Auch A.L. alias Wotan war vor Ort, wanderte vor dem Saal 203 auf und ab und wartete auf seinen Einsatz als Zeuge, der ihm schließlich erspart blieb, während wir im Saal der Verhandlung folgten. R.H. (61), der seit einigen Jahren in Pension ist, hat im gleichen Betrieb gearbeitet, in dem auch Wotan tätig war. Sie kannten sich also, wobei der Angeklagte das Verhältnis zu Wotan zunächst als ziemlich distanziert beschrieb.
Kurz bevor der Angeklagte im Jahr 2016 den Betrieb verließ, tauschte er über mehrere Monate hinweg einige Nazi-Bildchen über WhatsApp mit Wotan aus. Warum schickt man einem Arbeitskollegen, mit dem man nicht wirklich viel kommuniziert – zumeist nur beruflich –, Nazi-Bildchen? Ein Foto vom Adolf-Hitler-Platz in Wien. Eines, das Hitler zeigt mit dem Text „Völkischer Beobachter“, eines mit NS-Flagge, Reichadler und Hakenkreuz usw.. Das Foto vom seinerzeitigen Adolf-Hitler-Platz in Wien will er übrigens im Heeresgeschichtlichen Museum gemacht haben.
R.H. betonte, dass er eine Familiengeschichte habe, in der der Nationalsozialismus nicht glorifiziert worden sei. Sein Großvater sei von der Gestapo abgeholt und erschossen worden, seine Mutter habe sich deshalb ein Leben lang gefürchtet, wenn sie Schritte vor der Wohnungstür gehört habe. Er selbst sei sein ganzes Leben lang bei keinem einzigen Verein, bei keiner einzigen Demo gewesen. Über seine WhatsApp-Nachrichten an A.L. sagte er: „Es war der größte Fehler meines Lebens.“
Wie der Staatsanwalt in seinem Plädoyer feststellte, sei vieles von dem, was der Angeklagte dem Gericht da erzählte, für ihn durchaus glaubwürdig, aber sicher nicht, dass er nicht mitgekriegt habe, wie A.L. wirklich tickt. Es stellte sich nämlich im Verlauf der Verhandlung heraus, dass sein Verhältnis zu dessen Familie durchaus ein „relativ inniges“ war. L. schickte ihm gelegentlich auch Fotos von seinen Kindern, vom Urlaub, in der Familie war der Angeklagte immer willkommen.
Aus dem Prozess gegen L., der fest in der Neonazi-Szene um „Unwiderstehlich“ verankert war, wissen wir, dass der seine Wohnung durchaus mit einschlägigen Insignien ausgestattet hatte. Aber dem Angeklagten will nie etwas an Wotan aufgefallen sein: „Ich wär nie auf die Idee gekommen, dass er in diese Sachen verstrickt ist.“ Aber warum schickte er dann dem Wotan die Nazi- Bilder? Ein Geschworener hält ihm vor, dass er die Fotos und L.s Gesinnung auch hätte ignorieren können. Dieses Mysterium konnte der Angeklagte nicht klären. „Ja, warum habe ich das gemacht“, meinte er nur dazu.
Der Staatsanwalt hatte eine passende Antwort. Wenn einer dem Neonazi L. solche Sachen schickt, dann will er den ja in seiner Gesinnung bestärken: „Der billige Gag war ihm wichtiger!“ Deshalb plädierte er aus Prinzip für eine Sanktion, auch wenn dabei durchaus außerordentliche Milderungsgründe zur Anwendung kommen sollten: „Wir wollen nicht dem Herrn H. den Kopf abreißen!“
Die Geschworenen, die mit fünf Fragen (eine zu jedem Bildchen) in die Beratung geschickt worden waren, sahen es anders und entschieden in allen Punkten gegen eine Schuld des Angeklagten: Freispruch. Der ist auch schon rechtskräftig.