Der Begriff „Querfront“ bezeichnet politische Positionen und Organisationen, die rechte und linke Ideologieelemente im Rahmen einer geteilten antiemanzipatorischen Programmatik vermischen. (1) In den letzten Jahren hat der Begriff sowohl im Gefolge der Covid19-Pandemie ab 2020 als auch mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine ab 2022 an Relevanz gewonnen, denn beide Krisen haben zu sichtbaren und medial breit diskutierten Querfrontbildungen geführt: zum einen die sich mitunter links gebenden, esoterisch und verschwörungsaffin ausgerichteten Impfgegner*innen, deren Protest sich schnell und ohne Widerstand in ein rechtes Narrativ unter lautstarker Führung der FPÖ überführen ließ. Zum zweiten jene Stimmen von links und rechts, die das rechtsextreme Putin-Regime unter den Vorzeichen eines verschwörungsideologisch untermalten Antiamerikanismus unterstützen bzw. verharmlosen. So unterschiedlich beide Phänomene in ihrer Binnenlogik sein mögen, so sehr handelt es sich doch klar um Positionen und Bündnisse mit übereinstimmenden „autoritären Dispositionen, kollektivistischen Freund-Feind-Konstruktionen und verschwörungstheoretischen antisemitischen Welterklärungen“ (Rensmann 2004, 11f). Verschwörungsideologie, Antiamerikanismus und (israelbezogener) Antisemitismus bilden die wesentlichen ideologischen Schnittmengen für Querfrontbildungen.
Das Thema Nahostkonflikt ist hier folglich besonders bedeutsam, denn es erlaubt, antisemitische, antiisraelische und antiamerikanische Ressentiments im Gewand einer konkreten Herrschaftskritik zu artikulieren, die sich oftmals antikapitalistisch gibt, sich geopolitisch auf die Seite unterdrückter „Völker“ stellt und mit enorm starker moralischer Aufladung daherkommt.
Seit dem von der Terrororganisation Hamas am 7. Oktober in Israel verübten Massaker finden unter eben dieser geteilten Prämisse antisemitische Aufmärsche statt, deren teilnehmende Organisationen Allianzen von islamistischen, linken und rechten Akteuren bilden.
Idealtypisches Beispiel: AIK
Unter diesen Akteuren ist die im Jahr 2000 gegründete „Antiimperialistische Koordination“ (AIK) nicht nur ein besonders lautes, sondern auch ein ideologisch idealtypisches Beispiel für einen Querfront-Verein, dessen „Antisemitismus im linken Gewand“ das Dokumentationsarchiv des öst. Widerstandes (DÖW) bereits im Jahr 2003 erkannte. Als Spielart der Bewegungslinken hat sich der Antiimperialismus zu großen Teilen spätestens seit dem Ende der Blockkonfrontation in ein „quer zur politischen Spaltung in Linke und Rechte liegendes Ressentiment“ entwickelt, wie das antifaschistische Bündnis „Aktion gegen Antisemitismus in Österreich“ in einem Beitrag von 2003 analysiert (2), in dem auch die antiemanzipatorische Stoßrichtung der AIK bereits umfassend dokumentiert ist:
Die Organisation glorifiziert seit ihrem Bestehen autoritäre Regime (etwa den Irak unter Saddam Hussein) und islamistische Selbstmordattentäter als antiimperialistischen Widerstand, sie plädiert für die Vernichtung von Israel bzw. des Zionismus und begrüßte ganz offen den Terroranschlag vom 9/11 – Letzteres in seinem Hass gegen ein angebliches „US-Imperium“ rhetorisch deckungsgleich mit Neonazis wie etwa Horst Mahler und auch mit Akteuren des „neurechten“ israelbezogenen Antisemitismus.
Terrorglorifizierung und Antisemitismus nach dem 7. Oktober
Die Organisation mit Sitz in Wien wird von dem Aktivisten und Autor (3) Wilhelm Langthaler geleitet. Der Grazer ist auch der Kopf hinter der Organisation „Palästina Solidarität Österreich“ (PSÖ), die dieselbe Anschrift wie die „Antiimperialistische Koordination“ hat, als deren Subverein gelten kann und seit dem 7. Oktober als Organisator von anti-israelischen Kundgebungen auftritt.
Er organisiert Israelfeindliche Demos in Wien, nebenbei befürwortet er den Überfall Russlands auf die Ukraine. https://t.co/xIQAuQt97B
— Markus Sulzbacher (@msulzbacher) November 25, 2023
Am Tag des Massakers, am 7. Oktober, veröffentliche die AIK einen Artikel mit dem Titel „Der palästinensische Widerstand lebt“ (4), worin die Attacke der Hamas unverhohlen gefeiert wird. Trotz des detaillierten Bekanntwerdens der verübten Gräuel – der massenhaften Vergewaltigungen, Folterungen und barbarischen Morde an Zivilist*innen, die vielfach live gestreamt wurden – hat die AIK ihr Kurzpamphlet bis heute nicht geändert.
In einer an verlogenem Zynismus kaum zu überbietenden Verharmlosung heißt es dort: „Die Militäroperation ‚Al-Aksa-Flut‘ feuerte Raketen und drang über die abgeschirmte Gaza-Grenze in israelisch beherrschtes Territorium vor. Es gelang, israelische Militärs gefangen zu setzen.“ Nach dieser Leugnung des antisemitischen Massakers lassen die „Revolutionär*innen“ wissen: „Die Antiimperialistische Koordination begrüßt das starke Signal des palästinensischen Widerstandes, das seine Kraft und seine Einigkeit in ganz Palästina unter Beweis stellt.“
In einem weiteren Artikel (5) nach dem 7. Oktober, der den bekanntesten Slogan des israel-bezogenen Antisemitismus schon im Titel trägt („From the River to the Sea“), werden die Palästinenser*innen als „ursprüngliche Bevölkerung“ des Gebiets bezeichnet, was den virulenten völkischen Aspekt antiimperialistischer Ideologie betont. Ganz in der Tradition des linken Befreiungsnationalismus stehend, wird das subalterne Kollektiv unter völkischen Vorzeichen homogenisiert. Eine Regression des Antiimperialismus, die der Politikwissenschaftler Samuel Salzborn so gefasst hat: „Klassengegensätze wurden zu Gegensätzen zwischen Völkern umdefiniert.“ (Salzborn 2018, S. 89) Nur Israel wird in diesem Weltbild kein eigenständiger Nationalismus zugestanden, weil es wie kein anderer Staat – abgesehen von den USA, die als „US-Imperium“ imaginiert werden – mit westlicher Zivilisation und einem angeblich imperialen und (volks-)zersetzenden Liberalismus assoziiert wird.
Grobe NS-Relativierung und entmündigendes Opfernarrativ
Am 30. Oktober, als das Ausmaß der Hamas-Gräuel bereits bekannt war, erklärte Langthaler in einem Interview mit „profil“ eiskalt: „Der palästinensische Kampf gegen das Apartheidsregime Israel ist kein Mädchenpensionat.“ Diese offene Affirmation von antisemitischer Gewalt hat ihre Entsprechung in einer weiteren Zuspitzung der Dämonisierung, die Israel mit dem NS-Regime vergleicht: „Der Ausbruchsversuch der Palästinenser aus dem Freiluftgefängnis Gaza kann mit dem Ausbruchsversuch der Juden aus dem Warschauer Ghetto verglichen werden. Hierbei verübten Juden aus Sicht der Nazis auch terroristische Akte.” (profil.at, 30.10.23)
Sehr auffällig an der antiimperialistischen Diktion ist, dass das Identifikationsobjekt (das unterdrückte Volk), sobald es um Gewalt geht, nicht als autonomes politisches Subjekt gedacht wird, sondern immer nur reaktiv. So erklärt Langthaler im Interview: „Der Islamismus der Hamas ist Folge der israelischen Besatzung.“ Oder auch: „Die iranische Revolution gegen den persischen Schah 1979 war eine Reaktion auf den US-Imperialismus.“ An allem ist der Imperialismus schuld, jedes Aufbegehren gegen ihn ist quasi Notwehr und, unabhängig von den politischen Zielvorstellungen der aufbegehrenden Gruppe, erwünscht und „widerständig“.
Im zweiten Teil dieses Beitrags wird es um jene Organisationen gehen, die gegenwärtig auf den Straßen Wiens bei israel-feindlichen Demos und Kundgebungen im Rahmen einer Querfront gegen Israel sichtbar werden.
➡️ Antisemitische Querfront gegen Israel (II): PSÖ, BDS, Dar al Janub, Der Funke
➡️ Antisemitische Querfront gegen Israel (III): Sprachrohre zwischen Antiimperialismus und Islamismus: von Schöndorfer zu Gowayed
Fußnoten
1 Historisch reicht das Phänomen in die Weimarer Republik zurück, wo Vertreter der – später so genannten – „konservativen Revolution“ bereits versuchten völkischen Nationalismus mit revolutionärem Sozialismus zu vereinen, was später im Nationalsozialismus kulminierte.
2 Die Initiative „Aktion gegen den Antisemitismus in Österreich“ ist ein dem Dokumentationsarchiv des öst. Widerstandes (DÖW) zugehöriger Zusammenschluss. In dem oben zitierten Artikel zur AIK wurde auch der Antiimperialismus als Ideologie in einer bis heute gültigen Form definiert:
Der Antiimperialismus ist zur Weltanschauung verkommen. Als solche frönt er einem grandiosen Manichäismus, welcher die Welt in gut und böse einteilt. Er ist gekennzeichnet durch ein binäres und personalisierendes Denken, das eine Clique von bösen Herrschenden („Hintermänner”, „Bonzen”, „Globalisierer” usw.) annimmt, welche mit Trug und List oder Repression die guten Beherrschten („unterdrückte Völker”) niederhalten. Soziale und politische Herrschaft in den abhängigen Peripherien wird reduziert auf „Fremdherrschaft”, gegen welche sich das essentialistisch gefasste „Volk” auflehnen müsse. Im Befreiungsnationalismus werden die sozialen und politischen (…) Im antiimperialistischen Weltbild ist alles gut und richtig, was dem Imperialismus (v.a. den USA und Israel) schadet. Das geht sogar bis zur Legitimation von Terror und Solidarisierung mit islamistischen Mörderbanden.
3 Langthaler veröffentlichte etwa im antiimperialistisch ausgerichteten „Promedia“-Verlag gemeinsam mit Werner Pirker ein Buch mit dem klingenden Namen „Ami go Home: Zwölf gute Gründe für einen Antiamerikanismus“ (2003).
4 „Der palästinensische Widerstand lebt!“, 07.10.2023, eingesehen auf der Website der AIK am 05.12.2023
5 „Demokratie – from the river to the sea“, 23.10.2023, eingesehen auf der Website der AIK am 05.12.2023
Literatur
Rensmann, Lars (2004): Demokratie und Judenbild. Antisemitismus in der politischen Kultur der Bundesrepublik Deutschland. Wiesbaden: Springer VS
Salzborn, Samuel (2018): Globaler Antisemitismus. Eine Spurensuche in den Abgründen der Moderne. Basel: Beltz Juventa