Wochenschau KW 43–44-45/20 (Teil 1)

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Wie­der­be­tä­ti­gung ohne Hin­ter­ge­dan­ken, ich weiß nicht, als Kurz­schluss­re­ak­ti­on – das sind Erklä­rungs­ver­su­che aus meh­re­ren Pro­zes­sen nach dem Ver­bots­ge­setz. Einer ende­te mit Frei­spruch, weil das Delikt viel­leicht nicht in Öster­reich began­gen wor­den ist. Einen Frei­spruch gab’s wegen des Ver­dachts auf Ver­het­zung, die aber nicht so gemeint war. Dafür fass­ten Mit­glie­der des „Staa­ten­bunds Öster­reich“ in einer Neu­auf­la­ge des Pro­zes­ses wie schon beim ers­ten Mal teil­wei­se über­aus hohe Stra­fen aus.

Klagenfurt/K: Nazi-Propaganda ohne Hintergedanken
Wien: Was ist ein Krypto-Nazi?
Kittsee-Korneuburg/NÖ: Hakenkreuze & Heil am Finger
Innsbruck: Es riecht nach Verhetzung
Bregenz-Feldkirch: Wiederbetätigung im Ausland straffrei
Innsbruck: Holocaustleugnung als Kurzschlussreaktion
Graz: Neue Urteile im Staatenbundprozess

Klagenfurt/K: Nazi-Propaganda ohne Hintergedanken

Rechts­kräf­ti­ge 18 Mona­te bedingt erhielt ein 26-jäh­ri­ger Kärnt­ner, weil er ras­sis­ti­sche, anti­se­mi­ti­sche und den NS und Holo­caust-ver­harm­lo­sen­des Mate­ri­al gespei­chert und in zwei Chat­grup­pen ver­brei­tet hat­te. Dort tausch­ten drei Män­ner 

mit Gruß­bot­schaf­ten ver­se­he­ne, ein­schlä­gi­ge Bil­der sowie mit Haken­kreu­zen über­sä­te Pin-ups in Nazi-Uni­form-Ele­men­ten. So gab es etwa Oster­grü­ße mit einem Bild von einem Hit­ler­gruß-Mäd­chen und Haken­kreuz-Oster­ei­ern, halb­nack­te Frau­en mit Haken­kreuz­bin­de und Hit­ler in einem Auto­werk als Exper­te für „Ver­ga­ser”. (APA via derstandard.at, 21.10.20)

Er habe das, so der Ange­klag­te, „ohne Hin­ter­ge­dan­ken“ ver­brei­tet, zeig­te sich vor Gericht jedoch geläu­tert. Wei­te­re Ermitt­lun­gen lau­fen gegen die ande­ren bei­den Män­ner, bei denen im Zuge von Haus­durch­su­chun­gen auch NS-Devo­tio­na­li­en sicher gestellt wor­den waren.

Wien: Was ist ein Krypto-Nazi?

Wie ist die Gesin­nung eines Men­schen ein­zu­ord­nen, der sich Mail­adres­sen mit NS-Codes („14sh88@…“, „18sh88@…“) zulegt, Nazi-Devo­tio­na­li­en wie Orden und eine Hit­ler-Büs­te sam­melt und sich auch noch brau­ne Täto­wie­run­gen (wie einen Sturz­kampf­bom­ber, „Blut, Ehre, Treue“, Runen, Trup­pen­ab­zei­chen von Waf­fen-SS-Divi­sio­nen) ste­chen lässt? „Eher das harm­lo­se­re Ende der Täter­ka­te­go­rie Neo­na­zi“ und „Kryp­to-Nazi“, nennt das der einem infor­mier­ten Publi­kum durch­aus bekann­te Wie­ner Rechts­an­walt Wer­ner Toma­nek. der den 47-jäh­ri­gen Bank­an­ge­stell­ten E. vor Gericht ver­tei­digt hat­te. E. sei ab 2015 in eine Nazi-Gesin­nung abge­glit­ten, kön­ne aber sich nicht dar­an erin­nern, wie­so: „‚War­um bit­te haben Sie das alles gesam­melt?‘ – ‚Ich weiß es nicht mehr. Es hat 2015 mit der Flücht­lings­kri­se begon­nen, dann habe ich im Inter­net immer mehr gele­sen.’“, zitiert der Stan­dard aus dem Prozessverlauf.

Auf­ge­flo­gen war  E., weil er aus­ge­rech­net dem Iden­ti­tä­ren-Boss Sell­ner die Ein­rich­tung eines Bank­kon­tos ange­bo­ten hat­te – just nach­dem bekannt gewor­den war, dass Sell­ner Kon­takt zum Atten­tä­ter von Christ­church hat­te. Das Ende des Pro­zes­ses: ein ein­stim­mi­ger Schuld­spruch und zwei Jah­re bedingt (rechts­kräf­tig).

Kittsee-Korneuburg/NÖ: Hakenkreuze & Heil am Finger

Ein in Kitt­see leben­der 35-jäh­ri­ger slo­wa­ki­scher Staats­bür­ger war bei einem Grenz­über­tritt auf­ge­fal­len, weil auf einem Fin­ger Tat­toos mit zwei Haken­kreu­ze und dem Wort „Heil“ zu sehen waren. Auch auf wei­te­ren Kör­per­tei­len waren ein­schlä­gi­ge Täto­wie­run­gen zu sehen. 

Der in der Slo­wa­kei als Crou­pier arbei­ten­de Mann gab vor Rich­ter Man­fred Hohenecker an, die inkri­mi­nier­ten Tat­toos inzwi­schen getilgt zu haben, was er dem Rich­ter auch demons­trier­te. Da an der Schuld des Man­nes kein Zwei­fel bestand (…), konn­te sich die Geschwo­re­nen-Jury zügig auf ein Urteil eini­gen, das fol­ge­rich­tig auf „schul­dig“ lau­te­te. In der Bemes­sung des Straf­ma­ßes von 14 Mona­ten beding­ter Frei­heits­stra­fe wer­te­te Rich­ter Hohenecker die Ent­fer­nung der Täto­wie­run­gen als mil­dern­den Umstand. (bvz.at, 29.10.20)

Das Urteil ist rechtskräftig.

Innsbruck: Es riecht nach Verhetzung

Wegen des Ver­dachts auf Ver­het­zung stand ein 51-jäh­ri­ger Tiro­ler vor Gericht, weil er einen Arti­kel zur See­not­ret­tung im Inter­net mit „Ver­senkt end­lich die­se möch­te­gern Schif­fe. Es riecht“ kom­men­tiert hat­te. Das habe er aber nicht so gemeint, wie es klin­gen könn­te: „‚Ich fin­de nur, dass die Pro­ble­ma­tik vom Staat gelöst gehört und nicht in pri­va­ten Hän­den ist.‘ Und ‚es riecht’ soll­te eigent­lich ‚es reicht’ hei­ßen. Die Rich­te­rin glaub­te dem Inns­bru­cker und sprach ihn frei.“ (krone.at, 29.10.20). Wes­halb er die Schif­fe der pri­va­ten See­not­ret­tung gleich ver­sen­ken woll­te, wenn er, wie er angab „nicht zum Aus­druck brin­gen [woll­te], dass die Men­schen ertränkt wer­den sol­len“, kön­nen wir dem Bericht aus der Kro­nen Zei­tung nicht entnehmen.

Bregenz-Feldkirch: Wiederbetätigung im Ausland straffrei

Dass sich ein Bre­gen­zer wie­der­be­tä­tigt hat­te, schien unstrit­tig gewe­sen zu sein. Die Fra­ge war nur, wo? 

Fünf Bil­der und ein Video mit Bezug zum Natio­nal­so­zia­lis­mus hat der Bre­gen­zer offen­bar 2017 mit sei­nem Smart­phone per Whats­App ver­schickt. (…) Die Geschwo­re­nen gin­gen wohl im Zwei­fel davon aus, dass der Ange­klag­te die Bil­der und das Video nicht in Öster­reich, son­dern in Deutsch­land und der Schweiz ver­schickt hat.“ (Neue Vor­arl­ber­ger Tages­zei­tung,“ 5.11.20 S. 22, 23)

Wenn die inkri­mi­nier­te Tat nicht in Öster­reich began­gen wird, greift das Ver­bots­ge­setz nicht – übri­gens anders als bei ande­ren Delikten.

Der Ange­klag­te gab vor Gericht zu Pro­to­koll, er kön­ne sich nicht dar­an erin­nern, dass er die ange­klag­ten Datei­en über­haupt ver­sen­det hat. Falls er das Mate­ri­al ver­schickt habe, kön­ne es aber auch sein, dass das in der Schweiz oder in Deutsch­land gesche­hen sei. Denn er habe sich 2017 auch im benach­bar­ten Aus­land mit Gleich­ge­sinn­ten aus der rech­ten Sze­ne getrof­fen. (NVT)

Die Geschwo­re­nen stimm­ten für unschul­dig, daher folg­te ein (nicht rechts­kräf­ti­ger) Freispruch.

Innsbruck: Holocaustleugnung als Kurzschlussreaktion

Eine selbst­er­stell­te Goog­le-Kar­te mit Maut­hau­sen und Ausch­witz als mar­kier­te Punk­te und dem Text „Sehr schön, aber lei­der nur erfun­den!“ wur­de einem 28-jäh­ri­gen Tiro­ler zum Ver­häng­nis. Zudem fand die Poli­zei bei ihm zu Hau­se USB-Stick mit Nazi-Musik und auch noch Waf­fen – trotz eines auf­rech­ten Waffenverbots.

Der Ver­such, die Goog­le-Kar­te einem Freund in die Schu­he zu schie­ben, führ­te bei dem zu einer Haus­durch­su­chung. Gefun­den wur­de dort zwar kein brau­nes Mate­ri­al, dafür aber Suchtgift.

Der 28-Jäh­ri­ge ver­ant­wor­te­te sein Trei­ben mit psy­chi­scher Insta­bi­li­tät. Die Belas­tung des Bekann­ten sei eine Kurz­schluss­re­ak­ti­on gewe­sen. Staats­an­wäl­tin Breit­hu­ber (NS-Son­der­zu­stän­dig­keit) plä­dier­te auf kla­re Ver­ur­tei­lun­gen zu allen Punk­ten der Ankla­ge. Die Geschwo­re­nen folg­ten ihr ein­stim­mig: Ein Jahr beding­te Haft plus 1440 Euro Geld­stra­fe ergin­gen. Der ver­wen­de­te PC wur­de zudem kon­fis­ziert.(tt.com, 7.11.20)

Graz: Neue Urteile im Staatenbundprozess

Nach­dem die Urtei­le aus dem ers­ten Pro­zess gegen 14 Mit­glie­der des „Staa­ten­bunds Öster­reich“ teil­wei­se auf­ge­ho­ben wor­den waren, erfolg­ten nun in der zwei­ten Auf­la­ge die neu­en Urtei­le: sat­te 12 Jah­re Haft für die selbst­er­nann­te Staa­ten­bund-Prä­si­den­tin Moni­ka U., zehn Jah­re Haft und die Ein­wei­sung in eine Anstalt für geis­tig abnor­me Rechts­bre­cher für die ehe­ma­li­ge Num­mer zwei im Bund der Staatsverweigerer.

Neben der „Prä­si­den­tin“ und ihrem Stell­ver­tre­ter wur­den auch alle ande­ren Ange­klag­ten wegen Grün­dung einer staats­feind­li­chen Ver­bin­dung ver­ur­teilt, weil sie die „Regie­rungs­er­klä­rung“ für den neu­en „Staat“ unter­schrie­ben hat­ten. Sie beka­men Stra­fen in der Höhe von zwölf bis 30 Mona­ten Haft, man­che der Haft­stra­fen wer­den bedingt nach­ge­se­hen. Das Urteil ist nicht rechts­kräf­tig. (steiermark.orf.at, 21.10.20)

Hin­ter­grün­de zum Staa­ten­bund Öster­reich: ➡️ Der „Staa­ten­bund“ am Ende?