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Rückblick KW 23/23

Am Lan­des­ge­richt Wien hat ein Ange­klag­ter eine unge­wöhn­li­che Ver­tei­di­gungs­stra­te­gie gewählt – sie war zwar über­ra­schend, aber nicht erfolg­reich. Die Gra­zer Bur­schen der Ale­man­nia las­sen eine Hang zu Par­tys mit brau­ner musi­ka­li­scher Unter­ma­lung erken­nen. Und wäh­rend eine Novel­le zum Ehren­zei­chen­ge­setz die Aberken­nung von Ehren­zei­chen etwa für Natio­nal­so­zia­lis­ten oder nach dem Ver­bots­ge­setz Ver­ur­teil­te end­lich mög­lich machen soll, […]

15. Jun 2023

Wien: Braun gepolstert
Graz: Erneut braune Töne aus der Allemannia-Bude
Ö: Aberkennung Ehrenzeichen
Wien-Mariahilf: Ehrung für Erika Weinzierl
D: Anastasia-Bewegung rechtsextremer Verdachtsfall

Wien: Braun gepolstert

Bis zur Ver­hand­lung am 5. Juni hat­te sich der Ange­klag­te Micha­el S. (53) zu den ihm vor­ge­wor­fe­nen Delik­ten, Chat­nach­rich­ten an den bereits 2022 wegen Wie­der­be­tä­ti­gung ver­ur­teil­ten Kurt D. gesen­det zu haben, schweig­sam gege­ben: Ein Bild zeigt einen Auf­marsch der Waf­fen-SS mit dem Text „Ein schwar­zer Block ist grund­sätz­lich nichts Schlech­tes“, wei­ters wur­den Bil­der mit Stiel­hand­gra­na­ten der Wehr­macht mit Tex­ten wie „Haben Sie Angst vor Polen­böl­lern? Ihnen kann gehol­fen wer­den, bestel­len Sie noch heu­te!“ sowie Bil­der mit ras­sis­ti­schen Tex­ten („Wit­ze“ über Migrant*innen, Ver­glei­che mit Tie­ren) gefun­den. Bei einer Haus­durch­su­chung wur­de auch noch ein Pols­ter mit einer Schwar­zen Son­ne und Sig­ru­nen sichergestellt.

Es war nicht der ers­te Auf­tritt von S. vor Gericht. Bereits 2019 war er mit einer Ankla­ge nach dem Ver­bots­ge­setz kon­fron­tiert, kam damals jedoch mit einem Frei­spruch davon, weil nicht nach­weis­bar war, dass ein von sei­nem Han­dy abge­gan­ge­nes Bild mit Reichs­ad­ler und Haken­kreuz tat­säch­lich von ihm selbst ver­schickt wur­de. Sei­ne dama­li­ge Erklä­rung: „Ein Kol­le­ge hat ein Bild mit Reichs­ad­ler und Haken­kreuz ver­sen­det, weil mein Han­dy in der Arbeit frei zugäng­lich ist.“

Die Ver­tei­di­gungs­stra­te­gie war eini­ger­ma­ßen über­ra­schend: In Wirk­lich­keit sei S. ein Lin­ker, der sei­nen Chat­part­ner nur pro­vo­zie­ren woll­te, und der Pols­ter sei nur zufäl­lig am Tag vor der Haus­durch­su­chung aus dem Kel­ler ins Wohn­zim­mer gewan­dert und die­ne als Sitz­un­ter­la­ge beim Kaf­fee­trin­ken. Im Übri­gen habe S. die Bedeu­tung der „Schwar­zen Son­ne“ nicht gekannt. Gese­hen habe den Pols­ter ohne­hin nie­mand, denn sei­ne Gäs­te emp­fan­ge er auf der Terrasse.

Sehr über­zeu­gend war die Ver­tei­di­gungs­stra­te­gie nicht, denn im Gegen­satz zu 2019 kas­sier­te S. dies­mal einen Schuld­spruch mit 18 Mona­ten beding­ter Haft. Das Urteil ist nicht rechtskräftig.

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Graz: Erneut braune Töne aus der Allemannia-Bude

Bereits im August 2021 kur­sier­te eine Video­auf­nah­me, in der wenig zu sehen, aber eini­ges zu hören war. In der Bude der rechts­extre­men Gra­zer Bur­schen­schaft Ale­man­nia wur­de gefei­ert – zum Lied „Die­se Par­ty wird jetzt rechts­ra­di­kal“ des Nazi-Bar­den „John­ny Zahngold”.

Das Doku Ser­vice Stei­er­mark hat nun wie­der eine Auf­nah­me ver­öf­fent­licht„Wie uns zuge­spiel­te Vide­os zei­gen, wur­de neben Spott­lie­dern auf kath. Ver­bin­dun­gen (’10 klei­ne Bibel­schmei­ßer’) u.a. ein­schlä­gi­ges Lied­gut wie ‚rechts­ra­di­ka­ler Schla­ger’ gespielt. Besun­gen wird dar­in das „deut­sche Reich” sowie ‚Deut­sches Blut auf deut­schem Boden’.”

Ö: Aberkennung Ehrenzeichen

Der­zeit befin­det sich ein Ent­wurf zu einem über­fäl­li­gen Gesetz in Begut­ach­tung, das end­lich 

die Aberken­nung von Ehren­zei­chen ermög­li­chen soll. Anlass­fall war der Mit­ver­fas­ser der natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Ras­sen­ge­set­ze Hans Glob­ke, der 1956 den zweit­höchs­ten Orden der Repu­blik erhielt. (…) Ex lege soll ein Ehren­zei­chen wider­ru­fen wer­den, wenn der Aus­ge­zeich­ne­te wegen einer Vor­satz­tat zu mehr als sechs Mona­ten unbe­ding­ter oder zwölf Mona­ten beding­ter Frei­heits­stra­fe ver­ur­teilt wird sowie – unab­hän­gig von der Straf­hö­he – bei Ver­ur­tei­lun­gen auf­grund von Ver­stö­ßen gegen Leib und Leben, die Frei­heit, die sexu­el­le Inte­gri­tät und Selbst­be­stim­mung, gegen die Repu­blik oder deren Ein­rich­tun­gen und Orga­ne oder nach dem Verbotsgesetz.
Eine Aberken­nung sieht die Reform vor, wenn die Per­son eine füh­ren­de Rol­le in der NSDAP oder den ihr ange­schlos­se­nen Orga­ni­sa­tio­nen inne­hat­te und sich aktiv an den natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Ver­bre­chen gegen die Mensch­lich­keit betei­lig­te. Für die Aberken­nung wird ein eige­ner Bei­rat im Bun­des­kanz­ler­amt ein­ge­rich­tet. (derstandard.at, 5.6.23)

Die Debat­te um eine Aberken­nung von Ehren­zei­chen ist aller­dings nicht erst mit dem Fall Glob­ke hoch­ge­kocht. Bereits 1998 stell­te Karl Öllin­ger an dem dama­li­gen Wis­sen­schafts­mi­nis­ter Cas­par Einem eine Anfra­ge zum Eutha­na­sie­arzt Hein­rich Gross, dem 1975 das „Öster­rei­chi­sche Ehren­kreuz für Wis­sen­schaft und Kunst 1. Klas­se“ ver­lei­hen wor­den war.

Gibt es eine Mög­lich­keit, Dr. Gross das ihm zuge­spro­che­ne Ehren­zei­chen der Repu­blik wie­der abzu­er­ken­nen? Wenn ja, wel­che und wol­len Sie die­se Mög­lich­keit gegen­über Dr. Gross nutzen?
Ant­wort: Das Bun­des­ge­setz vom 25. Mai 1955 über die Schaf­fung des Öster­rei­chi­schen Ehren­zei­chens für Wis­sen­schaft und Kunst und eines Ehren­kreu­zes für Wis­sen­schaft und Kunst, BGBl. Nr.96/1955, sieht kei­ne Aberken­nung vor; im Fal­le einer rechts­kräf­ti­gen gericht­li­chen Ver­ur­tei­lung wegen eines Ver­bre­chens wäre eine sol­che als con­tra­ri­us actus grund­sätz­lich mög­lich. (Beant­wor­tung Anfra­ge)

Erst 2003 war es dann so weit: Gross wur­de nach viel Druck durch Karl Öllin­ger das Ehren­kreuz aberkannt. Nun, zwei Jahr­zehn­te spä­ter, soll­te nach der Novel­lie­rung eine Aberken­nung schnel­ler mög­lich sein.

Wien-Mariahilf: Ehrung für Erika Weinzierl

Lan­ge hat es gedau­ert, bis die 2014 ver­stor­be­ne Zeit­his­to­ri­ke­rin Eri­ka Wein­zierl in Wiens öffent­li­chem Raum eine Ehrung erhal­ten hat. Seit Okto­ber 2022 trägt der Platz vor der Maria­hil­fer Kir­che Wein­zier­ls Namen, am 6. Juni fand die offi­zi­el­le Benen­nungs­fei­er statt.

Dem vor­aus­ge­gan­gen war ein 2021 ein­ge­brach­ter Antrag der Grü­nen Maria­hilf für eine Umbe­nen­nung der Rahls­tie­ge in Eri­ka-Wein­zierl-Stie­ge, mit der Begrün­dung, dass Wein­zierl Volks­schu­le und Gym­na­si­um in der Ran­las­se besucht hat­te. Der Antrag wur­de damals von SPÖ, ÖVP und Neos dis­kus­si­ons­los abge­lehnt. Die Benen­nung des Plat­zes vor der Maria­hil­fer Kir­che war dann ein Kompromiss.

D: Anastasia-Bewegung rechtsextremer Verdachtsfall

In Deutsch­land wur­de die Ana­sta­sia-Bewe­gung zuerst im Bun­des­land Bran­den­burg, dann bun­des­weit als rechts­extre­mer Ver­dachts­fall ein­ge­stuft. Die auf Rechts­extre­mis­mus spe­zia­li­sier­te Jour­na­lis­tin Andrea Röp­ke, die die Aus­brei­tung der Ana­sta­sia-Bewe­gung in Deutsch­land schon lan­ge kri­tisch beob­ach­tet, kom­men­tiert den Schritt des Ver­fas­sungs­schut­zes so:

Laut Röp­ke ist es „der rechts­extre­men Sze­ne, vor allem den völ­ki­schen Ideolog*innen gelun­gen, mit dem Ana­sta­sia-Kult, den sie von Anfang an, seit den ers­ten Fes­ti­vals hier in Deutsch­land, mit auf­ge­baut haben, in ganz ande­re gesell­schaft­li­che Krei­se vor­zu­drin­gen und völ­ki­sche Ideo­lo­gien zu trans­por­tie­ren. Das hat man sehen­den Auges hin­ge­nom­men und sie machen las­sen. Die Ein­stu­fung als rechts­extrem ist ein Schritt, der abso­lut über­fäl­lig ist. (belltower.news, 12.6.23)

Auch in Öster­reich erlebt brei­tet sich die Ana­sta­sia-Bewe­gung durch die Pan­de­mie stark ange­kur­belt aus. Spe­zi­el­le Gegen­maß­nah­men sind uns nicht bekannt.

➡️ Vier­tei­li­ge Serie zu Ana­sta­sia auf „End­sta­ti­on Rechts“