Dort konnten wir erfahren, dass ausgerechnet die Teutonia, jene Wiener Burschenschaft, die wir bislang zur Speerspitze des Rechtsextremismus und zuweilen auch des Neonazismus innerhalb der österreichischen Korporationen gezählt hatten, mit Rechtsextremismus schon lange nichts mehr am Hut habe. Ja, die Teutonia hatte Probleme mit Rechtsextremen, so der 33-jährige Angeklagte B.M., das sei aber vor allem in den 1990er-Jahren gewesen. Danach habe man sich bemüht, die einschlägigen Umtriebe hintanzuhalten: „Alle bewegen sich auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung!“, behauptete M. im Gerichtssaal.
Bei einem derartig geballten Wissen aus erster Hand hätten wir nur allzu gerne gefragt, wie M. etwa jene 18 Vorfälle zwischen 2010 und 2019, die das DÖW in dem Beitrag „Die neonazistischen Anklänge der Burschenschaft ‚Teutonia‘“ auflistet, interpretiert, wenn nicht mit rechtsextrem? Oder warum selbst deutsche Medien alarmiert waren, als die Wiener Teutonen 2013 – jenes Jahr, in dem der Angeklagte Teutonen-Obmann war –, den Vorsitz des burschenschaftlichen Zusammenschlusses „Deutsche Burschenschaft“ übernommen hatten. So teaserte der „Spiegel“ im Jänner 2013 unter dem Titel „Völkische Ideologen führen Deutsche Burschenschaft“:
Den Vorsitz der Deutschen Burschenschaft übernimmt ein österreichischer Bund mit großdeutschen Phantasien. Die Wiener Teutonia bestimmt im nächsten Jahr die Ausrichtung des Dachverbands. Interne Papiere und bisher unbekanntes Propagandamaterial offenbaren: Dort herrscht rechtsextremes Gedankengut.
Auf die Frage der Staatsanwältin, wie „Deutsche Burschenschaft“ in Österreich zu verstehen sei, meinte B., das seien österreichische Deutsche, Angehörige eines deutschen Kulturkreises. Er lehne den Nationalsozialismus schon deswegen ab, weil der das Bekenntnis zum deutschen Kulturkreis dauerhaft diskreditiert habe. Wir hätten gerne nachgefragt, was er unter „unser (sic!) deutsches Vaterland” versteht, von dem er in einem Interview 2015 auf die Frage „Was wünschen Sie sich für die Zukunft der Deutschen Burschenschaft?” gesprochen hatte:
Es entspricht jedoch dem revolutionären Wesen der Deutschen Burschenschaft, welches in den letzten Jahrzehnten leider etwas verloren ging, der Stachel im Fleisch des jeweiligen Systems zu sein und sich diesem niemals anzubiedern. Das sollten wir in Anbetracht des Zustandes in dem sich unser deutsches Vaterland heute befindet, wieder beherzigen.
Ein paar „Ausrutscher“ des angeklagten Teutonen, jetzt als Rechtsanwalt tätig, kamen auch im Prozess zur Sprache, etwa als er 2009 beim Nowotny-Gedenken auf dem Wiener Zentralfriedhof aufmarschierte – wobei er, junger Bursche, der er damals war, nicht gewusst habe, was da veranstaltet wurde und wer daran teilnahm. Davon, so war es beim Prozess zu hören, habe er erst aus den Medien erfahren. Er sei generell ein Anhänger des Totengedenkens, er stelle am 8. Mai (für die Teutonia „kein Fest der Freude“!) auch „am Russenfriedhof in Eisenstadt Kerzerl“ auf. Der „Russenfriedhof“ befindet sich zwar in Oberwart, aber woher soll das der nach Eisenstadt migrierte Wiener – nunmehr übrigens Obmann der „p.B. Markomannia zu Eisenstadt“ (wo jedoch nichts los sei) – schon wissen?
Mit in der Runde der Nowotny-Fans war damals auch Wolfgang L., der sich unter diversen zumeist widerlichen Fake-Namen (wie z.B. Sowilo, Andi Gewehre, Ingeborg Asmus) in mehreren Neonazi-Foren, darunter auch in Küssels alpen-donau.info-Forum, herumgetrieben hatte. Und genau ihm, einen „der führenden Aktivisten im österreichischen Rechtsextremismus“, 2020 wegen Wiederbetätigung verurteilt, wie die Staatsanwältin anmerkte, hat es der Angeklagte zu verdanken, dass er vor Gericht aufmarschieren musste. Acht Jahre nach dem braunen Auftrieb am Zentralfriedhof, tauschte er just mit L., dessen Handy im Zuge einer Hausdurchsuchung beschlagnahmt wurde, einschlägige Chatnachrichten aus. Aber in einer Einvernahme hatte der Angeklagte L. erst gar nicht gekannt, danach dann schon, jedoch nicht so richtig. Er habe L. ca. 2011/12 kennen gelernt und nur fünf bis zehn Mal gesehen. Er habe nicht gewusst, was das für ein Typ war, L. sei wie er historisch interessiert gewesen und war bei der Teutonia des Öfteren eingeladen. Hätte er gewusst, wer das ist, dass L. eine „verkrachte Existenz“ sei, hätte er mit ihm niemals kommuniziert.
So, voll des Unwissens über seinen Chatpartner, mitten im Lernstress für seine Rechtsanwaltsprüfung, kam es dann auch zu den verhängnisvollen Chatnachrichten im Jahr 2017: braune Nachrichten von L. an den Angeklagten und drei einschlägige Bilder, die M. an L. geschickt hatte, von denen sich M. an zwei (ein Bild mit Soldaten der Leibstandarte SS „Adolf Hitler“ auf Motorrädern, betitelt mit „Biker Treff 1939“ und das Foto eines Schilds, das Waffen-SS-Soldaten die Benützung von Kondomen im Umgang mit „Huren“ vorschrieb) nicht mehr erinnern konnte. Das dritte Bild sei ein Foto eines Objekts gewesen, das M. am Eisenstädter Flohmarkt gesehen und abgelichtet habe und über dessen Echtheit er sich mit L. ausgetauscht habe.
Dann folgten Aussagen wie: Ich habe das nicht in propagandistischer Absicht geschickt; ich schäme mich zutiefst dafür, ich weiß nicht, was ich mir damals gedacht habe; ich kann mir nicht in den Spiegel schauen; ich hätte das nie bewusst gemacht, um nicht meine Berufskarriere zu gefährden … Seine Nachricht zum Tod der Flüchtlingshelferin Ute Bock „Über Tote soll man nur Gutes sagen: Es ist gut, dass sie tot ist“, bezeichnete M. heute als „dämliche Aussage“, obwohl er Kritiker von Bock gewesen sei. Ein Rassist sei er nicht, war zu erfahren, er habe sich „pro bono“ (also kostenlos) für Flüchtlinge im Sport eingesetzt. Und er trete auch in Schulen auf, um Jugendliche über Hass im Netz aufzuklären, damit anderen nicht so etwas passiere wie ihm. Bei einer politischen Partei sei er nicht aktiv, denn es gebe „keine Partei, die meinen Überzeugungen entspricht”. Als Student sei er nur ein Monat lang aktiv gewesen – da war er Kandidat des RFS bei den ÖH-Wahlen, wie wir unserem Archiv entnehmen konnten.
Als Zeuge war ein Mitarbeiter des burgenländischen LVT geladen, der jedoch keine besonderen Wahrnehmungen hatte. Ein weiterer geladener Zeuge der „Direktion für Staatssicherheit“ (DSN) wurde zwar zweimal aufgerufen, jedoch vergeblich: Die ermittelnde Behörde hielt es offenbar nicht für notwendig zu erscheinen. Staatsanwaltschaft und Verteidigung verzichteten denn auch auf die Anhörung eines Verfassungsschützers. So konnte auch nicht die mögliche Frage, warum bei M. keine der bei Wiederbetätigung üblichen Hausdurchsuchungen stattgefunden hat, beantwortet werden.
Nach knapp eineinhalbstündiger Beratung kamen die Geschworenen mit einem einstimmigen Urteil zurück: Freispruch. Der ist jedoch nicht rechtskräftig, da sich die Staatsanwältin nicht äußerte.
Noch eine letzte Frage stellt sich uns: Wie ist nach all den einschlägigen Vorfällen bei der Teutonia jenes Facebook-Posting aus 2015 zu deuten, in dem es geheißen hatte: „Wir wissen wer wir sind, wir bleiben wer wir waren! ungebeugt, unbeirrt und unbelehrbar.” Unbelehrbar?
➡️ Völkische Studentenverbindungen in Wien: die akademische Burschenschaft Teutonia (2016)
➡️ Teutonia Wien: antisemitisch, rechtsextrem & braun! (2019)
➡️ Die neonazistischen Anklänge der Burschenschaft „Teutonia” (DÖW 2019)