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Rückblick KW 24/23 (I): 7 Prozesse

Gleich sie­ben Pro­zes­se nach dem Ver­bots­ge­setz – dabei jede Men­ge Alko­hol, vie­le Vor­stra­fen, ein schlap­pes Erin­ne­rungs­ver­mö­gen. Und kei­ner der ange­klag­ten Män­ner woll­te der Nazi-Ideo­­lo­­gie zuge­neigt sein. Trotz­dem gab’s sechs Schuld­sprü­che. Wien: Hit­ler­gruß in der „Kebab Con­nec­tion“ Wien: Maut­hau­sen als „klei­nes Arbeits­la­ger“ Ams­te­t­­ten-St. Pöl­ten: Abstands­re­gel mit Tisch in Haken­kreuz­form Salz­burg: (K)eine Wie­der­be­tä­ti­gung in der Zel­le Salz­burg: Wandelndes […]

19. Jun 2023
Landesgericht Wien, großer Schwurgerichtssaal
Landesgericht Wien, großer Schwurgerichtssaal

Wien: Hit­ler­gruß in der „Kebab Connection“
Wien: Maut­hau­sen als „klei­nes Arbeitslager“
Amstet­ten-St. Pöl­ten: Abstands­re­gel mit Tisch in Hakenkreuzform
Salz­burg: (K)eine Wie­der­be­tä­ti­gung in der Zelle
Salz­burg: Wan­deln­des Nazisymbol
Gars­ten-Stey­r/OÖ: Wie­der­be­tä­ti­gung der der Über­stel­lung in eine Haftanstalt
Sto­cker­au-Kor­neu­bur­g/NÖ: Nach der Haft ist vor der Haft

Wien: Hit­ler­gruß in der „Kebab Connection“

Im Gericht nicht wie­der­se­hen wol­le er den Ange­klag­ten, mein­te Rich­ter Ste­fan Apos­tol am Ende des Pro­zes­ses gegen einen Wie­ner, der sich am 12. Juni wegen ein­schlä­gi­ger Chat­nach­rich­ten in zwei Grup­pen wegen Wie­der­be­tä­ti­gung erklä­ren muss­te. Der 28-jäh­ri­ge Ronald H. gab sich zer­knirscht und bekann­te sich schul­dig. Bei der Auf­nah­me, auf der er einen Hit­ler­gruß zei­gend zu sehen ist, sei er alko­ho­li­siert gewe­sen, den Rest,

ein Bild mit dem Titel ‚Mer­ce­des SS-Klas­se‘ und einem Haken­kreuz auf dem Schalt­he­bel (…) ein Bild des Dik­ta­tors Adolf Hit­ler samt der Auf­schrift ‚Neger, die nehm ich als Brenn­holz‘ oder eines der jun­gen Nie­der­län­de­rin Anne Frank, die von den Natio­nal­so­zia­lis­ten 1945 im Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger Ber­gen-Bel­sen ermor­det wur­de, beti­telt mit ‚Anne Frank, die Ofen­fri­sche‘ (derstandard.at, 12.6.23),

habe er „wit­zig“ gefun­den. Den Hit­ler­gruß hat­te er in die Whats­App-Chat­grup­pe „Kebab Con­nec­tion“ gepos­tet, aus einer wei­te­ren Grup­pe wer­den noch ande­re vor Gericht antan­zen müs­sen, weil H. nicht der ein­zi­ge war, der sich mit wider­li­chen Pos­tings amü­sier­te. H. habe inzwi­schen die KZ-Gedenk­stät­te Maut­hau­sen besucht – er sei scho­ckiert gewe­sen. Auch der Erklä­rungs­ver­such, psy­chisch ange­schla­gen zu sein und in der Schu­le nicht viel zum 3. Reich gelernt zu haben, half letzt­lich nichts. Er wur­de in allen Fra­gen schul­dig gespro­chen und erhielt bereits rechts­kräf­ti­ge zwölf Mona­te bedingt.

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Wien: Maut­hau­sen als „klei­nes Arbeitslager“

Am Lan­des­ge­richt Wien wur­de am 13.06.2023 ein Pro­zess wegen Ver­sto­ßes gegen das Ver­bots­ge­setz nach § 3h geführt. Der 56-jäh­ri­ge Ange­klag­te Robert D. hat 2020 auf der Face­book-Com­mu­ni­ty­sei­te „Wir wäh­len FPÖ“ mit der­zeit 37.500 Fol­lo­wern jeweils zu einem Bei­trag von Nor­bert Hofer und Domi­nik Nepp einen Kom­men­tar mit der For­de­rung, Maut­hau­sen wie­der auf­zu­ma­chen, gepos­tet – ein­mal mit dem Zusatz, dort „grü­nes Ver­bre­cher-Gesindl“ hinzuschicken.

Der Ange­klag­te gab wäh­rend des Ermitt­lungs­ver­fah­rens an, sich an die kon­kre­ten Pos­tings nicht mehr erin­nern zu kön­nen. Dabei hat­te er bereits ein Ver­fah­ren zu einem Pos­ting ähn­li­chen Inhalts (das mit einer Diver­si­on ende­te), in dem er Politiker*innen der Grü­nen eben­falls am bes­ten in Maut­hau­sen auf­ge­ho­ben sah und eine Poli­ti­ke­rin dazu auf­for­der­te, Cha­rak­ter zu zei­gen und sich selbst als ers­tes umzubringen.

Der Ange­klag­te mein­te von sich selbst, geschicht­lich sehr inter­es­siert zu sein und fast alles über die Zeit des Natio­nal­so­zia­lis­mus zu wis­sen. Er sei aber kein Sym­pa­thi­sant der natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Gesin­nung. Er habe die Kom­men­ta­re gepos­tet, weil er von der gegen­wär­ti­gen Poli­tik ent­täuscht sei. Außer­dem sei er wegen der Droh­n­ach­richt gegen Nor­bert Hofer wütend gewe­sen. Er wis­se, dass Maut­hau­sen „ein Ort des Schre­ckens“ sei. Gnä­di­ger­wei­se wol­le er Politiker*innen dort nicht hin­schi­cken „um sie gleich umzu­brin­gen“. Aber er, der selbst arbeits­los ist, fin­det, „ein klei­nes Arbeits­la­ger wäre viel­leicht nicht schlecht“. Als Begrün­dung gab der Ange­klag­te an, „damit die Poli­ti­ker mal wis­sen, dass sie fürs Volk zu arbei­ten haben“.

Die Geschwo­re­nen erklär­ten D. ein­stim­mig für schul­dig, das Straf­maß wur­de auf 14 Mona­te fest­ge­legt. Das Urteil ist rechts­kräf­tig. Einer der bei­den ver­ur­teil­ten Kom­men­ta­re ist nach wie vor online, der ande­re ist weg.

Kommentar von Robert D. noch immer online (Screenshot FB)
Kom­men­tar von Robert D. noch immer online (Screen­shot FB)

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Amstet­ten-St. Pöl­ten: Abstands­re­gel mit Tisch in Hakenkreuzform

Am 13.6. wur­de am Lan­des­ge­richt St. Pöl­ten der Tat­be­stand der Zur­schau­stel­lung von NS-Pro­pa­gan­da gemäß Ver­bots­ge­setz §3g ver­han­delt. Der Amstett­ner Robert S. (43 J.) ver­schick­te im Herbst 2020, also mit­ten in der Coro­na-Zeit, ein Bild über sein Han­dy an einen Arbeits­kol­le­gen, auf dem ein Tisch in Haken­kreuz­form und der Text „Restau­rant zur Wolfs­schan­ze“ abge­bil­det waren. Mit dem Bild soll­te aus­ge­drückt wer­den, dass sich mit die­ser Tisch­form die Zwei­me­ter-Abstands­re­gel, die zur Zeit von Coro­na galt, ein­ge­hal­ten wer­den kön­ne. Bei der Wolfs­schan­ze han­delt es sich um eine Anspie­lung an die ehe­ma­li­ge Nazi-Bun­ker­an­la­ge „Füh­rer­haupt­quar­tier Wolfs­schan­ze“ in Polen, wo auch das Stauf­fen­berg-Atten­tat gegen Adolf Hit­ler missglückte.

Die Ver­tei­di­gung argu­men­tie­re damit, dass der Ange­klag­te sich nichts dabei gedacht habe, als er das Bild ver­schick­te. Der Arbeits­kol­le­ge Diet­mar K., über des­sen Han­dy die Ermitt­lun­gen zum Amstett­ner führ­ten, gilt dem Gericht als gut bekannt. Der Ange­klag­te, der sich selbst poli­tisch der Mit­te zuord­net, konn­te in der Ein­ver­nah­me nicht sagen, ob die NS-Zeit gut oder schlecht gewe­sen sei. Bei der Ver­hand­lung mein­te er, dass er wis­se, einen Blöd­sinn gemacht zu haben. Was er damit genau mein­te, den Inhalt der Nach­richt oder ihr Ver­sen­den, blieb offen und wur­de von Staats­an­walt­schaft oder Rich­ter auch nicht wei­ter erfragt. Robert S. bekann­te sich schul­dig und wur­de auch schul­dig gespro­chen. Das Aus­maß der Stra­fe wur­de mit mil­den zehn Mona­ten bedingt auf drei Jah­re bemes­sen. Als mil­dernd bewer­te­te das Gericht den Lebens­wan­del des Ange­klag­ten als auch sein Geständ­nis. Das Urteil ist rechtskräftig.

Landesgericht St. Pölten (© SdR)
Lan­des­ge­richt St. Pöl­ten (© SdR)

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Salz­burg: (K)eine Wie­der­be­tä­ti­gung in der Zelle

In Salz­burg ende­te ein Pro­zess gegen einen ita­lie­nisch-öster­rei­chi­schen Dop­pel­staaats­bür­ger mit einem Frei­spruch. Der Vor­fall hat­te in der Haft statt­ge­fun­den. Der Ange­klag­te 

soll im Jän­ner die­ses Jah­res in der Jus­tiz­an­stalt Salz­burg sei­nem dama­li­gen Zel­len­ge­nos­sen gegen­über wie­der­holt Adolf Hit­ler glo­ri­fi­ziert und posi­tiv über den Natio­nal­so­zia­lis­mus gespro­chen haben. (…) Der Ange­klag­te, bri­san­ter­wei­se schon zwei Mal am Lan­des­ge­richt Inns­bruck wegen NS-Wie­der­be­tä­ti­gung ver­ur­teilt, wies die Vor­wür­fe des Ex-Mit­häft­lings ener­gisch zurück. (sn.at, 14.6.23)

Der Zeu­ge aus der Haft­an­stalt erschien jedoch nicht zum Pro­zess und kas­sier­te des­halb eine Ord­nungs­stra­fe. Der bereits rechts­kräf­ti­ge Urteils­spruch erfolg­te daher ohne des­sen Aus­sa­ge vor dem Gericht.

Salz­burg: Wan­deln­des Nazisymbol

Sehr glimpf­lich ist ein Ungar am Salz­bur­ger Lan­des­ge­richt davon­ge­kom­men. Der hat­te am Bade­platz beim Hin­ter­see sei­ne unzäh­li­gen Nazi-Tat­toos zur Schau gestellt. Ein Salz­bur­ger hat­te ihn gebe­ten, sei­nen Kör­per zu bede­cken, wor­auf­hin er nur ein Grin­sen geern­tet haben soll. Vor Gericht schlug der 35-Jäh­ri­ge jedoch ande­re Töne an.

Er bekann­te sich voll­in­halt­lich schul­dig. Er habe sich die Tat­toos „als 16- bis 21-Jäh­ri­ger“ ste­chen las­sen und sei einst Teil einer ein­schlä­gi­gen unga­ri­schen Grup­pie­rung gewe­sen: „Mit die­ser Pha­se habe ich aber schon seit zehn, zwölf Jah­ren abge­schlos­sen“, so der Ange­klag­te. Er den­ke auch schon lan­ge dar­an, sich die Tat­toos „abde­cken oder über­ste­chen zu las­sen“. (sn.at, 15.6.23)

Weil er in Ungarn bereits eine Stra­fe wegen eines Dro­gen­de­likts kas­siert hat­te, bekam er in Salz­burg nur mehr eine Zusatz­stra­fe über knapp drei Mona­te bedingt. Rechtskräftig!

Gars­ten-Stey­r/OÖ: Wie­der­be­tä­ti­gung der der Über­stel­lung in eine Haftanstalt

Am Lan­des­ge­richt von Steyr dreh­te es sich am 14.6. viel um den psy­chi­schen Zustand und die Zurech­nungs­fä­hig­keit des 31-jäh­ri­gen Ange­klag­ten Adnan S.. Der hat­te im Zuge sei­ner Ver­le­gung von der Jus­tiz­an­stalt Gars­ten nach Asten trotz einer Abmah­nung wie­der­holt „Heil Hit­ler“ und min­des­tens ein­mal „Alle Juden gehö­ren ver­gast“ geschrien. Ungüns­tig wirk­ten sich auch sei­ne Vor­stra­fen aus, dar­un­ter Kör­per­ver­let­zung, das Aus­füh­ren des Tschet­nik-Gru­ßes und anti­mus­li­mi­sche Äuße­run­gen gegen eine Frau mit Kopf­tuch und zuletzt auch schon eine nach dem Ver­bots­ge­setz. Die Gerichts­gut­ach­te­rin Adel­heid Kast­ner hat­te S. zwar Zurech­nungs­fä­hig­keit beschei­nigt, aber auch eine Per­sön­lich­keits­stö­rung dia­gnos­ti­ziert. Der Ange­klag­te wür­de jedoch die The­ra­pie­an­ge­bo­te nicht annehmen.

Am Ende des Pro­zes­ses erfolg­te ein Schuld­spruch und 18 Mona­te Haft, die im Zuge der aktu­el­len Maß­nah­me zu ver­bü­ßen sind.

Landesgericht Steyr (© SdR)
Lan­des­ge­richt Steyr (© SdR)

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Sto­cker­au-Kor­neu­bur­g/NÖ: Nach der Haft ist vor der Haft

Nur eine Woche nach der Frei­las­sung aus der Haft ran­da­lier­te ein 57-jäh­ri­ger Sto­cker­au­er auf der Ter­ras­se sei­ner Woh­nung der­ar­tig laut­stark, dass gleich meh­re­re Nach­barn die Poli­zei ver­stän­dig­ten. Er habe eine schlaf­lo­se Nacht gehabt und sich danach mit einem Bier und einer Fla­sche Whis­key in eine aus der Haft­zeit stam­men­den Wut hineingesteigert.

„Sieg Heil!“, „die wei­ße Ras­se wird über­le­ben“, „Hit­ler ist mein Gott“ oder „Juden, Slo­we­nen und Zigeu­ner gehö­ren ver­nich­tet“ soll der in der Slo­wa­kei gebo­re­ne Ange­klag­te an besag­tem Tag über eine hal­be Stun­de lang geru­fen haben. (…) Rich­ter Bod­ner hat­te es nicht leicht, den Ange­klag­ten aufs Wesent­li­che zu fokus­sie­ren; hat­te mit Ton­band­auf­nah­men der Nach­barn aber noch Hand­fes­tes im Ärmel, auf denen die­se aufs Übels­te beschimpft wur­den. „Sau­ju­den und Schwei­ne­zi­geu­ner“ waren noch die harm­lo­ses­ten Aus­drü­cke. (noen.at, 15.6.23)

Dazu kam noch eine Ankla­ge nach dem Waf­fen­ge­setz, weil in der Woh­nung sei­ner ver­stor­be­nen Mut­ter trotz eines auf­rech­ten Waf­fen­ver­bo­tes drei Win­ches­ter-Lang­waf­fen und ein Schrot­ge­wehr depo­niert waren.

Mit der NS-Ideo­lo­gie sym­pa­thi­sie­re er nicht, und er kön­ne sich an nichts erin­nern, erklär­te der Ange­klag­te vor Gericht. Die bei ihm gemes­se­nen 2,2 Pro­mil­le Alko­hol im Blut reich­ten schluss­end­lich nicht, um ihn vor der nächs­ten Ver­ur­tei­lung zu bewah­ren. Die Geschwo­re­nen fäll­ten einen Schuld­spruch mit 24 Mona­ten unbe­ding­ter Haft, dazu kom­men vier Mona­te aus einer vor­he­ri­gen bedingt aus­ge­spro­che­nen Stra­fe. Der Ver­tei­di­ger kün­dig­te Beru­fung an, womit das Urteil nicht rechts­kräf­tig ist.