Viel wird gegenwärtig über linken und islamistischen Antisemitismus diskutiert. Zu Recht. Fast gar nicht wird seit dem 7. Oktober über den originären Antisemitismus, jenen von rechts, diskutiert. Der maskiert sich aktuell gern mit antimuslimischem Rassismus. Manchmal vergisst er aber auf die Schminke. Etwa bei der „Neutralitätsdemo“ des rechtsextremen Aktivisten Martin Rutter am 4. November. Dort wurde der Hamas-Terror öffentlich gerechtfertigt.
Die von Rutter organisierten Demonstrationen verlaufen immer nach demselben Schema: Egal, wofür bzw. wogegen demonstriert wird, angeklagt werden die „Globalisten“. Dieser antisemitische Code setzt den Grundton für die verschwörungsideologische Agitation, die sich dann flexibel an unterschiedlichen Hirngespinsten abarbeitet: mal gegen „Frühsexualisierung“, mal gegen „Impfungen“, auch mal gegen den „Insektenfraß“, der dem armen Volk vorgesetzt würde und natürlich gegen „verbrecherische Politiker“, denen man nur mit viel Rutter beikommen könne. Am 4. November rief der Berufsdemagoge für die „Neutralität“ und den „Frieden mit Russland“ auf die Straßen Wiens.
Wie bei jeder Rutter-Demo gab es viele Reden des Protagonisten und einige Einlagen von anderen dazwischen. Neben Verserln von Susanne Helfenbein war auch eine Rede von Inge Rauscher zu hören. Rauscher ist die Proponentin der deutlich rechtsextrem gestrickten Initiative „Heimat & Umwelt“, die vorzugsweise im Bereich EU-Austritt dilettiert.
Bei der Rutter-Demo, die eigentlich dem Thema Neutralität gewidmet sein sollte, verlas sie aber nach einleitenden Worten über das „schreckliche Geschehen im Gaza-Streifen“ (ohne Erwähnung des Hamas-Massakers) eine Stellungnahme der Anwältin Eva-Maria Barki, die schon in ihren Einleitungssätzen klar machte, woher bei ihr der Wind weht:
Am 7. Oktober hat die Hamas vom Gazastreifen aus massive Raketenangriffe gestartet, die von Israel nicht abgewehrt wurden, sondern hat Israel in der Folge massive Vergeltungsmaßnahmen nicht nur gegen die Hamas, sondern gegen alle Palästinenser im Gazastreifen begonnen.
Kein Wort des Bedauerns, ja nicht einmal eine Erwähnung des initialen Ereignisses vom 7. Oktober, des Terrormassakers der Hamas. Ganz im Gegenteil: Es wird sogar bezweifelt, ob Israel wirklich überrascht worden sei und als Draufgabe sogar eine israelische False-Flag-Aktion angedeutet.
Nachdem so – klarerweise ohne jeden Beleg – in den Raum gehetzt wurde, dass die Israelis weit über tausend jüdische Menschen selbst abgeschlachtet oder dies zumindest wissentlich in Kauf genommen hätten, geht das antisemitische Pamphlet zur vollen Rechtfertigung des Hamas-Terrors über. Wir zitieren hier die wichtigsten Passagen aus der Rede von Eva-Maria Barki im Wortlaut:
Der Terrorangriff der Hamas ist daher zur Durchsetzung des Rechts des palästinensischen Volkes zu verstehen, welches nicht nur aufgrund des völkerrechtlichen Selbstbestimmungsrechtes, sondern sogar aufgrund des Beschlusses der Vereinten Nationen das Recht auf einen eigenen Staat hat.
Die Angriffe der Hamas auf Israel erfolgten daher eindeutig zur Durchsetzung des Selbstbestimmungsrechtes der Palästinenser. Hierbei ist die Terrorresolution der Vereinten Nationen von 1988 zu beachten, mit welcher Terrorismus verboten wird, jedoch mit Ausnahme von Terroraktionen im Kampf um das Selbstbestimmungsrecht. (…)
Zu unterstützen sind daher nicht die als Völkermord zu qualifizierenden gegen die Bevölkerung in Gaza gerichteten Aktionen, sondern die Erfüllung der Selbstbestimmungsansprüche der Palästinenser durch Anerkennung ihres Staates zur Herstellung einer Friedensordnung im Nahen Osten. Hierzu ist der Druck westlicher Staaten auf Israel erforderlich und sind bis zur Erreichung dieser Ziele die Terroraktionen der Hamas bzw. der Palästinenser gerechtfertigt.
Zur Klarstellung: Es gibt kein durch die Vereinten Nationen verbrieftes Recht auf Terror. Auch nicht im Kampf um Selbstbestimmung – in keinem einzigen Dokument. Auch nicht in einem aus dem Jahr 1988, in dem Palästina seine Eigenstaatlichkeit erklärt hat. Was es tatsächlich gibt, ist eine Resolution aus dem Jahr 2006 (1), die sich sehr deutlich gegen jeglichen Terrorismus ausspricht und entsprechende Maßnahmen gegen diesen einfordert.
Was da bei der Rutter-Demo in Wien öffentlich und ohne jeglichen Widerspruch verkündet wurde, war eine ganz offene Rechtfertigung des Massakers der Terrororganisation Hamas. Und es war folglich Antisemitismus pur, und zwar in seiner Israel-bezogenen Version, die sich gegenwärtig global bahnbricht und freilich auch bei der extremen Rechten, den originären Antisemit*innen, verfängt.
Fußnoten
1 hier auf Deutsch als pdf-Datei