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Verschwörung der „Hausfrauen-Justiz“

Etwa 25 Per­so­nen, dar­un­ter min­des­tens ein ver­ur­teil­ter Neo­na­zi, sind ins Wie­ner Neu­städ­ter Lan­des­ge­richt ange­rückt, um den Ange­klag­ten zu unter­stüt­zen. Der lie­fer­te im Gericht stun­den­lang eine Schwur­­bel-Show und sieht sei­ne Ver­ur­tei­lung als Ver­schwö­rung durch eine „Haus­frau­en-Jus­­tiz“. Ein Pro­zess­be­richt. Gleich am Anfang gab’s Wir­bel: Zwei Män­ner hat­ten im Schwur­ge­richts­saal eine öster­rei­chi­sche Flag­ge und einen Ban­ner mit einer […]

12. Jun 2023
Schwurgerichtssaal innen Landesgericht Wiener Neustadt (© SdR)
Schwurgerichtssaal innen Landesgericht Wiener Neustadt (© SdR)

Landesgericht Wiener Neustadt Schild (© SdR)
Lan­des­ge­richt Wie­ner Neu­stadt Schild (© SdR)

Gleich am Anfang gab’s Wir­bel: Zwei Män­ner hat­ten im Schwur­ge­richts­saal eine öster­rei­chi­sche Flag­ge und einen Ban­ner mit einer Tau­be hoch­ge­hal­ten. Die Rich­te­rin ver­wies sie des Saals, wor­auf­hin sie „Sie sind psy­chisch labil“ und „Sie wer­den des spürn“ ern­te­te. Die Secu­ri­ty beglei­te­te einen der Zwi­schen­ru­fer eben­falls hin­aus. Der kam aller­dings nach weni­gen Minu­ten wie­der retour. Und damit war es mit einer strik­ten Pro­zess­füh­rung durch die Vor­sit­zen­de Rich­te­rin auch schon vor­bei. Was dann den gesam­ten Pro­zess­tag präg­te, waren lang­at­mi­ge Aus­las­sun­gen des aus Grie­chen­land stam­men­den Ange­klag­ten Ioan­nis P., sodass eher der Ein­druck einer – aller­dings ful­mi­nant geschei­ter­ten – The­ra­pie­sit­zung ent­ste­hen konn­te als die Abhal­tung einer Gerichtsverhandlung.

Sonderperformance im Gerichtssaal (2.6.23 © SdR)
Son­der­per­for­mance im Gerichts­saal (2.6.23 © SdR)

P. nahm bereits ab April 2020, also lan­ge vor der Eröff­nung sei­nes Lokals in Ter­nitz, an den Coro­na-Demos teil. In den Fokus der Auf­merk­sam­keit war er aller­dings erst gerückt, als im Febru­ar 2021, mit­ten in einem Lock­down, in sei­nem Lokal eine Ver­samm­lung poli­zei­lich besucht wur­de. Vide­os mach­ten die Run­de – mit­ten unter den Gäs­ten befand sich der Neo­na­zi Gott­fried Küs­sel, den P. im Pro­zess als sei­nen bes­ten Freund bezeich­ne­te: „So eine tol­le Mann!” Ab der Raz­zia stan­den die Akti­vi­tä­ten des mitt­ler­wei­le Ex-Wirts unter Beob­ach­tung der Behör­den, aber auch der Öffent­lich­keit. Auf sei­nem Tele­gram-Kanal, den er von dem in Insi­der­krei­sen nicht unbe­kann­ten Rechts­extre­men Arnold G. über­nom­men hat­te, so die Aus­sa­ge von P., gab’s dann täg­li­che Video­flu­ten. Meist von dem Ange­klag­ten selbst, aber auch Pos­tings von ande­ren Usern. Eines davon ver­an­lass­te „Stoppt die Rech­ten“ dazu, Anzei­ge nach dem Ver­bots­ge­setz zu erstat­ten. Hier wur­den die Ermitt­lun­gen ein­ge­stellt, weil der zwei­fel­los neo­na­zis­ti­sche Con­tent nicht von P. selbst gepos­tet wor­den war und die Staats­an­walt­schaft Wien die Auf­fas­sung ver­trat, dass P. dafür nicht zu belan­gen sei. Dem hat­te zuvor die Stell­ver­tre­te­rin des Rechts­schutz­be­auf­trag­ten wider­spro­chen, die eine Fort­füh­rung des Ver­fah­rens ver­langt hatte.

Doch zwei ande­re Pos­tings, die P. selbst geteilt hat­te, brach­ten ihn schließ­lich wegen Wie­der­be­tä­ti­gung (Ver­botsG 3h) vor Gericht: ein Foto „zei­gend aus­ge­hun­ger­te Lei­chen in einem Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger mit der Über­schrift ‚Mora­li­sche Schuld­haf­tig­keit – Das ist das Ergeb­nis von Befehls­emp­fang‘“ und eine dazu­ge­hö­ri­ge Sprach­nach­richt auf die (…) Fra­ge, ob er der Ansicht sei, dass es ihm genau­so schlecht gehe, wie den abge­bil­de­ten Per­so­nen (…): „Wenn es so wei­ter geht, ja. Hier wird hart gear­bei­tet, um unse­re Exis­tenz zu ver­nich­ten. Viel­leicht geht es uns noch schlech­ter. Weil das was jetzt gera­de pas­siert, ist eine psy­chi­sche Fol­ter.“ (Zita­te aus der Anklageschrift)

Es stellt nun ange­sichts der zahl­rei­chen Fes­ti­vi­tä­ten im Lokal und des deut­lich sicht­ba­ren Über­ge­wichts des Ange­klag­ten völ­lig unab­hän­gig von der Rechts­la­ge eine mora­li­sche Per­fi­die dar, die Betrof­fen­heit von Coro­na-Maß­nah­men mit dem Schick­sal von in KZ Ver­hun­ger­ten, Gefol­ter­ten und Ermor­de­ten ver­glei­chen zu wol­len. Aber zum Ankla­ge­punkt der gröb­li­chen Ver­harm­lo­sung des Holo­caust kam noch ein wei­te­res Pos­ting hin­zu: wegen Holo­caust­leug­nung. P. hat­te Datei­en, dar­un­ter das gefälsch­te „Lachout-Doku­ment“ (1) geteilt, in dem die Exis­tenz von Gas­kam­mern – etwa in Maut­hau­sen – geleug­net wird:

Die Alli­ier­ten Unter­su­chungs­kom­mis­sio­nen haben bis­her fest­ge­stellt, dass in fol­gen­den Kon­zen­tra­ti­ons­la­gern kei­ne Men­schen mit Gift­gas getö­tet wur­de: Ber­gen-Bel­sen, Buchen­wald, Dach­au, Flos­sen­burg, Gross-Rosen, Maut­hau­sen und Neben­la­ger, Natz­wei­ler, Neu­en­gam­me, Nie­der­ha­gen (Wewels­burg), Ravens­brück, Sach­sen­hau­sen, Stutt­hof, The­re­si­en­stadt. In die­sen Fäl­len konn­te nach­ge­wie­sen wer­den, dass Geständ­nis­se durch Fol­te­run­gen erpresst wur­den und Zeu­gen­aus­sa­gen falsch waren. (aus der Anklageschrift)

Broschüre DÖW "Das Lachout-"Dokument". Anatomie einer Fälschung"
Bro­schü­re DÖW „Das Lachout-„Dokument”. Ana­to­mie einer Fälschung”

Der drit­te Ankla­ge­punkt wegen Belei­di­gung eines Poli­zis­ten wur­de aus­ge­schie­den, da der Zeu­ge nicht anwe­send war. Der vier­te Punkt betraf „Sie­gel­bruch“, weil P. von drei gericht­lich gepfän­de­ten Autos, zwei Mer­ce­des und einem VW Toua­reg, die Sie­gel ent­fernt hat.

Nach einer eher unam­bi­tio­niert vor­ge­tra­ge­nen Ankla­ge durch die Staats­an­wäl­tin, die danach bis zum eben­falls mono­ton-tech­nisch gehal­te­nen Schluss­plä­doy­er in Schwei­gen ver­fiel, und dem Ein­gangs­state­ment des Ver­tei­di­gers Roman Schiess­ler, kam P. selbst zu Wort. Obwohl der Schiess­ler ange­kün­digt hat­te, sein Man­dant wür­de nicht aus­sa­gen, folg­ten elend­slan­ge, kaum unter­bro­che­ne Mono­lo­ge, in denen sich P. als Opfer von allem und jedem dar­stell­te. Zu den Ankla­ge­punk­ten selbst war wenig dabei. Ein­mal wuss­te er nicht, was von wem auf sei­nem Kanal gepos­tet wur­de, ein­mal war es ihm egal, dann war er es doch wie­der selbst. Das Gericht benö­tig­te eine Pau­se, um die tech­ni­schen Merk­ma­le der Urhe­ber­schaft eines Tele­gram-Pos­tings klä­ren zu kön­nen und auch, wie eine Wei­ter­lei­tung und ein kom­men­tie­ren­der Text zu erken­nen sind.

Rich­te­rin: Damit wir jetzt noch ein­mal dar­auf zurück­kom­men, wer was gepos­tet hat. Da unten steht ihr Name, das heißt, dass Sie das gepos­tet haben.
Ange­klag­ter: Ja, was sieht man da? Ich habe es nicht gepos­tet, nur weitergeleitet.
R: Dann muss es wohl von Ihnen gekom­men sein.
A: Die Poli­zei hat mei­ne Han­dys neun Mona­te gehabt.
R: Sie mei­nen, dass die Poli­zei das gepos­tet hat?
A: Weiß ich nicht. (Pro­zess­pro­to­koll prozess.report)

Immer wie­der frag­te die Vor­sit­zen­de Rich­te­rin, ob P. mit der aktu­el­len Kennt­nis­la­ge noch­mals die­se Pos­tings ver­brei­ten wür­de. Die Ant­wort „nein“ war von ihm nicht zu hören, nur ein Schwall von aus­schwei­fen­dem Gebrab­bel mit dem High­light, nichts von Kon­zen­tra­ti­ons­la­gern gewusst zu haben, weil er in Grie­chen­land davon nichts gehört habe und weil er hier so sehr mit der Poli­zei und Vor­la­dun­gen beschäf­tigt sei. „Ich habe Ihnen nun drei Mal die Rut­sche gelegt“, mein­te die Rich­te­rin resigniert.

Dass P. den Sie­gel­bruch auch nicht wis­sent­lich began­gen haben will, muss fast nicht mehr erwähnt wer­den. Die drei Autos hät­ten mit ihm nichts zu tun, die wären im Besitz sei­nes Kul­tur­ver­eins und sei­ner Frau.

Das Urteil fiel geteilt aus: Frei­spruch bei Ankla­ge­punkt 1 (6:2), Schuld­spruch bei Punkt 2 (5:3), Schuld­spruch beim Punkt Sie­gel­bruch (7:1) und 14 Mona­te bedingt als Zusatz­stra­fe zu den ers­ten vier Mona­ten aus einer vor­her­ge­hen­den Ver­ur­tei­lung wegen Sozi­al­be­trugs sowie die Über­nah­me der Ver­fah­rens­kos­ten. Der Ver­tei­di­ger mel­de­te umge­hend Nich­tig­keit und Beru­fung an, die Staats­an­wäl­tin gab kei­ne Erklä­rung ab. Das Urteil ist daher nicht rechtskräftig.

Sein Schluss­wort hat­te P. genützt, um erneut minu­ten­lang irgend­et­was dahin­zu­schwur­beln, was die Vor­sit­zen­de Rich­te­rin ver­an­lass­te zu fra­gen, ob er auch etwas zur Sache zu sagen habe. „Wel­che Sache?“, reagier­te P.. Die Fra­ge steht sym­pto­ma­tisch dafür, dass er offen­bar nicht ver­stan­den hat­te, wor­um es bei dem Pro­zess über­haupt gegan­gen ist. Da wur­de näm­lich etwas ver­han­delt, was außer­halb sei­nes ego­zen­tri­schen Welt­bil­des, das am Ran­de eines Ouzo-Stam­perl zu enden scheint, liegt. Als ob er sei­ne Igno­ranz und auch gleich noch sei­ne Myso­ge­nie bele­gen woll­te, kom­men­tier­te er auf Tele­gram den Ver­hand­lungs­aus­gang so:

Die ein­zi­ge die mit eine Höhe Stra­fe erhofft haben ‚waren die Antifanten.Und Geschwo­re­nen und Gerichts BLUNZN haben denn Auf­trag teils erfüllt.Es läuft alles nach Plan DIESE VERBRECHEN VERJÄHREN NICHT.WENN ES WIEDER EINE GETRENTE VOM POLITIK JUSTIZ .Die Geschwo­re­nen waren 7 Frau­en. Ist auch kein ZUFALL.ES WAR GLATT EINE GESTELLTE SACHE.DIE GENTER SPIEĹT KEINE ROLLE ‚IN GERICHT .ÜBERALL ANDERS SCHON.WIR HABEN EINE HAUSFRAUEN JUSTIZ. MACHT EINFACH EUER GEDANKEN .3 WEIBLICHE RICHTER ‚WEIBLICHE STAASTANWÄLTIN UND 99% FRAUEN, DIE GESCHWORENEN.ES WAR SCHON VORGEKOCHT. (alle Feh­ler im Original)

Glück­li­cher­wei­se ist es in einem moder­nen Rechts­staat egal, von wel­chem „Gen­ter“ Urtei­le gespro­chen wer­den, auch wenn es man­che im vori­gen Jahr­tau­send Ste­cken­ge­blie­be­ne nicht wahr­ha­ben wollen.

1 DÖW 1989: Das Lachout-„Dokument”. Ana­to­mie einer Fälschung