„Idioten“ ist ja eigentlich ein verharmlosender Begriff für die braune Frankfurter WhatsApp-Gruppe aus fünf Polizist*innen plus der Lebensgefährtin von einem der fünf, die sich zwischen 2015 und 2018 eine Unmenge an neonazistischen, antisemitischen, rassistischen, sexistischen, misogynen und ableistischen Sprüchen und Bildern geschickt hatten. Aufgeflogen ist die Gruppe, als man just auf jenem 1. Frankfurter Polizeirevier die Urheber der Morddrohungen des NSU 2.0 vermutete.
Wir empfehlen die beiden Folgen von ZDF-Magazin Royale für alle jene, die sich näher mit den Vorfällen auf der Frankfurter Polizeiwachstube befassen wollen (NSU 2.0, Einzeltäter oder Netzwerk? und Itiotentreff, Tatort Gruppenchat). Die Lektüre der in die Tausende gehenden Chats aus der Gruppe „Itiotentreff“ bedeutet eine massive Konfrontation und Belastung mit gewaltverherrlichenden und menschenverachtenden Inhalten.
Aber was hat diese Gruppe mit der Wachstube in Graz zu tun? Dort wurde im Juli und September 2020 vor dem Landesgericht Graz darüber verhandelt, ob zwei Polizist*innen der Polizeiinspektion Karlauerstraße gegen das NS-Verbotsgesetz verstoßen haben. Die inkriminierten Vorfälle – da hätten wir die erste Parallele – haben sich im Zeitraum zwischen 2016 und 2018 ereignet. Bloßer Zufall ist die Namensähnlichkeit der Hauptakteure: Der Frankfurter heißt Johannes S., der Grazer Polizist Johann S..
Frankfurt – Graz: Ähnlichkeiten und Parallelen
Von der Menge her sind die Frankfurter und die Grazer Chats nicht vergleichbar. Vermutlich. Denn die vor dem Grazer Landesgericht verhandelten Sprüche und Bilder haben nicht nur erschreckend viele Ähnlichkeiten und Parallelen mit jenen der Frankfurter, sondern waren offenbar nur die Spitze eines Eisbergs. Aus den Aussagen der Angeklagten und Zeug*innen wird nicht klar, über welche Kanäle bzw. Medien die Konversationen in Graz stattgefunden haben: Während die einen betonen, dass die braunen Sprüche und Bilder nur direkt verschickt worden seien, nennen andere ausdrücklich WhatsApp, über das „kreuz und quer“ brauner Dreck gepostet worden sei. Gab es da auch einen braunen „Itiotentreff“? Wurde danach gesucht?
Was an den Aussagen der zwei Angeklagten im Grazer Prozess verstörend auffällt: Beide behaupten wiederholt und auf Nachfrage, dass das Versenden brauner Sprüche und Bilder „üblich“ gewesen sei zwischen den Kolleg*innen auf der Wachstube. Das Versenden von „Hitler-Videos ist in Polizeikreisen Usus“ (Prozessmitschrift), sagte der Erstangeklagte Johann S. vor Gericht aus. Das ist eine heftige Ansage, die durch die Zweitangeklagte faktisch bestätigt wurde. Die NS-Gesinnung des Erstangeklagten sei auf der Wachstube allgemein bekannt und auch „Gesprächsthema“ gewesen. Einige der inkriminierten Nachrichten habe die Zeugin nur an ihn, Johann S., weitergeleitet, um ihn positiv zu stimmen, weil es sonst nicht mehr auszuhalten gewesen wäre mit ihm.
Nun könnten die Aussagen der beiden Angeklagten unter der Rubrik Schutz- und Entlastungsbehauptungen vermerkt werden: Wenn alle auf der Wachstube braune oder hetzerische oder sexistische Mails oder Chats verschicken, dann verteilt sich doch die Schuld, oder?
Noch beklemmender als die Aussagen der Angeklagten sind allerdings die fast aller Zeugen. Reihenweise marschierten Polizeibeamte der besagten Wachstube auf, um zu bestätigen, dass sie nie irgendwelche ausländerfeindlichen, rechtsextremen oder gar nationalsozialistischen Äußerungen des Erstangeklagten wahrgenommen hätten. Ein ganz Stiller sei er gewesen, freundlich, höflich, hilfsbereit, „tadellos“. Die Wachstube von Johann S. in der Grazer Karlauerstraße ist keine kleine. Es waren also etliche (wir haben zehn Zeugen gezählt), die nichts Braunes von Johann S. gelesen, gehört oder gesehen haben wollten, obwohl der und auch die Zweitangeklagte behauptet hatten, dass alle über seine braune Gesinnung Bescheid gewusst und sich gegenseitig auch entsprechende Sprüche, Bilder und Videos geschickt hätten.
Der Erstangeklagte Johann S. wies den Vorwurf der NS-Wiederbetätigung weit von sich. Die neonazistische Deutsche Nationalzeitung hatte S. abonniert – digital und in Printform. Aber das war privat, zuhause, auf dem Bauernhof, den er sich mit seiner Schwester, die für das BZÖ und später das Team Stronach zeitweise im Nationalrat saß, teilte. Die fragte er auch in einem SMS: „Wo sind die Entwurmungstabletten für Adolf?“ „Adolf“ hieß demnach sein Hund. Allerdings versucht der Angeklagte mit einem Notariatsakt (!) zu beweisen, dass der Hund „Idolf“ gerufen wurde – wegen der angeblichen Ähnlichkeit mit dem gleichnamigen Ikea-Stuhl …
Im Dienst, auf der Wachstube, gab er Sprüche wie „Frauen sind eine Rasse zweiter Klasse“ von sich, verschickte ein Video mit einer Hitler-Rede und dem Insert „Geh wählen!“ (anlässlich einer NR-Wahl) und ein anderes mit einem Hitlergruß. Dafür wurde er schuldig gesprochen, während sein von einer Zeugin dokumentierter Spruch „Die Schwulen gehören alle nach Dachau“ ebenso ungeahndet blieb wie die unterirdische Beschimpfung einer Zeitzeugin („Halt die Pappn, du alte Drecksau, du alte Drecksau, du gehörst ja auch vergast“), die gerade im Fernsehen über ihre Erlebnisse in der Nazi-Zeit sprach.
Sprüche mit dem Vergasen waren auch bei der Zweitangeklagten beliebt. „Du bist lustig – Dich vergase ich als letzten!“, mit Hitler-Foto wurde zum Beispiel von ihr über WhatsApp an den Erstangeklagten verschickt. Nur an ihn? Da wären wir wieder bei den Behauptungen der beiden Angeklagten, wonach solche Videos „kreuz und quer“ innerhalb der Kolleg:innen verschickt worden seien, es „üblich“ war usw.
Die Verhandlung brachte insofern keine Aufklärung, als dass die Hauptbelastungszeugin (natürlich auch eine Polizistin von der Wachstube) erklärte, sie habe nichts von einer WhatsApp-Gruppe gewusst, sondern die Nachrichten immer direkt erhalten. Die mündlichen Sprüche des Erstangeklagten hielt sie teilweise in Notizen auf ihrem Handy fest. Da wird’s kurz unlustig: Das LVT Steiermark hat zwar ihre WhatsApp-Nachrichten angesehen und ausgewertet, nicht aber die Notizen …
Auch ein weiterer Polizistenzeuge hat Befremdliches vom Erstangeklagten wahrgenommen – aber der war auch nicht von der gleichen Polizeiinspektion. Er erhielt mehrfach YouTube-Links von ihm – zu Neonazi-Bands wie den „Zillertaler Türkenjägern“ etwa. Inzwischen, so dieser Zeuge, habe er alle Kolleg*innen auf WhatsApp blockiert – eine weise Entscheidung angesichts dessen, was da anscheinend Usus war.
Johann S. wurde schließlich vom Landesgericht Graz zu einer Haftstrafe von 15 Monaten bedingt (und einer Geldstrafe) verurteilt, nachdem ihn die Geschworenen in vier von sechs Fragen schuldig gesprochen hatten. Die Zweitangeklagte wurde freigesprochen, wobei sie in zwei von vier Fragen nur haarscharf (4 ja, 4 nein) am Schuldspruch vorbeischrammte.
War das alles?
Der Erstangeklagte hat gegen das Urteil Rechtsmittel eingelegt. Die Redaktion VON UNTEN — Das Nachrichtenmagazin auf Radio Helsinki“ hat nachgefragt: Die vom Angeklagten geforderte Nichtigkeit des Schuldspruchs wurde vom OGH verworfen, während der Herabsetzung des Strafmaßes auf die Mindeststrafe bei Wiederbetätigung nach § 3g Verbotsgesetz entsprochen wurde: Seine bedingte Haftstrafe wurde auf zwölf Monate reduziert. Erst bei einem Strafausmaß von mehr als zwölf Monaten hätte Johann S. automatisch seinen Job als Beamter und Polizist verloren. Ob es in seiner Causa irgendwelche Konsequenzen durch ein Disziplinargericht gegeben hat, ist uns nicht bekannt.
Sonst noch was?
Gegen die Hauptbelastungszeugin wurde ein Disziplinarverfahren eingeleitet. Sie hat nämlich ihr Gespräch mit dem Dienststellenleiter, in dem sie sich über den Erstangeklagten beschwert hatte, aufgezeichnet und dadurch nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts, das ihre Beschwerde gegen die Einleitung dieses Verfahrens abwies, ein Verhalten gesetzt, das „in höchstem Maße geeignet“ sei, „ein Klima des Misstrauens zu erzeugen, welches sich negativ auf den Betriebsfrieden der Dienststelle auswirken kann“ (Entscheidung des BvWG).
Merke: Nicht das, was nach den diversen Aussagen an dieser Dienststelle üblich war, das Versenden von NS-Videos, wüste braune Sprüche, völlig widersprüchliche Aussagen vor Gericht, wirken sich störend auf den Betriebsfrieden einer Polizeiinspektion aus, sondern ein heimlich aufgezeichnetes Gespräch!
➡️ Die Polizeiinspektion des schlechten Geschmacks
➡️ PI Karlauerstraße Graz: Da wären noch einige Fragen