
Wie gut der Glaube an eine jüdisch-freimaurerische Verschwörung dazu taugt, das eigene Versagen auf böse Machenschaften zu schieben, bewiesen im Jahr 2020 jene Dossiers, die bei Ex-FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache im Rahmen einer Hausdurchsuchung gefunden wurden. Darin mutmaßt Strache detailliert, dass er Opfer einer Verschwörung sei, an deren Spitze die Israelitische Kultusgemeinde (IKG), die ÖVP und Freimaurer stünden.
Blaue Heuchelei
Abschließend folgt hinsichtlich der blauen Heuchelei, wenn es um Hetze gegen echte oder vermeintliche Pädophile geht, ein langes Zitat aus einem Vortrag, den der Publizist Hans-Henning Scharsach kürzlich hielt. Denn prägnanter lässt es sich kaum pointieren:
Den Fall Teichtmeister nützte die FPÖ wieder einmal, um sich in großer Pose als Vertreterin von Recht und Ordnung zu gebärden. Sie forderte härtere Strafen für Sexualdelikte – bis hin zu lebenslänglich.
Ich darf daran erinnern: 2004 wurden auf dem PC des freiheitlichen Fraktionsobmannes in Linz kinder-pornographische Darstellungen gefunden. Die Staatsanwaltschaft legte den Fall nieder, weil alle FPÖ-Mitarbeiter aussagten, dass viele Personen Zugang zu dem PC hatten und sich der Schuldige daher nicht eruieren ließ.
2005 wiederholte sich das: Wieder fand man auf einem Computer der oberösterreichischen Freiheitlichen kinderpornographisches Material. Wieder wurde der Fall von der Staatsanwaltschaft zurückgelegt – aus den gleichen Gründen wie ein Jahr zuvor.
2007 wurde ein burgenländischer Ortsparteichef der FPÖ rechtskräftig verurteilt. Er hatte kinderpornographisches Material aus dem Internet heruntergeladen, gespeichert und Jugendlichen zugänglich gemacht. Von Journalisten aufgedeckt wurde das allerdings erst 2009. Zwei Jahre war der Vorbestrafte in all seinen FPÖ-Funktionen geblieben.
2011 berichtete der ORF Niederösterreich von einem der Kinderpornographie verdächtigen FPÖ-Politiker, der im Verhör zugab, mit einer Mutter über sexuelle Dienstleistungen ihrer minderjährigen Tochter verhandelt zu haben.
2016 wurden auf dem PC eines FPÖ-Betriebsrates der Tiroler Polizei, den die Freiheitlichen zweimal für das Europäische Parlament hatten kandidieren lassen, pornographische Darstellungen Minderjähriger gefunden.
Aber es blieb nicht immer bei fotografischen Darstellungen. Auch hier gibt es einen oberösterreichischen Fall: 2015 wurde ein freiheitlicher Vizebürgermeister aus dem Bezirk Wels-Land zu zwölf Monaten teilbedingt verurteilt, der seine zehnjährige Enkelin missbraucht hatte. (stopptdierechten.at, 17.10.23)
Fußnoten
1 Der Politikwissenschaftler und DÖW-Mitarbeiter Bernhard Weidinger hat das entsprechende Standardwerk zu österreichischen akademischen Burschenschaften in der Zweiten Republik verfasst – den Volltext gibt es hier gratis zum Download.
2 „Dunkle Strippenzieher ans Licht holen: FPÖ stellt Anfragen zu Freimaurer-Netzen“, 12.12.2023, eingesehen auf der Website von „Der Status“ am 20.12.2023