Lesezeit: 6 Minuten

Ein Teutone vor Gericht

Nach vie­len Jah­ren der Beschäf­ti­gung mit öster­rei­chi­schen Rechts­extre­men und Neo­na­zis kann’s uns den­noch pas­sie­ren, dass wir Neu­es dazu­ler­nen. Ges­tern war wie­der ein­mal so ein Tag der Erleuch­tung: erstaun­li­cher­wei­se in einem Pro­zess gegen einen Bur­schen­schaf­ter, der sich wegen des Ver­dachts, gegen das Ver­bots­ge­setz ver­sto­ßen zu haben, vor dem Wie­ner Lan­des­ge­richt ver­ant­wor­ten muss­te. Ein Pro­zess­be­richt. Dort konnten […]

17. Aug 2022
Landesgericht Wien (2022)
Landesgericht Wien (2022)

Dort konn­ten wir erfah­ren, dass aus­ge­rech­net die Teu­to­nia, jene Wie­ner Bur­schen­schaft, die wir bis­lang zur Speer­spit­ze des Rechts­extre­mis­mus und zuwei­len auch des Neo­na­zis­mus inner­halb der öster­rei­chi­schen Kor­po­ra­tio­nen gezählt hat­ten, mit Rechts­extre­mis­mus schon lan­ge nichts mehr am Hut habe. Ja, die Teu­to­nia hat­te Pro­ble­me mit Rechts­extre­men, so der 33-jäh­ri­ge Ange­klag­te B.M., das sei aber vor allem in den 1990er-Jah­ren gewe­sen. Danach habe man sich bemüht, die ein­schlä­gi­gen Umtrie­be hint­an­zu­hal­ten: „Alle bewe­gen sich auf dem Boden der frei­heit­lich-demo­kra­ti­schen Grund­ord­nung!“, behaup­te­te M. im Gerichtssaal.

Bei einem der­ar­tig geball­ten Wis­sen aus ers­ter Hand hät­ten wir nur all­zu ger­ne gefragt, wie M. etwa jene 18 Vor­fäl­le zwi­schen 2010 und 2019, die das DÖW in dem Bei­trag „Die neo­na­zis­ti­schen Anklän­ge der Bur­schen­schaft ‚Teu­to­nia‘“ auf­lis­tet, inter­pre­tiert, wenn nicht mit rechts­extrem? Oder war­um selbst deut­sche Medi­en alar­miert waren, als die Wie­ner Teu­to­nen 2013 – jenes Jahr, in dem der Ange­klag­te Teu­to­nen-Obmann war –, den Vor­sitz des bur­schen­schaft­li­chen Zusam­men­schlus­ses „Deut­sche Bur­schen­schaft“ über­nom­men hat­ten. So teaser­te der „Spie­gel“ im Jän­ner 2013 unter dem Titel „Völ­ki­sche Ideo­lo­gen füh­ren Deut­sche Bur­schen­schaft“:

Den Vor­sitz der Deut­schen Bur­schen­schaft über­nimmt ein öster­rei­chi­scher Bund mit groß­deut­schen Phan­ta­sien. Die Wie­ner Teu­to­nia bestimmt im nächs­ten Jahr die Aus­rich­tung des Dach­ver­bands. Inter­ne Papie­re und bis­her unbe­kann­tes Pro­pa­gan­da­ma­te­ri­al offen­ba­ren: Dort herrscht rechts­extre­mes Gedankengut.

Auf die Fra­ge der Staats­an­wäl­tin, wie „Deut­sche Bur­schen­schaft“ in Öster­reich zu ver­ste­hen sei, mein­te B., das sei­en öster­rei­chi­sche Deut­sche, Ange­hö­ri­ge eines deut­schen Kul­tur­krei­ses. Er leh­ne den Natio­nal­so­zia­lis­mus schon des­we­gen ab, weil der das Bekennt­nis zum deut­schen Kul­tur­kreis dau­er­haft dis­kre­di­tiert habe. Wir hät­ten ger­ne nach­ge­fragt, was er unter „unser (sic!) deut­sches Vater­land” ver­steht, von dem er in einem Inter­view 2015 auf die Fra­ge „Was wün­schen Sie sich für die Zukunft der Deut­schen Bur­schen­schaft?” gespro­chen hatte:

Es ent­spricht jedoch dem revo­lu­tio­nä­ren Wesen der Deut­schen Bur­schen­schaft, wel­ches in den letz­ten Jahr­zehn­ten lei­der etwas ver­lo­ren ging, der Sta­chel im Fleisch des jewei­li­gen Sys­tems zu sein und sich die­sem nie­mals anzu­bie­dern. Das soll­ten wir in Anbe­tracht des Zustan­des in dem sich unser deut­sches Vater­land heu­te befin­det, wie­der beherzigen.

Ein paar „Aus­rut­scher“ des ange­klag­ten Teu­to­nen, jetzt als Rechts­an­walt tätig, kamen auch im Pro­zess zur Spra­che, etwa als er 2009 beim Nowot­ny-Geden­ken auf dem Wie­ner Zen­tral­fried­hof auf­mar­schier­te – wobei er, jun­ger Bur­sche, der er damals war, nicht gewusst habe, was da ver­an­stal­tet wur­de und wer dar­an teil­nahm. Davon, so war es beim Pro­zess zu hören, habe er erst aus den Medi­en erfah­ren. Er sei gene­rell ein Anhän­ger des Toten­ge­den­kens, er stel­le am 8. Mai (für die Teu­to­nia „kein Fest der Freu­de“!) auch „am Rus­sen­fried­hof in Eisen­stadt Ker­zerl“ auf. Der „Rus­sen­fried­hof“ befin­det sich zwar in Ober­wart, aber woher soll das der nach Eisen­stadt migrier­te Wie­ner – nun­mehr übri­gens Obmann der „p.B. Mar­ko­man­nia zu Eisen­stadt“ (wo jedoch nichts los sei) – schon wissen?

Nowot­ny-Geden­ken 2009 u.a. mit Mar­tin Sell­ner, Wolf­gang L. und B.M.

Mit in der Run­de der Nowot­ny-Fans war damals auch Wolf­gang L., der sich unter diver­sen zumeist wider­li­chen Fake-Namen (wie z.B. Sowi­lo, Andi Geweh­re, Inge­borg Asmus) in meh­re­ren Neo­na­zi-Foren, dar­un­ter auch in Küs­sels alpen-donau.info-Forum, her­um­ge­trie­ben hat­te. Und genau ihm, einen „der füh­ren­den Akti­vis­ten im öster­rei­chi­schen Rechts­extre­mis­mus“, 2020 wegen Wie­der­be­tä­ti­gung ver­ur­teilt, wie die Staats­an­wäl­tin anmerk­te, hat es der Ange­klag­te zu ver­dan­ken, dass er vor Gericht auf­mar­schie­ren muss­te. Acht Jah­re nach dem brau­nen Auf­trieb am Zen­tral­fried­hof, tausch­te er just mit L., des­sen Han­dy im Zuge einer Haus­durch­su­chung beschlag­nahmt wur­de, ein­schlä­gi­ge Chat­nach­rich­ten aus. Aber in einer Ein­ver­nah­me hat­te der Ange­klag­te L. erst gar nicht gekannt, danach dann schon, jedoch nicht so rich­tig. Er habe L. ca. 2011/12 ken­nen gelernt und nur fünf bis zehn Mal gese­hen. Er habe nicht gewusst, was das für ein Typ war, L. sei wie er his­to­risch inter­es­siert gewe­sen und war bei der Teu­to­nia des Öfte­ren ein­ge­la­den. Hät­te er gewusst, wer das ist, dass L. eine „ver­krach­te Exis­tenz“ sei, hät­te er mit ihm nie­mals kommuniziert.

So, voll des Unwis­sens über sei­nen Chat­part­ner, mit­ten im Lern­stress für sei­ne Rechts­an­walts­prü­fung, kam es dann auch zu den ver­häng­nis­vol­len Chat­nach­rich­ten im Jahr 2017: brau­ne Nach­rich­ten von L. an den Ange­klag­ten und drei ein­schlä­gi­ge Bil­der, die M. an L. geschickt hat­te, von denen sich M. an zwei (ein Bild mit Sol­da­ten der Leib­stan­dar­te SS „Adolf Hit­ler“ auf Motor­rä­dern, beti­telt mit „Biker Treff 1939“ und das Foto eines Schilds, das Waf­fen-SS-Sol­da­ten die Benüt­zung von Kon­do­men im Umgang mit „Huren“ vor­schrieb) nicht mehr erin­nern konn­te. Das drit­te Bild sei ein Foto eines Objekts gewe­sen, das M. am Eisen­städ­ter Floh­markt gese­hen und abge­lich­tet habe und über des­sen Echt­heit er sich mit L. aus­ge­tauscht habe.

Dann folg­ten Aus­sa­gen wie: Ich habe das nicht in pro­pa­gan­dis­ti­scher Absicht geschickt; ich schä­me mich zutiefst dafür, ich weiß nicht, was ich mir damals gedacht habe; ich kann mir nicht in den Spie­gel schau­en; ich hät­te das nie bewusst gemacht, um nicht mei­ne Berufs­kar­rie­re zu gefähr­den … Sei­ne Nach­richt zum Tod der Flücht­lings­hel­fe­rin Ute Bock „Über Tote soll man nur Gutes sagen: Es ist gut, dass sie tot ist“, bezeich­ne­te M. heu­te als „däm­li­che Aus­sa­ge“, obwohl er Kri­ti­ker von Bock gewe­sen sei. Ein Ras­sist sei er nicht, war zu erfah­ren, er habe sich „pro bono“ (also kos­ten­los) für Flücht­lin­ge im Sport ein­ge­setzt. Und er tre­te auch in Schu­len auf, um Jugend­li­che über Hass im Netz auf­zu­klä­ren, damit ande­ren nicht so etwas pas­sie­re wie ihm. Bei einer poli­ti­schen Par­tei sei er nicht aktiv, denn es gebe „kei­ne Par­tei, die mei­nen Über­zeu­gun­gen ent­spricht”. Als Stu­dent sei er nur ein Monat lang aktiv gewe­sen – da war er Kan­di­dat des RFS bei den ÖH-Wah­len, wie wir unse­rem Archiv ent­neh­men konnten.

Als Zeu­ge war ein Mit­ar­bei­ter des bur­gen­län­di­schen LVT gela­den, der jedoch kei­ne beson­de­ren Wahr­neh­mun­gen hat­te. Ein wei­te­rer gela­de­ner Zeu­ge der „Direk­ti­on für Staats­si­cher­heit“ (DSN) wur­de zwar zwei­mal auf­ge­ru­fen, jedoch ver­geb­lich: Die ermit­teln­de Behör­de hielt es offen­bar nicht für not­wen­dig zu erschei­nen. Staats­an­walt­schaft und Ver­tei­di­gung ver­zich­te­ten denn auch auf die Anhö­rung eines Ver­fas­sungs­schüt­zers. So konn­te auch nicht die mög­li­che Fra­ge, war­um bei M. kei­ne der bei Wie­der­be­tä­ti­gung übli­chen Haus­durch­su­chun­gen statt­ge­fun­den hat, beant­wor­tet werden.

Nach knapp ein­ein­halb­stün­di­ger Bera­tung kamen die Geschwo­re­nen mit einem ein­stim­mi­gen Urteil zurück: Frei­spruch. Der ist jedoch nicht rechts­kräf­tig, da sich die Staats­an­wäl­tin nicht äußerte.

Noch eine letz­te Fra­ge stellt sich uns: Wie ist nach all den ein­schlä­gi­gen Vor­fäl­len bei der Teu­to­nia jenes Face­book-Pos­ting aus 2015 zu deu­ten, in dem es gehei­ßen hat­te: „Wir wis­sen wer wir sind, wir blei­ben wer wir waren! unge­beugt, unbe­irrt und unbe­lehr­bar.” Unbe­lehr­bar?

B.M. im Interview 2015 über die "Deutsche Burschenschaft": "unser deutsches Vaterland"
B.M. im Inter­view 2015 über die „Deut­sche Bur­schen­schaft”: „unser deut­sches Vaterland”
Es schauspielert nicht nur auf Facebook ...
Es schau­spie­lert nicht nur auf Facebook …

➡️ Völ­ki­sche Stu­den­ten­ver­bin­dun­gen in Wien: die aka­de­mi­sche Bur­schen­schaft Teu­to­nia (2016)
➡️ Teu­to­nia Wien: anti­se­mi­tisch, rechts­extrem & braun! (2019)
➡️ Die neo­na­zis­ti­schen Anklän­ge der Bur­schen­schaft „Teu­to­nia” (DÖW 2019)