Etwa 25 Personen, darunter mindestens ein verurteilter Neonazi, sind ins Wiener Neustädter Landesgericht angerückt, um den Angeklagten zu unterstützen. Der lieferte im Gericht stundenlang eine Schwurbel-Show und sieht seine Verurteilung als Verschwörung durch eine „Hausfrauen-Justiz“. Ein Prozessbericht.
Gleich am Anfang gab’s Wirbel: Zwei Männer hatten im Schwurgerichtssaal eine österreichische Flagge und einen Banner mit einer Taube hochgehalten. Die Richterin verwies sie des Saals, woraufhin sie „Sie sind psychisch labil“ und „Sie werden des spürn“ erntete. Die Security begleitete einen der Zwischenrufer ebenfalls hinaus. Der kam allerdings nach wenigen Minuten wieder retour. Und damit war es mit einer strikten Prozessführung durch die Vorsitzende Richterin auch schon vorbei. Was dann den gesamten Prozesstag prägte, waren langatmige Auslassungen des aus Griechenland stammenden Angeklagten Ioannis P., sodass eher der Eindruck einer – allerdings fulminant gescheiterten – Therapiesitzung entstehen konnte als die Abhaltung einer Gerichtsverhandlung.
P. nahm bereits ab April 2020, also lange vor der Eröffnung seines Lokals in Ternitz, an den Corona-Demos teil. In den Fokus der Aufmerksamkeit war er allerdings erst gerückt, als im Februar 2021, mitten in einem Lockdown, in seinem Lokal eine Versammlung polizeilich besucht wurde. Videos machten die Runde – mitten unter den Gästen befand sich der Neonazi Gottfried Küssel, den P. im Prozess als seinen besten Freund bezeichnete: „So eine tolle Mann!” Ab der Razzia standen die Aktivitäten des mittlerweile Ex-Wirts unter Beobachtung der Behörden, aber auch der Öffentlichkeit. Auf seinem Telegram-Kanal, den er von dem in Insiderkreisen nicht unbekannten Rechtsextremen Arnold G. übernommen hatte, so die Aussage von P., gab’s dann tägliche Videofluten. Meist von dem Angeklagten selbst, aber auch Postings von anderen Usern. Eines davon veranlasste „Stoppt die Rechten“ dazu, Anzeige nach dem Verbotsgesetz zu erstatten. Hier wurden die Ermittlungen eingestellt, weil der zweifellos neonazistische Content nicht von P. selbst gepostet worden war und die Staatsanwaltschaft Wien die Auffassung vertrat, dass P. dafür nicht zu belangen sei. Dem hatte zuvor die Stellvertreterin des Rechtsschutzbeauftragten widersprochen, die eine Fortführung des Verfahrens verlangt hatte.
Doch zwei andere Postings, die P. selbst geteilt hatte, brachten ihn schließlich wegen Wiederbetätigung (VerbotsG 3h) vor Gericht: ein Foto „zeigend ausgehungerte Leichen in einem Konzentrationslager mit der Überschrift ‚Moralische Schuldhaftigkeit – Das ist das Ergebnis von Befehlsempfang‘“ und eine dazugehörige Sprachnachricht „auf die (…) Frage, ob er der Ansicht sei, dass es ihm genauso schlecht gehe, wie den abgebildeten Personen (…): „Wenn es so weiter geht, ja. Hier wird hart gearbeitet, um unsere Existenz zu vernichten. Vielleicht geht es uns noch schlechter. Weil das was jetzt gerade passiert, ist eine psychische Folter.“ (Zitate aus der Anklageschrift)
Es stellt nun angesichts der zahlreichen Festivitäten im Lokal und des deutlich sichtbaren Übergewichts des Angeklagten völlig unabhängig von der Rechtslage eine moralische Perfidie dar, die Betroffenheit von Corona-Maßnahmen mit dem Schicksal von in KZ Verhungerten, Gefolterten und Ermordeten vergleichen zu wollen. Aber zum Anklagepunkt der gröblichen Verharmlosung des Holocaust kam noch ein weiteres Posting hinzu: wegen Holocaustleugnung. P. hatte Dateien, darunter das gefälschte „Lachout-Dokument“ (1) geteilt, in dem die Existenz von Gaskammern – etwa in Mauthausen – geleugnet wird:
Die Alliierten Untersuchungskommissionen haben bisher festgestellt, dass in folgenden Konzentrationslagern keine Menschen mit Giftgas getötet wurde: Bergen-Belsen, Buchenwald, Dachau, Flossenburg, Gross-Rosen, Mauthausen und Nebenlager, Natzweiler, Neuengamme, Niederhagen (Wewelsburg), Ravensbrück, Sachsenhausen, Stutthof, Theresienstadt. In diesen Fällen konnte nachgewiesen werden, dass Geständnisse durch Folterungen erpresst wurden und Zeugenaussagen falsch waren. (aus der Anklageschrift)
Broschüre DÖW „Das Lachout-„Dokument”. Anatomie einer Fälschung”
Der dritte Anklagepunkt wegen Beleidigung eines Polizisten wurde ausgeschieden, da der Zeuge nicht anwesend war. Der vierte Punkt betraf „Siegelbruch“, weil P. von drei gerichtlich gepfändeten Autos, zwei Mercedes und einem VW Touareg, die Siegel entfernt hat.
Nach einer eher unambitioniert vorgetragenen Anklage durch die Staatsanwältin, die danach bis zum ebenfalls monoton-technisch gehaltenen Schlussplädoyer in Schweigen verfiel, und dem Eingangsstatement des Verteidigers Roman Schiessler, kam P. selbst zu Wort. Obwohl der Schiessler angekündigt hatte, sein Mandant würde nicht aussagen, folgten elendslange, kaum unterbrochene Monologe, in denen sich P. als Opfer von allem und jedem darstellte. Zu den Anklagepunkten selbst war wenig dabei. Einmal wusste er nicht, was von wem auf seinem Kanal gepostet wurde, einmal war es ihm egal, dann war er es doch wieder selbst. Das Gericht benötigte eine Pause, um die technischen Merkmale der Urheberschaft eines Telegram-Postings klären zu können und auch, wie eine Weiterleitung und ein kommentierender Text zu erkennen sind.
Richterin: Damit wir jetzt noch einmal darauf zurückkommen, wer was gepostet hat. Da unten steht ihr Name, das heißt, dass Sie das gepostet haben.
Angeklagter: Ja, was sieht man da? Ich habe es nicht gepostet, nur weitergeleitet.
R: Dann muss es wohl von Ihnen gekommen sein.
A: Die Polizei hat meine Handys neun Monate gehabt.
R: Sie meinen, dass die Polizei das gepostet hat?
A: Weiß ich nicht. (Prozessprotokoll prozess.report)
Immer wieder fragte die Vorsitzende Richterin, ob P. mit der aktuellen Kenntnislage nochmals diese Postings verbreiten würde. Die Antwort „nein“ war von ihm nicht zu hören, nur ein Schwall von ausschweifendem Gebrabbel mit dem Highlight, nichts von Konzentrationslagern gewusst zu haben, weil er in Griechenland davon nichts gehört habe und weil er hier so sehr mit der Polizei und Vorladungen beschäftigt sei. „Ich habe Ihnen nun drei Mal die Rutsche gelegt“, meinte die Richterin resigniert.
Dass P. den Siegelbruch auch nicht wissentlich begangen haben will, muss fast nicht mehr erwähnt werden. Die drei Autos hätten mit ihm nichts zu tun, die wären im Besitz seines Kulturvereins und seiner Frau.
Das Urteil fiel geteilt aus: Freispruch bei Anklagepunkt 1 (6:2), Schuldspruch bei Punkt 2 (5:3), Schuldspruch beim Punkt Siegelbruch (7:1) und 14 Monate bedingt als Zusatzstrafe zu den ersten vier Monaten aus einer vorhergehenden Verurteilung wegen Sozialbetrugs sowie die Übernahme der Verfahrenskosten. Der Verteidiger meldete umgehend Nichtigkeit und Berufung an, die Staatsanwältin gab keine Erklärung ab. Das Urteil ist daher nicht rechtskräftig.
Sein Schlusswort hatte P. genützt, um erneut minutenlang irgendetwas dahinzuschwurbeln, was die Vorsitzende Richterin veranlasste zu fragen, ob er auch etwas zur Sache zu sagen habe. „Welche Sache?“, reagierte P.. Die Frage steht symptomatisch dafür, dass er offenbar nicht verstanden hatte, worum es bei dem Prozess überhaupt gegangen ist. Da wurde nämlich etwas verhandelt, was außerhalb seines egozentrischen Weltbildes, das am Rande eines Ouzo-Stamperl zu enden scheint, liegt. Als ob er seine Ignoranz und auch gleich noch seine Mysogenie belegen wollte, kommentierte er auf Telegram den Verhandlungsausgang so:
Die einzige die mit eine Höhe Strafe erhofft haben ‚waren die Antifanten.Und Geschworenen und Gerichts BLUNZN haben denn Auftrag teils erfüllt.Es läuft alles nach Plan DIESE VERBRECHEN VERJÄHREN NICHT.WENN ES WIEDER EINE GETRENTE VOM POLITIK JUSTIZ .Die Geschworenen waren 7 Frauen. Ist auch kein ZUFALL.ES WAR GLATT EINE GESTELLTE SACHE.DIE GENTER SPIEĹT KEINE ROLLE ‚IN GERICHT .ÜBERALL ANDERS SCHON.WIR HABEN EINE HAUSFRAUEN JUSTIZ. MACHT EINFACH EUER GEDANKEN .3 WEIBLICHE RICHTER ‚WEIBLICHE STAASTANWÄLTIN UND 99% FRAUEN, DIE GESCHWORENEN.ES WAR SCHON VORGEKOCHT. (alle Fehler im Original)
Glücklicherweise ist es in einem modernen Rechtsstaat egal, von welchem „Genter“ Urteile gesprochen werden, auch wenn es manche im vorigen Jahrtausend Steckengebliebene nicht wahrhaben wollen.
1 DÖW 1989: Das Lachout-„Dokument”. Anatomie einer Fälschung