Angeklagte stehen nicht unter Wahrheitspflicht. Deshalb kann ein Neonazi auf der Anklagebank auch behaupten, dass er eigentlich gar nichts gegen Ausländer habe. Gegen Juden sowieso nicht. Manuel S., der in der Vorwoche wegen Wiederbetätigung in Graz vor Gericht stand, bezeichnete sich selbst als „konservativ rechts“. Wie passt das zusammen?
Spoiler: Die Geschworenen haben Manuel S. seine Lügen nicht abgenommen. Das Gericht ist auch noch nicht ganz fertig mit ihm – der Anklagepunkt, der Kinderpornographie betrifft (vermutlich § 207a StGB – hier ist die Protokollmitschrift etwas unbestimmt) wurde ausgeschieden und kommt gesondert zur Verhandlung.
Somit blieb der Vorwurf der NS-Wiederbetätigung, über den verhandelt wurde. Manuel S., der „konservativ rechts“ eingestellt sein will, war bei den Identitären, trieb sich in der identitären „Kulturfestung“ herum („Ich war mal dabei, ja“) und liebt die Zahl 14. Die trägt er auch am Handgelenk – in römischen Ziffern. Einer seiner Accounts hat auch die 14 dabei, auf seinem Postkasten ist sie und auf der Sturmhaube. Für seine Vorliebe zur 14 bietet er unterschiedlichste Ausreden an. Die Vorsitzende Richterin macht ihm deutlich, dass er sich seine Spielchen sparen könne: „Wir haben das 20 bis 30 Mal im Jahr.“ Als sie ihn fragt, was sein Spruch „We White 14“ bedeute, gibt er zu, dass es sich bei der 14 um den Leitsatz der Neonazis handle.
„Warum können Sie den auswendig“, fragt ihn die Richterin. „Weil er schon öfter gefallen ist“, antwortet S.. Das ist auch das Leitmotiv seiner Verteidigung: Alles, wofür er verantwortlich gemacht wird, will er nicht wirklich gemacht haben, war entweder „geistig umnachtet“, hat dem Druck der Szene nachgegeben (bei der er auch nicht wirklich dabei gewesen sein will) oder ist auch einfach das Produkt seiner konservativen Eltern. Die vielen braunen Fotos, die auf seinem PC sichergestellt wurden, seien auch nicht von ihm, sondern von einem Kollegen beim Bundesheer, in dem S. zum Tatzeitpunkt als Grundwehrdiener gedient hatte. „Ja, aber sie wurden auf Ihrem Datenträger gefunden“, entgegnet ihm die Richterin.
Diese Bilder sind so widerlich wie die beigefügten Texte. „Slowly gassing the kikes“, postet er in jener Telegram-Gruppe, die den zu zehn Jahren verurteilten Neonazi-Rapper „Mr. Bond“ unterstützt. Ein Foto versieht er mit dem Hashtag #nojews, ein Meme mit Rauch wird untertitelt mit „jüdisches Familienfoto“. Den Geschworenen erzählt er dafür die Geschichte, dass er mit 15 sogar eine jüdische Freundin gehabt habe. Die Richterin lässt das so nicht stehen: „Ist das das erste, nach dem Sie fragen? Sie sagen, ich hab en nix gegen Juden und dann schön die FPÖ wählen.“
Bilder mit Hitler, Fotos von Sellner, zu dem er auch Kontakt unterhielt, und anderen Szenegrößen, behindertenfeindliche ableistische Bilder – insgesamt sind es 200 aus dem Tatzeitraum 2020–2022. Szeneaktiv war er allerdings auch schon vorher, mit 16 Jahren. Schließlich aber wird ihm die Gretchenfrage gestellt: „Wollten Sie mit den Handlungen, die sie zugegeben haben, den Nationalsozialismus verherrlichen?“ Da bleibt S., der schon vorher tatsachengeständig war, nach all dem, was da an Details vorgetragen und aus seinen Chats ausgegraben wurde, nicht mehr viel Spielraum: „Ja, ich habe das in Kauf genommen.“
Die Kontakte zur Neonazi-Szene will er seit dem Beginn der Ermittlungen aufgegeben haben. Das (nicht rechtskräftige) Urteil der Geschworenen ist eindeutig: Schuldig im Sinne der Anklage. Das bedeutet: 360 Tagesätze à 11 Euro (3.960€) und zwölf Monate auf Bewährung. Die eingezogenen Mobiltelefone, die S. gerne wieder gehabt hätte, werden vernichtet.
Wir lernen daraus: Ein „konservativ Rechter“ kann in seiner Eigenwahrnehmung problemlos Identitärer, Antisemit, Rassist und Neonazi sein, ja auch Sympathien für die Freiheitliche Jugend und die FPÖ äußern. Für uns ist es ein Indiz dafür, dass die aufgetragenen Lackschichten ziemlich dünn und durchlässig sind.
Wir danken prozess.report und „VON UNTEN — Das Nachrichtenmagazin auf Radio Helsinki“ für die Prozessbeobachtung!
➡️ Der Standard: Bundesheer-Rekrut unterstützte rechtsextremen Rapper
➡️ prozess.report: Sieben neonazistische Einzelfälle oder ein Faible für die Zahl 14?