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Antisemitismus: Die Slogans einer globalen Pogromstimmung

Am 29. Okto­ber wur­de der Wie­ner Uni­cam­pus mit jenen Slo­gans des israel­be­zo­ge­nen Anti­se­mi­tis­mus besprüht, die gegen­wär­tig in zahl­rei­chen Städ­ten auf der gan­zen Welt skan­diert und in unzäh­li­gen Social-Media-Posts her­um­ge­reicht wer­den. Eine Ein­ord­nung und eine Posi­tio­nie­rung. Seit dem Mas­sa­ker an über 1400 Men­schen in Isra­el durch die Ter­ro­ris­ten der Hamas und ihrer Gehil­fen erle­ben Juden und […]

3. Nov 2023

Seit dem Mas­sa­ker an über 1400 Men­schen in Isra­el durch die Ter­ro­ris­ten der Hamas und ihrer Gehil­fen erle­ben Juden und Jüdin­nen „zum ers­ten Mal seit dem Zwei­ten Welt­krieg Anti­se­mi­tis­mus auf Welt­ni­veau“, so die israe­li­sche Sozio­lo­gin Eva Ill­ouz in einem Essay, der auch mit den Reak­tio­nen gro­ßer Tei­le der Lin­ken nach dem 7. Okto­ber bit­ter abrech­net. Die­ser glo­bal eska­lie­ren­de Anti­se­mi­tis­mus hat nun auch den Wie­ner Uni­cam­pus in Form von zahl­rei­chen groß­flä­chig gespray­ten Schrift­zü­gen erreicht: Es han­delt sich bei dem Gespray­ten um jene Sprü­che, die gegen­wär­tig welt­weit von Islamist*innen und angeb­li­chen „Lin­ken“ bei Demons­tra­tio­nen gegen Isra­el skan­diert wer­den. Die Jüdi­sche öster­rei­chi­sche Hochschüler*innenschaft (JöH) hat dazu einen Tweet mit Beleg­fo­tos ver­öf­fent­licht. Der Text endet mit dem alar­mie­ren­den Satz: „Jüdi­sche Stu­die­ren­de füh­len sich an Uni­ver­si­tä­ten zur Zeit nicht sicher.

Der zwei­fel­los bekann­tes­te unter den Slo­gans lau­tet: „From the river to the sea, Pal­es­ti­ne will be free“. Dabei han­delt es sich um einen Code für die For­de­rung zur Aus­lö­schung Isra­els und zur Errich­tung eines paläs­ti­nen­si­schen Staa­tes zwi­schen dem Jor­dan (river) und dem Mit­tel­meer (sea), also der gesam­ten Flä­che Israels.

"From the river to the sea" – Slogan für die Auslöschung Israels (Campus Uni Wien © SdR)
„From the river to the sea” – Slo­gan für die Aus­lö­schung Isra­els (Cam­pus Uni Wien © SdR)

Eben­falls unter den Slo­gans fin­den sich die belieb­ten, his­to­risch wie poli­tisch fal­schen Behaup­tun­gen, Isra­el sei ein Apart­heid-Staat („End Apart­heid“) und ein Kolo­ni­al­re­gime („End Sett­ler Colo­nia­lism“). Mit die­sen Zuschrei­bun­gen wird die ein­zi­ge Schutz­macht von Juden und Jüdin­nen, die etwa so groß ist wie Nie­der­ös­ter­reich und seit ihrem Bestehen von feind­lich gesinn­ten Mäch­ten umge­ben ist, immer wie­der ver­schwö­rungs­ideo­lo­gisch als eine über­mäch­ti­ge Ter­ror­macht dämo­ni­siert und dele­gi­ti­miert. Sol­ches Brand­mar­ken hilft dabei, die kom­ple­xe His­to­rie des soge­nann­ten Nah­ost­kon­flikts in einer mora­li­sie­ren­den Ein­deu­tig­keit auf­zu­lö­sen und somit eine zen­tra­le Kon­flik­t­ur­sa­che voll­stän­dig aus­zu­blen­den: den Anti­se­mi­tis­mus der paläs­ti­nen­si­schen und ara­bi­schen Eli­ten (und Bevöl­ke­run­gen), der bereits vor der Staats­grün­dung Isra­els in der Regi­on viru­lent war und kei­nes­falls als blo­ße Reak­ti­on auf die israe­li­sche Besat­zungs­po­li­tik inter­pre­tiert wer­den kann. Dazu der Autor und His­to­ri­ker Doron Rabinovici:

Schon lan­ge vor der Grün­dung Isra­els hetz­ten die isla­mis­ti­schen Füh­rer gegen Juden. Die Hamas ent­stand indes erst in den 1980er-Jah­ren. Von Anfang an ging es ihr dar­um, jede Mög­lich­keit zur Ver­stän­di­gung und Eini­gung zwi­schen der paläs­ti­nen­si­schen und der israe­li­schen Nati­on zu ver­ei­teln. Den Beginn des Frie­dens­pro­zes­ses von Oslo im Jahr 1993 unter­mi­nier­te und durch­kreuz­te sie mit einer Wel­le fürch­ter­li­cher Selbst­mord­at­ten­ta­te. (profil.at, 15.10.23)

Auch die gegen­wär­tig beson­ders häu­fig bedien­te Lüge, Isra­el bege­he einen Geno­zid („Stop Geno­ci­de“), wur­de an eine Cam­pus-Wand gesprayt. Hier­bei han­delt es sich um eine per­fi­de Täter-Opfer-Umkehr, die auf Isra­el pro­ji­ziert, was die Hamas tat­säch­lich offi­zi­ell for­dert (etwa in ihrer Grün­dungs­char­ta 1988) und was sie nun live gestreamt in einem bis dato unvor­stell­ba­ren Aus­maß unter Beweis gestellt hat. Seit 7. Okto­ber weiß die Welt, was pas­siert, wenn Hamas-Ter­ro­ris­ten ihren Gelüs­ten unge­bremst nach­ge­hen kön­nen: geno­zi­da­les und unter­schieds­lo­ses Mor­den, Fol­tern und Ver­ge­wal­ti­gen von Juden und Jüdin­nen. Zudem miss­braucht die Ter­ror­trup­pe die Bevöl­ke­rung in Gaza völ­lig unver­hoh­len für ihren faschis­to­iden Mär­ty­rer-Kult, wobei der Tod von Men­schen bil­li­gend für media­le Hor­ror­bil­der in Kauf genom­men wird.

Seit dem Mas­sa­ker vom 7. Okto­ber zeigt sich in ver­stärk­ter Deut­lich­keit, wie ver­brei­tet Anti­se­mi­tis­mus bis weit in sich als „links“ ver­ste­hen­de Krei­se hin­ein ist. Dies betrifft nicht nur auto­ri­tä­re anti­im­pe­ria­lis­ti­sche Sek­ten, son­dern auch gro­ße Tei­le einer Lin­ken, die sich Anti­ras­sis­mus und post­ko­lo­nia­le Theo­rie auf die Fah­ne schrei­ben, von Anti­se­mi­tis­mus aber nichts wis­sen wol­len, son­dern den Ter­ror zum Teil sogar als „Wider­stand“ abfei­ern. Hier kommt eine über Jah­re ein­ge­üb­te Blau­pau­sen-Ana­ly­se zum Zug, die von einem manich­äi­schen Welt­bild aus­geht, das die His­to­ri­ke­rin Isol­de Vogel in einem „Standard“-Beitrag so pointierte:

Anti­se­mi­tis­mus zeich­net sich durch ein Den­ken aus, das nur in Gut oder Böse unter­schei­den kann. Dem Nar­ra­tiv des homo­ge­nen, guten, „unter­drück­ten paläs­ti­nen­si­schen Volks“ folgt die Gegen­über­stel­lung eines das abso­lu­te Böse ver­kör­pern­den „impe­ria­lis­ti­schen Sied­ler­staats Isra­el“. (derstandard.at, 13.10.23)

So wer­den die Palästinenser*innen aus­schließ­lich zu Opfern ver­klärt und die ideo­lo­gi­schen Ziel­vor­stel­lun­gen ihrer macht­ha­ben­den Grup­pen ent­we­der aus­ge­blen­det oder aber direkt bejaht. Wobei mit „der ‚Zau­ber­for­mel‘ des Anti­zio­nis­mus (…) gleich­zei­tig gegen Isra­el agi­tiert und Distanz zum Anti­se­mi­tis­mus demons­triert“ wer­den kann, wie der DÖW-Mit­ar­bei­ter Andre­as Peham in sei­nem Buch „Kri­tik des Anti­se­mi­tis­mus“ (S. 171) schreibt.

Gar nicht mehr bemüht um die Optik einer sol­chen Distanz und end­gül­tig ent­lar­vend ist der fol­gen­de gespray­te Spruch: „Free Pal­es­ti­ne from Ger­man and Aus­tri­an Guilt“ (dt.: „Befreit Paläs­ti­na von deut­scher und öster­rei­chi­scher Schuld“). Hier wird die typisch rechts­extre­me Abwehr von deutsch-öster­rei­chi­scher Schuld an den NS-Ver­bre­chen (im rechts­extre­men Sze­ne-Jar­gon ist ger­ne von „Schuld­kult“ die Rede) bei­na­he direkt über­nom­men und auf Isra­el über­tra­gen, nach dem Mot­to: Der jüdi­sche Staat pro­fi­tiert von den falsch ver­stan­de­nen Schuld­ge­füh­len der bei­den post­na­zis­ti­schen Staaten. 

"From German and Austrian guilt": Antizionismus mit schuldabwehrendem Antisemitismus deustch-öst. Prägung (Campus Uni Wien © SdR)
„From Ger­man and Aus­tri­an guilt”: Anti­zio­nis­mus mit schuld­ab­weh­ren­dem Anti­se­mi­tis­mus deust­ch-öst. Prä­gung (Cam­pus Uni Wien © SdR)

Isol­de Vogel schreibt dazu in einem Thread auf X: Es wird die Vor­stel­lung bedient, Israe­lis (also Juden) wür­den aus dem Holo­caust Nut­zen zie­hen, hät­ten die Welt und Medi­en unter Kon­trol­le, sei­en unan­tast­bar. Das ist schuld­ab­weh­ren­der Anti­se­mi­tis­mus mit dem Ziel sich von his­to­ri­scher Schuld und Ver­ant­wor­tung zu befrei­en.

Vor die­sem Hin­ter­grund ist der eben­falls an eine Cam­pus-Wand gespray­te Spruch „Anti­fa means free Pal­es­ti­ne“ (dt. Anti­fa­schis­mus heißt, befreie Paläs­ti­na) als end­gül­ti­ger Irr­witz zu qua­li­fi­zie­ren, ins­be­son­de­re weil er bewusst im direk­ten Nach­hall des größ­ten anti­se­mi­ti­schen Pogroms und Mas­sa­kers seit 1945 ange­bracht wur­de. Die­se „Lin­ken“ unter­stüt­zen eine Orga­ni­sa­ti­on, die so ziem­lich jedes Bestim­mungs­merk­mal von Faschis­mus über­erfüllt: Anti­se­mi­tis­mus, Anti­fe­mi­nis­mus, Hass gegen LGBTIQ+-Personen, sol­da­ti­scher Männlichkeits‑, Gewalt- und Todes­kult, Hass auf Libe­ra­lis­mus und Hedo­nis­mus etc.

Das isla­mis­ti­sche Mas­sa­ker, das offen­kun­dig in sei­nem gan­zen Aus­maß geplant war, zielt auf die Til­gung jeg­li­cher Ambi­va­len­zen und mög­li­cher Annä­he­run­gen und auf die Eta­blie­rung eines tota­len Freund-Feind-Sche­mas. Auch das ist Teil der isla­mis­ti­schen Logik, denn, wie der His­to­ri­ker Vol­ker Weiß in der „Süd­deut­schen Zei­tung“ (30.10.23) schreibt, Isla­mis­ten „has­sen die Grau­zo­ne. Sie bekämp­fen beson­ders jene Berei­che, deren rei­ne Exis­tenz die eige­ne freud­lo­se Leh­re wider­le­gen, plu­ra­lis­ti­sche und aus­dif­fe­ren­zier­te Gesell­schaf­ten, Frie­dens­fes­ti­vals, Raves oder gemein­schaft­lich orga­ni­sier­te Kib­buz­zim.

Wer sol­chen Ter­ror, der von einer sol­chen Ideo­lo­gie getra­gen ist, als „Wider­stand“ oder „Deko­lo­ni­sie­rung“ ver­harm­lost oder gar fei­ert, hat mit Anti­fa­schis­mus nichts zu tun, son­dern macht sich zum Gegen­stand von not­wen­di­gem Anti­fa­schis­mus. Denn Anti­fa­schis­mus bedeu­tet sich gegen auto­ri­tä­re Kri­sen­ver­ar­bei­tung und Men­schen­feind­lich­keit zu stel­len – und es bedeu­tet immer und über­all gegen Anti­se­mi­tis­mus auf­zu­ste­hen, egal ob die­ser rechts, isla­mis­tisch oder links geprägt ist.

Der zitier­te Spruch müss­te also hei­ßen: „Anti­fa means free Pal­es­ti­ne from Hamas“. Zum Glück haben mit Isra­el soli­da­ri­sche Antifaschist*innen ent­spre­chen­de Kor­rek­tu­ren am Uni-Cam­pus vorgenommen.

Übersprühte Pro-Hamas Parolen (Uni Campus Wien; © Antifa Wien West)
Über­sprüh­te Pro-Hamas Paro­len (Uni Cam­pus Wien; © Anti­fa Wien West)

➡️ Hamas: Ver­nich­tungs­an­ti­se­mi­tis­mus in Grundsatzdokumenten

Literatur

Peham, Andre­as (2022): Kri­tik des Anti­se­mi­tis­mus. Stutt­gart: Schmet­ter­ling Verlag

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