Seit dem Massaker an über 1400 Menschen in Israel durch die Terroristen der Hamas und ihrer Gehilfen erleben Juden und Jüdinnen „zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg Antisemitismus auf Weltniveau“, so die israelische Soziologin Eva Illouz in einem Essay, der auch mit den Reaktionen großer Teile der Linken nach dem 7. Oktober bitter abrechnet. Dieser global eskalierende Antisemitismus hat nun auch den Wiener Unicampus in Form von zahlreichen großflächig gesprayten Schriftzügen erreicht: Es handelt sich bei dem Gesprayten um jene Sprüche, die gegenwärtig weltweit von Islamist*innen und angeblichen „Linken“ bei Demonstrationen gegen Israel skandiert werden. Die Jüdische österreichische Hochschüler*innenschaft (JöH) hat dazu einen Tweet mit Belegfotos veröffentlicht. Der Text endet mit dem alarmierenden Satz: „Jüdische Studierende fühlen sich an Universitäten zur Zeit nicht sicher.“
Der zweifellos bekannteste unter den Slogans lautet: „From the river to the sea, Palestine will be free“. Dabei handelt es sich um einen Code für die Forderung zur Auslöschung Israels und zur Errichtung eines palästinensischen Staates zwischen dem Jordan (river) und dem Mittelmeer (sea), also der gesamten Fläche Israels.
Ebenfalls unter den Slogans finden sich die beliebten, historisch wie politisch falschen Behauptungen, Israel sei ein Apartheid-Staat („End Apartheid“) und ein Kolonialregime („End Settler Colonialism“). Mit diesen Zuschreibungen wird die einzige Schutzmacht von Juden und Jüdinnen, die etwa so groß ist wie Niederösterreich und seit ihrem Bestehen von feindlich gesinnten Mächten umgeben ist, immer wieder verschwörungsideologisch als eine übermächtige Terrormacht dämonisiert und delegitimiert. Solches Brandmarken hilft dabei, die komplexe Historie des sogenannten Nahostkonflikts in einer moralisierenden Eindeutigkeit aufzulösen und somit eine zentrale Konfliktursache vollständig auszublenden: den Antisemitismus der palästinensischen und arabischen Eliten (und Bevölkerungen), der bereits vor der Staatsgründung Israels in der Region virulent war und keinesfalls als bloße Reaktion auf die israelische Besatzungspolitik interpretiert werden kann. Dazu der Autor und Historiker Doron Rabinovici:
Schon lange vor der Gründung Israels hetzten die islamistischen Führer gegen Juden. Die Hamas entstand indes erst in den 1980er-Jahren. Von Anfang an ging es ihr darum, jede Möglichkeit zur Verständigung und Einigung zwischen der palästinensischen und der israelischen Nation zu vereiteln. Den Beginn des Friedensprozesses von Oslo im Jahr 1993 unterminierte und durchkreuzte sie mit einer Welle fürchterlicher Selbstmordattentate. (profil.at, 15.10.23)
Auch die gegenwärtig besonders häufig bediente Lüge, Israel begehe einen Genozid („Stop Genocide“), wurde an eine Campus-Wand gesprayt. Hierbei handelt es sich um eine perfide Täter-Opfer-Umkehr, die auf Israel projiziert, was die Hamas tatsächlich offiziell fordert (etwa in ihrer Gründungscharta 1988) und was sie nun live gestreamt in einem bis dato unvorstellbaren Ausmaß unter Beweis gestellt hat. Seit 7. Oktober weiß die Welt, was passiert, wenn Hamas-Terroristen ihren Gelüsten ungebremst nachgehen können: genozidales und unterschiedsloses Morden, Foltern und Vergewaltigen von Juden und Jüdinnen. Zudem missbraucht die Terrortruppe die Bevölkerung in Gaza völlig unverhohlen für ihren faschistoiden Märtyrer-Kult, wobei der Tod von Menschen billigend für mediale Horrorbilder in Kauf genommen wird.
Seit dem Massaker vom 7. Oktober zeigt sich in verstärkter Deutlichkeit, wie verbreitet Antisemitismus bis weit in sich als „links“ verstehende Kreise hinein ist. Dies betrifft nicht nur autoritäre antiimperialistische Sekten, sondern auch große Teile einer Linken, die sich Antirassismus und postkoloniale Theorie auf die Fahne schreiben, von Antisemitismus aber nichts wissen wollen, sondern den Terror zum Teil sogar als „Widerstand“ abfeiern. Hier kommt eine über Jahre eingeübte Blaupausen-Analyse zum Zug, die von einem manichäischen Weltbild ausgeht, das die Historikerin Isolde Vogel in einem „Standard“-Beitrag so pointierte:
Antisemitismus zeichnet sich durch ein Denken aus, das nur in Gut oder Böse unterscheiden kann. Dem Narrativ des homogenen, guten, „unterdrückten palästinensischen Volks“ folgt die Gegenüberstellung eines das absolute Böse verkörpernden „imperialistischen Siedlerstaats Israel“. (derstandard.at, 13.10.23)
So werden die Palästinenser*innen ausschließlich zu Opfern verklärt und die ideologischen Zielvorstellungen ihrer machthabenden Gruppen entweder ausgeblendet oder aber direkt bejaht. Wobei mit „der ‚Zauberformel‘ des Antizionismus (…) gleichzeitig gegen Israel agitiert und Distanz zum Antisemitismus demonstriert“ werden kann, wie der DÖW-Mitarbeiter Andreas Peham in seinem Buch „Kritik des Antisemitismus“ (S. 171) schreibt.
Gar nicht mehr bemüht um die Optik einer solchen Distanz und endgültig entlarvend ist der folgende gesprayte Spruch: „Free Palestine from German and Austrian Guilt“ (dt.: „Befreit Palästina von deutscher und österreichischer Schuld“). Hier wird die typisch rechtsextreme Abwehr von deutsch-österreichischer Schuld an den NS-Verbrechen (im rechtsextremen Szene-Jargon ist gerne von „Schuldkult“ die Rede) beinahe direkt übernommen und auf Israel übertragen, nach dem Motto: Der jüdische Staat profitiert von den falsch verstandenen Schuldgefühlen der beiden postnazistischen Staaten.
Isolde Vogel schreibt dazu in einem Thread auf X: „Es wird die Vorstellung bedient, Israelis (also Juden) würden aus dem Holocaust Nutzen ziehen, hätten die Welt und Medien unter Kontrolle, seien unantastbar. Das ist schuldabwehrender Antisemitismus mit dem Ziel sich von historischer Schuld und Verantwortung zu befreien.”
Im Folgenden ein paar Worte zur Erklärung:
„From the river to the sea“ drückt den Wunsch nach der Vernichtung Israels (zwischen dem Jordan und dem Mittelmeer) aus—wir haben am 7. Oktober gesehen wie ein „Free Palestine“ aktuell aussähe.— Isolde Vogel (@Isolde__Vogel) October 30, 2023
Vor diesem Hintergrund ist der ebenfalls an eine Campus-Wand gesprayte Spruch „Antifa means free Palestine“ (dt. Antifaschismus heißt, befreie Palästina) als endgültiger Irrwitz zu qualifizieren, insbesondere weil er bewusst im direkten Nachhall des größten antisemitischen Pogroms und Massakers seit 1945 angebracht wurde. Diese „Linken“ unterstützen eine Organisation, die so ziemlich jedes Bestimmungsmerkmal von Faschismus übererfüllt: Antisemitismus, Antifeminismus, Hass gegen LGBTIQ+-Personen, soldatischer Männlichkeits‑, Gewalt- und Todeskult, Hass auf Liberalismus und Hedonismus etc.
Das islamistische Massaker, das offenkundig in seinem ganzen Ausmaß geplant war, zielt auf die Tilgung jeglicher Ambivalenzen und möglicher Annäherungen und auf die Etablierung eines totalen Freund-Feind-Schemas. Auch das ist Teil der islamistischen Logik, denn, wie der Historiker Volker Weiß in der „Süddeutschen Zeitung“ (30.10.23) schreibt, Islamisten „hassen die Grauzone. Sie bekämpfen besonders jene Bereiche, deren reine Existenz die eigene freudlose Lehre widerlegen, pluralistische und ausdifferenzierte Gesellschaften, Friedensfestivals, Raves oder gemeinschaftlich organisierte Kibbuzzim.“
Wer solchen Terror, der von einer solchen Ideologie getragen ist, als „Widerstand“ oder „Dekolonisierung“ verharmlost oder gar feiert, hat mit Antifaschismus nichts zu tun, sondern macht sich zum Gegenstand von notwendigem Antifaschismus. Denn Antifaschismus bedeutet sich gegen autoritäre Krisenverarbeitung und Menschenfeindlichkeit zu stellen – und es bedeutet immer und überall gegen Antisemitismus aufzustehen, egal ob dieser rechts, islamistisch oder links geprägt ist.
Der zitierte Spruch müsste also heißen: „Antifa means free Palestine from Hamas“. Zum Glück haben mit Israel solidarische Antifaschist*innen entsprechende Korrekturen am Uni-Campus vorgenommen.
➡️ Hamas: Vernichtungsantisemitismus in Grundsatzdokumenten
Literatur
Peham, Andreas (2022): Kritik des Antisemitismus. Stuttgart: Schmetterling Verlag